Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte lassen Sie mich Folgendes an den Anfang stellen: Es ist gut, wenn ein Abgeordneter sich Vertrauen erworben hat, sodass Bürgerinnen und Bürger sich an ihn wenden, wenn sie Hilfe brauchen. Es ist gut, wenn ein Abgeordneter sich um die Belange kümmert, die an ihn herangetragen werden, und zwar unabhängig von Zuständigkeit

und Bedeutung. Es ist gut, wenn ein Abgeordneter sich darum kümmert, dass Missstände aufgedeckt und beseitigt werden, insbesondere wenn Menschen betroffen sind, die sich selbst nicht wehren können, z. B. die Bewohner eines Pflegeheims.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb, meine Damen und Herren, gibt es in diesem Haus keinen Abgeordneten, der das Engagement von Herrn Schminke nicht gutheißt. Es gibt nicht einen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Bei der FDP weiß ich nicht so recht! - Wider- spruch bei der FDP - Gegenrufe von den GRÜNEN)

Ich bitte um Ruhe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Herr Dr. Birkner! Herr Limburg!

Wir Abgeordneten sind alle unterschiedliche Typen. Wir haben unterschiedliche Viten, wir sind unterschiedliche Charaktere, wir gehen unterschiedlich an unsere Aufgaben heran. Auch das ist gut.

Es gibt deswegen aber auch viele in diesem Hause, die sagen: Herr Schminke hätte in diesem Fall nicht über die Zeitung die Öffentlichkeit suchen dürfen; es wäre besser gewesen, die Heimaufsicht zu informieren, vielleicht auch direkt den Göttinger Landrat. -

(Ronald Schminke [SPD]: Das habe ich vorher gemacht!)

Ich persönlich gehöre ausdrücklich dazu.

Aber darum geht es in dieser Frage nicht. Es ist heute nämlich nicht die Aufgabe dieses Parlaments, Herrn Schminkes Motiv oder seine Arbeitsweise zu bewerten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist übrigens auch nicht unsere Aufgabe, zu erwägen oder gar zu entscheiden, ob Herr Schminke sich strafbar gemacht hat. Das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft Göttingen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Staatsanwaltschaft Göttingen möchte dieser Aufgabe nachkommen. Deshalb hat sie die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Schminke beantragt.

Ich selbst bin seit fast 14 Jahren in diesem Parlament. In dieser Zeit hat das Parlament nie ein solches Strafverfolgungsanliegen einer Staatsanwaltschaft unterbunden. Heute soll das zum ersten Mal anders sein.

Was also ist heute unsere Aufgabe? - Dieses Parlament muss heute darüber entscheiden, ob das Verfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen gegen den Abgeordneten Schminke allein und ausschließlich durchgeführt wird, um ihn in seiner parlamentarischen Arbeit zu behindern, und damit die Willensbildung des gesamten Parlaments durch dieses Verfahren behindert wird; Herr Tonne hat in diese Richtung argumentiert. Es geht dabei am Ende nur und ausschließlich um Herrn Schminke. Es ist eine Einzelfallentscheidung.

Und doch ist das eine sehr grundsätzliche Frage. Sie lässt sich nicht beantworten, ohne einen tiefen Blick in die Geschichte des Parlamentarismus, die Entwicklung des Rechtsstaates und die Gewaltenteilung zu nehmen. Die heutige Debatte ist vielleicht die grundsätzlichste Debatte über unser parlamentarisches Selbstverständnis, die wir in dieser Periode führen werden.

Meine Damen und Herren, der in der Verfassung gewährte Schutz des Abgeordneten vor Strafverfolgung ist ein hart erkämpftes Recht, und zwar ein Schutzrecht des Parlaments gegen die anderen Gewalten, insbesondere die Exekutive. Auch in Niedersachsen sind Mitglieder der Landesregierung Vorgesetzte von Polizei, Ordnungsbehörden und Staatsanwaltschaft. Es ist für uns heutzutage kaum vorstellbar, dass diese Macht willkürlich eingesetzt wird, um missliebige Abgeordnete festzusetzen und an ihrer Arbeit zu hindern. Und doch ist genau das der Grund für die Regeln der Immunität.

Die Immunität ist dabei ein Teil einer ganzen Reihe von Sonderrechten, welche die Verfassung den Abgeordneten gegenüber der Exekutive einräumt:

Wir haben Antrags- und Rederecht in diesem Parlament. Wir genießen dabei sogar Indemnität - wir können in diesem Parlament sogar jemanden beleidigen, ohne strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen -, damit wir hier frei reden können.

Wir können Fragen stellen, und die Landesregierung muss antworten.

Wir können Akten verlangen, und die Landesregierung muss sie uns geben.

Wir können Informationen sammeln und Aussage über die Quelle verweigern, selbst wenn dadurch Geheimnisverrat begangen wurde.

Wir haben erlebt, wie schwer es einer Landesregierung fallen kann, diese Rechte der Abgeordneten zu akzeptieren. Mehrfach mussten sich Abgeordnete ihre Rechte vor dem Verfassungsgericht erkämpfen - und sie haben jedes Mal recht bekommen.

