Protokoll der Sitzung vom 18.08.2010

Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Rakow das Wort. Bitte, Frau Rakow, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Thema heißt: Meeresschutz in Niedersachsen - Nordsee sauber halten, Schadstoffbelastung der Nordsee senken. Gemeint ist dabei nicht nur die Nordsee, sondern gemeint sind auch die drei großen Flüsse in Niedersachsen sowie auch kleinere Flüsse und Gräben; das geht bis hin zu dem Wasser, das aus den Kläranlagen kommt. Alles das wird in dieser Großen Anfrage behandelt. Uns liegen rund 100 Seiten Fragen und Antworten vor. Dann stellt sich schon die Frage: Wie geht man damit um? Wie kann man in einer parlamentarischen Debatte eine solche Fülle an Informationen behandeln, sodass der Zuhörer, insbesondere der, der vielleicht nicht ganz so im Fach drinsteckt, irgendetwas davon mitnimmt? - Das ist gar nicht so einfach.

Ich will mich auf die Bereiche beschränken, in die es die Fragesteller bzw. die Landesregierung in ihrer Antwort gegliedert haben, nämlich zunächst auf den Punkt Vorbemerkungen, dann auf den Punkt „Nährstoffeintrag aus Landwirtschaft und Kläranlagen“, als Drittes auf die Einleitung von Salzlaugen und als Viertes auf die Belastungen

des Küstenmeeres durch chemische und toxische Stoffe, Schwebstoffe und Wärmeeinleitungen.

Meine Damen und Herren, in der Einleitung schreibt die Landesregierung - ich zitiere -:

„Über 50 % des vom Menschen geatmeten Sauerstoffs wird durch die in den Meeren lebenden Pflanzen produziert. Gleichzeitig binden die Meere einen großen Teil des Treibhausgases Kohlendioxid.“

Meine Damen und Herren, das allein müsste schon ausreichen, um den Meeresschutz an die höchste Stelle des Umweltschutzes zu stellen und tatsächlich jede erdenkliche Maßnahme zum Schutz zu treffen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, fragen Sie sich da nicht auch sofort, wie vor dem Hintergrund zugelassen werden kann, dass im Meer immer noch nach Öl gebohrt wird, dass immer noch Ölplattformen im Meer stehen und dass vor Kurzem der Betrieb der vorhandenen Plattform Mittelplate durch das Niedersächsische Landesamt für Bergbau unter der Verantwortung von Umweltminister Sander um weitere 30 Jahre verlängert wurde - 30 Jahre -, obwohl heute auch vom Land aus Öl gefördert werden könnte? Ich denke, so etwas ist schon einigermaßen empörend.

Erinnern Sie sich an die Bilder aus dem Golf von Mexiko, an die Bilder von den verendeten Seevögeln, von den verzweifelten Fischern? - So weit ist das von uns gar nicht weg, wenn man sich die niedersächsische Praxis hier anguckt.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Der Minister sprach eben von einer besonderen Verpflichtung gegenüber dem Weltnaturerbe. Wenn man so der Verpflichtung nachkommt, dann gute Nacht! Es ist wirklich ein Elend, wie der Umweltminister mit der Nordsee umgeht

(Zustimmung bei der SPD)

bzw. dass er für die Nordsee nichts Gutes, aber für RWE Dea das Allerbeste tut. Das ist keine Umweltpolitik, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Ich komme nun zum zweiten Punkt, zu den Nährstoffeinträgen aus Landwirtschaft und Kläranlagen. Bis zu diesem Jahr, bis 2010, sollte eigentlich kei

ne Eutrophierung des Meeres mehr auftreten. Das hat nicht geklappt. Die Nährstoffeinträge gibt es nach wie vor. Die Landesregierung kennt auch den Hauptverursacher der Nährstoffeinträge. Sie schreibt nämlich ganz deutlich: Vor allem die Landwirtschaft ist Verursacher der Einträge.

Sie schreibt weiter, dass die Richtlinien, die Pflanzenschutzrichtlinie, die Nitratrichtlinie sowie Auflagen des Gewässerschutzes wichtig und zielführend sind, aber nicht ausreichen - ich betone: nicht ausreichen -, um den ökologisch guten Zustand der Küstengewässer gemäß Wasserrahmenrichtlinie herbeizuführen. Liebe Landeregierung, da muss ja wohl mehr getan werden! Man kann sich ja nicht auf irgendetwas ausruhen, was nicht ausreicht.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Die Landesregierung nennt uns auch gleich den Grund, weshalb diese Maßnahmen nicht ausreichen. Sie sagt nämlich, das liegt daran, dass diese Maßnahmen freiwillig sind. Wenn aber freiwillige Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, dann sollte man diesen untauglichen Versuch doch beenden, besonders vor dem Hintergrund, dass dieser untaugliche Versuch auch noch eine ganze Menge Geld kostet. Warum macht man etwas, was nichts bringt, und zahlt auch noch einen Haufen Geld dafür? Wie soll man so etwas erklären?

