Protokoll der Sitzung vom 16.02.2011

Ich habe an dieser Stelle in der Vergangenheit schon einmal andeuten können, dass die meisten kommunal getragenen Musikschulen im Land Niedersachsen eine Sozialermäßigung gewähren. Wer dort ankommt und nachweist, dass er Bezieher der Grundsicherung ist oder eine ähnlich schmale Einkommensbasis hat, bekommt den Unterricht in der Musikschule umsonst oder für einen Monatsbeitrag von 10 Euro. Das würde also aus dem Bildungspaket abgedeckt.

Meine verehrten Damen und Herren, es ist bekanntlich nicht das erste Mal, dass wir uns hier an dieser Stelle über die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 und über die Rahmenbedingungen unterhalten. Es gibt tatsächlich aktuelle Gründe, weil ja die Beratungen in Berlin zwischen Bundestag, Bundesrat, Vermittlungsausschuss und einigen anderen Akteuren noch andauern.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik im Februar 2010 aufgegeben, eine nachvollziehbare und transparente Berechnung der Grundsicherung durchzuführen. Der Leitsatz Nr. 3 aus dem genannten Urteil lautet folgendermaßen - ich darf zitieren -:

„Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“

Meine Damen und Herren, über alle unbestimmten, auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen Rechtsbegriffe dieses Satzes dürfen wir uns politisch unterhalten.

Was geschieht in der Realität? - Wir beobachten Verhandlungen, bei denen sich Beteiligte und Unbeteiligte aufführen, als seien es Tarifverhandlungen. Von der einen Seite wird gesagt, eine Erhöhung um 5 Euro sei das Ende der Fahnenstange. Die andere Seite sagt, es müssten 17 Euro mehr sein. Dritte haben schon immer gewusst, und zwar schon seit dem Bundestagswahlprogramm 2009, dass der Eckregelsatz 500 Euro betragen müsse.

All dies sind Dinge, die uns das Bundesverfassungsgericht ganz ausdrücklich nicht aufgegeben hat. Es hat vielmehr aufgegeben, das Berechnungsverfahren klar und transparent darzustellen.

Wer sich etwas tiefer mit der Materie beschäftigt, der weiß, dass das Berechnungsverfahren klar und nachvollziehbar dargelegt wurde. Sie alle haben die Möglichkeit, in die statistischen Auswertungen, die von der Bundesarbeitsministerin vorbildlich öffentlich dargestellt worden sind, hineinzuschauen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und was ist mit der Referenzgruppe?)

Wir dürfen uns darüber unterhalten, was existenznotwendige Aufwendungen sind. Darüber kann man dann tatsächlich debattieren und fragen, ob die berühmten Ausgaben für Benzin, Alkohol und Tabak existenznotwendig sind.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Die sol- len doch zu Hause bleiben!)

Darüber, dass sie etwas mit Teilhabe zu tun haben, können wir uns einig werden, aber unter den strengen Begriff „existenznotwendig“ ist das nicht unbedingt zu fassen.

Meine Damen und Herren, ist es ja nicht nur Kennzeichen von Tarifverhandlungen, dass über die Höhe von Sätzen gesprochen wird, sondern es werden auch andere Gesichtspunkte in die Ver

handlungen einbezogen, die ursprünglich nichts damit zu tun haben.

Dazu muss ich nun doch sagen: Die Debatte um Mindestlöhne, um Equal Pay und weitere Bedingungen der Zeitarbeit sowie um Schulsozialarbeiter sind eben nicht unmittelbar Bestandteil dieser Debatte. Dies sind hoch interessante Politikfelder, die mit Sicherheit mit dem möglichen Wohlstand der Menschen und mit Teilhabemöglichkeiten zu tun haben. Sie sind aber keineswegs durch das Bundesverfassungsgericht aufgegeben und müssen auch nicht in dem Zusammenhang des Sozialgesetzbuchs II geregelt werden.

Insofern kommt es dort zu politischen Kopplungsgeschäften, die die Gefahr mit sich bringen, dass uns wegen ihnen das Bundesverfassungsgericht später sagt, dass wir an dieser Stelle unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Der letzte Akt - wir haben es heute Morgen in der Zeitung gesehen -: Da treffen sich drei verdienstvolle Ministerpräsidenten mit den Namen Beck, Böhmer und Seehofer und präsentieren uns wieder eine Zahl - so erscheint es uns zumindest -, indem sie sagen, dass 8 Euro der richtige Weg sein könnten.

