Protokoll der Sitzung vom 07.10.2010

nem der wichtigsten Instrumente in der Behandlung von Infektionskrankheiten geworden.

Allerdings sind diese potenten Medikamente inzwischen durch die Zunahme von Resistenzen nicht mehr verlässlich effektiv. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass auch in Deutschland die Problematik der Antibiotikaresistenz zunimmt. Resistente und multiresistente Erreger können eine erfolgreiche antibiotische Therapie verhindern und bei entsprechend disponierten Patienten zu schweren Krankheitsverläufen mit manchmal fatalen Folgen führen.

Der wachsende Anteil älterer und immungeschwächter Patienten, veränderte ökologische und epidemiologische Gegebenheiten sowie eine unangemessene Anwendung von Antibiotika führen zu einem erheblichen Antibiotikaverbrauch. Infolgedessen entsteht ein höherer Selektionsdruck auf die Erreger, der offenbar zu einem zunehmenden Anteil der resistenten Infektionserreger führt.

Der Verbrauch von Antibiotika in der ambulanten Praxis schwankt in Europa zwischen Griechenland mit dem höchsten und den Niederlanden mit dem niedrigsten Verbrauch. Um das einmal mit einer Zahl zu belegen - dieser Wert ist für Deutschland für das 2004 bekannt -: Damals wurden etwa 1 600 t Antibiotika in der Humanmedizin eingesetzt.

Es ist auffällig, dass Kindern mehr Antibiotika verabreicht werden als Erwachsenen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts wurden zwischen 1998 und 2005 20 % bis 50 % mehr Antibiotika-Tagesdosen an Kinder als an Erwachsene verordnet.

Genaue Zahlen, meine Damen und Herren, bezüglich der Infektion und Todesfälle, die auf multiresistente Keime in Krankenhäusern zurückzuführen sind, haben wir nicht, sondern es gibt nur Schätzungen verschiedener Experten. Dabei gehen die Schätzungen zu den Folgen der im Krankenhaus erworbenen Infektionen ganz weit auseinander; Frau Tiemann hat hierzu einige Zahlen genannt.

Es ist deshalb gut, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass Niedersachsen nicht untätig geblieben ist, sondern sich mit ARMIN - diesmal eine männliche Abkürzung, nämlich: Antibiotika-Resistenz-Monitoring in Niedersachsen - bereits dafür einsetzt, dass die notwendige Wissensgrundlage erarbeitet wird, um den gesundheitlichen Gefahren, die von multiresistenten Keimen ausgehen, entgegenzutreten. Überdies hat die Landesregierung auch angekündigt, die inhaltlichen Vorgaben über die Hygie

ne in Krankenhäusern in einer Novelle des Krankenhausgesetzes neu zu fassen.

Es darf nicht sein, meine Damen und Herren - das hat der Kollege Böhlke erfreulicherweise schon angesprochen -, dass Krankenhäuser, die ihre Leistungen überwiegend über DRGs finanzieren, aus wirtschaftlichen Gründen möglicherweise nicht alles Erforderliche unternehmen, um die notwendigen Diagnosen bezüglich multiresistenter Keime routinemäßig durchzuführen und im Einzelfall entsprechende Hygienevorkehrungen zu treffen.

Der Antrag, der uns vorliegt, beauftragt den Gesundheitsschuss des Landtags, sich ein genaues Bild über die gegenwärtige Lage zu verschaffen und die notwendigen Nachsteuerungen ins Werk zu setzen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um einen Haushaltsantrag. Er enthält Prüfaufträge, mit denen sich zunächst die Experten im Ausschuss zusammen beschäftigen werden. Insofern werden wir dort die Kenntnisse erarbeiten, die dann zum Handeln führen. Wenn wir diese Erkenntnisse haben, ist es an der Zeit, Frau Tiemann, sich über die Finanzierung zu unterhalten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Riese. - Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ins Krankenhaus geht man eigentlich, um gesund zu werden, aber in Deutschland infizieren sich dort jährlich rund 600 000 Menschen mit Krankenhauskeimen. Daran sterben etwa 40 000 Menschen jährlich. Diese Zahl übersteigt die der Verkehrstoten um das Zehnfache: Im Jahr 2009 starben 4 152 Menschen im Straßenverkehr.