Frau Kollegin Rakow, Herr Hocker möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Ja. Bitte, Herr Hocker!

Liebe Frau Rakow, ich frage, ob Ihnen bewusst und bekannt ist, dass die Mittelplate in SchleswigHolstein liegt und unser Umweltministerium dafür gar nicht zuständig ist.

Das Niedersächsische Landesamt für Bergbau hat das genehmigt, auch wenn die Mittelplate in Schleswig-Holstein liegt. Das ist nun einmal so, Herr Dr. Hocker. Herr Dr. Hocker, Sie haben vorhin den „Erfolg des praxistauglichen Umweltschutzes“ erwähnt. Vielleicht verquicken Sie das einmal damit und nehmen diese Bemerkung zurück! Denn nach der Tauglichkeit, die wir hier loben könnten,

können wir ganz lange suchen und finden gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte weitermachen. Wir haben immer noch Hoffnung, dass irgendwo etwas Gutes herauskommt, wenn man schon 100 Seiten Papier bedruckt. In diesem Papier wird ein EU-kofinanzierter Modellversuch beschrieben, in dem - so schreibt die Landesregierung - praxistaugliche Wege zur Reduktion von Gewässerbelastungen aufgezeigt wurden. Da kommt Hoffnung auf. Da könnte man fast jubeln. Ich nehme an, auch Sie freuen sich jetzt alle auf die Lösung. Aber es wird nichts. Weit gefehlt, meine Damen und Herren! Wir erfahren über den Handlungsansatz der Landesregierung: Die Landesregierung hat sich dafür eingesetzt, Belastungen aus diffusen Quellen anzusprechen und nährstoffbegrenzende Maßnahmen anzubieten, die erprobten Maßnahmen zusammenzufassen und in ein Umweltprogramm zu integrieren.

(Ronald Schminke [SPD]: Das ist ja unerhört! - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Volle Tatkraft!)

So geht es immer weiter. Auf jeden Fall wird sehr viel „erprobt“, „angesprochen“, „angeboten“ usw. Meine Damen und Herren, von so viel Hin-und-herGeschiebe der Maßnahmen wird einem eigentlich nur schwindelig. Aber der Nordsee wird damit nicht geholfen. So geht es nicht. Arme Nordsee!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich komme nun zur Einleitung von Salzlaugen. Herr Wenzel, ich würde gern ein bisschen mehr dazu sagen. Das geht jetzt nicht; die Zeit rennt wieder einmal. Aber ein bisschen möchte ich noch zu K+S sagen.

Wir haben hier lange darüber diskutiert. Wir haben hier immer wieder den Begriff der besten verfügbaren Technik besprochen und diese beste verfügbare Technik gefordert. Jetzt erfahren wir von der Landesregierung, dass die beste verfügbare Technik auf einem mit der EU abgestimmten Merkblatt definiert ist. Und oh Wunder: K+S arbeitet entsprechend der besten verfügbaren Technik, die auf diesem Merkblatt steht. Aber das ist eigentlich überhaupt nicht verwunderlich. Die Firma kann das besonders gut. Sie hat nämlich dieses Merkblatt mit erarbeitet, und zwar ziemlich maßgeblich. Was wollen wir dann noch erwarten?

Irritierend ist nur: Wie ist jetzt eigentlich die Haltung der Landesregierung, wenn sie die Firma K+S so ausnehmend dafür lobt, dass sie EU-konform arbeitet? Waren jetzt all unsere Beratungen, waren all unsere Beschlüsse hinfällig? Da erwarten wir wirklich noch ein deutliches Wort und Klarheit, dass der Beschluss, den wir einmal gefasst haben, weiterhin Gültigkeit hat.

