Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir hier über einen Antrag diskutieren, der einvernehmlich beschlossen werden soll und zu dem jeder sagt, dass er eigentlich selbstverständliche Forderungen enthält, dann muss man immer aufpassen, dass das nicht nur weiße Salbe ist, die in bestimmten Situationen irgendwo darüber gerieben wird. Dass wir als CDU-Fraktion diesem Antrag zustimmen, ist selbstverständlich, weil wir natürlich überall für Menschenrechte eintreten.
Ich glaube aber, dass man sich angesichts eines solchen Antrags sehr gründlich darüber unterhalten muss, welche Bandbreite denn bedacht werden muss. Es gibt Richtlinien der Vereinten Nationen nicht nur zum Verhalten von Wirtschaftsunternehmen im Ausland, sondern in den letzten Jahren sind wohl mehr als zehn konkrete Beschlüsse gefasst worden, die geprüft werden müssten. Ich kann sie hier nennen, wenn es gewünscht wird: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte usw. Das geht natürlich so weit, dass man dann auch auf das Menschenrechtsdokument zurückkommen muss, das 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen worden ist und im Grunde als Völkergewohnheitsrecht gilt.
Ich mache Ihnen jetzt einmal an einigen Beispielen deutlich, wie groß die Spannbreite ist, die da zu beachten ist. Claudia Roth war tränenüberströmt in Istanbul, jeder konnte sehen, dass sie an der Demonstration teilgenommen hat, und es wurde deutlich, dass sie solidarisch zu den Demonstranten stand. Die Frage aber ist: Ist die Türkei eine Demokratie? Hat die Türkei nur das Demonstrationsrecht eingeschränkt? Wenn ja, in welchem Maße ist es eingeschränkt worden? - All das müsste vor einer Türkeireise konkret geprüft und genau diskutiert werden, und dann müsste überlegt werden, mit wem man dort sprechen will.
Dann gibt es den ehemaligen Bundeskanzler Schröder - wir haben eine Partnerschaft mit Perm und Tjumen -, und er hat damals gesagt, Putin wäre ein lupenreiner Demokrat. Wenn wir mit Vertretern von Organisationen sprechen wollen, dann müssen wir das wissen und darüber nachdenken, bevor wir dort hinfahren.
Was die sorgfältige Pflege der Partnerschaften angeht, will ich sagen: Ich habe heute Nachmittag einmal bei den Osnabrücker und emsländischen Abgeordneten nachgefragt und mich danach erkundigt, wer denn die Partnerschaften aufzählen kann. Lammerskitten konnte es, weil er im Präsidium ist, die anderen aber nicht. Deshalb müssen wir uns noch einmal über die Partnerschaften unterhalten.
Auch beim Kollegen Tonne klang es eben wieder so durch - ich bin inzwischen lange genug hier und habe mich damit abgefunden -: Auf der linken Seite sind die Guten. - Herr Pistorius hat es auch gesagt: Wir sind die Besseren. - Er meint damit nicht uns.
Es gibt dann noch den Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt. Ich möchte mich damit nicht auseinandersetzen, aber Sozialdemokraten haben zu seinen Äußerungen über Menschenrechte meiner Kenntnis nach bislang kein Wort gesagt. Im Grunde genommen haben sie all das - ja, gut, zum Teil ist es auch peinlich - so hingenommen. Schon 1997 hat er gesagt:
„Die allgemeinen Menschenrechte sind imperialistisch und durch die westliche Kultur bestimmt, insbesondere fördern sie liberalistisch-egoistische Auffassungen und ignorieren Gemeinschaftswerte, wie sie besonders in asiatischen Kulturen gepflegt werden.“
China ist auch eine Partnerregion. Er hat gesagt, er sei dagegen, sich in chinesische Angelegenheiten einzumischen. Wenn wir dahin fahren, müssen wir darüber, meine ich, noch einmal sorgfältig nachdenken.
