Viele Menschen verstehen nun einmal nicht, dass man bilingual und damit auch bikulturell aufwachsen und sich zwei Ländern loyal verbunden fühlen kann. Das verstehen viele nicht, und deswegen lehnen sie es ab. Wenn Sie mit kleinen Kindern aus bikulturellen bzw. binationalen Familien oder aus einer ausländischen Familie reden, die in Deutschland aufwachsen, dann merken Sie, dass diese Kinder überhaupt keine Schwierigkeiten damit haben, zu unterscheiden, was das Merkmal des einen und was das Merkmal des anderen ist. Meine kleinen Kinder wissen beispielsweise, dass es in Frankreich normal ist, von fremden Menschen geküsst zu werden, und dass das in Deutschland nicht normal ist. Das ist bikulturell.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber ist es dann, wenn man mit zwei Sprachen und Kulturen aufwächst und sich in beidem heimisch fühlt, nicht das Normalste von der Welt, zwei Nationalitäten zu haben - als Ausdruck der doppelten kulturellen Identität dieser Menschen? - Ich glaube, das ist der Fall.
Was wollen Sie denn mit Menschen machen, die beispielsweise aus dem Iran kommen und deutsche Staatsbürger werden wollen? - Der Iran entlässt niemanden aus seiner Staatsbürgerschaft.
- Israel! - Wollen Sie verhindern, dass Menschen aus diesen Ländern die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen können, verehrte Kolleginnen
und Kollegen? - Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen, die in zwei Kulturen zu Hause sind und zwei Nationalitäten haben, Brücken bauen können, Verständnis sowohl für die eine als auch für die andere Kultur wecken können und keine Menschen sind, die Mauern bauen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die doppelte Staatsbürgerschaft für uns ein Ausdruck von gesellschaftlichem Fortschritt. Einen gesellschaftlichen Rückschritt wird es mit den Freien Demokraten an dieser Stelle nicht geben.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Frau Kollegin Jahns, nach der Geschäftsordnung sind Kurzinterventionen in der Aktuellen Stunde nicht vorgesehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht zwei Jahre her, als wir uns in Berlin auf ein Staatsangehörigkeitsgesetz verständigt haben - gemeinsam erarbeitet auf der Grundlage einer Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD. Wie Sie wissen, wären wir als Niedersächsische Landesregierung damals schon einen Schritt weiter gegangen und hätten das sogenannte Optionsverfahren sehr gerne ganz abgeschafft. Aber wir haben das Gesetz dennoch aus ganzem Herzen im Bundesrat unterstützt, und zwar erstens weil es durch die jetzt gefundene Regelung bereits vielen Menschen hilft und zweitens aus der Überzeugung, dass die doppelte Staatsangehörigkeit Integration nicht behindert, sondern fördert, meine Damen und Herren.
Eine zunehmende Nervosität vor den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin führt jetzt dazu, dass man Positionen, die man im Konsens gefunden hat, einseitig mit Argumenten aufkündigt, die es auch bis 2013 in öffentlichen Debatten gegeben hat und die nun aus der Wiedervorlage geholt und mit voller Wucht gegen die
selbst mit dem Koalitionspartner getroffene Vereinbarung eingesetzt werden. Ich halte das für politisch unredlich, meine Damen und Herren. So etwas macht man nicht.
Wenn man es macht, dann sollte man gute Gründe dafür haben und diese abwägen. Meine geschätzten CDU-Innenministerkollegen packen die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit in ein Sicherheitspapier, ohne dass es auch nur den leisesten Anhaltspunkt dafür gibt, dass einer der Anschläge, die tragischerweise in Deutschland passiert sind, durch eine Veränderung des Staatsangehörigkeitsrechts hätte verhindert oder vereitelt werden können. Das ist geradezu absonderlich.
Im Übrigen ist es auch unverantwortlich. Ich will an Ihre eigene Überzeugung erinnern, die Sie in diesem Hohen Hause damals zum Ausdruck gebracht haben. Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin Herrn Focke vom 24. Juli 2014 zitieren, der hier sagte - ich zitiere -: Das geänderte Staatsbürgerschaftsgesetz ebnet nun den Weg in die Mehrstaatlichkeit. Den jungen Menschen wird nicht mehr zugemutet, sich für eine künftige Staatsangehörigkeit zu entscheiden und ihre andere Wurzel zu kappen. Das ist, finde ich, eine tolle Sache.
Meine Damen und Herren, lieber Herr Focke, was ist eigentlich passiert, dass diese richtige und gute Aussage plötzlich nicht mehr gelten soll? Was ist passiert, dass die Union auf Bundesebene in dieser Frage so nervös wird? - Ich kann bislang kein triftiges Argument wahrnehmen, das es nicht schon vor Jahren gegeben hätte und das damals nicht genauso schwach war wie heute, das die waghalsige These stützt, die doppelte Staatsangehörigkeit gefährde oder behindere Integration.
