Protokoll der Sitzung vom 06.10.2010

Ich will noch einen anderen Punkt aufgreifen, den auch der Kollege Limburg angesprochen hat, und zwar die Sicherungsverwahrung. Ich will das Thema nicht wieder von der rechtlichen Grundlage her aufdröseln; das haben wir in den Debatten der letzten Monate schon getan. Ich kann nur sagen: Hoffentlich schafft es der Bundesgesetzgeber möglichst zügig, eine klare, am Sicherheitsinteresse der Bevölkerung orientierte Rechtslage zu schaffen. Das ist meine Forderung. Es eilt.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Beachtung der Menschenrechte!)

- Ja, Menschenrechte achten wir in alle Richtungen. Aber wir müssen auch das komplizierte Recht dabei betrachten.

Ich will noch auf das Göttinger Gutachten eingehen, das ich natürlich erst einmal als wissenschaftlich und seriös qualifizieren will. Aber dabei ging es um einen Kreis von Personen, die gar nicht erst in nachträgliche Sicherungsverwahrung genommen worden sind. Man hat diese Personen in Freiheit beobachtet. Jetzt sagen die Gutachter: Das ist doch toll! 75 % sind nicht rückfällig geworden. - Da sage ich andersherum: Offenbar sind 25 % rückfällig geworden. Will das jemand vertreten?

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Drei Viertel hätten Sie zu Unrecht einge- sperrt!)

Wenn uns die Gutachter diese 25 % genau benennen könnten - ich hätte fast gesagt „und dafür persönlich in Haftung gingen“ -, dann könnte man ja darüber reden. Aber das tun Sie natürlich nicht.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Adler?

Ja, gerne.

Herr Minister, wenn Sie diese Zahl in den Raum werfen, dann müssen Sie doch vergleichend die Zahl derjenigen heranziehen, die sonst rückfällig werden. Denn Straftäter, die entlassen und nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden, werden ja auch häufiger einmal rückläufig.

(Zustimmung bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist richtig. Aber es besteht dabei ein gewisser Unterschied. Es wird in diesen Tagen höchstrichterlich abgeklärt - darüber tauschen wir uns auch mit der Bundespolitik aus -, wann Sicherungsverwahrung stattfinden soll und wann nicht. Wir wissen, dass Ladendiebe, Kleinbetrüger, Verkehrsdeliktbegeher rückfällig werden können. Eine Rückfallquote null gibt es nirgendwo. Aber hier geht es um den Personenkreis von Gewaltverbrechern und Sexualstraftätern. Ich glaube, da müssen mit Blick auf die Frage der Rückfallgefahr - ja oder nein - doch etwas andere Ansprüche gestellt werden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte diesen Punkt der Sicherungsverwahrung rechtlich nicht weiter vertiefen. Dabei warten wir auf Berlin. Hoffentlich machen wir miteinander alles richtig. Ich habe ein Auge darauf. Sie wissen, dass ich mich dazu positioniert habe.

In Niedersachsen und auch in anderen Bundesländern werden - deswegen greife ich das Thema auf -, wenn es denn so kommt wie erwartet, die Sicherungsverwahrten in Zukunft nicht so untergebracht werden können, wie sie momentan untergebracht werden. Und weil wir nicht blind gegenüber bestimmten Entwicklungen sind und sie vorweg einplanen müssen, habe ich eine Arbeitsgruppe - sie trifft sich auch länderübergreifend - eingesetzt, die die Möglichkeiten bei den zukünftigen Unterbringungsbedingungen in der Sicherungsverwahrung prüft. Das haben wir diskutiert, und das werden wir am Ende auch in Niedersachsen umsetzen müssen. Ich wage jetzt schon ein

mal zu sagen, dass das wahrscheinlich auch Geld kosten wird. Aber auch hier muss der Bundesgesetzgeber die rechtlichen Bedingungen vorgeben, weil Fragen der Zuständigkeiten und Kostenübernahmen geregelt werden müssen.

Wir werden auch die Frage klären müssen, ob die Unterbringung dezent in kleineren Anstalten, über das Land verteilt und kaum sichtbar, oder in einer Großanstalt, vielleicht sogar im Verbund mit anderen Bundesländern, erfolgen soll. Ein Hamburger Kollege hat einmal von 100 Plätzen gesprochen. Wahrscheinlich müssen es mehrere Hundert Plätze sein. Geht das? Ist das richtig? Ist das vermittelbar? - Diese Fragen müssen geklärt werden. Ich will Ihnen nur vermitteln, dass wir an dem Thema dran sind und es aufgrund veränderter Voraussetzungen miteinander weiterentwickeln werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch Folgendes sagen - Sie wissen, dass ich das mit einem gewissen Freimut und einem gewissen Selbstbewusstsein tue -: Natürlich gibt es im Vollzug, wie in anderen Arbeitsfeldern auch, Baustellen, Aufgaben, Herausforderungen. Einige Antworten auf die Große Anfrage spiegeln kaum veränderbare Realitäten des Vollzugs auch in anderen Ländern wider, wie beispielsweise, dass pro Jahr 16 bis 22 Todesfälle zu verzeichnen waren und etwa 4 500 Disziplinarverfahren gegen Gefangene eingeleitet werden mussten, etwa bei tätlichen Angriffen von Gefangenen auf Mitgefangene oder Bedienstete. Diese Zahl werden wir nicht auf null reduzieren können. Aber es ist ein wichtiger Auftrag, der Frage auf den Grund zu gehen, woran das liegt. Beispielsweise Suizid in der U-Haft ist ein solches Thema. Das kann man als schicksalhaft betrachten. Aber man kann auch prüfen, ob wir etwas tun können - es gibt u. a. ein besonderes Modell zur Telefonseelsorge, auch eine wissenschaftliche Evaluation -, damit es nicht z. B. zu tätlichen Angriffen oder in einem der schlimmsten Fälle zum Suizid kommt.

