„Auch eine Veränderung der Schulstruktur erreicht niemals … einen Chancenausgleich. Eine solche Utopie produziert nur Enttäuschungen.“
„Die nationalen und internationalen Schulleistungsstudien der letzten Jahre haben gezeigt, dass Schüler an Integrierten Gesamtschulen im Vergleich zu Schülern im dreigliedrigen Schulsystem keine Vorteile erreichen.“
Mit diesem Satz beginnt Professor Köller in dem vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung herausgegebenen MPIB-Bildungsbericht 2008 sein Resümee zur Situation der deutschen Gesamtschulen.
Die Behauptungen jedenfalls, Herr Wenzel, dass Einheitsschulsysteme überlegen seien, sind damit weder haltbar noch nachweisbar. Viel wichtiger als die zum Teil festgefahrenen Debatten erscheint mir die Frage der Qualität von Schule, der Qualität von Unterricht, die Frage der Organisation des Lernortes Schule. Es geht uns um Qualität in Schule, und das ist wichtiger als Schulstrukturdebatten.
Es wäre ein wahrlich wichtiges Signal an die Menschen in unserem Land, wenn wir einen breiten Konsens über die Schulstrukturen in Niedersachsen erreichen würden, um uns dann im Kern diesen wesentlich wichtigeren Fragen zuwenden zu können.
Meine Damen und Herren, wenn der Bildungsföderalismus in der bundesdeutschen Bevölkerung wieder Akzeptanz finden will, sollten wir einige Ziele im Blick behalten.
Erstens. Wir brauchen für Schüler, Eltern und auch Lehrkräfte in erster Linie Stabilität und Kontinuität in der Schulpolitik der Länder.
Zweitens. Wir brauchen langfristig tragfähige Schulstrukturen, die durch Regierungswechsel möglichst unangetastet bleiben sollten.
Drittens. Wer langfristig vergleichbare Abiturstandards einführen will, muss zunächst zwischen den Ländern den Sekundarabschluss I angleichen.
Im Übrigen werden alle Länder in den nächsten Jahren vor vergleichbaren Herausforderungen stehen. Demografischer Wandel: veränderte Einwohnerzahlen, ein anderer Altersaufbau, ein steigender Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und die damit verbundenen Konsequenzen, steigende Bildungsanforderungen von Arbeitsmarkt und Gesellschaft. All dies erfordert ein zielgerichtetes und zukunftsweisendes Bildungskonzept unseres Landes.
Meine Damen und Herren, auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen wird bis zum Jahr 2020 um rund 25 % sinken, in einzelnen Regionen des Landes sogar um rund 40 %. Seit 2004 sind die Schülerzahlen bereits um rund 76 000 auf rund 900 000 Schülerinnen und Schüler zurückgegangen.
Hinzu kommt ein völlig verändertes Elternwahlverhalten. Viele Eltern, auch in Niedersachsen, wollen offenbar die abschließende Bildungsentscheidung für ihr Kind so lange wie möglich offenhalten und bevorzugen dabei Schulformen, die ihnen eine Abituroption bieten.
Unter diesen dargestellten Fakten - ich freue mich, dass Sie sich freuen - hat insbesondere die Hauptschule zu leiden. Das durchschnittliche Anwahlverhalten wird inzwischen unter 12 % liegen. Etwa 70 % der 451 öffentlichen Hauptschulen unterschreiten bereits die Zweizügigkeit als Mindestgröße, lediglich fünf Hauptschulen sind im fünften Schuljahrgang dreizügig, eine einzige Hauptschule im Land ist vierzügig. Die Akzeptanz der Hauptschule schwankt regional erheblich von über 20 % in ländlichen Regionen bis zu knapp 6 % im städtischen Bereich.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Un- ruhe - Glocke des Präsidenten)
- Ich rate den geneigten Abgeordneten insbesondere auf der linken Seite des Hauses, vielleicht bis zum Schluss zuzuhören. Es könnte sich noch einiges wandeln.
Meine Damen und Herren, Ziel der Landesregierung ist und bleibt es, Chancengerechtigkeit zu sichern. Wir wollen ein qualitativ hochwertiges, regional ausgeglichenes, vielfältiges und zugleich wohnortnahes Bildungsangebot.
Sie wissen, am 30. September 2010 haben die Bildungsverbände unter Führung des Landeselternrates Folgendes beschlossen:
Ich stelle fest: Der freie Elternwille für die Wahl der weiterführenden Schule nach Abschluss der Grundschule bleibt in Niedersachsen erhalten.
Zweitens. Sie fordern: Alle weiterführenden Schulen des Niedersächsischen Schulgesetzes können fortgeführt werden; dabei ist Inklusion Aufgabe aller Schulformen.
Ich stelle fest: Alle tragfähigen Schulstrukturen können weitergeführt werden, sofern die Schülerzahl dies hergibt und sich die Schulträger dazu entschließen.
Beginnend in 2012 und dann in den folgenden Jahren aufsteigend, wird Inklusion in allen Schulformen umgesetzt. Hierfür werden wir demnächst die gesetzlichen Grundlagen schaffen.
Ich stelle fest: Die Schulträger haben mit der zukünftigen Schulstruktur mehr Möglichkeiten, nach § 106 des Niedersächsischen Schulgesetzes ihre Entscheidungen über die Schullandschaft vor Ort zu treffen.
Viertens. Sie fordern eine Senkung der Hürden für die Neueinrichtung von Gesamtschulen und eine Lockerung der Verpflichtung für die Schulträger, sämtliche Schulformen vor Ort anbieten zu müssen.
Ich stelle fest: Eine Senkung der Hürden für die Neueinrichtung einer IGS ist mit Blick auf eine langfristige Entwicklung in Niedersachsen nicht zwingend notwendig.
Fünftens. Sie fordern eine Herabsetzung der Mindestzügigkeit und den Wegfall der 14-JahresPrognose für Schülerzahlen.
Das heißt, meine Damen und Herren, im Ergebnis haben wir uns in vier von fünf Punkten bereits mit den Bildungsverbänden und dem Landeselternrat verständigt. Das scheint mir nicht wenig für Niedersachsen zu sein.
Meine Damen und Herren, sowohl die Fraktionen des Landtags als auch die Bildungsverbände haben inzwischen unterschiedliche Modelle vorgelegt. Die Landesregierung hat in höchst vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden in der Arbeitsgruppe Schulstruktur die Belange der kommunalen Schulträger erörtert.
Vor diesem Hintergrund wurde von mir ein Modell zur Entwicklung zukunftsfester Schulstrukturen in Niedersachsen vorgelegt. Kernpunkt ist die Ergänzung des bestehenden differenzierten Schulwesens in Niedersachsen durch die Einführung einer neuen Schulform, der Oberschule.