Das ist ein weiterer Debattenbeitrag, der, wie ich vorhin ausgeführt habe, nicht zum Ziel führen kann. Dieser Weg kann nur dann zum Ziel führen, wenn nachvollziehbar dargelegt wird, wie weit sich diese Berechnungsmodelle und die tatsächlichen Bedarfe in einer solchen Zahl kristallisieren. Dabei geht es natürlich um den regelmäßigen Grundbedarf, aber - wie uns das mehrfach zitierte Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat - natürlich auch um die besonderen Bedarfe, die hier oder da entstehen können.

Es muss doch unser aller Ziel sein und bleiben, dass die Politik die Dinge so regelt, dass wir am Ende ein nicht verwaltungsaufwendiges Verfahren haben, das auch nicht mehr zu dieser Anzahl an Streitfällen führt, die wir in der Gegenwart bei den Sozialgerichten feststellen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächste Rednerin ist Frau Mundlos von der CDUFraktion.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zur Versachlichung dieser Debatte lassen

Sie uns noch einmal auf die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 blicken.

Das Gericht hat in allererster Linie sowohl die mangelnde Transparenz als auch die mangelnde Begründung bei der Berechnung des Regelsatzes gerügt. Das gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. An keiner Stelle des Urteils hat das Gericht gesagt, die Höhe der Bedarfssätze sei ebenfalls grundgesetzwidrig. Ich zitiere:

„Die in den Ausgangsverfahren geltenden Regelleistungen von gerundet 345, 311 und 207 Euro können zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht als evident unzureichend angesehen werden.“

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Evi- dent! Sie haben es gesagt, Sie müs- sen es nur anders betonen!)

Das Urteil verspricht den Leistungsempfängern jedenfalls keine massive Erhöhung der Regelsätze. Verlangt wird eine transparente und nachvollziehbare Berechnungsmethode.

Nun meinen einige, die Berechnungen seien immer noch nicht transparent und immer noch nicht nachvollziehbar, und stellen zum Teil sogar die Datengrundlage infrage.

Wenn aber dieses Verfahren und das Zustandekommen der Erhöhung um 5 Euro nicht transparent und nachvollziehbar sind, wie können Sie dann ganz plump auf der gleichen Daten- und Berechnungsgrundlage, ohne irgendetwas zu ändern und ohne irgendwo Transparenz zu schaffen, 11 Euro fordern? - Widersprüchlicher geht es ja wohl kaum.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Außerdem eröffnen Sie einen Nebenkriegsschauplatz nach dem anderen. Die indizierte Mindestlohndebatte ist ebenso wie die Zeitarbeitsdebatte eine absolut unnötige Überfrachtung der Hartz-IVVermittlungsgespräche.

(Ulrich Watermann [SPD]: Da ist Herr Laumann aber anderer Meinung! - Hans-Henning Adler [LINKE]: Das spart doch dem Staat Geld!)

Was hat das noch mit dem Auftrag des Gerichts zu tun? - Das ist ein Griff in die linke Wünsch-dir-wasKiste, und das ist verantwortungslos.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Un- glaublich!)

Frau Kollegin Mundlos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?

Hier werden Hilfsbedürftige instrumentalisiert. Das nenne ich wirklich verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Patrick-Marc Humke [LINKE]: Das ist Ihre Politik!)

Dabei ist die Koalition den Forderungen der Opposition noch entgegengekommen. Das Bildungspaket soll noch auf weitere Einkommensgruppen ausgedehnt werden und somit viel mehr Kindern zugute kommen. Zuletzt hat die Bundesregierung angeboten, die Kosten der Kommunen für die Grundsicherung zu übernehmen.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und 4 Milliarden Euro bei der Arbeitsagen- tur gekürzt!)

Das ist ein sensationelles Angebot. So etwas hat es noch nie gegeben. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin, gestatten Sie - - -

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen.

Wenn das Angebot jetzt scheitert, dann haben Sie das zu verantworten. Den Kommunen in Niedersachsen und ihren Bürger gingen durch ihre Ablehnung auf der Basis der Berechnungen 2009 sage und schreibe mehr als 335 Millionen Euro verloren. Für alle Kommunen in Deutschland würde die Entlastung bis 2015 in etwa 12,2 Milliarden Euro betragen. Das ist ein noch nie dagewesenes Angebot.

Haben Sie vielleicht einmal zumindest überschlägig berechnet, wie viel sich mit diesem Geld in den Kommunen bewegen ließe? Kindergartenplätze,

Betreuungsmöglichkeiten - mit 335 Millionen Euro könnte man eine ganze Menge bewegen. Sie aber schlagen dieses Angebot aus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Stattdessen hören wir nur Wahlkampfrhetorik. Das ist einfach nur platt.

(Patrick-Marc Humke [LINKE]: Das sagt die Richtige!)

Ganz ehrlich: Wenn wir in den Gesprächen auf einem solchen Niveau angelangt sind, dann bin ich einfach nur enttäuscht; denn sozial ist nun wirklich etwas anderes.