Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Aber an der Stelle 1 500 Haftplätze als Spielraum vorzuhalten, ist etwas über den Durst und fordert geradezu die Frage heraus: Wie wirtschaftlich wird damit eigentlich umgegangen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Rolfes, die Frage ist: Wo brauchen wir Haftplätze, und welche Haftplätze brauchen wir? In dieser Anzahl sind Haftplätze in Niedersachsen aktuell und wahrscheinlich auch in Zukunft nicht mehr erforderlich.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste für uns interessante Bereich ist die personelle Situation. Hier kann ich mich dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an die Kolleginnen und Kollegen im Vollzug nur anschließen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese leisten trotz zum Teil widriger Rahmenbedingungen eine engagierte Arbeit. Die Anzahl der Krankentage ist eindeutig. Zwischen 2005 und 2009 lag die Anzahl der Krankentage pro Mitarbeiter im Schnitt bei 19,33. Das ist zu viel. Wir müssen uns fragen: Warum ist das so? - In den einzelnen Anstalten sieht es noch unterschiedlicher und dramatischer aus. Während Lingen-Damaschke 13 Krankentage pro Mitarbeiter hat, sind es in der JVA Hannover 27 Krankentage pro Bedienstetem. Jeder Bedienstete dort fehlt einen Monat. Das lässt sich nicht nur mit einigen Langzeiterkrankten erklären, sondern hier stellt sich aus unserer Sicht die Frage: Kommt der Arbeitgeber eigentlich der Fürsorgepflicht nach? Was kann man im Bereich des Gesundheitsmanagements tun, um mehr Bedienstete gesund zu halten? Warum ist das so? - Hier gibt es Rahmenbedingungen, die krank machen und zu so hohen Krankentagen in den einzelnen Anstalten beitragen. Das ist sehr eindeutig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben das Thema Hebungen angesprochen. Wir können uns den Forderungen von VNSB und ver.di nur anschließen. Es muss Entwicklungsperspektiven für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug geben.

(Thomas Adasch [CDU]: Wenn hier einer was getan hat, waren wir das, Herr Kollege!)

- Herr Adasch, wir stellen gar nicht in Abrede, dass Sie dort gerade etwas machen.

(Thomas Adasch [CDU]: Wir haben eine ganze Menge gemacht!)

Das muss man hier auch einmal sagen, das ist so. Es könnte an der einen oder anderen Stelle noch mehr sein, aber es passiert etwas.

Hinsichtlich der personellen Situation müssen wir hinterfragen: Was ist hinsichtlich der Kameraüberwachung im Mitarbeiterbereich passiert? - Die Kameras sind jetzt weg. Das alles trägt dazu bei, dass wir uns noch einmal überlegen müssen: Wie ist der Arbeitgeber, das Land Niedersachsen, für die Kolleginnen und Kollegen aufgestellt? An der einen oder anderen Stelle gibt es dann doch mehr zu tun, als hier deutlich geworden ist.

(Beifall bei der SPD)

Jugendliche und junge Menschen im Vollzug: Wir haben etwas erlebt, das nicht den Bereich Justizvollzug und Recht betrifft, sondern eher im Sozialbereich angesiedelt ist. Die Einrichtung in Lohne für Zehn- bis Vierzehnjährige sehe ich sehr kritisch, weil sie sich nicht in eine Kette eingliedert, die wir als sinnvoll ansehen, um ein System aus Prävention und Sanktion greifen zu lassen. Zum Thema Jugendarrest und Jugendvollzug können wir sagen: Uns fehlt die gesetzliche Regelung. - Darauf warten wir seit einiger Zeit. Herr Busemann, Sie hätten Ihren Ankündigungen spätestens im letzten Jahr Taten folgen lassen können. Das hätte uns sehr gefreut.

(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für die personelle Ausstattung. Hier müssen wir noch einmal hinterfragen, ob der Jugendarrest mit den dort vorhandenen Anteilen an Sozialarbeit richtig ausgestattet ist und ob die Anteile nicht erhöht werden müssen, um mit den Jugendlichen, die für ein paar Tage oder zwei bis drei Wochen im Arrest sitzen, arbeiten zu können, und ob es sinnvoll ist, dort teilweise mit halben Sozialarbeiterstellen zu arbeiten. Genauso muss hinterfragt werden, ob die regionale Verteilung im Jugendarrest sinnvoll ist: Emden, Nienburg, Bückeburg und Neustadt seien hier genannt. - Da gibt es den einen oder anderen weißen Fleck auf der Landkarte. Da wäre sicherlich noch etwas zu tun. Richtig war, den Jugendarrest von den Amtsgerichten und von den Rahmenbedingungen, die wir dort teilweise hatten, wegzunehmen.

