Protokoll der Sitzung vom 17.08.2016

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pantazis, Sie haben gesagt, dass extreme Forderungen den Extremismus fördern. Dann frage ich Sie an dieser Stelle natürlich auch: Ist Ihnen bewusst, dass gerade von den jungen Menschen, die in den Jihad nach Syrien und in den Irak gezogen sind, einige die doppelte Staatsbürgerschaft haben?

(Johanne Modder [SPD]: Man kann doch nicht alle unter Generalverdacht stellen!)

Die doppelte Staatsbürgerschaft hat nicht davor geschützt, extrem zu werden.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin - Petra Tiemann [SPD]: Sie machen doch einen Generalverdacht! Das ist doch schlimm!)

- Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Piel, auch Ihnen möchte ich noch ganz kurz etwas sagen.

(Unruhe)

Moment, bitte, Frau Kollegin Jahns! Auch Sie haben die Aufmerksamkeit des Plenums verdient. Wir fahren erst fort, wenn Ruhe eingekehrt ist. Das gilt für alle! - Bitte, Frau Kollegin!

Insbesondere die Ereignisse, die wir in den vergangenen Monaten nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa erleben mussten, haben zu einer Änderung der Sicherheitslage geführt. Deswegen ist insgesamt festzustellen: Multikulti ist gescheitert! Gerade auch Sie, Frau Piel, müssten das feststellen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD: Oh nein! Um Gottes willen!)

Meine Damen und Herren, wir sprechen über die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich freue mich, dass wir über dieses Thema diskutieren. Dieses Thema ist hochumstritten. Das haben wir auch in der Diskussion am Montag bei Frank Plasberg sehen können. Meine Damen und Herren, das hat mit

Populismus überhaupt nichts zu tun. Hier im Lande muss eine sachliche Diskussion möglich sein. Dazu möchte ich beitragen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Daran kann man mal sehen, wie gefestigt Ih- re Werte sind!)

Ausnahmsweise möchte ich zu Beginn Jakob Augstein aus seiner Kolumne „Im Zweifel links“ auf Spiegel-Online vom 4. August 2016 - das ist also noch relativ frisch - zitieren. Er schreibt dort unter der Überschrift „Wir haben uns geirrt“:

„Linke und Liberale waren stets für die doppelte Staatsbürgerschaft. Jetzt demonstrieren Deutschtürken bei uns für Erdogan. Da ist etwas schiefgelaufen - auf allen Seiten. Wir brauchen endlich ein vernünftiges Staatsbürgerschaftsrecht.“

Weiter schreibt er:

„Aber das gut gemeinte Instrument der doppelten Staatsbürgerschaft hat die Integration mancher Türken zusätzlich erschwert.“

Und - ganz wichtig - er fragt:

„Was bedeutet das Wort ‚Staatsbürgerschaft‘ - und was wollen wir, dass es bedeutet? Es war immer das Argument der Konservativen, dass man nicht zwei Herren dienen könne. Und es war immer das linke Gegenargument, dass der Bürger kein Diener sei, sondern der Souverän. Aber wie ist es, zweierlei Souverän zu sein? Zumal im Fall der Türkei und Deutschlands, deren ‚Interessen, Ziele und Prinzipien‘ sich immer stärker widersprechen“?

Zu den Argumenten der SPD sagt er konkret:

„Die SPD will an der doppelten Staatsbürgerschaft weiterhin festhalten. Begründung: Sie sei ‚ein selbstverständlicher Teil einer Anerkennungskultur der deutschen Einwanderungsgesellschaft.‘“

Frau Kollegin, lassen Sie eine Frage des Kollegen Onay zu?

Bitte, Frau Jahns!

Er schreibt:

„Man könnte auch genau andersherum argumentieren: Die Einwanderungsgesellschaft nimmt all jene auf, die sich zu ihr bekennen. Wofür brauchen solche Leute noch eine zweite Staatsbürgerschaft?“

Das ist nicht der einzige Kommentar zu diesem Thema in der letzten Zeit. So sagt Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni 2016:

„Hoffentlich werden jetzt die verbliebenen Anhänger einer ungebremsten Einwanderung sowie einer leichtfertigen Verleihung einer am besten gleich mehrfachen Staatsangehörigkeit endlich wach. Am Anfang der Integration muss ein eindeutiges Bekenntnis zu diesem Land stehen. Wer das nicht ablegen will, kann nicht Deutscher werden, so gut er auch die Sprache sprechen und Grundgesetzartikel herunterbeten kann.“

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Was hat das mit der doppelten Staatsangehö- rigkeit zu tun?)