Ich habe diese Beispiele nicht angeführt, um am Image des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt zu kratzen. Ich möchte das auch gar nicht weiter bewerten. Ich kann das nur mit einem Satz von Nelson Mandela bewerten, der gesagt hat:
„Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern, bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten.“
Das ist unsere Aufgabe: Überall dort, wo Menschenrechte verletzt werden, müssen wir dies deutlich machen, auch wenn wir als Gast ins Land kommen. Das setzt aber voraus, dass sich die betreffende Gruppe vorher zusammensetzt und sorgfältig darüber spricht, damit man die Kriterien und Voraussetzungen kennt. Man muss sich vorher beim Auswärtigen Amt die Informationen besorgen; denn es gibt nichts Schlechteres und keinen schlechteren Dienst, als wenn sich eine Gruppe aus Deutschland und dann auch noch aus dem Niedersächsischen Landtag, die ja per se nicht ohne Weiteres die Welt verändern kann, sondern durch ihr Handeln überzeugen und wirken muss, das vorher nicht genau überlegt; denn vor Ort darf in der Diskussion nicht zwischen Besseren oder nicht so Guten und nicht zwischen moralisch Besseren oder moralisch doch sehr Zweifelhaften unterschieden werden.
Wenn wir den vorliegenden Antrag heute gemeinsam beschließen, dann nehmen wir das Thema auch gemeinsam ernst. Dann heißt das, dass man sich vor jeder Reise sorgfältig damit auseinandersetzen wird. Dann heißt das auch, dass man weiß, wie man es auf der Reise umsetzt. Wenn das alles zusammen passiert, dann ist dies ein guter Beschluss. Wenn das alles zusammen aber nur dazu führt, dass der eine dem anderen vorrechnet, dass er doch ein bisschen besser sei, dann sollten wir den Beschluss sein lassen.
Wir werden zustimmen, weil wir unseren Beitrag leisten wollen, dass es ein guter Beschluss wird. Ich wäre dankbar, wenn auch alle anderen das im praktischen Verlauf von Auslandsreisen dann tun würden.
Zu Wort gemeldet hat sich Helge Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort, Herr Limburg.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rolfes, ich bedaure schon ein bisschen die parteipolitische Schärfe, die Sie in die Debatte hineingetragen haben,
indem Sie einzelne Aussagen z. B. von Helmut Schmidt zitiert haben. Ich möchte das jetzt nicht ausweiten, sondern nur noch ein Beispiel anführen, weil Sie gerade Nelson Mandela zitiert haben. Es gibt ein Interview von Ende der 80er-Jahre mit Norbert Blüm, dem mittlerweile von sehr vielen sehr geschätzten Sozialpolitiker der CDU. In diesem Interview äußerte er sich zur Frage von Sanktionen gegen das brutale Apartheidsregime in Südafrika in etwa so: Also, Sanktionen seien nun der falsche Weg. Damit würde man niemandem helfen. Besser sei doch, Mercedes und die anderen deutschen Konzerne investieren weiter im Apartheidsregime in der Hoffnung, irgendwie zu Veränderungen beizutragen. - Das waren die Äußerungen eines CDU-Politikers. Sicherlich gibt es in der Geschichte aller Parteien Politiker, die problematische Äußerungen gemacht haben. Die jetzt in einer solchen Debatte einzeln herauszuziehen, halte ich nicht für angemessen, meine Damen und Herren.
Um es klar zu sagen und keinen Zweifel aufkommen zu lassen: In der Debatte über die Gültigkeit der Menschenrechte teile ich die Auffassung des Altkanzlers Helmut Schmidt ganz explizit nicht, sondern ich weise sie zurück. Selbstverständlich sind Menschenrechte keine westliche Erfindung. Menschenrechte gelten - darauf haben die Kollegen Oetjen und auch Tonne zu Recht hingewiesen - universell und sind unteilbar. Sie gelten in jedem Erdteil, und sie gelten für jeden Menschen von Geburt an, meine Damen und Herren.
