Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Wir kommen dann zu

Tagesordnungspunkt 11: Abschließende Beratung: Hormonstörende Stoffe gehören nicht ins Grundwasser - Endokrine Disruptoren erkennen, definieren und die Forschung stärken - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4963 - Be

schlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien und Regionalentwicklung - Drs. 17/6580 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/6720

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in geänderter Fassung anzunehmen.

Einer Berichterstattung ist hierzu nicht vorgesehen.

Wir treten in die Aussprache ein. Zunächst hat der Kollege Dr. Alexander Saipa von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Ihnen versichern, dass man als Chemiker einen sehr viel entspannteren Umgang mit Chemikalien erlernt hat, als andere ihn im Alltag vielleicht pflegen würden. Ich kann Ihnen aber auch versichern, dass man ebenso lernt, mit gefährlichen Stoffen sehr sensibel umzugehen, sowohl im Labor als auch in größeren Anwendungen.

Sie können mir also glauben, dass ich weiß, wovon ich hier rede, wenn ich uns heute abermals dazu aufrufe, endokrine Disruptoren nicht als Randerscheinung zu sehen und sie bzw. ihre Wirkung in Bezug auf das hormonelle System von Tieren und Menschen nicht stiefmütterlich zu behandeln.

In einem WHO-Bericht zu diesem Thema heißt es:

„Bei knapp 800 Chemikalien ist bekannt oder wird zumindest angenommen, dass sie den Hormonhaushalt beeinflussen. Doch nur bei einem kleinen Teil davon ist bis heute erforscht, welche Effekte sie haben. Für die meisten Substanzen fehlen diese Daten bisher.“

Ein kausaler Zusammenhang zwischen den geschätzt rund 800 endokrin wirksamen Substanzen und etwaigen gesundheitlichen Schädigungen ist also noch nicht umfassend genau untersucht.

Doch aufgrund der potenziellen Gefährdung empfehlen wir in unserem Antrag, in dieser Angelegenheit nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln, weshalb ich es für absolut richtig halte, den heutigen Antrag endgültig zu beschließen.

Der Landtag hat bereits im März die EU-Kommission einstimmig dazu aufgefordert, in dieser Sache tätig zu werden. Es hat sich seitdem auch schon etwas getan, aber immer noch nicht in der Ge

schwindigkeit, die notwendig wäre, um ein Thema, das seit über vier Jahren aufgeschoben wird, zu behandeln. Daher sind die von uns in diesem Antrag geforderten Punkte immer noch richtig und aktuell, dürfen nicht vernachlässigt werden und sollten erfüllt werden.

Es geht hierbei um nicht weniger als um den Schutz von Tieren und Menschen. Verbraucherinnen und Verbraucher haben nicht nur ein Recht darauf, ordentlich geschützt zu werden; es ist für den gesamten natürlichen Kreislauf unerlässlich, das Thema hormonstörender Stoffe nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir machen das mit diesem Antrag noch einmal deutlich.

In der Vergangenheit wurden bei zahlreichen Wildtierarten Effekte beobachtet, die durch endokrine Disruptoren hervorgerufen wurden. Ein prominentes Beispiel war der Rückgang des Ostseerobbenbestandes durch eine Fortpflanzungsstörung, die auf PCB-Kontaminimierung, also polychlorierte Biphenyle, zurückzuführen ist. Ein anderes Beispiel betrifft die Entwicklung männlicher Geschlechtsorgane in weiblichen Meerestieren durch TBT-Verbindungen, also Tributylzinnoxide, zinnorganische Verbindungen. Dies ist seit vielen Jahren bekannt und wurde bereits in einem Bericht der WHO aus dem Jahr 2002 niedergelegt.

Am stärksten belastet sind die Ökosysteme der Oberflächengewässer, da endokrin aktive Stoffe vor allem durch Auswaschung, Niederschlag und Abwassereinleitung in die Gewässer gelangen und, teilweise am Sediment gebunden, transportiert und später freigesetzt werden können. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass bei Fischen unterhalb kommunaler und anderer Klärwerkabflüsse, z. B. von Papiermühlen, Veränderungen der Geschlechtsorgane beobachtbar sind. Weitere Studien zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen der Umweltbelastung mit bekannten oder vermuteten endokrinen Disruptoren und Effekten auf die Fortpflanzung und Entwicklung von Fischen, Amphibien und Reptilien.