Diese Infektionen werden über unsaubere Instrumente, sehr viel häufiger jedoch über das ärztliche und nichtärztliche Personal verbreitet. Hier würde z. B. konsequente Händehygiene helfen. Das Problem ist, dass dafür im Klinikalltag oft viel zu wenig Zeit ist. Das darf man in dieser Diskussion nicht vergessen. Seit 1996 wurden allein in Deutschland 50 000 Stellen in der Pflege abgebaut. In keinem anderen Industrieland ist die zahlenmäßige Relation von Patienten zu Pflegerinnen und Pflegern so schlecht wie in Deutschland. Hier helfen nicht nur neue Regelungen, sondern hier muss auch an der Personalfront gearbeitet werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Gleichwohl wäre es angezeigt, dass das Land Niedersachsen z. B. eine einschlägige Verordnung über die Pflicht zur Installierung von Hygienebeauftragten in Krankenhäusern hätte. Noch besser fände ich es allerdings, wenn sich die Länder auf einheitliche Hygieneregeln einigen würden. Ich finde, ein Krankenhaus ohne Hygieniker darf es überhaupt nicht geben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Problem wird durch den Vormarsch multiresistenter Keime verschärft. Eine der Ursachen ist eine viel zu lasche Verschreibungspraxis bei Antibiotika. 2009 wurden insgesamt 40,6 Millionen Antibiotikaverordnungen im Gegenwert von knapp 760 Millionen Euro in Deutschland erteilt. Jeder gesetzlich Versicherte hat im Schnitt in diesem Jahr 5,2 Tage lang Antibiotika eingenommen. Studien zeigen, dass z. B. bei Erkältungen in 80 % der Fälle Antibiotika verschrieben werden, obwohl diese Erkrankungen wiederum zu mehr als 80 % durch Viren verursacht werden, gegen die Antibiotika überhaupt nicht helfen. Das ist ein ziemlicher Irrsinn, der in diesem Land an dieser Stelle passiert.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Noch schlimmer: Fast jedes zweites Antibiotikum, das in Deutschland verschrieben wird, ist inzwischen ein sogenanntes Reserveantibiotikum.

(Glocke des Präsidenten)

Diese Antibiotika sollten eigentlich nur verordnet werden, wenn andere nicht mehr helfen. Hier tickt eine Zeitbombe; denn wenn wir auch die Reserveantibiotika verballern, bleibt am Ende keine Reserve mehr übrig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

In den Niederlanden gelten Patienten aus Deutschland inzwischen als Risikopatienten und werden in Krankenhäusern grundsätzlich erst einmal isoliert. Dort wird das sehr konsequent gemacht, nämlich ein konsequentes Screening, dort werden Verdachtspatienten isoliert, und jede Antibiotikabehandlung wird dort mit einem Mikrobiologen abgestimmt.

In den Niederlanden ist man auch sehr früh auf MRSA in der Massentierhaltung gestoßen. Dort hat sich gezeigt, dass in Betrieben, in denen Schweine routinemäßig mit Antibiotika behandelt werden, 60 % der Schweine MRSA-infiziert waren. In Betrieben, in denen die Tiere nicht routinemäßig Antibiotika erhielten, waren es nur 5 %.

(Glocke des Präsidenten)

Das heißt, die massenhafte Behandlung von Masttieren in Großbeständen mit Antibiotika gefährdet Menschen, weil sie die Keimresistenzen ausweitet. Auch das darf man nicht vergessen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin, letzter Satz bitte!

Meine Damen und Herren, wir werden die niedersächsische Gesundheitsministerin gerne bei der Integration von mehr Hygiene in den Krankenhäusern unterstützen. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Wortmeldung liegt von Herrn Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE vor.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben in Deutschland jährlich ca. 40 000 Menschen an einer Infektion mit multiresistenten Keimen. Sicher, die Zahl der Todesfälle durch antibiotikarestistente Keime ist niedriger. Aber dennoch ist sie erheblich, sodass man das Thema nicht wegdiskutieren kann.

