Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 49: Mündliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.
Die heutige Sitzung soll gegen 16.15 Uhr enden. Soweit Sie andere Wünsche haben, müssen wir dem Tag die notwendige Gestalt geben.
Entschuldigt haben sich: von der Landesregierung ab 13 Uhr Herr Innenminister Boris Pistorius, von der CDU-Fraktion Frau Bertholdes-Sandrock ab 11.15 Uhr und von der FDP-Fraktion Frau Gabriela König.
Um uns im Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, sich schriftlich zu Wort zu melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage lautet: Wie geht die Landesregierung mit der aktuellen Lage auf dem Milchmarkt um?
Am 20. Mai 2016 hat sich Minister Meyer mit Vertretern niedersächsischer Molkereien zum Gespräch über die aktuelle Lage auf dem Milchmarkt getroffen. Im Nachgang dazu wurde der Vorstand des Deutschen Milchkontors (DMK), Thomas Stürtz, in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 21. Mai 2016 mit der Aussage zitiert, das Problem auf dem Milchmarkt sei ein internationales. Gleichzeitig sehe er die Chancen auf gemeinsame EU-weite Mengenreduzierungen als gering an: „Holland, Irland und Skandinavien wollen gar keine Reduzierung.“ In einer Pressemitteilung des Landwirtschaftsministeriums vom 23. Mai 2016 äußerte sich Minister Meyer zu möglichen verpflichtenden Mengenreduzierungen nach der nächsten Agrarministerkonferenz (AMK): „Wenn freiwillige Maßnahmen bis zur nächsten AMK keine Besserung der Marktkrise bewirken, droht eine obligatorische, entschädigungslose Mengenbegrenzung auf europäischer Ebene.“
1. Welche konkreten Ergebnisse zur Verbesserung der Lage auf dem Milchmarkt hat das gemeinsame Krisengespräch von Minister Meyer mit Vertretern niedersächsischer Molkereien am 20. Mai 2016 gebracht, und welche Ergebnisse werden von der Landesregierung nun umgesetzt?
2. Wie hat sich die Produktion der wichtigsten Milchländer auf EU-Ebene seit dem Quotenende 2015 verändert?
3. Wie schätzt die Landesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung von DMK-Vorstand Thomas Stürtz, bestimmte Länder wollten keine Mengenreduzierung, und der Antwort auf die Frage 2 die Chance ein, dass sich alle EU-Länder auf eine gemeinsame Milchmengenreduzierung einigen können, und welche Kosten wären damit für welche Akteure verbunden?
Vielen Dank, Herr Grupe. - Die Antwort der Landesregierung wird von Herrn Landwirtschaftsminister Meyer erteilt. Herr Minister, bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Kollegen Grupe für die Frage zur aktuellen Lage auf dem Milchmarkt.
Der Preis, den die Molkereien zurzeit den Milcherzeugern für Milch zahlen, liegt bei etwa 20 Cent/kg. Die Einnahmeausfälle für unsere Milchbäuerinnen und Milchbauern sind dramatisch. Eine Besserung ist ohne massives Höfesterben nicht zu erwarten.
Die Landesregierung setzt sich daher für den Ausbau und die Anwendung der Krisenmechanismen auf europäischer Ebene für eine befristete Intervention ein, damit unsere Landwirte wieder bessere Erzeugerpreise bekommen.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich an dieser Tiefpreissituation freiwillig kurzfristig und vor allen Dingen spürbar etwas ändert. Um kostendeckend wirtschaften zu können, benötigen die Landwirte in Niedersachsen um die 40 Cent/kg. Im Schnitt haben die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger in Deutschland über 60 % Ertragseinbußen hinnehmen müssen. Das sind Beträge, die die Milliardengrenze deutlich überschreiten und zu erheblichen strukturellen Verwerfungen führen. Die 20 Cent zu wenig Milchgeld bedeuten allein bei der Milchmenge, die in Niedersachsen produziert wird, ca. 1,2 Milliarden Euro weniger Einkommen unserer Milchbäuerinnen und Milchbauern, das sie dann natürlich auch nicht umsetzen und nicht ausgeben können. Deshalb ist die Milchkrise auch ein dramatischer Einbruch im ländlichen Raum.
Das Ausmaß des Strukturumbruchs und die Folgen für den gesamten ländlichen Raum sind nicht absehbar. Das Bild der Gesellschaft von der Landwirtschaft könnte sich tiefgreifend verändern, wenn wir jetzt nicht handeln.
Meine Damen und Herren, deshalb haben die Agrarministerinnen und Agrarminister auf der letzten Agrarministerkonferenz die Bundesregierung ein
stimmig parteiübergreifend zu mengenreduzierenden Maßnahmen aufgefordert. Anders ist keine Lösung der Milchkrise zu erwarten; denn Ursache dieser dramatischen Situation sind europaweit zu hohe Milchmengen aufgrund des Wegfalls der Quotenregelung im Jahr 2015.