In einigen Bereichen muss man sich Gedanken machen. Dazu bin ich jederzeit bereit. In jedem Jahr gehen über 20 000 Menschen durch unseren Vollzug. Manche sitzen nur eine kleine Ersatzfreiheitsstrafe ab, andere eine lebenslängliche Haftstrafe. Dabei gibt es 4 500 Delikte. Da kann man die Frage stellen, warum das so ist, warum man diese Zahl nicht auf 2 000 reduzieren kann - bei einem nicht ganz einfachen Personenkreis. Das ist auch eine Baustelle, und man muss sich überlegen, was man da tun kann.

Auch die Krankenquote der Bediensteten ist angesprochen worden. Dabei gibt es sehr starke Unterschiede, gerade im Vollzugsbereich. In manchen Anstalten sinkt die Quote, in anderen steigt sie. Wenn sich die Belegungssituation im Land insgesamt entspannt, dann stellt sich die Frage, warum gleichzeitig die Krankenquote steigt - auch wenn sie in manchen Anstalten sinkt. Manchmal ist das auf das Klima in der Anstalt selbst zurückzuführen. Da muss man vielleicht etwas lenken und steuern. Ich will Ihnen nur vermitteln, dass wir auch an diesem Thema dran sind.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Man könnte noch über dieses oder jenes miteinander reden. Wer ein gesteigertes Interesse an diesem Thema hat, der kann sich dieses wunderbare Werk - 169 Seiten stark! - am Wochenende anschauen; es lohnt sich.

(Zuruf von Wolfgang Jüttner [SPD])

- Herr Jüttner, das liest sich wie ein Krimi. Am Ende steht drunter: Alles wird gut.

(Wolfgang Jüttner [SPD] lacht)

Abschließend will ich mich erstens bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Justizministerium, aber auch bei den Anstalten im gesamten Strafvollzug für diese Arbeit bedanken. Das war schon ein großes Stück Arbeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen: Das muss nicht jedes Jahr sein. Einmal pro Legislaturperiode ist das in Ordnung, aber es muss ja auch nicht alles immer wieder neu abgefragt werden.

Zweitens will ich sagen - ich glaube, das ist an solchen Tagen dann auch erforderlich -: Diese schwierige Arbeit im Strafvollzug wird von 4 000 Bediensteten geleistet. Sie leisten oft im Verborgenen eine Arbeit, die wichtig ist. Das mit dem Lob hält sich immer in Grenzen. Passiert etwas, kommen die Zeitungen mit den großen Lettern und den Vorhalten: Wie konnte das passieren? - Sie leisten unheimlich wichtige Arbeit für uns, für die Bevölkerung und deren Sicherheit. Dafür von hier aus ein herzliches Dankeschön!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie dürfen sich wie bisher darauf verlassen, dass auch der Dienstherr, das Land Niedersachsen, dies würdigt, dass die Stellenhebungen, die wir mit

Recht seit drei Jahren durchführen, so weitergeführt werden und anderes mehr. Diese Vereinbarung auf Gegenseitigkeit muss so sein. Daran wollen wir im Interesse eines erfolgreichen Strafvollzugs festhalten.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Minister. - Zu Wort gemeldet hat sich für die SPD-Fraktion Herr Kollege Brunotte. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zu Beginn dem Ministerium und vor allem den Bediensteten in den Anstalten danken, die dazu beigetragen haben, dass die sehr umfangreiche Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen in einer angemessenen Zeit beantwortet wurde. Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass wir keine CD bekommen haben. Das heißt, es ist recht handlich gewesen, es ließ sich noch ausdrucken. Daher kann ich mich an der Stelle nur Herrn Busemann anschließen: Es ist für die dunkle Jahreszeit, die jetzt kommt, sicherlich die eine oder andere spannende Lektüre dabei. Ob aber das Ende so ist, wie er es skizziert hat, dass am Ende alles gut wird, wird sich in der Beratung noch zeigen müssen.

Bei den Grünen will ich mich ganz herzlich für die Entstehungsgeschichte bedanken. Die Fraktion hat sich sehr intensiv mit dem Thema Vollzug, und zwar mit der Praxis, auseinandergesetzt. Somit haben wir einen sehr umfassenden Überblick über den Vollzug.