Zum Antrag. Er ist uns zum Teil zu unverbindlich. Sie bitten die Landesregierung, einen Überblick über jene Maßnahmen zu geben, die in der Niederlanden zur Bekämpfung von MRSA getroffen worden sind. - Okay! Denn in Deutschland, das wurde auch schon gesagt, ist das MRSA-Risiko tatsächlich bis zu 20-mal höher als in den Niederlanden. Aber in den Niederlanden hat man schon

in der 70er-Jahren den Startschuss zur Bekämpfung dieses Problems gegeben.

An den entscheidenden Stellen bleibt Ihr Antrag zu unverbindlich, z. B. wenn Sie schreiben, die Landesregierung solle prüfen, ob das landesweite Monitoringprogramm zur Überwachung von MRSA-Infektionen weiterentwickelt werden kann oder ob die Krankenhäuser verpflichtet werden sollen, die Position von Hygienebeauftragten einzurichten oder ob das SGB V durch eine Bundesratsinitiative reformiert werden kann.

Dieses „Ob, ob, ob“ reicht aber nicht aus, um ernsthaft und zielgerichtet Maßnahmen einzuleiten. Vielleicht ergibt sich in der Debatte im Ausschuss ja ein anderes Bild; das ist meine Hoffnung. Denn wir müssen uns genau über das Wie unterhalten. Wir müssen klären, wie wir erstens die Präventionsmaßnahmen verbessern, z. B. die Bekämpfung des übertriebenen, fehlindizierten Einsatzes von Antibiotika, die Etablierung eines Keimscreenings oder die Abkehr von der bisherigen Medikamentenabgabe in der fleischproduzierenden Massentierhaltung und schließlich - auch das ist präventiv - die Finger von gentechnisch veränderten Pflanzen zu lassen, bei denen nämlich auch Resistenzgene eingesetzt werden.

Zweitens müssen wir auch die Strukturen in den Krankenhäusern verbessern. Hierzu gehört in jedem Fall der Einsatz von Hygienebeauftragten in allen Krankenhäusern. Ferner müssen wir über den Ausbau des Personalschlüssels und damit auch über die Einhaltung der Hygienebestimmungen sprechen; denn nur so kann das Ziel erreicht werden. Finanziert werden sollte das Ganze - das wäre das beste Mittel - über eine solidarische Bürgerversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Gleichzeitig muss man unserer Auffassung nach auch - das wäre ein Weg, über den wir noch diskutieren sollten - monetäre Positivanreize für die Reduzierung der Zahl der Infektionen geben.

Drittens muss endlich eine Meldepflicht für MRSA und andere gefährliche multiresistente Keime eingeführt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss: In diese Richtung wird die Fraktion DIE LINKE die Debatte führen wollen; denn für uns ist dies die Lösung des Problems und das Ziel. Absichtserklärungen reichen nicht aus.

Ich bin trotzdem sehr optimistisch, was die Debatte im Ausschuss angeht, und freue mich auch darauf.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich noch einmal Herr Böhlke. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle haben aufgrund der hier abgegebenen Wortbeiträge gehört, dass eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung - wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten - vorhanden ist. Im Wesentlichen - so ist hier gesagt worden - enthält der Antrag Prüfaufträge an die Landesregierung. Frau Kollegin Helmhold sprach von „Zeitbombe“. Insofern würden wir es begrüßen, wenn wir schon heute sofort über den Antrag abstimmen würden. Entsprechende Signale sind von den Fraktionen ja gekommen. Dann können wir davon ausgehen, dass der Ausschuss bereits in vier Wochen durch die Landesregierung entsprechend informiert werden kann. Dann hätten wir hier sehr konkret Nägel mit Köpfen gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Zur Frage der sofortigen Abstimmung der Kollege Schwarz von der SPD-Fraktion.