Protokoll der Sitzung vom 18.08.2016

Am 1. August 2016 hat die Ministerin für Wissenschaft und Kultur die Entscheidung getroffen, ein unabhängiges Gutachten zur Lehrveranstaltung einzuholen. Die Präsidentin der Hochschule stimmte diesem Vorschlag zu. Am 5. August 2016 veröffentlichte die Hochschule die Entscheidung der Fakultät, die umstrittene Lehrveranstaltung nicht mehr anzubieten.

Am 9. August 2016 fand ein Gespräch mit Herrn Michael Fürst und Herrn Dr. Yazid Shammout sowie der Präsidentin Dienel und der Ministerin statt. ln diesem sehr konstruktiven Gespräch verständigte man sich auf einen weiteren engen Austausch.

Nur der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass die Behauptung, eine Reaktion des Ministeriums auf das erste Schreiben an den Zentralrat der Juden habe gefehlt, falsch ist.

Zu den Inhalten. Namens der Landesregierung stelle ich fest: Antisemitismus hat an niedersächsischen Hochschulen selbstverständlich keinen Platz. Ebenso unstrittig ist, dass die Freiheit von Lehre und Forschung ein hohes Gut ist, das in Niedersachsen selbstverständlich Schutz genießt. Und ohne auf die grundsätzliche Frage nach dem Schutzumfang von Artikel 5 des Grundgesetzes näher einzugehen, habe ich als zuständige Ministerin für Wissenschaft und Kultur, als das Schreiben des Zentralrates der Juden und seines Präsidenten Dr. Schuster vom 22. Juli 2015 im Ministerium für Wissenschaft und Kultur einging, dieses Schreiben unverzüglich zum Anlass genommen, die Hochschule zu einer Stellungnahme aufzufordern. Denn Freiheit von Lehre bedeutet nicht nur, aber auch Übernahme von Verantwortung für die Lehrangebote.

Die Organisation und Koordination von Lehre und Forschung sind klassische Selbstverwaltungsaufgaben der Hochschulen. Und aus diesem Grund liegt die Verantwortung zur Qualitätssicherung der Lehrangebote bei der Hochschule - genauer: bei der Fakultät.

Dennoch möchte ich festhalten, dass nach Einschätzung meines Hauses der Auszug aus dem Seminarplan der kritisierten Hochschulveranstaltung, isoliert betrachtet, problematisch ist, weshalb wir die Schreiben des Zentralrates der Juden sehr ernst genommen haben. Es war zwingend notwendig, sich seitens der Fakultät mit diesem Seminar zu befassen. Allerdings - und das gehört

ebenso zwingend zu der Bewertung -: Die Qualität von Texten und Quellenmaterial alleine lässt keine abschließenden Aussagen über die Qualität einer Lehrveranstaltung zu. Die Frage der Qualität wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Textquellen kann erst dann beantwortet werden, wenn die hochschuldidaktische Umsetzung sowie die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung zusammen betrachtet werden. Dabei ist bei Lehrveranstaltungen auf die didaktische Umsetzung besonderes Augenmerk zu richten. Dies gilt besonders für die Aufgabe von Lehrbeauftragten an Hochschulen.

Diese Einschätzung der übersandten Materialien habe ich im Übrigen in der ersten Antwort des Ministeriums an Herrn Dr. Schuster vom 18. September 2015 auch genauso vertreten. Die dem Schreiben des Zentralrates vom 22. Juli 2015 angehängte, zwar unvollständige und nach meiner Auffassung nicht mit den Üblichkeiten eines Seminarplans übereinstimmende Zusammenfassung der Seminarinhalte gab Anlass zur Besorgnis.

