Protokoll der Sitzung vom 02.02.2017

Außerdem haben Sie irgendwann in einer vorangegangenen Debatte gesagt: Ein jeder Polizist, den wir zusätzlich einstellen, hilft doch nicht, um die Einbruchskriminalität zu bekämpfen. - Ich kann Ihnen nur sagen: Eine solche Äußerung hier im Landtag ist ein wirkliches Armutszeugnis für diese Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen habe ich von Ihnen heute erwartet, dass Sie auch auf die Entwicklung der Einbruchskriminalität eingehen. Sagen Sie doch mal was zu den Zahlen, zu der wirklichen Entwicklung zwischen 2013 und 2016!

Dieser blinde Aktionismus, weil Sie merken, dass Ihnen dieses Thema gegen das Bein läuft! Und jetzt meinen Sie, Sie müssten ganz schnell etwas machen. Und dann sagen Sie hier auch noch, dass Sie der große Verhinderer der Einbruchskriminalität sind. Das nimmt Ihnen in diesem Lande doch kein Mensch mehr ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Adasch. - Weitere Wortmeldungen liegen dem Sitzungsvorstand nicht vor. Wir schließen daher die erste Beratung über den Entschließungsantrag und kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend soll sich damit der Ausschuss für Inneres und Sport und mitberatend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen befassen. Wer das so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind deutlich mehr als die 30 Stimmen, die für eine Ausschussüberweisung benötigt werden. Das ist so beschlossen.

Ich rufe dann auf den

Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung: Doppelte Staatsangehörigkeit erhalten! - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/7274

Die Einbringung hat der Kollege Dr. Christos Pantazis, SPD-Fraktion, übernommen, dem ich das Wort erteile. Bitte, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Laut einer Studie ist nach den Vereinigten Staaten die Bundesrepublik Deutschland das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt. Sehr richtig: Deutschland ist ein Einwanderungsland, auch wenn wir uns lange Zeit nicht dazu bekannt haben.

Es bleibt allerdings festzuhalten, dass unser Land vor dem historischen Kontext schon immer ein bedeutendes Einwanderungsland im Herzen Europas war und ist.

Historisch gesehen, wanderten beispielsweise im 16. und 17. Jahrhundert Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland aus. Zur Zeit der Industrialisierung kamen vermehrt sogenannte Ruhrpolen in das damalige Deutsche Kaiserreich. Im vergangenen Jahrhundert waren es in den 60er- und 70erJahren schließlich die Gastarbeiter. Gegen Ende der 80er-Jahre kam eine große Zahl von Einwanderern aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Polen. Diese Beispiele ließen sich nahtlos fortführen, ganz abgesehen vom erhöhten Zuzug von Flüchtlingen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, schaut man sich die Fakten genau an, so stellt man fest, dass mittlerweile Einwanderer aus über 190 Ländern Deutschland ihre Heimat nennen und sich der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung auf ca. 19 % - in Zahlen: 15 Millionen Einwohner - beläuft. Der Anteil

der Einwohner ohne deutsche Staatsbürgerschaft an der Bevölkerung beläuft sich aktuell auf knapp 9 %, das sind ca. 7 Millionen Einwohner.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat diesen für sein Einwanderungsland vergleichbaren Umstand wie folgt beschrieben: „Diversity is our strength.“ - Vielfalt ist unsere Stärke. Auch unser Land bezieht seine Stärke aus der Vielfalt, dem Engagement und den Ideen von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Genau aus diesem Grund gilt es, sich für ein weltoffenes Niedersachsen einzusetzen und Vielfalt und Teilhabe zu stärken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zwingende Voraussetzung einer solchen teilhabeorientierten Politik ist eine gelebte Willkommens- und Anerkennungskultur gegenüber zugewanderten Menschen und ihren hier geborenen Nachkommen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, einen elementaren Bestandteil stellt dabei ein modernes und aufgeklärtes Staatbürgerschaftsrecht dar, das der gesellschaftlichen Realität entsprechen muss. In unserem Fall erfordert es das klare Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass die doppelte Staatsbürgerschaft elementar dazugehört.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit ist leider erst im Jahre 2000 Rechnung getragen worden. Sah bis dato das Grundgesetz in Artikel 116 weiterhin eine Definition der Staatsangehörigkeit über die Abstammung vor, so wurde dieses Prinzip erst durch die rot-grüne Bundesregierung um das Geburtsortsprinzip erweitert. Dafür - ich wiederhole es gern - gebührt der damaligen Bundesregierung unter Gerhard Schröder auch heute noch Respekt und Anerkennung.