Ich komme nun zur Beantwortung der Frage 1: Welche konkreten Ergebnisse zur Verbesserung der Lage auf dem Milchmarkt hat das Krisengespräch von Minister Meyer mit Vertretern niedersächsischer Molkereien am 20. Mai 2016 gebracht, und welche Ergebnisse werden von der Landesregierung nun umgesetzt?
Im Mittelpunkt des Gesprächs mit den Molkereivertretern standen die gemeinsame Erkenntnis, dass die produzierte Milchmenge die Nachfrage deutlich übersteigt, und die Frage, wie wir wieder zu besseren Auszahlungspreisen kommen können. Die Molkereien betonten, dass sie verpflichtet seien, alle Mengen der Milcherzeuger anzunehmen, und sie diese vor Überlieferung warnten. Man war sich einig, dass nach dem Ende der Milchquote zu viel Milch auf dem Markt ist und dadurch die Preise ins Bodenlose fallen. Trotz Russland-Embargo und schwächerem Milchabsatz in China haben die Milchexporte gemessen an 2013 zwar um 1 Million t Milch zugenommen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Milchproduktion in Europa jedoch um 6 Millionen t erhöht. Daher sind nach Schätzungen europaweit 3 bis 5 % zu viel Milch auf dem Markt. Alle Beteiligten betonten daher ihr Einverständnis mit Mengenreduzierungen auf europäischer Ebene, wie es auch das Land Niedersachsen verlangt.
Die Molkereien wollen genauso wenig wie die Landesregierung Insellösungen - mir wird immer wieder unterstellt, ich würde nationale oder Bundesländer-Alleingänge machen -, sondern alle betonten, wir brauchten eine europäische Lösung und eine europäische Mengenreduzierung, und baten die Landesregierung, sich auf europäischer Ebene für Mehrheiten einzusetzen.
Da mich die CDU-Landtagsfraktion bzw. ihr Vorsitzender, Herr Thümler, aufgefordert hat, dass die Landesregierung die Molkereien nach ihrer Bereitschaft für eine gemeinsame Vertriebsplattform abfragt, habe ich selbstverständlich auch diesen Wunsch der CDU in die Runde mit den Molkereivertretern eingebracht. Ich muss Ihnen aber mitteilen, dass dieser Wunsch der CDU auf breite Ablehnung gestoßen ist. Fast alle Vertreterinnen und Vertreter hielten Ihren Vorschlag für kontraproduktiv und wenig zielführend - einen Vorschlag, den
auch der Deutsche Raiffeisenverband ablehnt. Der Fairness halber muss ich Ihnen dieses negative Ergebnis mit Blick auf den Vorschlag der CDULandtagsfraktion für gemeinsame Milchvermarktungsplattformen mitteilen.
Einigkeit bestand vielmehr darin, dass eine europaweite befristete staatliche Notreduzierung für Abhilfe sorgen könnte. Die Agrarminister der Länder hatten deshalb bereits auf ihrer letzten Konferenz in ihrem gemeinsam und einstimmig gefassten Beschluss gegenüber dem Bund gefordert, eine entschädigungslose europaweite Mengenreduktion bei der EU-Kommission zu erwirken. In dieser Woche hat der Agrarausschuss des Bundesrates ebenfalls diese Forderung erhoben.
Von einzelnen Molkereien wurde auch das Marktverantwortungsprogramm des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter zielführend und richtig genannt. Das Gespräch war von einer angenehmen und offenen Atmosphäre geprägt. Ich habe die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz im April 2016 erläutert und die Molkereien nach ihrer Bereitschaft zu freiwilligen Maßnahmen, um die produzierte Milchmenge zu reduzieren, gefragt. Klar war, dass dies freiwillig nur mit Förderung entweder an die Molkereien oder direkt an die Milcherzeuger eine Wirkung entfalten könnte.
Der Vorschlag aller Länder ist ein sogenannter Drosselbonus mit den vorhandenen Hilfsgeldern nach dem Vorbild der Molkerei FrieslandCampina, die für eine Mengenreduzierung ihren Milcherzeugern vorübergehend 2 Cent mehr pro Liter gezahlt hatte. 60 % der Milchbauern haben für diese 2 Cent mehr mitgemacht, darunter auch einige aus Niedersachsen, die an die Molkerei FrieslandCampina liefern.
Leider weigerte sich bislang der Bund, die Forderungen der Länder nach einer Verbindung von Hilfen mit Marktentlastung aufzugreifen, obwohl die Europäische Kommission die rechtliche Zulässigkeit dieses Drosselbonus ausdrücklich bestätigt hat. Wenn ich die heutigen Meldungen richtig erfasse, gibt es jetzt eine Kehrtwende des Bundeslandwirtschaftsministers, der sich mit den Kollegen aus Frankreich und aus Polen getroffen hat. Wie ich heute den Meldungen bei dpa entnehme, dann stimmt jetzt auch der Bundesminister zu, dass zusätzliche Hilfspakete an solche Mengenreduzierungen gekoppelt werden.