Daher lautete meine Antwort an den Zentralrat wörtlich - Zitat -:

„Ich teile auch Ihre Auffassung, dass die von Ihnen, wenn auch nur auszugsweise, übersandten Lehrinhalte, isoliert betrachtet, problematisch sind, wenn eine entsprechende Verzahnung mit weiteren Lehrangeboten fehlt, die diese kritische Reflexion ermöglichen.“

Eine Gesamtbeurteilung der Lehrveranstaltung einschließlich dessen, was die Wissenschaftlichkeit einer Lehrveranstaltung ausmacht, muss grundsätzlich die Fakultät vornehmen. Freiheit von Lehre und Forschung, grundgesetzlich garantiert durch Artikel 5 des Grundgesetzes, sind, wie bereits erläutert, ein hohes Gut. Daher nimmt das Wissenschaftsministerium grundsätzlich zu Seminarinhalten keine Stellung oder gar Einfluss auf die Lehrpläne.

Schon im Juli 2015 und damit Monate vor der Vorlage des Gutachtens der Amadeu Antonio Stiftung hielten das Ministerium und auch ich als Ministerin persönlich es für erforderlich, dass sich die Hochschule, insbesondere die Fakultät, mit den Vorwürfen und den übersandten Materialien intensiv befasst. Dies hat die Fakultät auch getan. In ihrer Stellungnahme zu dem ersten Schreiben des Zentralrates im Herbst 2015 teilte die Präsidentin der Hochschule mit, die Fakultät habe entschieden, eine Neujustierung des Lehrangebotes vorzunehmen. Bei dieser Neuausrichtung sollten - wie be

reits erwähnt - von der konzeptionsimmanenten Nebeneinanderstellung unterschiedlicher Sichtweisen abgerückt werden zugunsten von Lehrveranstaltungen, die die israelische wie die palästinensische Perspektive gleichermaßen in den Fokus nehmen. Zudem sollten verstärkt Projekte durchgeführt werden, die den Dialog zwischen Palästinensern und Israelis in den Mittelpunkt stellen.

Es ist unbestritten die Aufgabe der Fakultät einer Hochschule, für die hohe Qualität des Lehrangebotes einzustehen und qualitätsgesichert das Angebot einer laufenden Überprüfung zu unterziehen. Dies gilt selbstverständlich nicht erst dann, wenn es Vorhalte und Beschwerden von außen gibt. Dann aber gilt es im Besonderen. Aus den verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten der Wissenschaft ergibt sich im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung die Verpflichtung der Fakultät, die Verantwortung für die Qualität des Lehrangebotes zu übernehmen.

Dabei stelle ich erneut fest, dass die Frage der Qualität einer Lehrveranstaltung nicht nur anhand der verwendeten Materialien messbar ist. Die Frage des didaktischen Konzeptes und der Art der Vermittlung sowie die Befähigung der kritischen Auseinandersetzung mit Textmaterialien gehören ebenfalls zur Frage der Qualitätssicherung.

Mit der Entscheidung der Neujustierung war letztlich die Frage nach der Qualität dahin gehend beantwortet, dass diese insgesamt auch nach Auffassung der Fakultät überarbeitungsbedürftig erschien.

Dem weiteren Schreiben des Zentralrates der Juden vom 14. Dezember 2015 war ein Kurzgutachten zur Beurteilung der inhaltlichen Ausrichtung der Lehrveranstaltung beigefügt, erstellt - wie schon erwähnt - von der Amadeu Antonio Stiftung. Ausweislich des Gutachtens hat der Verfasser Unterlagen eines ihm zur Verfügung gestellten Seminarordners untersucht. Auch dieses Schreiben hat das Wissenschaftsministerium zusammen mit dem Gutachten aus den genannten Gründen an die Hochschule gesandt mit der Bitte um umfassende Stellungnahme der nunmehr mit Vorlage des Gutachtens untermauerten Vorhalte gegen die Lehrveranstaltung.

