Protokoll der Sitzung vom 09.12.2010

Wir Grüne haben sie im Bundestag abgelehnt, und wir lehnen sie weiterhin ab. Wie das gemacht worden ist, ist aus rechtsstaatlicher Sicht höchst fragwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Das betrifft uns auch ganz direkt hier auf Landesebene, weil wir - auch das ist angesprochen worden - letztendlich die Plätze bezahlen müssen. Sie müssen sich einmal anschauen, wie sich die Zahlen bei der Sicherungsverwahrung seit dem Jahr 2000 entwickelt haben! Ich weiß - Sie haben natürlich recht -, da hat auch Rot-Grün keine gute Rolle gespielt. Aber Sie haben das ungebremst fortgesetzt. Sie haben überhaupt nichts getan, um die hohe und steigende Zahl der Sicherungsverwahrten irgendwie zu begrenzen und in den Griff zu bekommen.

(Ulf Thiele [CDU]: Nicht so schnell!)

Meine Damen und Herren, Sicherungsverwahrung ist Haft auf Prognose. Eine solche Haft auf Prognose muss in einem Rechtsstaat die absolute Ausnahme bleiben. Dahin müssen wir wieder kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Medienpolitik ist angesprochen worden. Weil das immer auch Rechtspolitik ist, will auch ich dazu noch zwei Sätze sagen.

(Ulf Thiele [CDU]: Haben Sie das Re- den eigentlich von Frau Steiner ge- lernt? Da kann man fast nicht mehr folgen! Wie eine Maschinenpistole!)

Wir haben kürzlich den JugendmedienschutzStaatsvertrag verabschiedet, der u. a. von Ihrem Hause, Herr Ministerpräsident McAllister, ausgearbeitet worden war. Ich würde Ihnen doch sehr empfehlen, an diesen Bereich künftig nicht nur Medienpolitiker, sondern auch Rechtspolitiker und vor allem Praktiker aus dem Bereich des Internets heranzulassen. Wenn Sie sich anschauen, was in Blogs, in Internetforen, teilweise auch in Juraforen zu diesem Bereich momentan diskutiert wird, dann sehen Sie, dass dieser JugendmedienschutzStaatsvertrag, den Sie unterzeichnet haben, aus rechtspolitischer Sicht eine Katastrophe ist. Was da gemacht worden ist, ist handwerklich Mist. Wir als Rechtspolitiker werden uns schon bald mit einer Novelle beschäftigen müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Jetzt zum Haushalt: Sie haben völlig recht, Herr Kollege Dr. Biester, unsere Änderungsanträge sind eher geringfügig. Das liegt daran, dass der Haushalt - das habe ich in den Beratungen gesagt - keine Katastrophe ist, nicht völlig schlecht, aber aus unserer Sicht doch verbesserungswürdig ist. Insofern gleich zu Ihrer Frage, warum wir nicht zustimmen: Wir stimmen deshalb nicht zu, weil Sie zwar die Hälfte unserer Änderungsanträge übernehmen, aber nicht alle. Wenn Sie diese kleine Hürde bis morgen noch nehmen, dann kann ich Ihnen eine Zustimmung zum Einzelplan 11 in Aussicht stellen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Sie sind aber leicht käuflich! - Gerd Ludwig Will [SPD]: So billig bist du zu haben?)

Meine Damen und Herren, Sie erhöhen die Zuwendungen zum Täter-Opfer-Ausgleich. Das ist gut. Aber Sie erhöhen sie nicht ausreichend, und vor allem sagen Sie zumindest momentan nicht klar, wie es weitergehen soll.

Sie haben völlig recht damit, Herr Busemann, dass Sie die Förderlinie überarbeiten. Das macht Ihr Haus zu Recht, weil wir klare Kriterien brauchen. Fahrlässig finde ich aber, dass Sie momentan eine Situation erzeugt haben, in der Sie in eine Art Kannibalismus der freien Träger hineinkommen,

die untereinander um das bisschen Geld schachern müssen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: So ist das!)

Das kann es nicht sein. Sie müssen die Richtlinie mit den freien Trägern, mit der Praxis und auch mit dem dafür zuständigen Rechtsausschuss überarbeiten. Sie müssen vor allem sicherstellen, dass die unterschiedliche Komplexität der Fälle - ich denke an die familiengerichtlichen Fälle, die in Hannover von der Waage bearbeitet werden - von der Richtlinie angemessen gewürdigt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich beim Stenografischen Dienst bedanken, der hier in den letzten Tagen wieder eine hervorragende Arbeit leistet. Ich bin sicher, Sie bekommen das auch in dieser Debatte und um diese Zeit hin.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN - Gerd Ludwig Will [SPD]: Geben Sie ihm mehr Redezeit! Die Arbeits- bedingungen hier sind unerträglich!)

Herr Kollege Brunotte hat das Thema Justizvollzug und das Thema Haftvermeidung angesprochen. Auch da muss ich sagen: Herr Busemann, Sie haben Ihre Weihnachtsamnestie durchgeführt; das finden wir gut.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Helge, Luft holen zwischendurch!)

Aber warum machen Sie das nur zu Weihnachten? Warum haben Sie nicht mehr Mut zu Lockerungen, mehr Mut zu Haftvermeidung, mehr Mut zu vorzeitiger Entlassung? - Das spart Geld, das entlastet den Justizvollzug, und das erleichtert die Resozialisierung.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Wir müssten öfter Weihnachten haben! Zwölfmal im Jahr!)

