Protokoll der Sitzung vom 22.11.2016

Das alles ist ein schmerzhafter Prozess, dem sich Volkswagen stellen muss - auch um verloren gegangenes Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Volkswagen kann auf eine großartige Unternehmensgeschichte zurückblicken. Teil dieser Vergangenheit sind aber eben auch völlig inakzeptable Verhaltensweisen, für die das Unternehmen jetzt geradestehen muss.

(Beifall bei der SPD - Ulf Thiele [CDU]: Also doch! Es hieß doch, das hat nichts mit Dieselgate zu tun!)

So sehr Dieselgate auch die aktuelle Berichterstattung über Volkswagen dominiert, so liegen die Ursachen dieses Skandals dennoch in der Vergangenheit. Die noch größeren Herausforderungen für Volkswagen liegen dagegen in der Zukunft.

Da geht es zunächst einmal um die dringend gebotene Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Marke Volkswagen. Es führt kein Weg um die Erkenntnis herum, dass die Profitabilität der Marke Volkswagen unzureichend ist. Dabei geht es der Landesregierung selbstverständlich nicht um Traumrenditen. Gerade mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen muss Volkswagen aber in der Lage sein, notwendige Investitionen selbst zu

finanzieren. Dafür ist eine uneingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit zwingend geboten. Dauerhaft gute Wettbewerbsfähigkeit ist die Grundlage dafür, dass Volkswagen auch in der Zukunft erfolgreich sein kann.

Diese Zukunft - das ist der Hauptaspekt - wird sich fundamental von der bisherigen Geschichte des Automobilbaus unterscheiden. Von Anfang an - gewissermaßen seit Karl Benz - war der Verbrennungsmotor das Herzstück des Automobils. Das wird sich nach und nach, aber unabweisbar ändern. Alternative Antriebe, insbesondere die Elektromobilität, rücken zunehmend in den Mittelpunkt. Das ist für die ganze Industrie und folglich auch für Volkswagen ein Paradigmenwechsel.

Dazu kommt eine zweite, nicht minder große Herausforderung: Das Auto der Zukunft wird Teil des Internets sein. Es wird durch immer mehr elektronische Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren geprägt sein. Das Auto der Zukunft wird ganz neue Serviceangebote für seine Benutzer anbieten. Das Auto der Zukunft wird durch und durch digital vernetzt sein. Das alles sind grundlegend neue Bedingungen für die Automobilindustrie, die sich obendrein in dieser Hinsicht mit ganz neuen Wettbewerbern aus der IT-Wirtschaft konfrontiert sieht, z. B. aus der IT-Wirtschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Volkswagen stellt sich entschlossen und konsequent diesem Umbruch. Mit einer neuen Strategie hat der Konzernvorstand vor einigen Monaten die dafür notwendigen Schwerpunkte definiert. Die Zukunft von Volkswagen liegt in einem konsequenten Umstieg auf die Elektromobilität und in einer konsequenten Digitalisierung. Das sind die Eckpfeiler dieser Strategie.

Volkswagen hat sich das Ziel gesetzt, auch in der neuen Autowelt Marktführer zu sein - sowohl bei der Elektromobilität als auch bei der vernetzten Mobilität. Damit leistet Volkswagen übrigens auch einen eigenen substanziellen und wichtigen Beitrag für den Umwelt- und Klimaschutz. Dieser Aspekt, finde ich, verdient besondere Unterstützung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In diesen Tagen erfolgen entscheidende Schritte, um die Zukunftsstrategie in die Realität umzusetzen. Am vergangenen Freitag haben Vorstand und Betriebsrat von Volkswagen einen Zukunftspakt miteinander vereinbart.

Mit diesem Zukunftspakt ist der wohl größte Umbauprozess in der Unternehmensgeschichte verbunden. Das gilt auch für die niedersächsischen Standorte. Deswegen hat sich die Landesregierung intensiv an der Diskussion innerhalb des Unternehmens beteiligt. Wir wissen, dass nur ein erfolgreiches Unternehmen bei uns in Niedersachsen sichere Arbeitsplätze bereitstellen wird. Wir haben aber auch keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass diese erfolgreiche Zukunft von Volkswagen hier bei uns in Niedersachsen stattfinden muss. Uns geht es um klare Zukunftsperspektiven für die niedersächsischen Standorte.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dabei haben wir uns in einem engen Schulterschluss mit dem Betriebsrat für die Interessen der Beschäftigten bei Volkswagen eingesetzt. Das Land Niedersachsen fühlt sich gerade auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber verpflichtet.

