Protokoll der Sitzung vom 18.08.2010

Herzlichen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Seeler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war doch sehr erstaunt, als ich eben gehört habe, was Frau Ernst hier erzählt hat. Sie hat nicht nur Medienschelte betrieben,

(Ursula Ernst [CDU]: Nein, nein, Übermittlungsschelte!)

sondern sie hat offensichtlich überhaupt keine Ahnung, was in den IGSen tatsächlich stattfindet.

(Beifall bei der SPD)

Groß aufgemacht steht es heute auf der ersten Seite der Hannoverschen Allgemeinen. Ich zitiere:

„CDU und FDP rütteln am freien Elternwillen - ‚Zwangsabschulung’ schon nach Klasse 5 möglich/Opposition empört“

Recht hat Frau Döhner, die Verfasserin des Artikels und auch des Kommentars. Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen. Da kann man doch nur hoffen, dass auch Sie von CDU und FDP den Inhalt des Artikels verstanden und begriffen haben, dass Ihr Ansinnen nicht zum Wohle der Kinder ist.

(Beifall bei der SPD)

Schon die Überschrift Ihres Antrages ist verräterisch; Frau Korter hat das eben schon gesagt. Denn einen freien Elternwillen kann man nicht gestalten. Frei ist nämlich frei. Nein, man kann ihn nur einschränken, und genau das haben Sie von CDU und FDP ja auch vor. Wir lehnen ein solches Ansinnen entschieden ab.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch so, dass die Kinder gerade nach dem Übergang in eine weiterführende Schule völlig unterschiedlich reagieren. Während die einen keine Schwierigkeiten in der neuen Umgebung haben, sind die anderen oft stark verunsichert, und

ihre Leistungen lassen nach. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Anstatt den Schülerinnen und Schülern Zeit zu lassen, sich in der neuen Umgebung einzufinden, wollen Sie von CDU und FDP - ich zitiere - frühzeitig nachsteuern.

Was heißt diese ungenaue mehrdeutige Formulierung denn nun eigentlich konkret? Warum formulieren Sie nicht eindeutig, was Sie denn nun eigentlich wollen? - Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten. Die erste: Sie schließen sich unserem Antrag vom Dezember 2009 an, und der freie Elternwille bleibt weiterhin entscheidend und frei.

(Beifall bei der SPD)

Oder zweitens: Sie schränken das Selbstbestimmungsrecht der Eltern ein und schulen die Kinder vom Gymnasium oder von der Realschule ab, wenn sie nicht gleich in der fünften Klasse allen Leistungserwartungen entsprechen. Das allerdings hat mit einem freien Elternwillen nichts zu tun.

Auch der Landeselternrat hat sich zu Ihrem Antrag inzwischen ablehnend geäußert. Wie wenig Substanz Ihr Antrag hat, kann man schon daran erkennen, dass Sie keine Begründung dazu geschrieben haben. Oder wollen Sie etwa nur verheimlichen, dass es bei Ihnen nicht um die Kinder geht, sondern nur darum, die weniger nachgefragten Hauptschulen oder Realschulen zu füllen? - Das jedoch ist der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Da kann ich nur ausrufen: Das machen Sie nicht mit uns! Wir halten solch ein Verhalten weder für kindgerecht noch für sinnvoll. Wir wollen den Kindern Zeit lassen, sich in die neue Schulumgebung einzufinden, Zeit lassen, neue Freundinnen und Freunde zu finden, und Zeit lassen, sich und die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.

Sie jedoch wollen nur einsortieren. Sie wollen so ein überholtes gegliedertes Schulsystem stützen. Schon im vergangenen Jahr, als Sie von der FDP auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, dieses Vorgehen, das Sie als Antrag jetzt in den Landtag eingebracht haben, umsetzen zu wollen, hat es große Proteste gegeben: von den Eltern, vom Landeselternrat, von den Schülern. Aus allen Ecken kamen die Proteste.