Zum Thema Jugendvollzug sei hier nur gesagt, dass die Anbindung von Göttingen an Hameln meiner Meinung nach folgerichtig ist, weil sich mit Rosdorf für die Jugendlichen wenig darstellen ließ. Entscheidend ist aber, dass sich Göttingen den besonderen Charakter, der sich dort in den letzten Jahren entwickelt hat, bewahren kann und dass die erfolgreiche Arbeit, die gut verwurzelt ist, weitergeführt werden kann. Das ist entscheidend.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch zum Stichwort „Bremervörde“ enthält die Antwort einen, wie ich meine, herausragenden Satz: Die Inbetriebnahme eröffnet zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vollzug neue Entwicklungs- und Aufstiegschancen. - Was ist denn das für ein Hohn? Wie kann man denn sagen, dass ein ÖPP-Knast in Niedersachsen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen neue Entwicklungs- und Aufstiegs

chancen bietet? Der Aufstieg kann an dieser Stelle doch nur so aussehen, dass man nicht mehr durch halb Niedersachsen fahren muss, sondern dass man ganz in den Norden fahren muss, sodass man einen geografischen Aufstieg hat. Ansonsten ist das mehr als Hohn.

Der gleiche Hohn zeigt sich auch im Nachtragshaushalt: 24,5 Millionen Euro Nachschlag vor Baubeginn - da möchte ich gerne einmal wissen, was für eine Rechnung wir bei der Inbetriebnahme der Anstalt präsentiert bekommen. Darüber werden wir heute Abend noch länger sprechen können. Wirtschaftlichkeit und Bedarf werden hier eindeutig infrage gestellt. Das ist ein Klotz am Bein des Vollzuges!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Brunotte, es passt gerade. Ich muss Sie kurz unterbrechen; denn Sie haben gerade auf die Redezeitanzeige geschaut. Man hat Sie am Anfang versehentlich der FDP zugeschlagen. Von daher haben Sie jetzt noch eine Minute Restredezeit. Darauf wollte ich hinweisen. Auch Computer machen mal einen Fehler.

Alles klar, wir werden sehen, wie wir damit zu Rande kommen. - Zum Thema Behandlung: Wir brauchen mehr Plätze in der Sozialtherapie. Wir brauchen weniger Wartezeiten bei den Behandlungsangeboten.

Wir müssen den Bereich Ausbildung und Qualifizierung im Vollzug deutlich stärken. Es ist ein Skandal, dass sich die Bundesagentur für Arbeit hier größtenteils aus dem Vollzug zurückgezogen hat und keine Perspektiven bieten kann. Ferner müssen wir den Bereich der Lockerungen dann, wenn es um Behandlung geht, neu definieren. Ich fand es schon erschreckend, dass in der Antwort steht, die Anzahl der Gefangenen, die vor der Entlassung keine Lockerung bekommen hätten, sei gar nicht erfasst. Eigentlich ist es ein Armutszeugnis für jedes Statistikwesen, dass es eine solche Angabe nicht gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Titel der Anfrage lautet: „Strafvollzug in Niedersachsen - Zahlen, Daten, Fakten und Zukunft“. Wo die Zukunft in der Antwort ist, erschließt sich mir nicht. Wir haben viele Zahlen und Fakten bekommen. Ich sehe hier aber keine Option, wie man sich eine

ganzheitliche Perspektive für den Vollzug in Niedersachsen vorstellt, wie man Menschen dazu befähigen will, dass sie den Vollzug durchlaufen und resozialisiert werden können, wie Behandlungsangebote dargestellt werden können und dass wir ein gesellschaftliches Klima bekommen, das nicht durch populistische Pressemitteilungen geprägt ist, die teilweise im Stakkatostil herausgehauen werden, was dann wieder zurückgeholt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Wir möchten mehr Resozialisierung wagen, damit Inhaftierte von heute unsere Nachbarn von morgen werden können. Das sehen wir aber bei dieser Landesregierung aktuell nicht gegeben.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Brunotte. - Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Herr Adler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich zu meiner eigentlichen Rede komme, möchte ich eine Vorbemerkung anbringen, die sich auf die kurze Debatte bezieht, die ich eben mit Herrn Busemann hatte. Ich hatte Herrn Busemann gesagt, nachdem er von der Zahl der Rückfälle im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung gesprochen hatte, dass auch Straftäter rückfällig werden. Er sagte daraufhin, dass so etwas bei Ladendiebstahl usw. vorkomme. - Ich bitte Sie! Auch Sexualstraftäter und Gewaltverbrecher sind nicht alle in Sicherungsverwahrung. Sie müssen doch die Zahl derjenigen, die aus diesem strafrechtlichen Bereich rückfällig werden, mit den wenigen vergleichen, die im Fall der Sicherungsverwahrung rückfällig werden. Nur dann ist das doch seriös!