Ich begrüße den Antrag der FDP-Fraktion ausdrücklich. Ich denke, dass es sich dabei um einen internen Lernprozess handelt. Wir haben eine ausführliche Debatte über die Reise des Wirtschafts
ministeriums geführt, die in der Tat auf Grundlagen des Auswärtigen Amtes beruhte. Aber auch das lief sozusagen unter FDP-Ägide. Gleichwohl: Herr Kollege Oetjen hat sich schon in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit Vertretern aller Fraktionen - auch von der CDU, logischerweise auch von der SPD und von den Grünen - an Demonstrationen für die Menschenrechte in Syrien beteiligt. Insofern hat es schon damals einen Ansatz für Einigkeit in dieser wichtigen Frage der Stärkung der Menschenrechte international gegeben.
Ich möchte jetzt noch auf einen ganz anderen Aspekt hinweisen: Es ist zu Recht die Frage nach der Gültigkeit und der Durchsetzungsfähigkeit von Menschenrechten aufgeworfen worden. Herr Rolfes hat bereits den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte angesprochen. Dieser Pakt gilt seit vielen Jahrzehnten. Aber viele Staaten, die ihn unterzeichnet und ratifiziert haben, halten ihn nicht ein.
Er ist damals auch von der Deutschen Demokratischen Republik, von der DDR, unterzeichnet und ratifiziert worden - bereits in den 70er-Jahren -, und er hat bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze eine ganz, ganz entscheidende Rolle gespielt. Die Tatsache, dass die DDR aus politiktaktischen Gründen in den 70er-Jahren diesen Pakt unterzeichnet und sich dazu verpflichtet hat, hat die strafrechtliche Aufarbeitung und die gerechte Strafverfolgung der Täter aus der SED nach der Wende erleichtert.
Da kann man sehen: Auch solche Pakte, die scheinbar zunächst keine unmittelbare Wirkung haben, können - auf die Langstrecke gesehen - ganz, ganz wichtige, konkrete Folgen für die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten haben, meine Damen und Herren.
Ein letzter Punkt noch. Ich begrüße ausdrücklich, was Herr Rolfes angesprochen hat: Es reicht nicht aus, dass wir hier eine Resolution im großen Geist gemeinsam verabschieden, sondern natürlich müssen wir alle in den kommenden Jahren dazu beitragen, dass dieser Antrag ganz konkret - bei jeder kleinen Ausschussreise, bei jeder Delegationsreise - mit Leben gefüllt wird.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oetjen, ich würde ganz gerne als Erstes noch einmal auf Ihren Hinweis eingehen. Ich habe mich ein bisschen über die Wortwahl gewundert, als es darum ging, dass Sie sich wünschen, dass die neue Landesregierung die „Besuchsprogramme“ fortsetzt. Vielleicht klären wir an dieser Stelle mal den Begriff auf. Wenn wir in Zukunft Delegationsreisen machen, dann sind das Arbeitsbesuche bzw. Arbeitsprogramme, und darauf legen wir großen Wert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie in allen demokratischen Staaten der Welt wird den universellen Menschenrechten, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarates oder der Charta der Grundrechte der Europäische Union enthalten sind, selbstverständlich auch in Niedersachsen ein hoher Stellenwert beigemessen. Das ergibt sich übrigens nicht zuletzt bereits aus der ausdrücklichen Aufnahme dieses Rechtsgutes in die Niedersächsische Verfassung, wo es in Artikel 3 Abs. 1 heißt:
„Das Volk von Niedersachsen bekennt sich zu den Menschenrechten als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit.“
Die Landesregierung ist sich der Bedeutung der Menschenrechte bewusst und versteht diese als eine ihrem Handeln zugrunde liegende und alles bestimmende Leitlinie, die bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen ist. Dementsprechend verurteilt die Landesregierung Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich - egal, in welchem Land sie verübt werden.
