Protokoll der Sitzung vom 22.11.2016

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Nacke, ich möchte

verschiedene Punkte aus Ihrem Redebeitrag aufgreifen.

Zum einen: Wir sind uns vollkommen einig, dass das mit dem Schulgesetz nicht vereinbar ist.

(Zurufe von der CDU: Aha!)

- Das hat auch keiner hier im Raum in irgendeiner Form infrage gestellt. Es geht vor allem um die Folgen, die daraus erwachsen.

(Zuruf von der CDU: Doch, Ihr Vor- redner! - Gegenruf von Helge Limburg [GRÜNE]: Sie haben nicht zugehört! Das ist ja unglaublich!)

- Darf ich meinen Gedanken zu Ende führen? Das wäre, glaube ich, sehr hilfreich für die Debatte.

Mit den Sanktionsmaßnahmen, die Sie gegenüber den Eltern fordern, Herr Nacke - und Sie haben sie ja angeführt -, verlassen Sie allerdings das Schulgesetz und begeben sich in den Bereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Das ist unter Umständen möglich. Aber ob das zielführend und auch rechtlich sauber ist, weiß ich nicht,

(Zurufe von der CDU)

vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass bei diesem jungen Menschen Religionsmündigkeit besteht.

Es kam der Hinweis - ich weiß nicht mehr, woher -, dass der Bürger auf der Straße das nicht versteht. Das ist tatsächlich wahr. Vielen kann man, glaube ich, diese Thematik schwer vermitteln; man kann nur schwer damit umgehen. Das ist kein einfaches Themengebiet. Aber die Frage ist doch: Wie versteht es dieses Mädchen?

Ich glaube, gerade im schulischen Bereich macht es Sinn, die pädagogischen Maßnahmen wirken und greifen zu lassen. Das haben vor allem die erfolgreichen Fälle gezeigt. In vier Fällen von Vollverschleierung wurde nach Gesprächen, nach Einwirken durch schulisch-pädagogische Arbeit die Vollverschleierung abgenommen. Ich glaube, dass die Härte des Staates zum Tragen kommt, ist bei einem Mädchen von 15 Jahren in dieser Form nicht angebracht.

Das andere ist die Koranverteilung. Sie haben schon richtigerweise gesagt, bei der Verteilung des Korans geht es nicht um die religiöse Praxis, sondern um Rekrutierung sowie die Bekanntmachung und Stärkung der eigenen Strukturen. Insofern sind wir da auch einig. Aber auch da gilt - das hat der Innenminister richtig ausgeführt -: Der Rechts

staat kann wirken, wenn rechtstaatliche Prinzipien eingehalten werden. Das gilt auch hier: Das muss vollkommen wasserdicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Onay, eine kurze Unterbrechung! Herr Thiele würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ich möchte meinen Gedanken gerne zu Ende führen. Wenn dann noch Zeit ist, gerne.

Und da, Herr Nacke, muss ich mich über den Hinweis auf Ihre Regierungspraxis schon echt wundern. Der Umgang mit der angeblichen Bekämpfung von Terrorismus war der absolute Tiefpunkt im Verhältnis zu der muslimischen Minderheit, zu den muslimischen Gemeinden hier im Lande.

Ich erinnere mich noch an die Moscheekontrollen, um nur einen Punkt zu nennen. Die waren gestützt auf § 12 Abs. 6 SOG. Damals war ich noch nicht Mitglied im Landtag. Aber ich habe mir die Anhörung im Innenausschuss angehört, und ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie die Rechtsexperten diese Praxis auseinandergenommen haben, dass sie darauf hingewiesen haben, dass das mit der Religionspraxis nicht vereinbar war, dass das im Grunde Razzien waren, die gar nicht auf § 12 Abs. 6 zu stützen waren usw. usf.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!)

Insofern ist Ihre damalige Praxis absolut nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren vereinbar gewesen. Das ist auch kein Musterbeispiel für die heutige Praxis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bitte, Herr Thiele.

Herr Thiele, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Herr Onay, ich komme auf den ersten Teil Ihrer Ausführungen zurück. Sie haben dargestellt, dass Sie es nicht für verhältnismäßig halten, wenn jetzt Ordnungsmaßnahmen gegen das Mädchen ergriffen würden. Daraus ergeben sich zwei Fragen:

Warum schließen Sie gleichermaßen Ordnungsmaßnahmen gegen die Eltern des Mädchens aus?

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Das hat er doch gerade erklärt!)

- Nein, das hat er nicht erklärt.

Und warum geben Sie keine Antwort auf die jetzt mehrfach aufgeworfene Frage, was denn passieren wird, wenn dieses Mädchen sich nach Beendigung der Oberschule, ihrer Schulpflicht folgend, an einer Berufsschule anmeldet und sich dann auf die Situation beruft, die sie in der Oberschule vorgefunden hat?