(Zustimmung von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

Die Sicherungsverwahrung ist Gott sei Dank die seltene Ausnahme und keinesfalls das, was bei allen diesen schweren Straftaten verhängt wird.

Nun zu meiner eigentlichen Rede. Um zur gesamten Antwort, die die Landesregierung auf die umfangreichen Fragen der Grünen gegeben hat, Stellung zu nehmen, bräuchte ich mehr Redezeit.

Deshalb will ich mich auf einige wenige Fragen beschränken, und zwar auf die Fragen, die mit der Frage zusammenhängen, ob wir in Niedersachsen ein neues Gefängnis benötigen. Sie müssen sich nur einmal die Antwort auf die Frage 1 ansehen und die entsprechenden Zahlen zusammenzählen, die für die einzelnen Gefängnisse ausgeworfen worden sind. Dann kommen Sie auf folgende Zahlen: Im Jahr 2009 haben wir 7 356 Plätze. 5 869 Gefangene sind dort untergebracht. Mit anderen Worten: 1 487 Gefangenenplätze sind frei. Man kann also nicht sagen, im Kittchen ist noch ein Zimmer frei, sondern im Kittchen sind sehr viele Zimmer frei.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

In dieser Situation wollen Sie ein neues Gefängnis für 300 Millionen Euro mit 300 Plätzen bauen. In zehn Jahren hat kein anderes Bundesland vier Gefängnisse neu gebaut. Nur Niedersachsen erlaubt sich diesen Luxus. Ich frage mich, warum, wenn wir so viele Haftplätze frei haben. Das ist doch völliger Irrsinn! - Entschuldigung.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das tun wir in einer Zeit, in der wir finanziell wirklich Probleme haben. Darauf werde ich heute Abend noch mehr eingehen.

Interessant ist, dass bei der Beantwortung der Fragen im Grunde genommen die Argumente für die Opposition frei Haus geliefert worden sind. Ich lenke deshalb die Aufmerksamkeit des Landtages nicht nur auf die Zahl, die ich eben genannt habe, sondern z. B. auch auf die Beantwortung der Frage 6. Darin hatten die Grünen nämlich gefragt, wie viele Gefangene noch ohne ihre Zustimmung gemeinschaftlich untergebracht seien. In der Antwort wird deutlich, dass es noch ganze 61 sind. Ganze 61 von über 5 800 Gefangenen befinden sich noch gegen ihren Willen in der Mehrfachunterbringung. Wenn das so ist, dann bricht doch das Argument in sich zusammen, wir brauchten eine neue Vollzugsanstalt, um die humanere Einzelunterbringung zu organisieren. Das können Sie alles aus dem Bestand heraus organisieren. Dafür brauchen Sie keinen neuen Knast!

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wenn man sich die Fragen zum offenen Vollzug und zu den Vollzugslockerungen ansieht, kann man sofort erkennen, welche Reserven noch darin

stecken. Laut Frage 13 gibt es nur ein bis drei Entweichungen pro Jahr bei Aus- und Vorführungen. Ferner wurde in Frage 67 gefragt, wie viele Straftäter Lockerungen zu Straftaten missbraucht haben. 2009 waren es ganze zehn Fälle bei 120 000 Lockerungen. Das muss man sich einmal vorstellen! Wegen dieser wenigen Fälle - - - Das zeigt, dass da auch noch Reserven sind. Da kann man doch noch etwas risikofreudiger mit dem Thema umgehen, um im Interesse der Resozialisierung viel mehr zu erreichen.

Insgesamt ist der offene Vollzug nur zu 80 % ausgelastet. Wenn man sich die Vollzugslandkarte anschaut, die Sie jetzt vorgestellt haben und die im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass Sie Gefängnisse schließen wollen, so sind es gerade die Gefängnisse des offenen Vollzuges, die Sie vorrangig schließen wollen: Gifhorn, Holzminden, Königslutter, Osnabrück (Schinkelstraße) und Achim, also gerade da, wo es einen engen Kontakt zwischen den im offenen Vollzug Tätigen zur Arbeitswelt gibt. Gerade da wollen Sie zu Schließungen kommen und auf diese Weise die wenigen Fälle des offenen Vollzuges auch noch zentralisieren. Das ist wirklich kontraproduktiv.

Eine letzte Bemerkung zur Situation der Beschäftigten: Wenn die Zahl der Krankheitsfälle so stark auseinander geht, wie wir es durch die Beantwortung der Frage 32 erfahren haben, wonach in den Justizvollzugsanstalten Hameln und Hannover doppelt so viele Krankenfehltage zu verzeichnen sind wie in den anderen Vollzugsanstalten, z. B. Vechta, Lingen und Oldenburg, dann ist das doch ein Indiz dafür, dass dort etwas nicht stimmt. Da müssen Sie nachschauen und etwas machen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Adler. - Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Kollegin Konrath zu Wort gemeldet. Bitte schön!