Dabei wird es nicht ohne Veränderungen und Einschnitte gehen. Insgesamt können nach den derzeitigen Planungen - die übrigens immer wieder Anpassungen unterliegen werden - bei Volkswagen in Deutschland insgesamt über die nächsten Jahre bis zu 23 000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Abbau erfolgt zum einen entlang der demografischen Kurve und durch Angebote für einen freiwilligen vorgezogenen Ruhestand zu auskömmlichen Bedingungen.

(Ulf Thiele [CDU]: Stimmt es, dass Azubis nicht übernommen werden?)

Bis zum Jahr 2025 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Volkswagen fühlt sich unverändert seinem sozialen Anspruch verpflichtet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Dr. Stefan Birkner [FDP]: Was ist mit den Leiharbeitern?)

Anders als der Vorruhestand beruht das Auslaufen von Leiharbeitsverhältnissen eben nicht auf einer eigenen Entscheidung der Betroffenen. Das ist bitter für die Betroffenen und auch für uns. Deswegen erwartet die Landesregierung vom Volkswagenvorstand, sich über die Autovision auch intensiv um neue Beschäftigungsperspektiven für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bemühen. Die Autovision muss alles daransetzen, diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu unterstützen. Ich war sehr froh zu hören, dass sich

der Volkswagenvorstand diese Erwartung auch zu eigen gemacht hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auf der anderen Seite werden in dem Zeitraum bis zum Jahr 2020 insbesondere auch bei uns in Niedersachsen etwa 9 000 zukunftsfähige Arbeitsplätze aufgebaut werden, vornehmlich in der IT und in anderen Zukunftsbereichen. Diese Zukunftsinvestitionen haben einen absoluten Schwerpunkt bei den niedersächsischen Standorten, und das ist ein wichtiges Zeichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet diese Vereinbarung nun genau für Niedersachsen und für die niedersächsischen Standorte? Diese Frage lässt sich zum Teil konkret beantworten, in manch anderer Hinsicht dagegen nur in der Tendenz. Zunächst einmal: Bei uns in Niedersachsen schlägt das Herz von VW, und hier sind mit Abstand die meisten deutschen VW-Arbeitsplätze vorhanden. An den sechs niedersächsischen Standorten sind es derzeit etwa 105 000 Menschen; das sind etwa vier Fünftel aller deutschen VW-Arbeitsplätze.

Aufgrund der Altersstruktur sowie der vorhandenen Arbeitsplätze können in den nächsten Jahren bis zu 17 500 Arbeitsplätze von einem Abbau betroffen sein; ich betone: bis zu. Ob sie in dieser Größenordnung wegfallen, ist u. a. davon abhängig, wie viele ältere Beschäftigte freiwillig früher ausscheiden. Aber eines ist klar: Der Verlust von Industriearbeitsplätzen in einem solchen Ausmaß ist eine sehr bittere Pille, und da ist auch nichts zu beschönigen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das betrifft die jeweiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das betrifft aber auch den Arbeitsmarkt in den jeweiligen Regionen. Lassen Sie mich aber auch hinzufügen: Bei allem Bedauern erkennt die Landesregierung an, dass dieser Kurs notwendig ist. Ich will noch einmal betonen: Es geht jetzt darum, die Zukunft von Volkswagen insgesamt zu sichern, und das muss für uns alle vorrangig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch bei dem Aufbau neuer Arbeitsplätze steht Niedersachsen im Mittelpunkt. Es geht um bis zu 7 500 entweder umgewandelte oder neue Stellen.

Im Saldo sprechen wir also für Niedersachsen über einen Abbau von etwa 10 000 Jobs. Das entspricht etwas weniger als 10 % des Status quo.

Noch schwieriger ist eine konkrete Angabe für die einzelnen Standorte; denn wir wissen nicht, wie viele Beschäftigte an welchen Standorten vorzeitig ausscheiden werden. Präziser sind dagegen die Perspektiven der niedersächsischen Werke. Es gehört zu den großen Vorzügen des Zukunftspakts, dass auf dieser Grundlage jedem Standort klare Aufgaben zugewiesen werden. Von besonderem Interesse ist dabei natürlich Wolfsburg; denn dort befindet sich eine der größten Automobilfabriken der Welt. Der Zukunftspakt legt fest, dass Wolfsburg in Zukunft nicht nur ein Schwerpunkt der Produktion von Elektrofahrzeugen sein wird, sondern auch das Zentrum für die Entwicklung der Elektromobilität der gesamten Marke. In Wolfsburg wird 2020 das erste wirkliche Volumenmodell auf der Basis eines Elektromotors gefertigt werden. Ebenso ist Teil der Vereinbarung, dass sich in Wolfsburg das IT-Zentrum von Volkswagen befinden wird. Nicht nur beim Abbau, sondern auch beim Aufbau von Arbeitsplätzen steht Wolfsburg also im Mittelpunkt der Überlegungen.