Als einen ersten Schritt hatte die Hochschule ausweislich ihrer Stellungnahme entschieden, dass für das laufende Wintersemester eine Verpflichtung bestand, die kritisierte Lehrveranstaltung zwingend mit einer weiteren Veranstaltung zusammen zu belegen - ein Seminar mit dem Titel „Israel und

Palästina: Historische Hintergründe“ -, um die Entwicklung eines eigenständigen Standpunktes zu gewährleisten. Die Präsidentin der Hochschule hat außerdem entschieden, die Ethikkommission der Hochschule mit der Thematik zu befassen. Der Vorschlag, mit der Ethikkommission ein weiteres fakultätsunabhängiges Gremium qualitätsorientiert mit den Unterlagen sowie der Gesamtkonzeption zu befassen, war unter Qualitätssicherungsaspekten eine richtige Entscheidung. Diesen Sachstand wiederum habe ich Herrn Dr. Schuster mit Schreiben vom 29. Februar 2016 mitgeteilt.

Die Ethikkommission hat sich ausweislich ihres Schreibens an die Präsidentin mit dem Lehrangebot befasst und eben das Votum abgegeben, keine Bedenken gegen die Fortführung der Lehrveranstaltung zu haben.

Auf der Grundlage dieser Informationen beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:

1. Wann und auf welche Weise hat welche Stelle innerhalb der Landesregierung davon Kenntnis erlangt, dass das HAWK-Seminar „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ wegen mutmaßlich antisemitischer Inhalte kritisiert wird?

Es wurde darum gebeten, bei der Beantwortung das Datum mit anzugeben und die beteiligten Personen aufzulisten, was ich hiermit gerne tue.

Folgende Stellen hatten auf der Grundlage des Schreibens des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, Kenntnis von der Kritik zu folgenden Zeitpunkten:

Am 23. Juli 2015 erhielten durch das Schreiben des Zentralrates der Juden vom 22. Juli 2015 in der Staatskanzlei sowohl der Leiter der persönlichen Büros des Ministerpräsidenten als auch Herr Ministerpräsident Kenntnis.

Am 27. Juli 2015 erhielt durch das Schreiben des Zentralrates der Juden vom 22. Juli 2015 die stellvertretende Abteilungsleiterin 1 in der Staatskanzlei und am 28. Juli 2015 erhielt der Referatsleiter 105 in der Staatskanzlei auf dieselbe Weise Kenntnis.

Am 29. Juli 2015 erhielten ebenfalls durch genanntes Schreiben sowohl die Referentin als auch die Sachbearbeiter des Referats 105 der Staatskanzlei Kenntnis.

Am selben Tag, am 29. Juli 2015, erhielten durch das Schreiben des Zentralrates der Juden, das als Anlage einer Mail aus der Staatskanzlei übersandt

wurde, im Ministerium für Wissenschaft und Kultur Kenntnis die Leiterin des Ministerbüros, ein Referent und ein Sachbearbeiter sowie eine Sachbearbeiterin des Referats M sowie die Ministerin und die Staatssekretärin durch mündliche Unterrichtung.

Ebenso erhielten über eine Mail, der das Schreiben des Zentralrates der Juden angehängt war, das Referat M, das im Ministerium für Wissenschaft und Kultur für die Hochschule zuständige Referat 24 und hier neben der Referatsleiterin der Referent sowie die Sachbearbeiterin Kenntnis.

Am 3. August 2015 erhielt durch das Schreiben des Zentralrats der Juden im Rahmen einer mündlichen Unterrichtung der Abteilungsleiter 2 im Ministerium für Wissenschaft und Kultur Kenntnis.

Am 14. September 2015 erhielt durch ebendieses Schreiben und den entsprechenden Antwortentwurf des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur in der Staatskanzlei die stellvertretende Leiterin des Referats 105 Kenntnis.

Am 15. September 2015 erhielt durch das Schreiben des Zentralrates der Juden und den entsprechenden Antwortentwurf des MWK der Chef der Staatskanzlei Kenntnis.

Am 29. Juni 2016 erhielt im MWK durch eine Anfrage des Journalisten Dillmann der Jüdischen Allgemeinen per Mail die Pressestelle Kenntnis.

