Aber auch dann, wenn Unklarheit besteht, wie ein Sachverhalt genau abgelaufen ist, wenn Straftaten verübt worden sind oder wenn komplizierte Verträge geschlossen werden sollen, wenn Grundstücke verkauft oder Erbschaftsangelegenheiten geregelt werden sollen, brauchen wir Juristinnen und Juristen, und zwar im besten Fall solche, die nicht nur Jura können, sondern auch weitere Fähigkeiten haben, sogenannte weiche Faktoren; heute sagt man auf Neudeutsch auch Soft Skills.
Die meisten Juristinnen und Juristen verfügen ohnehin schon über vielfältige Soft Skills. Aber richtig systematisch gelehrt werden sie vor allem im Rechtsreferendariat nicht, allenfalls am Rande. Dementsprechend bleibt es eher dem Zufall und vor allem auch dem Einzelnen überlassen, was Juristen neben Jura noch zu bieten haben.
Dabei hat die große Mehrheit der Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen ständig Kontakt zu Menschen. Es geht in den meisten Fällen nicht darum, abstrakte Fälle unter irgendwelche Normen zu subsumieren. In den meisten Fällen geht es darum, zwischenmenschliche Kontakte zu gestalten. Dafür braucht man Menschenkenntnis, dafür braucht man Empathie, dafür braucht man Verhandlungsgeschick, dafür braucht man rhetorische Fähigkeiten, und dafür braucht man mitunter auch interkulturelle Fähigkeiten.
Diese Fähigkeiten werden auf dem Arbeitsmarkt auch nachgefragt. Wer einen Rechtsanwalt einstellt, der will natürlich in erster Linie, dass derjenige sein juristisches Handwerkszeug kann. Er will aber auch, dass derjenige gut mit den Mandanten
klarkommt, dass er versteht, was die Mandanten wollen, dass er das juristisch Relevante aus einem oft unsortierten Wust an Informationen herausfiltern kann und dass er auch den juristisch nicht vorgebildeten Mandanten - möglicherweise mit einem fremden kulturellen Hintergrund - verständlich die Rechtslage erklären kann. Möglicherweise will er auch, dass der junge Rechtsanwalt/die junge Rechtsanwältin Akquise betreibt, erfolgreich wirtschaftlich denkt und arbeitet sowie in der Lage ist, im Team zusammenzuarbeiten, aber auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Vorgesetztenposition auszufüllen.
Von Richterinnen und Richtern wird u. a. erwartet, dass sie entscheidungsfreudig, teamfähig und stressresistent sind, die eigene Meinung sicher vertreten und gleichzeitig offen für die Argumente anderer sind. Sie brauchen Empathie, Verständnis für wirtschaftliche und soziale Belange, Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen, interkulturelle Kompetenzen, Autorität, die aber keine Barrieren aufbaut, Verhandlungsgeschick und die Fähigkeit, sich als Person abzugrenzen und die richterliche Unabhängigkeit zu bewahren.
Von den Bewerberinnen und Bewerbern für die übrigen juristischen Berufe werden ähnliche oder auch unterschiedliche weiche Faktoren verlangt.
Viele davon kann man lernen. Das sieht man auch daran, dass private Anbieter entsprechende Seminare anbieten.
Wir sind der Meinung, dass das Jurastudium und das Rechtsreferendariat selbst die Absolventinnen und Absolventen befähigen müssen, nicht nur das formale Recht anwenden zu können, sondern auch über die weiteren gefragten Fähigkeiten zu verfügen. Das Erlernen von sogenannten Soft Skills muss daher einen wesentlich stärkeren Eingang in die Juristenausbildung finden. Damit werden wir die Juristenausbildung moderner und zukunftsfähiger gestalten. Dafür treten wir ein.
Außerdem treten wir dafür ein, dass das Rechtsreferendariat familienfreundlich wird. Nach § 5 b des Deutschen Richtergesetzes dauert das Referendariat - der juristische „Vorbereitungsdienst“, wie es im Gesetz heißt - zwei Jahre. Nach § 33 NJAVO hat die Referendarin oder der Referendar „die Arbeitskraft voll der Ausbildung zu widmen“. Das bedeutet: Das Referendariat ist eine Vollzeittätigkeit. Diejenigen hier im Saal, die Volljuristinnen
oder Volljuristen sind, wissen, dass man für die Arbeitsgemeinschaft, für die Tätigkeit an der jeweiligen Ausbildungsstelle und vor allem auch für die Vorbereitung auf das Zweite Staatsexamen wirklich die komplette Arbeitskraft braucht.