Wir alle kennen doch die Statistiken, die zeigen, dass man bei zehnjährigen Kindern die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten nicht einschätzen kann. Also geben Sie doch den Kindern die Chance, zu

zeigen, was sie können! Lassen Sie ihnen doch Zeit, sich zu entwickeln, statt ständig neue Angstkulissen aufzubauen!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn ein Kind auf einer Schule tatsächlich überfordert ist, dann finden die Lehrkräfte und die Eltern gemeinsam - wie bisher eigentlich in fast allen Fällen - eine sinnvolle Lösung. Lassen wir es einfach dabei!

Deshalb Finger weg von den §§ 6 und 59 des Schulgesetzes! Keine Zwangsabschulung nach Klasse 5!

Zum Schluss kann ich nur noch einmal Frau Döhner zitieren:

„Wer wirklich das Wohl des Schülers im Auge hat, der sollte ihm Zeit geben - Zeit, sich zu entwickeln und den für ihn passenden Weg zu finden.“

Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Seeler. - Für die FDP-Fraktion haben Sie, Herr Kollege Försterling, das Wort.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Er fordert jetzt Freiheit für den freien El- ternwillen! - Ursula Helmhold [GRÜ- NE]: Gestaltungsfreiheit für die Lan- desregierung!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Thema, das wir schon seit Monaten diskutieren, wurde heute durch einen Bericht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung noch einmal aufgewertet. Das führt zu einer, wie ich finde, für diese Tageszeit sehr emotionalisierten Debatte.

(Jens Nacke [CDU]: Schule halt!)

Aber das haben wir im Schulbereich ja öfter.

Beschäftigen wir uns in der Tat einmal mit der derzeitigen Situation! Wie ist der freie Elternwille in Niedersachsen geregelt? - In § 59 Abs. 1 Satz 1 des Schulgesetzes steht:

„Die Erziehungsberechtigten haben im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den

Schulformen und Bildungsgängen, die zur Verfügung stehen.“

Ganz klar ist, dass CDU und FDP an dieser Formulierung nichts verändern wollen. Das wird deutlich, wenn man den Entschließungsantrag liest. In Nr. 1 wird die Landesregierung gebeten,

„den freien Elternwillen beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule zu erhalten“.

(Dörthe Weddige-Degenhard [SPD]: Das ist Augenwischerei! - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Dann beschließen wir doch nur die Nr. 1!)

Das heißt, dieser Diskussionspunkt kann, glaube ich, außen vor gelassen werden, weil da kein Dissens besteht.

Unter Nr. 2 steht im Entschließungsantrag weiter:

„Daher bittet der Landtag die Landesregierung, … aufzuzeigen, wie die Förder- und Steuerungsmöglichkeiten im fünften und sechsten Jahrgang zum Wohle der Schüler weiterentwickelt werden können.“

Ich glaube, dieser Formulierung kann man sich im Ersten gar nicht verschließen. Das kann man durchaus akzeptieren. Fördermöglichkeiten weiterzuentwickeln -

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Mit wel- chem Ziel?)

dagegen sollten eigentlich auch Sie gar nichts haben.

Schauen wir uns die Situation doch einmal an! Wie ist sie derzeit gesetzlich geregelt? - § 59 Abs. 4 Satz 3:

„Eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der zweimal nacheinander oder in zwei aufeinanderfolgenden Schuljahrgängen nicht versetzt worden ist, soll an die Schule einer anderen geeigneten Schulform überwiesen werden.“

Dieser Fall ist schon sehr lange in dieser Art und Weise geregelt. Er hat auch nichts mit Laufbahnempfehlungen oder Ähnlichem zu tun. Da geht es darum: Wenn zweimal hintereinander das Klassenziel nicht erreicht wird, kann eine entsprechende Überweisung durchgeführt werden.

Das, was Sie als Aufhänger Ihrer Emotionen gewählt haben, steht in § 59 Abs. 4 Satz 4:

„Eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der ohne entsprechende Empfehlung nach § 6 Abs. 5 die Realschule oder das Gymnasium besucht und am Ende des sechsten Schuljahrgangs nicht versetzt wird, kann an die Schule einer anderen, für sie oder ihn geeigneten Schulform überwiesen werden.“