Meine Damen und Herren, ich habe 1974 in Hannover mein Abitur gemacht. 1971 wurden die IGSen in Niedersachsen zugelassen. Ich habe eine solche Schule nicht besucht. Ich war auf einem Gymnasium - meine Familie legte gerade darauf Wert -, und ich hatte dadurch Vorteile. Die letzten Schuljahre habe ich genossen und eine gute Allgemeinbildung erhalten. Aber etwas ist mir in diesen Jahren klar geworden: Auch wenn mir die Schule leichtfiel - ich hatte einfach Glück, aus einem solchen Elternhaus zu kommen. Der Bildungsstand und die soziale Herkunft der Eltern entscheiden über den Schulerfolg der Kinder. Das ist auch heute noch so. Die Zahl, dass nur 4,4 % der Kinder an Gymnasien aus Hartz-IV-Familien stammen, können Sie nicht bestreiten.
Ich will mich mit Ihnen nicht über die These streiten, ob Schüler an IGSen im Vergleich zum dreigliedrigen Schulsystem Vorteile erreichen. Wir könnten Ihnen zig Wissenschaftler zitieren, die die Überlegenheit heterogener Lerngruppen belegen.
Sie bieten als Kompromiss die neue Oberschule an, da Sie IGSen nicht gleichberechtigt zulassen wollen. Das ist ein nicht annähernd vergleichbarer Ersatz für das bewährte Modell der Integrierten Gesamtschule. Alter Wein in neuen Schläuchen - nichts anderes!
(Ulf Thiele [CDU]: Ihr bewegt euch ja keinen Millimeter! - Reinhold Coenen [CDU]: Wollen die auch gar nicht!)
Die GEW bewertet die neue Schulform folgendermaßen: Unter dem Etikett „Oberschule“ werden zwei altbekannte Schulformen vorgestellt, die Kooperative Haupt- und Realschule und die Kooperative Gesamtschule. Deren Regelungen fallen unter pädagogischen Aspekten hinter die Bestimmungen zurück, die bis 2003 galten.
IGSen werden weiterhin in ihrer Gründung gegenüber anderen Schulformen diskriminiert. Warum können Schulträger nicht selbst entscheiden, ob eine IGS andere Schulformen ersetzen oder ergänzen soll? Ist es die Angst vor der Konkurrenz dieser Schulform? - Ein kleines Zugeständnis wurde von Ihnen gemacht: Die absurde 14-JahresPrognose wird auf zehn Jahre verkürzt.
Herr Minister Althusmann, in der NP vom 29. Oktober wurden Sie mit der Aussage zitiert, Sie hielten die Oberschule für besser und langfristig zukunftsfähiger. Warum dann diese Benachteiligung? - Benachteiligt sind die IGSen; insofern muss ich Ihnen in Ihrer Regierungserklärung klar widersprechen. Denken Sie z. B. neben der Zügigkeit an die Klassenfrequenzen!
Sie sagen, mit der Obergrenze von 30 Schülern hätten die Gesamtschulen bessere Bedingungen als die Gymnasien. Stimmt! Vor 2003 hatten sie allerdings noch erheblich bessere Bedingungen. Diese wurden von Ihnen nach dem Regierungswechsel verschlechtert. Eine Klassenobergrenze von 30 Schülern ist für ein wirklich integriertes Modell eigentlich völlig indiskutabel hoch.
Die Bedingungen für Integrierte Gesamtschulen sind in den letzten Jahren auf vielen Ebenen verschlechtert worden: durch Vorgaben der KMK zur Differenzierung oder durch Erlasse der konservativen Landesregierung.
Und wenn wir schon bei Klassenfrequenzen sind: Was sagen die Haupt- und Realschulen eigentlich zu den Bedingungen der neuen Oberschule? - Mit einer Obergrenze von 28 Schülern würden sie sich gegebenenfalls verschlechtern. Genau an dem Punkt der gleichberechtigten Zulassung von Integrierten Gesamtschulen ist es mit der angeblichen Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände nicht weit her. Was Sie an Zustimmung hervorheben, ist wirklich Rosinenpickerei.
Ach ja! Sie haben nun die Zustimmung der ausbildenden Wirtschaft und des Philologenverbandes. Das erstaunt nicht. Die Stellungnahmen des Landeselternrates und des Landesschülerrats sind allerdings eindeutig für eine gleichberechtigte Zulassung.
Auch wir könnten die Oberschule und den Erhalt der Gymnasien mittragen, wenn gleichzeitig eine Verbesserung in der IGS-Frage erfolgt. Dann hätten Sie auch die Eltern und Schüler Niedersachsens auf Ihrer Seite.
Wir haben am Wochenende gesehen, wie groß der Widerstand wird, wenn die Regierung einen Zug gegen den Willen der Bevölkerung aufs Gleis setzt.