Die Landesregierung ist sich dabei ihrer Verantwortung bewusst, auch im Umgang und in Gesprächen mit Regierungsvertretern anderer Staaten kritische Themen anzusprechen. Darum ist der Einsatz für Menschenrechte für die Landesregierung auch bei Terminen im Ausland kein Tabu. In politischen Gesprächen mit anderen Regierungen ergibt sich die Gelegenheit, Fragen zur Einhaltung
der Menschenrechte in angemessener Form und in enger Abstimmung mit der für die auswärtige Politik zuständigen Bundesregierung zu stellen und diese gegebenenfalls auch anzumahnen.
An dieser Stelle möchte ich aber gleichwohl darauf hinweisen, dass Wirtschaftsdelegationsreisen unter politischer Leitung meines Hauses vor allem ein wichtiges Instrument der Außenwirtschaftsförderung sind und damit primär der weiteren Internationalisierung des Standorts Niedersachsen und seiner Unternehmen dienen sollen. Naturgemäß werden dabei in erster Linie Belange der hiesigen Wirtschaft vertreten, für die wir mit den Reisen eine wichtige Türöffnerfunktion übernehmen. Dementsprechend haben auch politische Gespräche im Rahmen von Wirtschaftsdelegationsreisen in der Regel einen rein wirtschaftlichen Bezug und werden üblicherweise mit Regierungsvertretern der Ressorts Wirtschaft, Industrie, Handel, Energie, Transport und Verkehr geführt. Dies schließt aber selbstverständlich die Thematisierung von Menschenrechtsfragen nicht aus.
Unabhängig davon müssen aber die politische Lage und die Situation der Menschenrechte in einzelnen Ländern und Regionen bereits bei der Auswahl von Zielländern für Wirtschaftsdelegationsreisen, die im Ermessen des Ministerpräsidenten oder seiner Fachminister liegen, berücksichtigt werden. Wirtschaftliche Kontakte unterstützt die Landesregierung nur in Ländern und Regionen, die idealerweise demokratische Strukturen oder aber mindestens so weit verlässliche Strukturen aufweisen, dass die Menschen dort weitgehend sicher leben können. In die Bewertung werden regelmäßig dabei auch die landesspezifischen Hinweise und Berichte des Auswärtigen Amtes einbezogen.
Aber gestatten Sie mir den Hinweis: Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion schon fragen, warum die Beachtung der Menschenrechte bei Delegationsreisen nicht schon zu einer Zeit Thema geworden ist, als sie noch die Landesregierung trug. Sie hatten immerhin - Herr Tonne hat darüber bereits berichtet, aber ich darf das noch einmal sagen - von 2003 bis 2013 Zeit dazu. Ihr offenbar großes Interesse an dem Thema haben Sie in dieser Zeit aber eher zurückhaltend behandelt und die Reiseziele lieber nach dem Motto ausgewählt: „Da wollte ich schon immer mal hin.“ Möglicherweise ist das der Eindruck, den man bekommt.
Zumindest - das darf man, glaube ich, sagen - hatten Sie bei der Auswahl der Reiseziele nicht immer eine wirklich glückliche Hand. Die Delegationsreise des früheren Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium nach Syrien im Februar 2011 - wir haben davon gehört - spricht nicht gerade für Fingerspitzengefühl, auch wenn gesagt wird, zu dieser Zeit habe es noch keine Hinweise auf die spätere Eskalation im Lande gegeben.
Syrien ist ja nicht über Nacht vom demokratischen Vorzeigeland in der Region zu einer Despotie geworden. Es war bereits vorher eine glasklare und für alle erkennbare Diktatur, bereits begründet von dem Vater des jetzigen Präsidenten. Dass in Syrien auch in den Jahren vor der Reise schwere Menschenrechtsverletzungen erfolgt sind, hat nicht nur Amnesty International geschrieben, sondern auch das Auswärtige Amt. Hier wäre es sicherlich sinnvoll gewesen, die Interessenlage genauer abzuwägen.