Protokoll der Sitzung vom 22.11.2016

Dieser Kurs ist insgesamt nach meiner festen Überzeugung zwingend notwendig. Was würde sonst passieren in 10 oder in 15 Jahren, wenn wir jetzt nicht die Entscheidungen treffen? Jeder von uns kann sich die Antwort selbst ausmalen.

Wir sind uns dabei auch der Veränderungen in der Zuliefererindustrie bewusst, die für uns in Niedersachsen eine sehr große Bedeutung hat. Aus diesem Grund wird Wirtschaftsminister Olaf Lies Anfang Dezember mit Repräsentanten der Branche zusammentreffen. Schon die bisherigen Gespräche haben gezeigt, dass sich alle Beteiligten der anstehenden Veränderungen sehr wohl bewusst sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Volkswagen macht ernst mit dem größten Umbauprozess in

seiner Geschichte. Alle Beteiligten haben dabei eine große Verantwortung. Das gilt für das Management ebenso wie für die Arbeitnehmervertreter und die Anteilseigner. Ich bin dem Vorstand und dem Betriebsrat sehr dankbar für das Verantwortungsbewusstsein, mit dem diese weitreichenden Vereinbarungen ausgehandelt worden sind.

Die Landesregierung wird diesen Kurs unterstützen - aus der Überzeugung heraus, dass jetzt die Weichen für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gestellt werden. Volkswagen macht mit dem Zukunftspakt einen großen Schritt. Niedersachsen wird am Ende davon profitieren. Davon bin ich überzeugt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten gut 18 Minuten gedauert hat. Nach unseren Gepflogenheiten erhalten für die nun folgende Aussprache die beiden großen Fraktionen die gleiche Redezeit und die beiden kleinen Fraktionen die Hälfte dieser Redezeit. Das bedeutet - in Zahlen - für die Fraktionen der CDU und der SPD jeweils 18 Minuten und für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der FDP jeweils 9 Minuten.

Wir haben bei den Regierungserklärungen eine Tradition, in welcher Reihenfolge erwidert wird. Es beginnt die CDU, dann folgt die SPD, dann die FDP und dann Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Thümler, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Arbeitsteilung, schlechtes Timing oder Affront gegen das Parlament, oder düpiert der Markenvorstand von VW die Mitglieder der Landesregierung im Aufsichtsrat?

Seit genau sieben Minuten findet in Wolfsburg eine Pressekonferenz des Markenvorstands Diess statt, in der dieser die Öffentlichkeit über Details des Zukunftspaktes unterrichten will, der letzten Freitag beschlossen worden ist. Ich finde, Herr Ministerpräsident, Sie hätten sich mit Ihrer Regierungserklärung etwas mehr Mühe geben müssen und nicht das Wissen aus dem Handelsblatt vom Freitag

letzter Woche hier referieren dürfen, sondern Sie hätten dieses Parlament umfänglich über das unterrichten müssen, was Herr Diess heute um diese Zeit in Wolfsburg macht.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist kein Umgangsstil, offenbart aber sehr deutlich, dass der Vorstand des weltgrößten Automobilkonzerns auf seinen Großaktionär Niedersachsen im Grunde genommen keine Rücksicht nimmt und ihn als solchen nicht betrachtet. Anders ist ein solcher Affront nicht zu erklären. Ich finde, das Parlament hat ein Recht darauf, noch heute zu wissen, was Herr Diess dort in Wolfsburg verkündet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Zeit des Schönredens und Gesundbetens bei Volkswagen ist seit Freitag vorbei. Seit Freitag hat sich die Gewissheit verdichtet, was viele Verantwortliche, auch der Ministerpräsident, viel zu lange nicht auszusprechen wagten.

(Zuruf von Susanne Menge [GRÜNE])

Die Folgen der Abgasaffäre zwingen Volkswagen - - -

Herr Thümler, einen Moment! - Möchten Sie eine Zwischenfrage stellen, Frau Menge?

Das ist nicht gewünscht und wird auch nicht erlaubt. Danke.

Die Folgen der Abgasaffäre zwingen Volkwagen zu einem radikalen Modernisierungsprozess, der Volkswagen grundlegend dauerhaft verändern wird.

Herr Weil, noch Ende Januar haben Sie sich heftig gegen Spekulationen über einen Jobabbau bei Volkswagen gewehrt. Sie empfahlen damals im Interview mit der Nordwest-Zeitung, Spekulationen über einen angeblichen Stellenabbau nicht zu hoch zu hängen. Da sei nichts dran.

(Jörg Bode [FDP]: Genau!)

Wenige Monate später, am 13. April 2016, erklärten Sie hier in einer Unterrichtung des Niedersächsischen Landtages:

„In den vergangenen Wochen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Volkswagen durch eine ganze Reihe von Meldungen verunsichert worden. Ein massiver Arbeitsplatzabbau sei geplant.“

Demgegenüber hat der Vorsitzende des Vorstandes, Matthias Müller, wiederholt erklärt, die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft seien gesichert. Dies deckt sich mit der Einschätzung der Landesregierung.

Herr Weil, ist es wirklich eine neue Erkenntnis der letzten Monate, dass der Abgasskandal milliardenschwere Rückstellungen erfordert, dass Volkswagen weitere schwer kalkulierbare Prozessrisiken drohen und dass die Kernmarke VW chronisch ertragsschwach ist?

