Protokoll der Sitzung vom 18.02.2011

Man sieht also: Links wirkt auch in diesem Hause.

(Beifall bei der LINKEN - Roland Rie- se [FDP]: Dann können Sie den An- trag ja zurückziehen!)

Nun sind wir natürlich aufgefordert - darauf möchte ich hinweisen -, darauf zu achten, was untersucht wird und welche Konsequenzen Sie für Ihre Politik auf der Grundlage von belastbarem Material daraus ableiten. Wir sind im Moment nicht so optimistisch, dass Sie das vernünftig machen.

(Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss. - Wir werden Ihre Politik wie immer auf den Prüfstand stellen; das müssen Sie sich auch gefallen lassen. Wenn Sie verhindern wollen, dass Sie in 2013 ganz abtauchen, dann müssen Sie Ihre Politik auch an diesem Punkt ändern.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Helmhold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Lissabon-Strategie hatten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verpflichtet, die Beseitigung der Armut bis 2010 „entscheidend“ voranzubringen. Das ist jedenfalls in Deutschland gründlich misslungen.

2007 besaß das reichste Zehntel der Bundesbürger 61 % des Gesamtvermögens - eine Steigerung um 3,1 % gegenüber 2002. Die unteren 70 % kommen gerade einmal auf 9 % des Gesamtvermögens. Das hat sich gegenüber 2002 noch einmal um 1,5 Prozentpunkte verringert. 2006 verfügte das obere Zehntel über 24,9 % aller Einkünfte; das ist so viel, wie die unteren vier Zehntel zusammen aufbrachten. Dieses Verhältnis hat sich

seitdem noch verschlechtert. Denn die realen Nettolöhne der Arbeitnehmer fallen beständig. Das war übrigens auch zwischen 2004 und 2008 der Fall, obwohl die Wirtschaft da kräftig wuchs und die Gewinne explodierten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ja wo bleibt das Geld denn? - Roland Riese [FDP]: Da haben die Grünen noch re- giert, daran liegt es!)

Mehr als 6,5 Millionen Menschen arbeiten inzwischen im Niedriglohnsektor, ein Drittel von ihnen für weniger als 5 Euro brutto in der Stunde. 1,3 Millionen Erwerbstätige müssen aufstocken, und dies, obwohl rund drei Viertel aller Niedriglohnbeschäftigen eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar akademische Abschlüsse haben.

Meine Damen und Herren, Sie von Schwarz-Gelb akzeptieren und fördern, dass immer mehr Menschen von ihrem Arbeitslohn nicht leben können. Sie enthalten ihnen Mindestlöhne und gleiche Bezahlung vor und lassen zu, dass der Sozialstaat auf diese Art und Weise dauerhaft ausgeplündert wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, gleichzeitig gibt es praktisch keinen sozialen Aufstieg mehr. Die Eliten in diesem Land bleiben unter sich. Ganze 15 % der Topmanager kommen aus den breiten Mittelschichten oder der Arbeiterklasse. Am Ende gebiert Elite in unserem Land immer Elite. Während 83 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren, sind es nur 23 von 100 Arbeiterkindern.

Interessant ist auch der Befund, dass z. B. bei der Studienstiftung bei 80 % der Stipendiaten mindestens ein Elternteil das Abitur und bei mindestens 79 % mindestens ein Elternteil eine akademische Ausbildung hat. So wird auch das neue Stipendienmodell von Frau Schavan wohl vor allem diejenigen fördern, die es eigentlich gar nicht nötig haben.

(Glocke der Präsidentin)

Je mehr Stipendien es gibt, desto mehr wird sich auch die soziale Spaltung verbreitern; denn irgendwann wird es ein Makel sein, kein Stipendium zu haben.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: So sieht es aus!)

Aber wahrscheinlich sind all diese Stipendiaten auf eine der vielen Privatschulen gegangen. 11 % der Kinder gut verdienender Eltern tun dies bereits. Es gibt zwar theoretisch das Sonderungsverbot, aber bei Jahrespreisen von über 30 000 Euro in bayerischen Schlossinternaten wird sich die Frage, wer sich das leisten kann, schon von selbst beantworten. Man bleibt schön unter sich.

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Wir sind hier in Niedersachsen!)

- Da gehen auch niedersächsische Kinder hin, Frau Mundlos!

Und vor diesem Hintergrund meinen Sie, wir brauchen keine Maßnahmen gegen die soziale Spaltung in diesem Land und keine Armuts- und Reichtumsberichterstattung?

(Roland Riese [FDP]: Das ist doch Unfug! - Norbert Böhlke [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Ich glaube, dass wir das bitter nötig haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Es ist nötig, über die Ungleichheit in diesem Land zu sprechen.

(Glocke der Präsidentin)

Die Ungleichverteilung von Risiken und Chancen, von Reichtum und Verantwortung droht doch langsam zu einer Gefahr für die Demokratie zu werden. Es ist höchste Zeit, dem Aufruf Stéphane Hessels zu folgen - eine Lektüre für 3,99 Euro mit der Überschrift „Empört Euch!“, die der Kultusminister eigentlich in den Schulen verteilen sollte.

Letzter Satz!

Letzter Satz. - Ich zitiere:

„Mischt euch ein, empört euch!“,

sagt dieser alte Mann. Weiter sagt er:

„Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft“

- ich lasse etwas weg - und

„die ganze Gesellschaft dürfen sich nicht kleinmachen und kleinkriegen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte,“

(Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig! Aber auch nicht von den Grünen!)

„die es so weit gebracht haben, Frieden und Demokratie zu gefährden.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke schön, Frau Kollegin Helmhold. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Böhlke zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir abschließend zwei Anträge - einen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einen der Fraktion der Linken - zu einem Thema, bei dem wir alle uns auf das Engste verbunden fühlen, nämlich zur Bekämpfung der Armut.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Beweise stehen aus!)

- Beweise stehen überhaupt nicht aus! - Wir werden im Einzelnen noch sehr deutlich darauf eingehen. Ich denke, wir alle sind uns auch an dieser Stelle einig, dass wir in diesem Sinne etwas tun müssen, damit viele Menschen, die betroffen sind, direkte oder indirekte Hilfe erhalten.

Ich will gar nicht all die Zahlen wiederholen. Wir alle kennen sie aus den Ausschussberatungen. Die uns zur Verfügung gestellten Informationen sowie - das möchte ich ausdrücklich betonen - Informationen aus unserer Tätigkeit vor Ort und aus den Gesprächen mit den Betroffenen lassen uns alle sehr wohl unseren Handlungsbedarf sehen.

(Zuruf von Ralf Briese [GRÜNE])

- Wissen Sie, Herr Kollege Briese, die Positionen, die Frau Helmhold gerade vorgetragen hat, machen deutlich, dass es in Ihrem Denken SchwarzWeiß-Schemata gibt. Wir sehen das etwas differenzierter.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sie den- ken schwarz-gelb! - Zustimmung bei der LINKEN)

An dieser Stelle möchte ich deutlich die unterschiedlichen Positionen hervorheben. Die Opposition sagt, die Landesregierung mache von allem zu wenig und setze die falschen Schwerpunkte. Wir hingegen verweisen auf die vielfältigen erfolgreichen Projekte der Landesregierung wie z. B. Elternarbeit, Frühe Hilfen und Migrationsfamilien - kurz EFi genannt -, die Pro-Aktiv-Centren für Jugendliche oder auch die Arbeit vor Ort in den Kommunen.