Für die Landesentwicklung ist in diesem Zusammenhang vor allen Dingen der Aufbau von neuen, zukunftsgerichteten Strukturen im Osten unseres Landes wichtig. Damit bietet sich die Chance, in der Region Braunschweig ein regionales Cluster für Elektromobilität und IT zu etablieren, eine Chance, die das Unternehmen, die Region und das Land gemeinsam beherzt nutzen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das gilt auch für die Werke in Braunschweig und in Salzgitter. Diese Komponentenwerke werden ihr Portfolio umstellen und sich auf zukunftsfähige und profitable Module konzentrieren. Braunschweig wird das Leitwerk für Fahrwerke, für Lenkungen und für Batteriesysteme. Salzgitter wird gemeinsam mit Kassel verantwortlich für den Elektromotor. In Braunschweig wird die erste Generation von Batterien für den modularen Elektrobaukasten gefertigt. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch, dass für Salzgitter der Probebetrieb für eine zukünftige Batteriezellenproduktion vorgesehen ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Das ist nicht die abschließende Entscheidung über die Serienfertigung von Batteriezellen durch Volkswagen. Aber es ist ein erster wichtiger Schritt, und wir werden weiter intensiv daran arbeiten, die Voraussetzungen für eine Batteriefertigung bei uns in Niedersachsen zu schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In Emden ist derzeit die fehlende Auslastung des Werkes ein Problem. Durch ein viertes Modell wird die Vollauslastung künftig gewährleistet, und das stärkt die Wirtschaftlichkeit dieses Standortes auf Dauer.

(Ulf Thiele [CDU]: Welches soll es denn sein?)

Außerdem ist es gelungen, für Emden die Übernahme von 800 Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern von derzeit etwa 1 000 festzuschreiben. Das freut mich ausdrücklich für die Betroffenen, und das ist auch gut für die Altersstruktur der Belegschaft. Auch in Emden stehen die Zeichen auf Umstieg auf Elektromobilität. Auch das Werk Emden hat damit klare Perspektiven, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für Hannover steht eine Vereinbarung bei Volkswagen Nutzfahrzeuge noch aus. Für die dort produzierten Komponenten kommt es ebenfalls zu vergleichbaren Veränderungen wie in Braunschweig und in Salzgitter.

Osnabrück ist der kleinste niedersächsische Standort und vom Zukunftsvertrag nicht betroffen. An diesem Standort besteht die seltene Fähigkeit zur Entwicklung von Fahrzeugen, von den ersten Studien bis zu der Produktion von Kleinserien. Das ist ein Profil, das für Volkswagen sicherlich noch sehr nützlich sein wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um nicht missverstanden zu werden: Auch angesichts dieser Perspektiven sind Arbeitsplatzverluste zu erwarten. Aber für die niedersächsischen Werke gibt es jetzt auf der Grundlage des Zukunftspaktes klare Perspektiven, die insbesondere auch den Beschäftigten Sicherheiten geben, und darauf kommt es mir in diesem Zusammenhang besonders an.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen: Volkswagen hat sich dazu entschieden, den notwendigen Anpassungsprozess energisch und konsequent anzugehen. Das halte ich für zwingend notwendig. Ich unterstütze diesen Kurs. Er ist die Grundlage für eine gute Zukunft des gesamten Unternehmens.

Basis des Zukunftsvertrages ist aber auch ein fairer Umgang mit den Beschäftigten,

(Ulf Thiele [CDU]: Ach!)

deren Belange so weit wie möglich berücksichtigt werden, so wie es der Tradition bei Volkswagen entspricht. Volkswagen ist sich seiner Verantwortung gegenüber den Beschäftigten ebenso bewusst wie seiner Verantwortung gegenüber den Standorten. Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch eines klar hinzufügen: Wenn alles auf den Prüfstand gestellt wird, dann gilt das auch für alle Teile des Unternehmens, also etwa auch für die künftige Vorstandsvergütung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Verlust von vielen Industriearbeitsplätzen ist schmerzlich, darum ist nicht herumzureden. Richtig ist aber auch, dass Volkswagen im Jahr 2020 in Niedersachsen immer noch deutlich mehr Beschäftigte haben wird als vor nicht allzu langer Zeit. Der Zukunftspakt eröffnet für unsere niedersächsischen Standorte neue Chancen. Volkswagen wird seine Investitionen an diesen Standorten in den nächsten Jahren auf einem sehr hohen Niveau fortsetzen. Das ist mit der Planungsrunde der vergangenen Woche ebenfalls entschieden worden.

Dieser Kurs ist insgesamt nach meiner festen Überzeugung zwingend notwendig. Was würde sonst passieren in 10 oder in 15 Jahren, wenn wir jetzt nicht die Entscheidungen treffen? Jeder von uns kann sich die Antwort selbst ausmalen.