Wir haben mächtige Privilegien gegenüber der Regierung, die sonst niemand hat, weil wir die Vertreter des Volkes sind, und zwar nur wir.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, niemand erhebt ja überhaupt irgendeinen Vorwurf gegen die Regierung oder ihre Organe. Niemand macht der Staatsanwaltschaft den Vorwurf, sie wolle willkürlich ermitteln. Herr Tonne hat das gerade noch einmal wiederholt. Niemand behauptet, der Antrag auf Aufhebung der Immunität sei unangemessen. Übrigens behauptet auch niemand, Herr Schminke wäre durch dieses Verfahren gehindert, seine Rechte und seine Aufgaben als Parlamentarier wahrzunehmen.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Der Vorwurf, der von Rot-Grün erhoben wird, richtet sich gerade nicht gegen den Staat. Er richtet sich gegen die Bürgerinnen und Bürger.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

Herr Tonne sagt in einem Interview mit dem Rundblick,

„es geht nur mittelbar um die Äußerungen des Herrn Schminke. Dahinter liegt das Recht des Parlamentes als Ganzes, Missstände öffentlich zu benennen, ohne gleichzeitig Gefahr zu laufen, dafür an den Pranger gestellt oder mit Strafanzeigen eingeschüchtert zu werden.“

Ähnlich hat er es gerade wiederholt.

Das „Parlament als Ganzes“ wird aber nicht „an den Pranger gestellt“. Die Kritik an seinen Äußerungen trifft ausschließlich Herrn Schminke.

Viel spannender aber ist, dass Herr Tonne das Recht infrage stellt, überhaupt eine Strafanzeige zu stellen - ein Recht, das beim Straftatbestand der Verleumdung ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern zusteht.

Wir müssen also heute nicht entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft willkürlich gegen einen Abgeordneten vorgeht, sondern ob eine Bürgerin mittels einer Anzeige die Staatsanwaltschaft und den Rechtsweg missbraucht, um ihrerseits willkürlich gegen einen unliebsamen Abgeordneten vorzugehen.

Man kann an dieser Stelle schon die grundsätzliche Frage aufwerfen, ob ein Abgeordneter in seiner herausgehobenen Stellung es nicht grundsätzlich ertragen und aushalten muss, wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte in Anspruch nehmen.

Ich will es aber nicht so grundsätzlich angehen, weil es sich bei der Frage um die Immunität eben doch um eine Einzelfallentscheidung handelt und der nächste Fall ganz anders gelagert sein kann. Deshalb müssen wir uns jetzt eben dem Einzelfall widmen.

Herr Kollege Schminke hat öffentlich Behauptungen über ein Pflegeheim aufgestellt, von denen die Betreiberin sagt, sie entsprächen nicht der Wahrheit. Dabei geht es insbesondere um den Umstand, dass Herr Schminke öffentlich die Bonität der Betreiberin infrage gestellt hat.

Hier ist eben doch ein ganz erheblicher Unterschied - anders als Sie es gerade dargestellt haben, Herr Tonne - zur Beleidigung. Denn bei der Verleumdung geht es um die falsche Behauptung von Tatsachen, um Lügen.

Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Herr Schminke hat recht - oder die Betreiberin des Pflegeheims. Wir alle kennen die Wahrheit nicht. Auch die Staatsanwaltschaft kennt sie nicht. Deshalb will sie ermitteln.

Mit Ihrer Entscheidung, die Immunität nicht aufzuheben, unterbinden Sie diese Ermittlungen. Sie schlagen sich damit auf die Seite Ihres Kollegen. Das mag menschlich verständlich sein. Aber Sie setzen sich damit an die Stelle des Staatsanwaltes und des Richters gleichermaßen.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN: Nein!)

Damit nehmen Sie eine Rolle ein, die diesem Parlament nicht zusteht.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - Anja Piel [GRÜNE]: Jetzt wird es unsachlich! - Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist falsch, und das wis- sen Sie, Herr Kollege!)

Niemand spricht Herrn Schminke seinen guten Willen ab. Ich habe das eingangs gesagt. Auch in der CDU-Fraktion tut das niemand. Aber können Sie wirklich ausschließen, dass er nicht im Eifer des Gefechts über das Ziel hinausgeschossen ist? Kann wirklich jeder von Ihnen von vornherein ausschließen, dass Herr Schminke sich strafbar gemacht hat? - Nein, das können Sie nicht.

Deshalb bedeutet Ihre Entscheidung, dass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob Herr Schminke sich strafbar gemacht hat. Selbst wenn der Vorwurf der Verleumdung zutrifft, soll er dafür nicht bestraft werden. Ist das wirklich das Signal, das Sie heute aussenden wollen: dass ein Abgeordneter wissentlich die Unwahrheit sagen darf, wenn sein Ziel nur ein Gutes ist, dass ein Abgeordneter Lügen über andere verbreiten darf, wenn er Missstände aufklären will?

(Zuruf von der SPD)

- Ich komme gleich zu dem Zwischenruf der Vorverurteilung.

Wollen Sie denn wirklich hinnehmen, dass dieser Vorwurf gegenüber dem Kollegen Schminke ungeklärt im Raum bleibt, obwohl wir doch sicher sind, dass an dem Vorwurf nichts dran ist? Herr Schminke selbst hat von den Abgeordneten des Landtages öffentlich eingefordert, dass sie seine Immunität nicht aufheben sollen. Er hat damit das Verfahren zusätzlich belastet. Die gestrige Entscheidung des Ältestenrates kommentiert Herr Schminke ausweislich der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen wie folgt: