Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Vielen Dank, Herr Kollege Große Macke. - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Regina Asendorf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unseren Kindern gehen wir regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen. Technikfreaks warten mit der Installation von großen SoftwareUpdates, bis klar ist, dass damit der Rechner nicht lahmgelegt wird. Wenn Kinder ein unbekanntes Gericht auf den Teller bekommen, gucken sie erst einmal, ob auch die Eltern es essen. - Vorsorge gehört zum gesunden Menschenverstand. Das Vorsorgeprinzip ist daher eine wichtige Errungenschaft in der europäischen Umwelt- und Gesundheitspolitik.

Das europäische Vorsorgeprinzip ist auch international anerkannt und findet sich in Abkommen z. B. der Welthandelsorganisation wieder - etwas, worauf Europa mit Recht stolz sein kann. Deshalb hat das Europäische Parlament im März 2013 einen Beschluss zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vor endokrinen Disruptoren - sprich: hormonstörenden Stoffen - gefasst. Allein fünfmal wird in dem Beschluss auf das Vorsorgeprinzip verwiesen, das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankert ist und von der Europäischen Kommission im Jahre 2000 definiert wurde. Es ist also kein abstrakter Begriff, sondern es sind klare Handlungsanweisungen. Es geht um Risikoanalyse, also darum, wie mit einem Produkt oder Verfahren umgegangen werden soll, bei dem damit gerechnet werden muss, dass es gefährliche Folgen haben kann.

(Jörg Hillmer [CDU]: Was machen Sie denn?)

Ein Risiko wird zuerst durch eine wissenschaftliche Bewertung möglichst eingegrenzt, und das Restrisiko wird eingeschätzt.

Meine Damen und Herren, um genau das Restrisiko geht es in diesem politischen Entscheidungsfindungsprozess. Was für die Gesellschaft noch ein zumutbares Restrisiko ist, bleibt am Ende eine Entscheidung mit hoher politischer Verantwortung. Die Sorge darüber findet sich im Beschluss des Europäischen Parlaments wieder, den die Kommission umsetzen sollte. Nach einer Klage vor dem EuGH muss die Kommission diesem Beschluss Folge leisten - für die Bürgerinnen und Bürger Europas ein gutes Zeichen.

Umwelt- und Gesundheitsorganisationen kritisieren, dass die Verordnungsvorschläge der Kommission nicht geeignet sind, das Vorsorgeprinzip für einen wirksamen Schutz von Gesundheit und Umwelt zu gewährleisten. Ja, es wird sogar eine Verschlechterung gegenüber dem bestehenden Schutzniveau befürchtet.

Mit unserem heutigen Beschluss unterstützen wir das Europäische Parlament und fordern damit gleichzeitig die Rechte aus dem Lissabon-Vertrag ein. Das Parlament ist die Legislative, die Kommission die Exekutive - dies ist noch keine Selbstverständlichkeit, sondern muss in Europa durchgesetzt werden. Unser Beschluss ist ein Beitrag dazu und zeigt unseren Wählern, dass auch das niedersächsische Parlament daran beteiligt ist und seine Stimme in Europa erhebt.

Ich bitte Sie daher, diesen Beschluss im Sinne des Schutzes von Gesundheit und Umwelt und im Sinne der demokratischen Zukunft Europas zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asendorf. - Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Horst Kortlang das Wort. Bitte schön!

Hohes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Hormonstörende Stoffe gehören nicht ins Grundwasser - Endokrine Disruptoren erkennen, definieren und die Forschung stärken“. Warum eigentlich, meine Damen und Herren, diese Einschränkung? Die Anti

babypille und die Schilddrüsenhormone gehören doch wohl auch nicht in das Grundwasser!

Genau hier setzt das Problem an. Darauf hat unser werter Kollege Dr. Saipa bereits in seinen Ausführungen im Januar-Parlament detailliert und fachlich gut hingewiesen.

Scheinbar haben einige seine Rede als zu komplexe Vorlesung eingestuft und nicht zugehört, sondern lieber ihren Bauch befragt. Und ihr Bauch ist mit dem Ergebnissen nicht zufrieden - deshalb die Forderung nach Stärkung der Forschung, die hier jetzt allgemein vorgetragen worden ist.