Am 30. Juli 2016 erhielt durch die Presseberichterstattung in der Staatskanzlei die Pressestelle der Niedersächsischen Landesregierung Kenntnis.

Am 1. August 2016 erhielt im Rahmen einer Telefonschaltkonferenz der Pressestellen der Ministerien auch die Sprecherin der Landesregierung Kenntnis. Durch eine MaiI der Pressestelle an das Ministerium für Wissenschaft und Kultur erhielt auch die Referentin des Fachreferats 105 in der Staatskanzlei Kenntnis.

Am 4. August 2016 erhielt über einen Vermerk des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur in der Staatskanzlei die Leiterin des persönlichen Büros des Ministerpräsidenten und am 8. August 2016 durch diesen Vermerk des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur in der Staatskanzlei der Persönliche Referent des Ministerpräsidenten in Vertretung der Leiterin des persönlichen Büros des Ministerpräsidenten Kenntnis.

2. Zu welcher Einschätzung in Bezug auf das genannte Seminar war das Ministerium gelangt, bevor die Vorwürfe im Juli 2016 öffentlich wurden?

Das Ministerium hat die vom Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland in seinem Schreiben vom 22. Juli 2015 geäußerte Kritik sehr ernst genommen. Deswegen wurde die Hochschule umgehend um eine Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen gebeten. Da in der institutionalisierten Hochschullehre die Fakultät für die Inhalte von Lehrangeboten verantwortlich ist, wurde zudem die für die Lehrinhalte zuständige Fakultät „Soziale Arbeit und Gesundheit“ um eine intensive und kritische inhaltliche Befassung mit dem Seminar gebeten.

Die Fakultät hat daraufhin eine Neujustierung des kritisierten Lehrangebots zugesagt. Zudem wurde die Thematik von der Hochschulleitung der an der Hochschule eingerichteten Ethikkommission zur Stellungnahme vorgelegt. Damit war nach Einschätzung des Ministeriums die gebotene intensive hochschulinterne Befassung mit der vorgebrachten Kritik sichergestellt.

3. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung der Hochschulpräsidentin Dienel, das Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung sei ein „Auftragsgutachten“ und der „methodische Ansatz des Gutachtens“ sei „verfehlt“ (taz vom 2. August 2016)?

Die Amadeu Antonio Stiftung ist unstrittig eine angesehene Einrichtung, an deren Kompetenz die Landesregierung, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft und Kultur, überhaupt keine Zweifel hat. Dies gilt in gleicher Weise für das Gutachten, das ausweislich der Angaben des Gutachters auf der Basis der vorliegenden Texte erstellt wurde.

Ebenso unstrittig ist, dass das Ministerium keinen Anlass hat, an der Bewertung der Ethikkommission der Hochschule zu zweifeln. Aufgrund der unterschiedlichen Bewertungen hat das Ministerium für Wissenschaft und Kultur die Entscheidung getroffen, ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben. Dieser Entscheidung hat die Präsidentin der Hochschule zugestimmt. Jede weitere Bewertung bleibt diesem Gutachten vorbehalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Zu einer ersten Zusatzfrage hat sich die Kollegin von BelowNeufeldt, FDP-Fraktion, gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin hat eben schon einige Ausführungen zu Antworten an den Zentralrat der Juden gemacht. Dennoch frage ich die Landesregierung: Welche Antworten - ich meine den kompletten Inhalt - hat die Landesregierung dem Zentralrat der Juden gegeben? Ich bitte um Vorlage oder um Berichterstattung.

(Beifall bei der FDP - Filiz Polat [GRÜNE]: Vorlesen!)

Sie haben Anspruch auf eine Antwort. Bei Vorlage hätte ich Bedenken. - Frau Ministerin, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau von Below-Neufeldt, ich hatte das eigentlich sehr ausführlich in meinen Ausführungen beantwortet.