Wir erhöhen mit unserem Haushaltsantrag - Herr Dr. Biester, das haben Sie nicht angesprochen - die Mittel für Beschäftigungs- und Wohnprojekte für Inhaftierte, weil Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung auch ein fester Wohnsitz und eine Einbindung in soziale Strukturen sind. Darum halten wir es für angemessen, etwas mehr draufzulegen, als Sie es tun.

Herr Kollege Limburg, ich unterbreche ungern. Aber aus Fürsorgepflicht für den Stenografen und

auch für Sie: Sie haben noch sechs Minuten Redezeit.

(Heiterkeit)

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Ein kleiner Randaspekt: Es ist von der Vorbildfunktion des niedersächsischen Justizvollzuges gesprochen worden. In einem Punkt ist das deutschlandweit und vielleicht sogar europaweit ausdrücklich richtig. Das ist das Haftraummediensystem der JVA Wolfenbüttel, ein wirklich vorbildliches Projekt, das von dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der JVA Wolfenbüttel lebt. Es ist aber ein Projekt, Herr Busemann, bei dem Sie auch etwas mehr Mut zur Neuerung im gesamten Land zeigen könnten; denn die Entwicklung der neuen Medien verläuft immer schneller, und es kann nicht sein, dass die Menschen, die in Gefängnissen sitzen, davon weitgehend abgeschnitten sind. Wir müssen Medienkompetenz in Gefängnissen in ganz Niedersachsen gewährleisten.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Ich den- ke, alle sollen freigelassen werden!)

Die Sozialgesetzgebung ist angesprochen worden. Dazu muss ich sagen, Herr Dr. Biester: Ihre Äußerung fand ich schon sehr bedenklich. Sie haben davon gesprochen, dass es ein potenzieller Missbrauch sei, wenn sich die Menschen im kommenden Jahr gegen möglicherweise unrechtmäßige Bescheide vor den Sozialgerichten wehren. Herr Dr. Biester, ich will Ihnen sagen, was an Missbrauch grenzt: An Missbrauch grenzt es, wenn die Argen in diesem Land - nicht nur in Niedersachsen - zu ca. 50 % rechtswidrige Bescheide an die Betroffenen verschicken. Das ist Rechtsmissbrauch, und das hat mit Rechtsstaat nicht mehr viel zu tun, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich will auch da ein kleines Lob aussprechen. Es ist gut, dass Sie die Stellenzahl der Sozialrichter aufstocken. Das ist ausdrücklich richtig. Aber wir müssen auch dahin kommen, dass die Argen bessere Arbeit leisten und dass wir mehr gesetzgeberische Klarheit haben; denn auf Dauer kann es nicht sein, dass wir hier jedes Jahr die Zahlen der Sozialrichterstellen erhöhen und immer den Reparaturbetrieb für die Arbeitsverwaltung in diesem Bereich übernehmen.

Angesprochen worden ist der Bereich der Beratungshilfe und der Prozesskostenhilfe. Da gilt dasselbe, was ich eben gerade zu den Bescheiden der Argen gesagt habe. Es kann doch nicht sein, dass die Argen zu 50 % falsche Bescheide verschicken und dann denen, die sich dagegen wehren wollen, gesagt wird: Wendet euch an die Arge, die euch den Bescheid geschickt hat, wenn ihr Beratung braucht. - Was soll denn dabei anderes herauskommen als der Ausgangsbescheid, meine Damen und Herren?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Gabriela König [FDP]: Langsamer sprechen! - Dr. Stephan August Siemer [CDU]: Speed Tal- king!)

Am Rande angesprochen worden ist der Robenstreit. Das mag wie eine Petitesse klingen, aber tatsächlich hat die Frage um Roben und Amtstracht dieses Land schon in den 70er-Jahren und auch danach immer wieder beschäftigt. Herr Minister Busemann, ich finde, statt pingelige Vorschriften über den Abstand der Knöpfe am Ärmel zu machen, wäre es an der Stelle angemessen gewesen, zu sagen: Wir können in der niedersächsischen Justiz auf die Roben verzichten. - Das wäre eine moderne, offene Justiz. Wir brauchen diese teilweise als Verkleidung empfundene Amtstracht in der Form in Niedersachsen nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, alles in allem kann man sagen: Der Justizhaushalt ist keine Katastrophe - das habe ich eingangs gesagt -,

(Dr. Stephan August Siemer [CDU]: Er ist hervorragend!)

aber der Justizhaushalt strotzt auch nicht vor Innovationen. Der Justizhaushalt nutzt das Potenzial, das man in diesem Bereich hätte, um zu gestalten, nicht aus. Das wird leider auch im Jahr 2011 nicht kommen. Insofern kann ich mich den Kollegen anschließen: Zwei Jahre, bis 2013, müssen wir noch warten, damit wir auch hier echte Innovationskraft bekommen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Dr. Stephan August Siemer [CDU]: Da müsst ihr lange warten!)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion spricht Herr Professor Dr. Zielke. - Herr Kollege Limburg, Sie haben noch zweieinhalb Minuten.

(Dr. Stephan August Siemer [CDU]: Das reicht noch für Faust II!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der vorgerückten Stunde und weil ich vermutlich einer der letzten Redner des heutigen Tages sein dürfte,

(Sigrid Leuschner [SPD]: Nein!)

ebenso eingedenk all dessen, was Kollegin Konrath und Kollege Dr. Biester schon treffend und umfassend zum Haushalt des Justizministeriums ausgeführt haben, werde ich darauf verzichten, meine Redezeit voll auszuschöpfen

(Beifall)

- ich werde auch nicht so schnell reden -, und mich auf einige wenige Punkte beschränken, die uns als FDP wichtig sind. Insofern gehe ich anders als einige Vorredner nicht auf Richterroben ein.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Das musste aber einmal gesagt werden!)