Wie gehen wir denn eigentlich mit einem Europäer aus Großbritannien nach dem vollzogenen Brexit um? - Wenn Schottland in der EU bleibt, stellt sich eine Frage weniger. Aber unterstellen wir auch Loyalitätskonflikte, wenn Großbritannien insgesamt ausscheidet? Seit wann wird das Recht auf Demonstrationsfreiheit eigentlich daran geknüpft, welchen Pass man hat und wogegen man demonstriert?
Das ist ein merkwürdiges Verständnis unserer Verfassung. Ich wäre mit solchen Ansätzen vorsichtig, meine Damen und Herren.
Fest steht: Wenn man eine seriöse Innenpolitik machen will, dann darf man eben nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben. Es hilft nicht weiter, zu hyperventilieren. Man sollte zunächst einmal unaufgeregt klären, über was man eigentlich redet und über was nicht. Man kann dann nämlich in der Folge - das können Sie mir glauben - auch leichter erkennen, was bei der Problemlösung tatsächlich hilft und was allenfalls eine Beruhigungspille oder ein Placebo ist.
Über was reden wir also beim Thema der doppelten Staatsangehörigkeit? - Die meisten Kinder aus gemischtnationalen Partnerschaften erwerben die Staatsangehörigkeit beider Eltern, soweit das die entsprechenden staatlichen Regelungen vorsehen. Das ist normal. Keiner stellt das infrage. Das prominenteste Beispiel ist mehrfach genannt worden.
Daneben gibt es die sogenannten Optionskinder. Hier reden wir über Kinder, die in Deutschland geboren sind und ausländische Eltern haben. Diese Kinder erwerben durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn mindestens ein Elternteil seit acht Jahren regelmäßig seinen Aufenthalt hier hat und über eine unbefristete Aufenthaltsgestattung verfügt. Sie erinnern sich: Ursprünglich war es so, dass sich diese Kinder mit Vollendung des 18. Lebensjahres entscheiden mussten. Das haben wir 2014 gemeinsam in Berlin richtigerweise geändert. Der Kreis der Optionspflichtigen wurde eingeschränkt, sodass nun deutlich mehr Menschen beide Staatsangehörigkeiten behalten können. In den meisten Fällen nutzen sie diese Regelung auch.
Ich frage mich an dieser Stelle, ob und, wenn ja, wo die CDU hier ein Integrationshindernis sieht und woraus sie vor allem ein Gefährdungspotenzial ableitet. Es ist infam, durch die Diskussion über die Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit eine ganze Gruppe von hier geborenen Menschen unter einen Generalverdacht zu stellen. Das gehört sich nicht, meine Damen und Herren.
Zweitens hüten Sie sich bitte davor! Ich halte es für gefährlich und unredlich, einen Zusammenhang zwischen der doppelten Staatsangehörigkeit und den Anschlägen herzustellen, die wir in den letzten Monaten erleben mussten. Die Anschläge in Bayern hätten durch eine Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit jedenfalls definitiv nicht verhindert werden können.
Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Aussprache zu der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragten Aktuellen Stunde beenden kann.
b) Rot-grüne Bildungspolitik: Stell Dir vor, es ist Schulanfang und der Unterricht fällt aus... - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 17/6286
- Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte nicht folgen möchten, bitte ich, den Saal zu verlassen, sodass es weiterhin wunderbar ruhig bleibt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, das Schuljahr beginnt und der Unterricht in Niedersachsen fällt aus! - Das ist die Realität in über 3 000 Schulen in unserem Bundesland. Das ist die Realität für Hunderttausende Schülerinnen und Schüler. Das ist die Realität für deren Eltern, die tagtäglich feststellen, dass die eigenen Kinder erst später zur Schule müssen und früher nach Hause kommen, weil überall im Land massiv Unterricht ausfällt. Diese Landesregierung tut rein gar nichts dagegen.
optimistisches Bild davon zu zeichnen, dass eine Unterrichtsversorgung von 98 % gar nicht so schlimm sei.
Aber was bedeutet eine statistische Unterrichtsversorgung von 98 % eigentlich? - Das bedeutet, dass viele Schulen deutlich unter 98 % liegen und zum Teil schon an Versorgungsschwierigkeiten beim Pflichtunterricht herankommen. Es bedeutet auch, dass 26 000 Lehrerstunden pro Woche fehlen, und zwar kalkuliert fehlen.
Im Verlauf dieser Pressekonferenz teilt die Frau Kultusministerin der Öffentlichkeit ganz nebenbei mit, man gehe im Ministerium mittlerweile davon aus, dass man sich auch bei den Schülerzahlen vertan habe und es durchaus sein könne, dass noch 10 000 bis 15 000 Schülerinnen und Schüler mehr in den Schulen seien, als man ursprünglich prognostiziert habe. - Wir haben bereits im April dieses Jahres die Kultusministerin aufgefordert,
in den Schulen in Niedersachsen nachzufragen, wie viele Schülerinnen und Schüler sich gerade in den Schulen befinden. Das hat diese Ministerin abgelehnt. Jetzt sagt sie: Upps, wir haben uns vielleicht um 10 000 bis 15 000 Schülerinnen und Schüler vertan!