Ich will etwas in die einzelnen Themenbereiche hineinschauen und mit etwas beginnen, wonach die Grünen nicht gefragt haben, was meines Erachtens aber auch zum Vollzug gehört. Es geht um die Frage: Wie ist die bauliche Situation im Vollzug? Wie sind wir dort aufgestellt? - Das ist hier immer wieder ein Thema. Es ist richtig, Herr Busemann, mit Oldenburg, Sehnde und Rosdorf haben wir neue Anstalten dazubekommen. Ob das das Verdienst der Landesregierung seit 2003 ist, lasse ich einmal dahingestellt. Die Planungszeiträume sind vorher gewesen.

(Wolfgang Jüttner [SPD] und Helge Limburg [GRÜNE]: Die Beschlüsse waren auch vorher!)

- Sie durften dann an der einen oder anderen Stelle den Schlüssel übergeben. Das war vielleicht so wie in Rosdorf, was daran lag, dass der Kollege Schminke ein bisschen für Verzögerungen gesorgt hat. Ansonsten sei es dahingestellt.

Die Frage ist: Was passiert mit den Anstalten, die sich in einer so schwierigen baulichen Situation befinden, dass sie sich eigentlich nicht sanieren lassen? Ich hätte mir gewünscht, Herr Busemann, dass Sie an der Stelle eine Aussage zum Standort Bückeburg getroffen hätten. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Die Anstalt steht vor der Schließung. Für uns wäre es ganz interessant, wie der Justizminister das sieht und welche Perspektiven er für die Anstalten sieht. Die Vollzugslandkarte, die der Kollege Adler gerade hochhält, hat das nicht immer berücksichtigt; ansonsten hätten wir den Standort Königslutter nicht geschlossen und die eine oder andere Anstalt, die auf der Schließliste steht, nicht zur Disposition gestellt.

Die bauliche Situation im Vollzug bedingt auch: Wie qualitativ kann gearbeitet werden, und was ist möglich? - Ich will kritisch hinterfragen, Herr Busemann: Wenn Ihre Leistungen vor zwei Jahren, den Vollzug zu entdecken, darin bestanden, die JVA Hannover für drei Tage zu bewohnen, dann ist das zwar ehrenhaft gewesen. Aber ich hätte mir dann schon gewünscht, dass Sie sich auch die Anteile angeschaut hätten, die nicht so schön sind. Wenn man sich die eigene Matratze mitbringt, bekommt man eben einen anderen Eindruck vom Vollzug.

(Beifall der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben über Qualität gesprochen. Die Einzelunterbringung im Vollzug ist zwingend erforderlich. Darüber haben wir zu Beginn der Legislaturperiode anlässlich der Vorfälle in Salinenmoor ausgiebig diskutiert. Hier sind wir auf einem ganz guten Weg, das kann man konstatieren. Dies liegt auch daran, dass wir mit drei modernen Anstalten Voraussetzungen geschaffen haben, um anders unterbringen zu können.

Einen absoluten Rollback haben wir in den letzten Jahren im offenen Vollzug erlebt. Das ist eine der Flanken, Herr Busemann, die die Landesregierung, wenn es um den Vollzug geht, bietet. Mit der Änderung des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes bzw. mit dem Niedersächsischen Vollzugsgesetz in Gänze haben Sie den geschlossenen Vollzug zum Regelvollzug erklärt und dadurch

den offenen Vollzug entscheidend geschwächt. Damit haben Sie auch gezeigt, dass Sie einen anderen politischen Schwerpunkt setzen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Wer das so wollte, der muss auch dafür einstehen. Wenn Sie in der Beantwortung auf die Große Anfrage skizzieren, Sie hätten eine Überbelegung im offenen Vollzug gehabt, die mit dazu geführt habe, dass Sie dazu gegriffen hätten, dann ist meines Erachtens eindeutig klar, warum dort so gehandelt wurde. Wir hätten uns eher gewünscht, dass mehr Plätze im offenen Vollzug dargestellt worden wären. Ein aktuelles Problem ist - auch das skizzieren Sie in der Antwort auf die Anfrage -, dass die Auslastung im offenen Vollzug aktuell bei 80 % liegt. Im Bestand ist also noch Luft nach oben. Daher lautet unser politischer Anspruch, hier besser auszulasten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zum Thema Haftplätze - wir diskutieren dieses Thema hier rauf und runter -: Wir haben mehr als 7 000 Haftplätze in Niedersachsen, und davon sind aktuell 1 500 nicht belegt. Sie haben eben gesagt, wir brauchten Spielräume. Ich weiß nicht, was Sie zusammen mit Herrn Schünemann im November vorhaben. Vielleicht ergibt sich im Zusammenhang mit Gorleben dermaßen ein Bedarf an Haftplätzen, dass Sie dafür schon eine Reserve vorhalten.

(Heinz Rolfes [CDU]: Was reden Sie denn da? Das ist unglaublich!)

Aber an der Stelle 1 500 Haftplätze als Spielraum vorzuhalten, ist etwas über den Durst und fordert geradezu die Frage heraus: Wie wirtschaftlich wird damit eigentlich umgegangen?