In der Welt vom 28. April sagt der Ausländerrechtsexperte Kay Hailbronner zur deutschen Staatsangehörigkeit:

„Derzeit können Migranten in einer total salafistischen oder integrationsfeindlichen Umgebung aufwachsen und die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen. Wir müssen besser aufpassen, wen wir zum Deutschen machen.“

(Filiz Polat [GRÜNE]: Sie können ja wie Trump Gesinnungstests fordern! Das hatten wir ja schon einmal!)

Das internationale Völkerrecht gibt vor, dass doppelte Staatsangehörigkeiten zu vermeiden sind. Es ist auch eine Frage der Gleichberechtigung, ob der eine Teil der Bevölkerung in zwei Staaten alle Rechte hat und der andere nicht. Wenn ein deutscher Staatsangehöriger hier eine Straftat begeht, er in die Türkei flieht und diese ihn nicht an Deutschland ausliefert, weil er auch die türkische Staatsangehörigkeit hat, ist das ein erhebliches Gerechtigkeitsproblem.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich war erschüttert,

(Petra Tiemann [SPD]: Wir sind er- schüttert über Ihre Rede!)

als ich am 22. Juli in der HAZ lesen musste, dass die Stadt Hannover zumindest früher ihren Beamten Zielvorgaben von 20 Einbürgerungen im Monat gemacht hat. In einer an Recht und Gesetz gebundenen Verwaltung geht so etwas nicht.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Wieso nicht? Sie machen doch auch Zielvorgaben für die Anzahl an Abschiebungen!)

Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal: Wir müssen in diesem Staat gemeinsam ein neues Staatsbürgerschaftsrecht entwickeln. Das, was wir dazu tun können, tun wir. Aber man muss eben auch die Augen offen halten, und man darf auch die Sicherheit in diesem Land nicht vergessen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Oetjen. Bitte!

(Petra Tiemann [SPD]: Jan-Christoph, wir setzen jetzt auf dich! - Filiz Polat [GRÜNE]: Wehe, wenn du jetzt sagst: Multikulti! - Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hochverehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst an die Kollegin Jahns wenden. Liebe Kollegin Jahns, Sie haben hier gerade gesagt: Die doppelte Staatsbürgerschaft hätte nicht verhindert, dass Menschen in den Jihad ziehen. - Das stimmt. Aber, mit Verlaub: Die deutsche Staatsbürgerschaft hat auch nicht verhindert, dass Menschen in den Jihad ziehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Petra Tiemann [SPD]: Genauso ist es! - Angelika Jahns [CDU]: Das ist doch nicht der Punkt!)

Das ist eben keine Frage von Staatsbürgerschaft, sondern von Gesinnung. Aber was wollen Sie denn mit jemandem, der deutsche Eltern hat, in Deutschland geboren wurde und hier aufgewachsen ist, der also sozusagen ein „reiner Deutscher“ ist,

(Zurufe: Oh, oh!)

der zum Islam konvertiert und der Meinung ist, in den Jihad ziehen zu müssen, machen? Wollen Sie dem die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen?

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass hier viele etwas ablehnen, was sie nicht verstehen.

(Beifall bei der FDP sowie Zustim- mung und Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Viele Menschen verstehen nun einmal nicht, dass man bilingual und damit auch bikulturell aufwachsen und sich zwei Ländern loyal verbunden fühlen kann. Das verstehen viele nicht, und deswegen lehnen sie es ab. Wenn Sie mit kleinen Kindern aus bikulturellen bzw. binationalen Familien oder aus einer ausländischen Familie reden, die in Deutschland aufwachsen, dann merken Sie, dass diese Kinder überhaupt keine Schwierigkeiten damit haben, zu unterscheiden, was das Merkmal des einen und was das Merkmal des anderen ist. Meine kleinen Kinder wissen beispielsweise, dass es in Frankreich normal ist, von fremden Menschen geküsst zu werden, und dass das in Deutschland nicht normal ist. Das ist bikulturell.