Protokoll der Sitzung vom 12.12.2016

- Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie alle Platz. Auch die Regierungsmitglieder wollen zuhören und möchten nicht unbedingt von Abgeordneten vom Zuhören abgehalten werden.

Auf geht’s!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit mehr als 30 Jahren gibt es in Deutschland den Wunsch vieler Pflegekräfte nach Einführung von Pflegekammern. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt - auch in Niedersachsen.

Es hatte sich bei uns zur Selbstverständlichkeit entwickelt, dass der angestellte Arzt oder Zahnarzt Mitglied einer berufsständischen Selbstverwaltung ist und über die jeweilige Kammer bei allen wichtigen Entscheidungen mit am Tisch sitzt, die angestellte Krankenschwester oder Altenpflegerin als Vertreterin der größten Berufsgruppe aber vor der

Tür bleibt, wenn über Weichenstellungen für ihren Beruf bestimmt wird.

Wir haben in Niedersachsen knapp 70 000 Pflegerinnen und Pfleger, die durch diese Kammer, die wir hier heute beschließen werden, dann als Mitglieder in Zukunft deutlich bessere Rechte bekommen. In dieser bisher mangelnden Möglichkeit der Mitbestimmung liegt das eigentliche Grundproblem.

Alle Akteure weisen zu Recht ständig auf die mangelnde Wertschätzung und den dramatischen Fachkräftemangel bei den Pflegeberufen hin. Allein in Niedersachsen werden bis zum Jahr 2030 über 50 000 Pflegekräfte fehlen. Aber der Pflegeberuf als gleichberechtigter Partner am Verhandlungstisch war der Allianz von Leistungsanbietern und Kostenträgern dann scheinbar doch etwas zu unheimlich. Jedenfalls hat das die Diskussion über die Pflegekammer in den letzten Monaten gezeigt.

Die Palette der Argumente - oder man könnte auch sagen: in Teilen Scheinargumente - gegen Pflegekammern und deren Befürworter ist massiv und reicht von überflüssig bis hin zum Vorwurf der Zwangsverkammerung oder Verfassungswidrigkeit.

Merkwürdig ist nur, dass diese Argumente gegen die anderen bestehenden Heilkammern wie z. B. für die Psychotherapeuten, Tierärzte, Apotheker, Zahnärzte oder Ärzte nie vorgebracht werden. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Bereich der Architekten und der Ingenieure, aber auch - wir haben dazu ja gerade eine ganz engagierte Diskussion geführt - für die Landwirtschaftskammer. Auch hier hat sich keiner gegen eine Verkammerung ausgesprochen.

Der anerkannte CDU-Sozialexperte, CDA-Mann und Pflegebeauftragter der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Kai-Josef Laumann, äußerte sich auf dem Zukunftsforum der CDU Niedersachsen am 16. April 2015 in Lingen, dass er bei diesem Thema lange selber herumgeeiert habe, aber sich bei ihm die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass die Pflege ohne Kammer nicht weiterkomme.

(Ulf Thiele [CDU]: Eure Kammer fand er nicht so witzig!)

Da waren ja auch Spitzenvertreterinnen und Spitzenvertreter der CDU-Landtagsfraktion anwesend, Herr Thiele.

(Ulf Thiele [CDU]: Ich auch!)

- Dann wissen Sie ja, was er Gutes zum Thema Kammern gesagt hat.

(Zuruf von der CDU)

Anders als in Rheinland-Pfalz, wo die CDU und ihre stellvertretende Bundesvorsitzende Julia Klöckner unermüdlich darauf hinweisen, dass eigentlich die CDU die Initiatorin für die dortige Pflegekammer gewesen sei. Wie auch immer: Am 17. Dezember 2014 hat der Landtag von Rheinland-Pfalz einstimmig - auch mit den Stimmen der CDU - die Einführung der ersten deutschen Pflegekammer beschlossen. Vergangenes Jahr folgte Schleswig-Holstein. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch bei uns in Niedersachsen gab es jahrzehntelang eine fast einmütige politische Ablehnung von Pflegekammern.

2010 haben SPD und Grüne ihre ablehnende Haltung zur Pflegekammer korrigiert und entsprechende Anträge bzw. Gesetzentwürfe in den Landtag eingebracht.

CDU und FDP haben - um es hier mit Herrn Laumann zu sagen - rumgeeiert und unsere Anträge zweieinhalb Jahre liegen lassen, weil sie es vor der Landtagswahl 2013 dann doch nicht zu dieser politischen Auseinandersetzung kommen lassen wollten und sie keine Farbe bekennen wollten.

Erwähnt sei auch das Rechtsgutachten von Erich Deter zur Verfassungsmäßigkeit einer Pflegekammer.

Lediglich Ende 2012 wurde halbherzig eine repräsentative Umfrage mit spartanischen Informationen gegenüber den Pflegekräften auf den Weg gebracht.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Die haben Sie doch zur Grundlage genommen!)

Man hoffte scheinbar, so eine klare Ablehnung einer Pflegekammer zu erreichen.

Das Ergebnis durfte dann die neue Landesregierung aus SPD und Grünen auswerten, und es war erstaunlich deutlich: 67 % der Pflegekräfte haben sich für die Einführung einer Pflegekammer ausgesprochen.