Ein Teilzeitreferendariat gibt es für Juristinnen und Juristen in Deutschland nicht. Das ist ein großes Problem für Referendare oder Referendarinnen, die minderjährige Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen haben. In vielen Fällen treten die betroffenen Personen das Referendariat gar nicht erst an oder unterbrechen den Vorbereitungsdienst für mehrere Jahre. Das betrifft sowohl die Lebensplanung der betroffenen Familien als auch den Arbeitsmarkt, der aus Arbeitgeber- und auch aus Landessicht ohnehin schon nicht reich genug an hoch qualifizierten Volljuristen bestückt ist. Diejenigen, die den Vorbereitungsdienst trotz der hohen familiären Belastungen antreten, sind gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen, die sich einzig und allein auf sich und auf das Referendariat konzentrieren können, erheblich benachteiligt. Wer kleine Kinder hat, weiß, wie viel Kraft und Zeit das kostet, und wer ein Zweites Juristisches Staatsexamen gemacht hat, weiß auch, dass man dafür eigentlich alle Kraft braucht. Manche können die Kinderbetreuung durch den Partner oder durch Angehörige gut regeln, andere, gerade Alleinerziehende, können das nicht.
Wenn man Referendarinnen und Referendaren mit Kleinkindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen also nicht die Möglichkeit gibt, den Vorbereitungsdienst mit reduzierter Arbeitskraft zu absolvieren, dann nimmt man damit in Kauf, dass sich viele von Ihnen nicht so intensiv auf das Zweite Staatsexamen vorbereiten können wie ihre Kolleginnen und Kollegen. Und das finden wir ungerecht.
Wir finden es auch ungerecht, dass Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare bislang anders behandelt werden als andere Angehörige des öffentlichen Dienstes - und vor allem auch anders als Lehramtsreferendarinnen und Lehramtsreferendare. Angehörige des öffentlichen Dienstes haben einen Rechtsanspruch auf Teilzeit zum Zwecke der Betreuung minderjähriger Kinder oder auch zur Pflege Angehöriger. Für Lehramtsreferendarinnen und -referendare hat das Land Niedersachsen eine Teilzeitregelung eingeführt.
Wir Sozialdemokratinnen, Sozialdemokraten und Grüne im Niedersächsischen Landtag stehen für Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit.
Wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Berufsausbildung. Daher muss es auch für Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare unter den genannten familiären Gründen eine Möglichkeit des Teilzeitreferendariats geben. Wir setzen uns daher gemeinsam mit unserer Justizministerin für die entsprechenden Änderungen auf Bundesebene ein. Wir würden uns freuen, wenn Sie dabei mitmachen. Ich freue mich auf die Beratung im Rechtsausschuss und hoffe auf eine breite Unterstützung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sich regelmäßig den juristischen Vorbereitungsdienst anzusehen und zu überprüfen, ob er den tatsächlichen und aktuellen Anforderungen noch gerecht wird, ist ganz sicher richtig. Richtig ist auch, dass es immer schwieriger wird, qualifizierte junge Menschen zu einer Karriere in der Justiz zu bewegen, wobei das nicht in erster Linie eine Frage der Ausbildung ist, sondern eher eine Frage der Attraktivität.
Da muss man sich nur so manches Büro eines niedersächsischen Richters ansehen und das mit dem Büro einer Anwaltskanzlei vergleichen. Ich kenne jedenfalls nur wenige Büros von Anwälten, wo die Gesetzestexte auf der Fensterbank gestapelt werden müssen, damit es nicht so durch das Fenster zieht.
Meine Damen und Herren, der Antrag von RotGrün für eine Reform des Referendariats erscheint mir insgesamt viel zu viel weiße Salbe zu enthalten. So kann ich mir kaum vorstellen, dass die Einführung eines Teilzeitreferendariats tatsächlich praktische Relevanz hat. Wie attraktiv soll es denn sein, zunächst ein vierjähriges Referendariat abzu
Zudem wird es kaum möglich sein, in den Arbeitsgruppen gleichzeitig teilzeitbeschäftigte und vollzeitbeschäftigte Referendare durchzuschleusen. Es ist mir zudem völlig schleierhaft, wie es bei dem vorliegenden zeitlichen Rahmen der Arbeitsgruppen möglich sein soll, auch noch sogenannte Soft Skills zu unterrichten und zu vermitteln.
Die Fähigkeiten, die insoweit in dem Antragsentwurf genannt werden, sollten eigentlich bei allen Referendaren schon vorhanden sein. Sicherlich werden einige dieser Fähigkeiten, wie z. B. die Rhetorik, ganz automatisch im Rahmen der Ausbildung mit trainiert. Zudem gibt es auf freiwilliger Basis und unabhängig von der Stationsausbildung auch weitere verschiedene Angebote. Da jedoch insbesondere das Prozessrecht und das Erlernen der praktischen Arbeitsweise im Vordergrund stehen müssen und den Referendaren insoweit ja auch die Examensklausuren im Nacken stehen, besteht wenig Luft für zusätzliche Ausbildungsinhalte.