Meine Damen und Herren, die bisherige Forschung hat uns die Erkenntnis gebracht, dass es nicht nur die synthetisierten Stoffe sind, die Probleme bereiten können. Deshalb führt eine Einschränkung an dem Ziel, die Menschen, die Tiere und die Umwelt insgesamt zu schützen, vorbei. Ein Erkenntnisgewinn hier löst das Problem der Allgegenwart dieser Substanzen und ihrer ungewollten Wirkungen absolut nicht.

Im Änderungsantrag der CDU erkenne ich jedenfalls ansatzweise die Forderung, ein Konzept zur Vermeidung der Aufnahme endokriner Substanzen vorzulegen und zu erforschen, wie trotz Aufnahme oder Anwendung dieser Substanzen vermieden werden kann, dass sie in das Grundwasser bzw. die Meere - also in die Nahrungskette der Menschen und der Tiere - gelangen.

Ein Verbot der synthetischen Stoffe mag in Ihren Augen der richtige Weg sein. Nur fragen wir uns, ob Sie die Tragweite Ihrer Forderung sehen. Denn es geht keineswegs nur um Pflanzenschutzmittel. Unser ganzes alltägliches Leben ist fest mit diesen Substanzen verzahnt. Ich nenne nur einige von vielen: Mottenschutzmittel, Farbfixierer, Knitterschutzmittel, atmungsaktive wind- und regendichte Kleidung, Antihaftbeschichtung, Waschmittel, Löschmittel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um 800 Substanzen und mehr. Ja, hier fehlt es an Erkenntnissen. Die müssen wir gewinnen. Aber diese Substanzen wurden und werden schon genutzt. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht weiter in die Nahrungskette gelangen.

Hier könnte - das hat Herr Clemens Große Macke eben schon angesprochen - die thermochemische Vergasung, als die Umsetzung bei hohen Temperaturen bei Luftabschluss, ein möglicher Ansatz sein. Es besteht also Forschungsbedarf, damit die

genutzten Substanzen nicht als solche in die Umwelt gelangen.

Ein schöner Nebeneffekt: Auch Antibiotika - über die wir vorhin schon gesprochen haben - und andere Arzneimittel würden bei diesem Verfahren sicher zerstört. Ihre Allgegenwart führt zu Resistenzen und widerlichen Allergien.

Sie sehen: Die Forschung zur nachträglichen Vernichtung ist unbedingt notwendig. Bitte nehmen Sie diesen Denkanstoß in Ihren Antrag auf!

Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kortlang. - Mir liegt jetzt noch die Wortmeldung der Landesregierung, von Minister Stefan Wenzel vor. Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Große Macke, Sie haben angeregt, insbesondere die End-of-Pipe-Systeme nachzurüsten. Davon wären natürlich die Kommunen betroffen. Sie müssten das herausfiltern, was an anderer Stelle ins System gelangt ist.

Schon heute ist einiges an Mikroschadstoffen im Kreislauf unseres Ökosystems. Das ist eine große Herausforderung. Deshalb haben wir alles darangesetzt, deutlich genauer zu untersuchen: Wo sind die Quellen? Welche Wege gehen diese Stoffe? Welche Bereiche müssen wir hier besonders betrachten?

Mir liegt sehr daran, grundsätzlich an der Quelle anzusetzen. Wir müssen verhindern, dass komplexe chemische Stoffe ins System gelangen. Denn kleine Gemeinden mit ein paar Tausend Einwohnern sind überfordert, wenn sie die vielen Stoffe, mit denen wir es heute zu tun haben, mit ihrer Kläranlage herausfiltern sollen. Und selbst wenn es funktionieren würde, wäre es eine sehr teure Angelegenheit.

Deswegen müssen wir meines Erachtens alles daransetzen, das Vorsorgeprinzip durchzusetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Europäische Union hier auf einen risikobasierten Ansatz umschwenkt. Denn dann würde im Zweifel erst einge

schritten, wenn der Schaden schon eingetreten wäre.