Wir reden gerne über mehr Bürgerbeteiligung und plebiszitäre Elemente. Das darf dann aber nicht nur in Parteitagsbeschlüssen stehen, und es darf

nicht nur gelten, solange einem das Ergebnis persönlich passt.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hilbers zu?

Nein. Herr Hilbers hat auf dem Zukunftsforum in Lingen ausreichend Zeit gehabt, sich mit Herrn Laumann bei dem Thema Pflegekammer zu befassen. Von daher besteht gar keine Notwendigkeit, die Diskussion noch einmal zu führen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Also: Es war schon erstaunlich, mit welcher Heftigkeit - bis hin zu persönlichen Angriffen - dieses eindeutige Umfrageergebnis in den zurückliegenden Monaten ins Gegenteil verkehrt werden sollte. Für unsere rot-grüne Koalition war es jedenfalls nach dem Ergebnis der Befragung selbstverständlich, die Pflegekammer auf den Weg zu bringen. Wir haben durchaus mit einer kontroversen politischen Diskussion gerechnet. Über die Art und Weise waren wir in Teilen aber doch etwas überrascht.

Es ist schon paradox, wenn sich - bei allen so gern benutzten Vorurteilen gegenüber Politik - interessierte Gruppen plötzlich darüber wundern, dass Wahlversprechen tatsächlich eingehalten werden. Sowohl in den Wahlprogrammen als auch im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen lässt sich eine klare Aussage zur Pflegekammer finden. Von daher wollen wir jetzt mit dem Blick nach vorne das umsetzen, was wir versprochen haben.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist während der sehr intensiven, fast neunmonatigen Beratung erheblich verändert worden. Wir haben eine umfangreiche Anhörung durchgeführt. Der Gesetzestext ist erweitert, präzisiert und umgestellt worden.

Wir wollen ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialministeriums sowie dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst - Frau Brüggeshemke - für die sehr fundierte und zeitnahe Umsetzung der Änderungswünsche danken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will auch dem Kollegen Uwe Schwarz besonders danken, der sich mit sehr viel persönlichem Einsatz für diese Pflegekammer engagiert hat, und

ihm von dieser Stelle die besten Genesungswünsche senden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir haben versucht, uns an den in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein bestehenden Pflegekammergesetzen sowie am niedersächsischen Heilkammergesetz zu orientieren. Letztgenanntes Gesetz wird in der nächsten Legislaturperiode sicherlich grundlegend novelliert werden müssen. Das Pflegekammergesetz sollte dann in dieses integriert werden.

Die Möglichkeiten und Rechte von freiwilligen Mitgliedern der Kammer wurden erweitert. Auszubildenden in den Pflegeberufen wurde der freiwillige Beitritt ermöglicht. Das macht schon deshalb Sinn, weil diese nach ihrem Berufsabschluss ohnehin Mitglieder der Kammer werden.

Wer seinen Melde- und Auskunftspflichten nicht nachkommt, muss mit Sanktionen durch die Kammer rechnen. Bei der Möglichkeit einer Sanktion von bis zu 2 500 Euro müssen nun - unter Anlehnung an Rheinland-Pfalz - die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt werden.

Für die Zeit bis zum Abschluss der Gründungsphase wurde auch eine Meldepflicht der Arbeitgeber in den Gesetzentwurf aufgenommen, wobei als Sanktion ein Zwangsgeld von bis zu 50 000 Euro festgelegt werden kann. Das Argument, dass Arbeitgeber nur melden müssen, wenn ihnen die Daten der Beschäftigten bekannt sind, haben wir nicht übernommen. Es darf unterstellt werden, dass es sich um sozialversicherungspflichtig Beschäftigte handelt und diese Daten vorliegen, weil sie auch den Sozialversicherungen gemeldet werden müssen.

Bei den Wahlen zur Kammerversammlung haben wir neben der Möglichkeit von Einzelvorschlägen die Möglichkeit von Listenwahlen und ein notwendiges Quorum von Unterstützern vorgesehen. Außerdem dürfen Vorschläge nur für die eigene Wahlgruppe gemacht werden; ansonsten hätte die Unterscheidung von Gruppen auch keinen Sinn mehr gemacht.

Und - das war uns besonders wichtig - für die Listenwahlvorschläge zur Kammerversammlung, für die Ethikkommission, für den Errichtungsausschuss und für den späteren Kammervorstand ist erstmals in einem niedersächsischen Kammerge

setz eine Frauenquote verbindlich festgeschrieben worden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch hier gilt der Grundsatz: Nicht nur über Gleichstellung reden, sondern handeln. - Insofern ist das nur folgerichtig.

Wenn wir heute dieses Gesetz beschließen, dann muss die Landesregierung den Errichtungsausschuss bis zum 31. März 2017 bestellen, und die erstmalige Wahl zur Pflegekammerversammlung muss bis spätestens zum 31. März 2018 erfolgt sein.

Die Pflegekammer ist kein Allheilmittel. Das hat auch keiner der Befürworter behauptet. Aber sie ist ein wichtiger Schritt hin zum Arbeiten auf Augenhöhe und zu einer besseren Wertschätzung der Pflegeberufe.

Unser Landtagspräsident, Bernd Busemann, hatte recht, als er am 29. April 2013 beim Besuch der Berufsfachschule für Altenpflege in Papenburg feststellte:

„Ich denke, die Zeit ist reif, dass wir auf eine Pflegekammer in Niedersachsen zusteuern“.