Meine Damen und Herren, Referendare unterstützt man am besten durch eine bessere Besoldung und ein Mehr an Vorbereitungskursen. Dieser Antrag scheint mir insgesamt eher an der Praxis vorbeizugehen. Ich bin daher sehr gespannt, was die Praktiker in der entsprechenden Anhörung im Ausschuss dazu sagen werden.
Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Es hat sich nun Belit Onay für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Rechtsreferendariat - das hat die Kollegin Wahlmann schon richtig formuliert - ist ein Vollzeitjob und in den gesetzlichen Regelungen auch so vorgesehen. Wir möchten mit diesem Antrag gerade in diesem Bereich eine Möglichkeit schaffen, die Teilzeitabsolvierung des Rechtsreferendariats anzubieten.
Ich glaube, Herr Dr. Genthe, Sie irren, wenn Sie sagen, dass das keine Relevanz habe. Ich vermute, dass viele Menschen unter die von Kathrin Wahlmann beschriebene Situation fallen, dass sie in dieser Zeit Kinder bekommen, vielleicht ungeplant, vielleicht gewollt, dass sie Angehörige pflegen müssen. Relativ häufig müssen sie dann unterbrechen.
Zur Zeitspanne, die Sie genannt haben: Wenn man abwägt, ob man das Studium abbricht oder unter den erschwerten Bedingungen das Vollzeitreferendariat fortsetzt und dann zu einem schlechteren Abschluss kommt, ist die Teilzeitmöglichkeit, wenn sie denn besteht, eine gute Option, um dieser Situation gerecht zu werden.
Selbstverständlich muss es dann auch zu strukturellen Veränderungen kommen. Das haben Sie ja richtigerweise angesprochen. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass bei der Referendariatsausbildung für Lehrerinnen und Lehrer eine solche Teilzeitmöglichkeit besteht, also die Möglichkeit, ein Teilzeitreferendariat zu absolvieren, womit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Antrag ist, wie ich finde, die Veränderung der Voraussetzungen für die Wiederholung des Zweiten Staatsexamens. Zurzeit stellen wir noch auf die Härtefallsituation zum Zeitpunkt der Prüfung ab. Es ist sozusagen ein Rückblick, wie die Härtefallsituation damals war, für einen sogenannten Gnadenversuch. Aus meiner Sicht macht es Sinn, wie wir in unserem Antrag fordern, zu prüfen und zu schauen: „Wie sind die Erfolgsaussichten?“, also einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Das ist sicherlich eine sinnvolle und lohnende Prüfung, die wir hier ausdrücklich vornehmen sollten.
Ich komme nun zu den Soft Skills. Da möchte ich Ihnen, Herr Dr. Genthe, ausdrücklich widersprechen. Frau Kathrin hat Wahlmann dargelegt, wie wichtig es bei den aktuellen Berufsfeldern für Volljuristinnen und Volljuristen ist, die weit über den Bereich der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwälte hinausgehen und Berufe umfassen, die nicht direkt dem Bereich der Justiz zuzuordnen sind, zu zeigen, was in der heutigen Welt erforderlich ist, dass z. B Soft Skills wie Redefähigkeit, interkulturelle Kompetenz und Empathiefähigkeit
Aber - auch das möchte ich ausdrücklich sagen - wir möchten mit diesem Antrag in einen Dialog eintreten, in einen Prozess eintreten, den die Justizministerin mit einer Veranstaltung am 23. Februar 2016 unter dem Titel „Juristenausbildung: Fair, attraktiv und praxisnah?“ begonnen hat. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Genau diesen Dialog, diesen Austausch sollten wir im Rechtsausschuss, beispielsweise mit einer Anhörung, fortsetzen und ergänzen, um in die Tiefe zu gehen.
Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der sich in diesem Antrag nicht wiederfindet und über den es sich nachzudenken lohnt. Es gibt beispielsweise das Thema von Diskriminierungen in Examen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Göttingen und Berlin haben in einer Studie, die 2014 veröffentlicht wurde, festgestellt, dass beispielsweise Frauen, aber auch Migrantinnen und Migranten im Staatsexamen regelmäßig schlechter abschneiden, obwohl sie vorher beispielsweise gute oder bessere Abiturnoten hatten, und dass Menschen mit einem Namen, der auf eine Herkunft aus den ehemaligen Gebieten der UdSSR schließen lässt, durchschnittlich zwar bessere Abiturnoten hatten, aber im Staatsexamen durchschnittlich schlechter abschneiden.
Die Legal Tribune vom April 2014 titelt daher: „Benotung von Übungsklausuren und Staatsexamen - Frauen und Migranten im Nachteil“. Spiegel-Online aus demselben Zeitraum titelt: „Im Zweifel für den Mann“. - Ich glaube, das ist ein Thema, das man sich in einer solchen Anhörung anschauen sollte und könnte.