Also wird abermals deutlich: Wir erwarten nun durch die EU-Kommission schnellstmöglich eine ordnungsgemäße Behandlung dieses Themenkomplexes im Sinne des Vorsorgeprinzips und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Es gehört ebenso dazu, dass die Forschungsförderung deutlich ausgeweitet wird, damit wir viele Zusammenhänge besser verstehen und teilweise diffuse Verdachtsmomente widerlegen können.

Aber eines, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ist sicher: Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen im Umgang mit Produkten sensibilisiert werden.

In vielen Pflanzen, insbesondere in Hülsenfrüchten, kommen natürlicherweise Phytoöstrogene vor. Diese schützen die Pflanze vor Fressfeinden. Die wichtigsten Vertreter sind Isoflavone. Über Sojaprodukte können Isoflavone im Grammbereich aufgenommen werden. Bohnen sind ebenso reich an Isoflavonen, Genistein und Coumestrol, die zur großen Gruppe der Polyphenole zählen.

Phytoöstrogene können sich positiv auf den Verlauf von Osteoporose auswirken, können unter bestimmten Umständen Wechseljahresbeschwerden mildern, wirken krebsvorbeugend und antioxidativ. Allerdings verläuft hier ein schmaler Grat zwischen gesundheitsfördernden Eigenschaften und möglichen negativen Effektiven, ganz besonders auch, wenn es darum, geht, dass immer mehr Menschen Sojaeiweiß konsumieren. Das enthält unstrittig beachtliche Mengen an pflanzlichen Sexualhormonen.

Gefährdet sind vor allem Kinder. Wissenschaftler rechnen vor, dass ein Säugling, der ausschließlich mit Sojaprodukten ernährt wird, täglich eine Dosis von etwa fünf Antibabypillen zu sich nimmt. Diese Hormonmenge schadet mit großer Wahrscheinlichkeit der Entwicklung, dem Immunsystem und der Fortpflanzung, vor allem bei Jungs.

Dennoch: Viele Eltern geben ihren Babys Sojaprodukte, weil sie Pflanzenmilch für gesünder halten, und ängstigen sich dabei vor endokrinen Disruptoren, die im Kunststoff der Flaschen unbestritten lauern können. Daher brauchen wir wegen der Verstärkung der Forschung auch eine klare Aufklärung über Sachverhalte, die durch Forschung greifbarer werden.

Sie sehen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, auch aus der Natur kommen Stoffe, die unterschiedliche Wirkungen entfalten können, und das müssen wir umfassend verstehen. Es ist also nicht immer nur die böse Chemie; das darf ich als Chemiker sagen. Wir müssen mehr über Wirkmechanismen von solchen Stoffen auf hormonelle Systeme wissen, das verstehen und daraus vernünftige Schlüsse ziehen.

Ganz besonders im Sinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes bitte ich alle Fraktionen im Hause, auch die Oppositionsfraktionen, diesem

Antrag zuzustimmen und so deutlich zu machen, dass auch ihnen das Thema wichtig ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Saipa. - Das Wort hat jetzt für die CDU-Fraktion Herr Kollege Clemens Groß Macke.

Danke schön. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beschäftigen uns heute wieder einmal mit den endokrinen Disruptoren.

Bei der Einbringung des Ursprungsantrages im Januar 2016 haben Redner aller Fraktionen auf die Wichtigkeit dieses Themas hingewiesen. Gemeinsam haben wir aus diesem Ursprungsantrag einen Antrag entwickelt, der im März-Plenum mit dem klaren Ziel verabschiedet wurde, dass die EUKommission den Beschluss des EU-Parlaments zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vor endokrinen Disruptoren unverzüglich umsetzt.