Die europäischen Vorgaben sind hier eigentlich sehr eindeutig. Das Vorsorgeprinzip vermeidet praktisch, dass der Schaden eintritt. Das ist bei den endokrinen Stoffen sehr wichtig, die sehr schwere Folgen für die Gesundheit haben können: sei es, dass sie Krebs auslösen, sei es, dass wir uns Sorgen über die Missbildung von Embryonen oder die Fortpflanzungsfähigkeit, über Reproduktionsschädigungen, über Giftigkeit machen müssen. All diese Stichworte muss man ernst nehmen, zumal diese Stoffe in unserem unmittelbaren Umfeld an vielen Stellen eine Rolle spielen: bei der Beschichtung von Lebensmittelverpackungen, als Weichmacher in Kunststoffen - vielleicht sogar, wie bis vor einiger Zeit üblich, in Kinderspielzeug -, als Flammschutzmittel, als Trafoöl und Holzschutzmittel. Das alles sind Bereiche, die auch für Konsumenten Thema sind.

Wir müssen dafür sorgen, dass diese Stoffe gar nicht erst in die Umwelt gelangen. Deshalb bin ich froh, dass sich der Landtag hier eindeutig für die Stärkung des Vorsorgeprinzips einsetzen will. Wir werden den entsprechenden Beschluss, so er denn gefasst wird, der EU-Kommission übermitteln, um deutlich zu machen, was dieses Parlament für notwendig hält.

Ich will darauf hinweisen, dass Dänemark, die Niederlande und Schweden sich vor wenigen Tagen im Umweltrat sehr deutlich zum Vorsorgeprinzip bekannt haben.

Innerhalb der Bundesregierung gibt es hier offenbar leider keine Einigkeit. Sie hat sich nämlich nicht darauf einigen können, eindeutig für das Vorsorgeprinzip einzutreten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Kontakte nutzen würden, um dafür zu sorgen, dass die Bundesregierung uns in dieser Frage voll und ganz unterstützt.

Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die CDU-Fraktion hat noch Restredezeit. Unter Berücksichtigung der Redezeit der Landesregierung und unter Einbeziehung der Regelung nach § 71 Abs. 3 der Geschäftsordnung kann der Kollege Große Macke jetzt aufgerundet drei Minuten in Anspruch nehmen. Sie haben das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident, die drei Minuten nimmt der Kollege nicht in Anspruch.

Sehr geehrter Herr Minister, nur ein, zwei kleine Anmerkungen: Das Vorsorgeprinzip wird hier von keinem und in keinem Antrag - auch nicht im Änderungsantrag - infrage gestellt. Ich fordere die Niedersächsische Landesregierung noch einmal auf, dem Niedersächsischen Landtag bis Mitte 2017 ein Konzept dazu vorzulegen, wie diese Regierung mit endokrinen Substanzen in Niedersachsen umgehen will.

(Zustimmung bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Meine Damen und Herren, wie der Kollege Große Macke noch einmal deutlich gemacht hat, liegt zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 17/6720 mit der vom Kollegen Große Macke genannten inhaltlichen Forderung vor, der auf eine Annahme des Antrags in einer anderweitig geänderten Fassung zielt.

Der auf Annahme in dieser geänderten Fassung zielende Änderungsantrag entfernt sich inhaltlich weiter als die Beschlussempfehlung vom ursprünglichen Antrag. Nach § 39 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 unserer Geschäftsordnung stimmen wir daher zunächst über diesen Änderungsantrag der CDU-Fraktion ab. Falls er abgelehnt wird, stimmen wir anschließend über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 17/6720 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich frage nach Gegenstimmen. - Gibt es Enthaltungen? - Das Zweite war die Mehrheit. Damit ist dieser Änderungsantrag der CDU-Fraktion abgelehnt. Ihm wurde nicht gefolgt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der sich aus der Beschlussempfehlung ergebenden geänderten Fassung annehmen will, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Ich frage nach Gegenstimmen. - Ich frage nach Enthaltungen. -

Das Erste war die Mehrheit. Sie sind der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt.

Ich rufe auf den