Unser Prinzip - vermeiden, verringern und erst danach alternative Lösungen suchen - ist vernünftig. Daran werden wir im Interesse von Werra und Weser festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Interessant ist allerdings ein Hinweis in der Antwort der Landesregierung auf die Frage nach den Kavernenspülungen. Da wird berichtet, dass Sole aus Kavernenspülungen in Nordrhein-Westfalen ausschließlich in den Produktenkreislauf gegeben wird und es dort keine Einleitung in Gewässer geben darf. Das ist ein wichtiger Hinweis. Da werden wir noch ein bisschen genauer nachhaken. Möglicherweise erschließen sich da noch Möglichkeiten, die auch bei uns angewandt werden könnten.

Ich komme noch kurz auf die Belastung der Übergangsgewässer und speziell auf die chemischen Stoffe zu sprechen. Die Landesregierung schreibt von einem guten chemischen Zustand der Oberflächengewässer. Das ist Definitionssache. Wenn die Normensetzung der EU jetzt verändert wird, haben wir diese gute chemische Qualität zumindest in Bezug auf Quecksilber erst einmal nicht mehr. Viele gefährliche Chemikalien sind heute verboten, gelangen aber über Importe wieder in die Umwelt und sind nach wie vor zu finden.

Ein Beispiel - wir haben es eben schon von Herrn Wenzel gehört - ist TBT. Es ist inzwischen verboten und auch nicht mehr in Schiffsanstrichen enthalten, wird aber zum Teil in Textilien - ganz besonders bekannt sind Radlerhosen und Fußballtrikots - doch noch importiert. Es gelangt über das Waschen in die Kläranlagen und den Wasserkreislauf und ist damit in allen Gewässern zu finden. Schnecken werden fortpflanzungsunfähig, wenn sie sich in diesen Gewässern aufhalten. Was für Schnecken gilt, muss für Menschen nicht ganz fern liegen. Schmeißen Sie also die Radlerhosen in den Sondermüll! Wer sie tragen will, muss das natürlich mit seinem gesundheitlichen Bewusstsein vereinbaren.

Die Landesregierung verspricht als Lösung dieser Chemikalienbelastung Schulungen der Gewerbeaufsicht. Das ist ein vernünftiger Ansatz. Allerdings muss man fragen: Gibt es genügend Personal? - Diese Frage wird von den Grünen gestellt, aber von der Landesregierung nur unzureichend beantwortet. Dabei ist diese Frage wirklich von immenser Wichtigkeit. Reicht die Personalstärke der Gewerbeaufsicht, um die Produkte aufzuspüren, die gefährliche Chemikalien enthalten? Reichen die Möglichkeiten, diese Produkte aus der Vermarktungskette zu nehmen, um die Gesundheit der Verbraucher und die Gewässer zu schützen?

Frau Kollegin Rakow, es liegt noch einmal eine Bitte von Herrn Hocker vor, eine Zwischenfrage zu gestatten.

Er darf gleich noch eine Kurzintervention machen. Die zwei Sätze, die ich jetzt noch zu sagen habe, halten Sie sicherlich noch durch, Herr Hocker.

Die Frage ist ganz einfach: Kann man helfen? Reicht das alles aus? - Es scheint, als wenn das nicht der Fall ist. Auch zu diesem Gebiet werden wir noch nachfragen: Wie geht es der Gewerbeaufsicht? Kann sie ihre vielfältigen Aufgaben tatsächlich ausreichend wahrnehmen?

Ich möchte zum Schluss allen herzlichen Dank sagen, die mit der Großen Anfrage und deren Beantwortung zu tun hatten. Danke für die Fülle an Informationen, die uns sicherlich noch länger beschäftigen werden!

Ein Versprechen gebe ich noch: Wir werden daran arbeiten, dass nicht nur Fragen beantwortet werden, sondern auch Lösungen gefunden und umgesetzt werden. Hier müssen eine Parlamentsmehrheit und eine Landesregierung her, die nicht im Vielleicht und in Freiwilligem untergeht, sondern Erkenntnisse wirklich tatkräftig umsetzt.

Danke schön.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Kollegin Rakow, Herr Hocker hat Ihre Anregung aufgenommen und sich zu einer Kurzintervention gemeldet. - Bitte schön, Herr Kollege Hocker, Sie haben anderthalb Minuten!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Rakow, einen Hinweis kann ich mir nicht verkneifen: Ich würde Sie gerne darüber informieren, dass das LBEG bei der Verlängerung der bergrechtlichen Bewilligung zur Gewinnung von Erdöl aus dem Feld Mittelplate als schleswigholsteinische Landesbehörde gehandelt hat. Das sollten Sie für alle künftigen Beratungen und für alle Dinge wissen, die sich daraus vielleicht noch ergeben.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)