Heute nun liegt uns der zweite Teil dieses Antrages vor. Doch was uns hier von den Regierungsfraktionen vorgelegt wurde, reicht der CDU-Fraktion nicht. Die CDU-Fraktion hat daher einen Änderungsantrag eingebracht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, strittig ist nicht, dass erweiterte EU-Kriterien für hormonell wirksame Substanzen definiert werden. Strittig ist auch nicht, dass in diesem Bereich die EUForschungsförderung gestärkt wird. Strittig ist ebenfalls nicht, dass die Forderung des EUParlaments nach dem Vorsorgeprinzip unterstützt wird.

Aber, Kollege Saipa - jetzt geht es zur Sache -, auf eine Forderung, die wir zusätzlich erheben, sind Sie nicht eingegangen: Die CDU-Fraktion fordert die Landesregierung auf, für das Land Niedersachsen bis Mitte 2017 ein Konzept zum Umgang mit und möglichst zur Vermeidung der Aufnahme von endokrin aktiven Substanzen vorzulegen.

(Zustimmung bei der CDU)

- Ein Fachmann!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Unding, dass wir bei diesem wichtigen Thema die Landesregierung nur reflexartig bitten sollen, sich bei der

Bundesregierung dafür einzusetzen, dass sich diese bei der EU dafür einsetzen möge, dass... Das ist auch ein Unding vor dem Hintergrund, dass endokrine Disruptoren aufgrund ihrer Wirkungsweise - Kollege Saipa hat ausführlich darauf hingewiesen - in Organismen besonders schwerwiegende Effekte hervorrufen können.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen zur Linken, ich zitiere:

„Bei diesem Thema geht es um die Gesundheit und insbesondere um die Gesundheit der folgenden Generationen. Wir wollen nicht bedauern müssen, dass Sie bis heute nichts getan haben.“

Das ist das Zitat einer Aussage unserer Kollegin Frau Asendorf. Wenn Sie dieser Aussage zustimmen, dann können Sie auch dem CDU-Änderungsantrag zustimmen; denn dieses Zitat hat seine Bedeutung.

Doch die Regierungsfraktionen haben bis heute nichts getan. Sie weigern sich, hier Verantwortung zu übernehmen. Wo bleiben denn seit einem Jahr hier Ansätze im Bereich der niedersächsischen Innovationsförderung? Wo bleibt eine Regierungsinitiative zur Rücknahme von nicht verbrauchten Medikamentenbeständen, die sonst häufig genug über die Toilette entsorgt und - Sie wissen das - auf unseren Äckern ausgebracht werden? - Kollege Hillmer kann Ihnen hier gerne behilflich sein. - Wo bleibt das Programm zur Modernisierung niedersächsischer Kläranlagen, damit diese Stoffe endlich auch ausgefiltert werden können? - Nach meinem Kenntnisstand gibt es nur eine Kläranlage in Niedersachsen, die diese Stoffe herausklären kann. - Und wo bleiben Forschungsprojekte, die den Verbleib im Wasserkreislauf erforschen?

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer weiß denn überhaupt - außer den Rednern hier -, wovon wir reden, wenn wir über endokrine Disruptoren sprechen? - Ich höre fast nichts davon in den Nachrichten. Ich lese nichts davon in den Zeitungen. Wenn der Begriff „endokrine Disruptoren“ in Gesprächen verwendet wird, verdrehen die meisten Menschen die Augen.

Damit es klar ist: Die Landesregierung soll sich nicht darum kümmern, dass der Begriff „endokrine Disruptoren“ unfallfrei ausgesprochen werden kann, sondern sie soll sich darum kümmern, dass endlich etwas getan wird, was der Problemlage gerecht wird, und zwar zeitnah.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn es um Nitrat geht, weiß jeder Bescheid.

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Das können sie aussprechen!)

Da gibt es viele Lösungsansätze. Häufig genug wird die Landwirtschaft verteufelt. Hier höre ich gar nichts. Wenn Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieses Thema wirklich wichtig ist, dann nutzen Sie heute die Gelegenheit und stimmen dem weitergehenden Änderungsantrag der CDU zu.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Große Macke. - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Regina Asendorf.