Doch am Ende werden Sie gegen den Willen der Bevölkerung nicht regieren können. Spätestens 2013 werden Sie den Lokführerstand verlassen.
Die Bürger warten nicht am Bahnsteig auf die Oberschule. Doch meinetwegen mag der Zug dorthin gehen, wenn Sie gleichzeitig die Weichen in Richtung Integrierte Gesamtschule stellen.
Wir fordern gleiche Zulassungsbedingungen für Integrierte Gesamtschulen und keine äußere Fachleistungsdifferenzierung über die Vorgaben der KMK hinaus. Das heißt im Klartext: Weg mit dem Turboabitur an Integrierten Gesamtschulen! Es darf nicht darum gehen, dass eine IGS im Ausnahmefall vierzügig sein darf, sondern Vierzügigkeit muss die Regel sein. Dann wird der Wettbewerb zeigen, ob sich die neue Schulform durchsetzt.
Sie behaupten, die Oberschule sei attraktiv und werde gut angenommen werden. Dass die gegenwärtige Situation äußerst bescheiden ist, ist allen klar. Da wird gerne nach jedem Strohhalm gegriffen. Das zeigt aber nur, dass die Oberschule im Vergleich zu den Haupt- und Realschulen von einigen Kommunen als die bessere Alternative gesehen wird. Das heißt nicht, dass es nicht noch bessere Vorschläge gibt. Vielleicht kommen Sie ja doch noch zur Einsicht. Dann können Sie die Menschen dort abholen, wo sie stehen.
Hätten wir dann einen Schulkonsens und könnten mit dem Zustand des niedersächsischen Bildungssystems zufrieden sein? - Vielleicht in der Strukturfrage. Die anstehenden Aufgaben bleiben allerdings vielfältig.
Dabei denke ich vorrangig an die Dinge, die Sie als wünschenswert, aber nicht finanzierbar bezeichnen: ein ausreichendes Beratungs- und Unterstützungssystem an den Schulen mit ausreichender Sozialarbeit an allen Schulformen.
Unsere Schulpsychologie ist mit der bundesweit schlechtesten Pro-Kopf-Versorgung geschlagen. Die angekündigte Schaffung von fünf neuen Stellen ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Um die soziale Spaltung in unserem Schulsystem zu überwinden - ich wiederhole die Zahlen: HartzIV-Kinder an Gymnasien 4,4 %, an Realschulen 13,8 %, an Hauptschulen 28,1 % und an Förderschulen 43,8 % -, müssen die Kosten gesenkt werden, mit dem Ziel eines gebührenfreien Bildungszugangs. Also müssen wir uns weiter mit der Finanzierung unseres Schulsystems auseinandersetzen.
Die Qualität von Schule hängt entscheidend auch von den Rahmenbedingungen ab. Die Gleichberechtigung der Zulassung von Gesamtschulen bleibt nur ein erster Schritt. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt, jeder in Bildung investierte Euro rentiere sich mehrfach. Nehmen Sie sich an diesem Punkt wirklich selber ernst? - Derzeit haben etwa 3 500 Schüler, die auf eine Gesamtschule gehen wollen, keinen Platz bekommen. Wollen Sie sich nicht doch bewegen und die Blockade der IGS aufgeben?
„Die Zusammenlegung von Hauptschule und Realschule zur Oberschule wird man kaum als Neuerung bezeichnen können. Schließlich wird das vielerorts längst praktiziert. Immer mehr Eltern wollen aber, dass alle Kinder länger gemeinsam lernen. Und dieses Bedürfnis wird eine Oberschule kaum befriedigen können.“
„Warum will die Landesregierung nicht zulassen, dass auch in Niedersachsen grundsätzlich vierzügige Integrierte Gesamtschulen entstehen können? Dafür gibt es keine plausible Begründung.“
Aber vielleicht hat ja der bildungspolitische Sprecher Ihres Koalitionspartners den wahren Grund verraten. Am 26. Oktober wurde der Kollege Försterling in der Neuen Presse mit der Aussage zitiert:
„Wir können die Gymnasien nicht vor dem demografischen Wandel schützen. Wir können nur verhindern, dass
Herr Försterling, Hut ab für diese kreuzehrliche Aussage! Ihnen geht es nicht um einen Kompromiss zum Wohle aller, sondern Ihnen geht es um Klientelpolitik.
Herr Minister Althusmann, was Sie vorlegen, ist kein Angebot für einen Schulkonsens in Niedersachsen. Hier spricht die Angst der Regierungsparteien vor dem immer stärker werdenden Wunsch der Eltern und Schüler in Niedersachsen nach Bildungsgerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Klare gemeldet. Er hat noch eine Restredezeit von viereinhalb Minuten.