Wenn das Problem jetzt nicht gelöst wird, wird es virulent bleiben, und es wird größer werden. Darum bitte ich alle Beteiligten darum, es jetzt zu lösen und im Zweifel auch Ordnungsmaßnahmen gegen die Eltern zu ergreifen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von den GRÜNEN: Auf welcher Rechtsgrund- lage denn, Herr Thiele?)

Herr Onay, Sie haben das Wort.

Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, wir müssen dieses Problem lösen. Es ist tatsächlich ein Problem. Aber ich glaube, wir können das Problem nur lösen, wenn wir dieses Mädchen nicht verlieren. Das wäre im Nachhinein wahrscheinlich ein noch größeres Problem. Deshalb braucht es diese Gespräche. Deshalb braucht es den Draht. Deshalb braucht dieses Mädchen auch einen Abschluss, damit sie zumindest eine Perspektive hat, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Das andere sind die Ordnungswidrigkeiten. Ich habe schon auf die Religionsmündigkeit des Mädchens hingewiesen. Ich weiß nicht, wie Sie da den Bogen auch zur Verantwortlichkeit der Eltern spannen wollen. Wir können uns gern noch einmal darüber unterhalten. Aber nach wie vor halte ich meine Meinung aufrecht, dass es sich um einen Einzelfall handelt - bei 800 000 Schülern ist es eine einzige Schülerin, die in dieser Art und Weise agiert -, der, glaube ich, keinen Präzedenzfall darstellt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Onay. - Frau Ministerin, Sie haben sich zu Wort gemeldet. Ich halte Sie damit einverstanden, dass jetzt erst Herr Dr. Birkner, dann der Innenminister und dann Sie dran sind. - Okay. Herr Dr. Birkner, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Anmerkungen. Erste Anmerkung: Herr Watermann hat hier von Vorurteilen gesprochen, die zu unserer Regierungszeit die treibende Kraft gewesen seien. Herr Onay hat von einem Tiefpunkt im Umgang mit islamistischen Tendenzen gesprochen, Stichwort: Moscheekontrollen.

Genau das scheint mir ein Problem zu sein, nämlich dass Sie aus einer solchen Perspektive kommen. Genau das scheint mir die Ursache dafür zu sein, dass diese Verunsicherungen im Umgang damit jetzt entstanden sind. Sie nehmen aus Ihrer Sicht wahr, das Pendel ist zu weit in eine Richtung ausgeschlagen. Was Sie jetzt faktisch machen, ist, dass Sie das Pendel in die andere Richtung ausschlagen lassen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Dabei werden Sie langsam so bitter von der Realität eingeholt. Deshalb hinken Sie diesen Entwicklungen komplett hinterher und nehmen die Realitäten nicht wahr.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, Herr Minister, ist folgender: Sie haben, wie ich finde, eine Ihnen nicht zustehende Bemerkung zum Parlamentarismus und zum Verständnis hier gemacht, verknüpft mit der Unterstellung, dass die Fraktionen von CDU und FDP sich nicht an Recht und Gesetz halten würden, weil man von Ihnen verlange, etwas zu tun, wofür Sie keine rechtliche Grundlage sehen, sprich: hier ein entsprechendes Verbot dieser Organisation, was Koranverteilungsaktionen angeht, auszusprechen.

Das muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen. Denn das wirft ein Licht auf ein bemerkenswertes Verständnis Ihrerseits, was den Parlamentarismus angeht, ein Verständnis, das wirklich schon grenzwertig ist; denn wir als Oppositionsfraktionen haben ja die Aufgabe, Sie zu kontrollieren. Wenn ich

einmal die HAZ vom 17.11. zitieren darf; da heißt es:

„Das niedersächsische Innenministerium teilt dagegen mit, der Fachebene Vereinsrecht sei nicht bekannt gewesen, dass der Verein ‚Der Schlüssel zum Paradies‘ auch Lies!Korane verteilt habe.“

Angesichts dessen ist es eine Frechheit, meine Damen und Herren, dass Sie sich hier hinstellen und behaupten, wir würden sagen, Sie sollten gegen das Gesetz tätig werden. Wir werfen Ihnen vor, dass das, was von Ihrer Behörde in der Zeitung steht, stimmt, dass Sie das nicht ernst nehmen und dass in diesen Punkten gar nicht die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, um das, was Sie hier behaupten, zu unterfüttern.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Sie haben es noch nicht einmal geschafft, die Bera- tungsstelle mit den muslimischen Verbänden einzurichten!)

Wenn das Ihre Art und Weise ist, Politik zu machen und mit der Sicherheit im Lande umzugehen, dann wundert mich nicht, dass hier einiges aus dem Ruder läuft, Herr Minister.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)