Um den Molkereien den Schritt zu Milchmengenreduzierungen zu erleichtern, könnte daher dieses Bonusprogramm zusätzliche Anreize bieten. Vor einer ungelenkten Gießkannenförderung ohne Ziel und Plan wurde im Vorfeld des Gipfels des Bundesministers ausdrücklich gewarnt, weil diese zur Krisenlösung zu wenig beitrage. Es wurde appelliert, dass die Hilfsmaßnahmen ausschließlich dem Milchsektor zugutekommen sollen.
Alle weiteren Maßnahmen der Landesregierung, die zu einer Produktdifferenzierung beitragen - seien es das Weidemilchkonzept oder die Beihilfen zur Umstellung von konventioneller auf ökologische Milcherzeugung -, wurden von der Molkereiwirtschaft begrüßt, da sie indirekt auch zu einer Entlastung der Milchmärkte beitragen.
Die Molkereien forderten auch weitere Informationen dazu, da sie in einer niedersächsischen Weideoffensive ebenfalls Chancen sehen. Deshalb wird die Landesregierung die interessierten Molkereien jetzt zeitnah zu einer weiteren Veranstaltung zum Thema „Weidemilch aus Niedersachsen“ einladen und unser erfolgreiches Weideprogramm vorstellen. Durch die positiven Rückmeldungen auf die Einladungen sieht sich die Landesregierung bestätigt, den eingeschlagenen Weg im Interesse der Erhaltung der bäuerlichen Milchviehbetriebe in Niedersachsen energisch weiterzuverfolgen. Landesbürgschaften oder Landesförderprogramme waren - außer der Bioumstellungsprämie und dem Weideprogramm, das gelobt wurde - kein Thema.
Ich komme nun zur Beantwortung von Frage 2: Wie hat sich die Produktion der wichtigsten Milchländer auf EU-Ebene seit dem Quotenende 2015 verändert?
Die Mitgliedstaaten der EU 28 haben in den ersten zwölf Monaten nach Ende der Milchquote im Milchwirtschaftsjahr 2015/2016 europaweit insgesamt 6,1 Millionen t mehr Milch an die Molkereien geliefert. Dies entspricht einer Steigerung von 3,8 % im Vergleich zum vorausgegangenen Milchwirtschaftsjahr. Zu dem größten Mehr an Lieferungen kam es vor allem in den Niederlanden mit plus 1,5 Millionen t und in Irland mit plus 1,1 Millionen t. An dritter Stelle ist Deutschland mit plus 0,6 Millionen t, und an vierter Stelle liegt Polen mit plus 0,5 Millionen t. Legt man die gesamte Milchmengensteigerung der EU 28 in Höhe von diesen 6,1 Millionen t zugrunde, dann haben die Niederlande an dieser Steigerung einen Anteil von
25,6 %, Irland von 18 %, Deutschland von 10 %, Polen von 8,2 % und das Vereinigte Königreich, also Großbritannien, von 7,6 %.
Nun zu Frage 3: Wie schätzt die Landesregierung vor dem Hintergrund der Äußerung von DMK-Vorstand Thomas Stürtz, bestimmte Länder wollten keine Mengenreduzierung, und der Antwort auf Frage 2 die Chance ein, dass sich alle EU-Länder auf eine gemeinsame Milchmengenreduzierung einigen können, und welche Kosten wären damit für welche Akteure verbunden?
Meine Damen und Herren, die Chance, auf europäischer Ebene ein wirksames Instrument für eine vorübergehende Mengenreduzierung der Milchmengen zu implementieren, steigt deutlich; das habe ich geschildert. Je länger die Krise am Milchmarkt dauert, desto mehr wächst auch die Bereitschaft unter den Mitgliedstaaten der EU, mengenreduzierende Maßnahmen vorzunehmen, weil zudem deutlich wird, dass die bislang eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen nicht die erhoffte Wirkung zeigen. So war eine Mengenreduzierung etwa auf der vorletzten Agrarministerkonferenz der Bundesländer noch nicht mehrheitsfähig. Jetzt war es ein einstimmiger Beschluss.
Auch auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission die Forderung, dass die Hilfsgelder aus dem ersten Hilfspaket an Mengenreduzierungen zu koppeln sind, zunächst verneint. Jetzt gibt es Klarstellungen der Europäischen Kommission, dass das ein richtiger Weg ist. Sie erwartet, dass man zusätzliche Hilfsgelder auch zur Marktentlastung nutzt. Sie wissen auch, dass in allen führenden EU-Mitgliedstaaten die Milchbauern zurzeit erhebliche Verluste machen und die politischen Proteste zunehmen. So haben in Brüssel mehrfach Milchbauern aus mehreren EU-Mitgliedstaaten für bessere Preise durch eine Mengenreduzierung protestiert.