Am Ende hat sich das bewahrheitet, was VWMarkenvorstand Herbert Diess bereits im Frühjahr dieses Jahres angedeutet hat. Er ist damals vom wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion heftig deswegen angegangen worden. Ich bin mir sicher, dass Herr Will dies nicht ohne Rückendeckung der Landesregierung und der beiden Vertreter des Landes im Aufsichtsrat von Volkswagen getan hat.

Ich frage mich deshalb, Herr Lies und Herr Weil: Warum hat man den Betroffenen nicht frühzeitiger reinen Wein eingeschenkt und sie nicht darauf vorbereitet, was sie dort erwartet?

(Jens Nacke [CDU]: So ist es!)

Die Verabredung, auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 zu verzichten, ändert nichts daran. An den niedersächsischen VW-Standorten werden in den nächsten Jahren massiv Arbeitsplätze abgebaut. Jeder fünfte Arbeitnehmer verliert seine Beschäftigung, meine Damen und Herren. Das sind die Fakten vom letzten Freitag.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch Ihnen, Herr Weil, muss doch klar sein, dass sich der Abbau von 23 000 Arbeitsplätzen in bestimmten Produktionssegmenten nicht mit dem angekündigten Stellenaufwuchs im IT-Bereich von 9 000 Stellen verrechnen lässt. Man kann diese Milchmädchenrechnung machen. Das führt aber doch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Irre. Das geht so gar nicht, meine Damen und Herren!

Der Ministerpräsident hat seit Beginn der Abgasaffäre beständig den Eindruck vermittelt, dass er umfassend aufklären will. Ständig konnten wir aus dem Munde des Ministerpräsidenten hören, dass die Aufklärung der Abgasaffäre auf einem guten Weg sei. Warum aber erreichen uns dann noch immer Woche für Woche neue Hiobsbotschaften? Ich frage mich: Wo bleibt der unbedingte Aufklärungswille der Verantwortlichen, um das notwendige Vertrauen in die treuen VW-Kunden und auch in die eigene Belegschaft zurückzugewinnen? - Das Verhalten des Vorstandsvorsitzenden von VW vom Wochenende jedenfalls ist sicherlich wenig dazu geeignet, Vertrauen zurückzugewinnen. Die Beschimpfung von Kunden, dass sie nicht genug E-Autos von VW kaufen, halte ich für eine ganz schlimme Entgleisung, die grundsätzlich die Marke weiter nach unten führt und nicht nach oben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies zeigt deutlich, wie blank die Nerven liegen, meine Damen und Herren.

Immerhin: Es gibt nun bei VW einen Plan, wie es weitergehen soll. Vorstand und Betriebsrat haben sich in enger Abstimmung darauf verständigt. Allerdings hätte ich mir seitens des Vorstandes am Freitag auch ein deutliches Signal des Verzichts gewünscht. Wer einen sozialverträglichen Stellenabbau vereinbart, der darf eben nicht vor den Boni der Vorstandsetage haltmachen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Gudrun Pieper [CDU]: Ganz genau!)

Die Akzeptanz für die Umsetzung des Zukunftspaktes bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Volkswagen wäre umso höher, wenn auch das Management endlich ein Signal des Verzichts setzen würde, meine Damen und Herren, und wenn es nicht diese ziemlich zweifelhafte Boniregelung gäbe, die Sie mit ausgehandelt haben, weil sie am Ende mehr bringt, als sie vorher gebracht hätte.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie, Herr Weil, haben dazu in Ihrer heutigen Regierungserklärung so gut wie gar nichts gesagt. Sie haben damit wieder einmal eine große Chance verpasst, genau auf diesen dezidierten Umstand hinzuweisen und ein deutliches Signal an die Arbeitnehmerschaft von VW zu senden. Sie wären doch gerne der Genosse der Bosse. Aber auch dafür reicht es nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Haben Sie das, was Sie im Frühjahr mit Blick auf die Begrenzung der Boni versprochen haben, inzwischen wieder komplett vergessen?

Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten war häufig von Zukunftsperspektiven und Zukunftschancen die Rede. Ob allerdings das radikale Umsteuern von Volkswagen hin zu mehr Elektromobilität die niedersächsischen VW-Standorte am Ende wirklich dauerhaft stärkt, ist längst noch nicht ausgemacht.

Der Betriebsratschef von Daimler hat im manager magazin vom 18. November 2016 berechtigte Fragen gestellt, die in ähnlicher Weise auch auf Volkswagen zutreffen: Der Übergang zur Elektromobilität gefährdet allein beim Autokonzern Daimler 10 000 Arbeitsplätze. - Das sagt der Betriebsratsvorsitzende Michael Brecht gegenüber dem manager magazin.

„Ohne Ausgleich bliebe von heute sieben Arbeitsplätzen in der Motoren- und Aggregatfertigung nur einer übrig“, sagte Brecht. - Von sieben nur einer!

Ähnliche Fragen dürften sich auch viele Betriebsräte bei Volkswagen und vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen. Ist es dann wirklich klug, wenn der Vorstand von Volkswagen jetzt quasi alternativlos auf Elektromobilität setzt, ohne die Möglichkeiten von Übergangstechnologien wie Hybridmotoren, Plug-in-Hybrid, Brennstoffzellenantrieb und auch hoch effiziente Verbrennungsmotoren, die mit klimafreundlichen Kraftstoffen betrieben werden können, eingehender zu prüfen?

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Auch viele Experten, meine Damen und Herren, haben daran berechtigte Zweifel. Es drängt sich eine ganze Reihe von Fragen auf, die uns beschäftigen und auf die wir von der Landesregierung schon bald konkrete Lösungsvorschläge erwarten.