(Beifall bei der SPD)

Die damalige Modernisierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts war ein wichtiger Fortschritt, weil hierdurch auch die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ermöglicht wurde. Mittlerweile ist die doppelte Staatsangehörigkeit nicht nur bei EU-Bürgerinnen und -Bürgern, sondern in vielen weiteren Fällen - wie beispielsweise für Kinder aus binationalen Familien oder für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler - ohne Weiteres möglich und wurde bisher nicht infrage gestellt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass bei Debatten rund um Staatsbürgerschaftsrecht, Integration, Leitkultur sowie die europäische Integration emotional aufgeladene Welten hinsichtlich des Staats- und Gesellschaftsverständnisses aufeinanderprallen. Auf der einen Seite steht der verfassungspatriotische Ansatz als Alternative zum ethnischen Staatsverständnis und auf der anderen genau dieser ethnisch-emotional geprägte nationalpatriotische Ansatz.

Dieser emotional aufgeladene Gegensatz kann wahltaktisch sehr wohl instrumentalisiert werden. Roland Koch beispielsweise hat sich genau diesen Gegensatz 1999 zunutze gemacht, indem er in der unsäglichen Unterschriftenkampagne „Ja zur Integration. Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“ mit groben Argumenten an Überfremdungsängste in der deutschen Bevölkerung appellierte und gegen die damalige Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vorging.

Unter diesem Eindruck war der Preis dieser Reform die Einführung eines Optionszwanges für die hier geborenen Kinder ausländischer Eltern. Dieser Preis zwang die betroffenen jungen Menschen in eine unzumutbare Situation, mussten sich diese mit Vollendung des 18. Lebensjahres zwischen ihrer Lebenswirklichkeit als Deutsche und ihrer Verbundenheit mit den familiären Wurzeln entscheiden. Sich als Deutscher zu fühlen, allerdings zu wissen, dass man dieses nur unter Vorbehalt ist, weil man seine Loyalität zu Deutschland bezeugen muss, indem man seine Verbindungen zu seinen familiären Wurzeln zu trennen hat, hat mit Willkommen- und Anerkennungskultur rein gar nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Man muss sich doch nicht von seinen Wur- zeln trennen!)

Die diskriminierende Praxis des Optionszwanges konnte in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene 2013 weitgehend beseitigt werden. An dieser Einigung waren Sie, sehr geehrter Herr Minister Pistorius, maßgeblich beteiligt. Dafür gebührt Ihnen Dank. Herzlichen Dank, nochmals!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dem Erstarken des Rechtspopulismus und dem erodierenden Wählerpotenzial am rechten Rand unserer Gesellschaft ist die wahltaktisch motivierte Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft erneut entflammt, wobei dieselben Ausgrenzungsmechanismen an den Tag gelegt werden wie seinerzeit 1999.

(Ulf Thiele [CDU]: Von wem?)

Da werden im Überbietungswettbewerb scharfmacherische Vorschläge zu Symbolthemen wie aktuell dem Burkaverbot, Deutsch im Grundgesetz und eben auch der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gemacht. Ihren traurigen Höhepunkt fand diese populistisch geführte Debatte in dem symbolischen Beschluss des Essener CDU-Bundesparteitages - gegen das Votum der Parteispitze! -, den Optionszwang für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen und entsprechend zum Wahlkampfthema zu machen.

Lassen Sie mich hier eines klarstellen! Ich halte die hier geführte neue, alte Debatte für hochgefährlich,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

weil durch die wahltaktisch sicherlich gewünschten Schlagzeilen letztlich ein Klima der Unsicherheit und Angst erzeugt wird. Und Angst ist die Triebfeder für Populismus.

Und nicht nur das: Hier wird eine wichtige Errungenschaft der Integration - die der doppelten Staatsbürgerschaft - mit dem vermeintlichen Sicherheits- und Loyalitätsrisiko vermengt. Das ist schlichtweg unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und das in einer Zeit, in der unter dem Eindruck der fortschreitenden Globalisierung zunehmend Grenzen erodieren und in unserem Einwanderungsland - ich sprach es zu Beginn an - immer mehr Menschen bikulturell aufwachsen. Ich erinnere nur daran, dass es auch in diesem Hause mittlerweile etliche Kolleginnen und Kollegen gibt, die mehr als eine Staatsbürgerschaft besitzen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund fordern wir in diesem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, sich allen Versuchen, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuschränken, abzuwerten oder gar abzuschaffen, entgegenzustellen. Wir tun dies, weil wir der festen

Überzeugung sind, dass die doppelte Staatsangehörigkeit elementarer Bestandteil eines modernen und aufgeklärten Staatsbürgerschaftsrechts ist

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und ferner der Lebensrealität vieler Menschen, die sich in zwei Kulturen und Staaten zu Hause fühlen, gerecht wird.

Lassen Sie mich daher als Verfassungspatriot abschließend an Sie alle appellieren, hier und heute gemeinsam ein unmissverständliches Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen, indem wir alle durch Zustimmung zu diesem Antrag in der Frage des Staatsbürgerschaftsrechts Anstand und Haltung zeigen und Ausgrenzung und Spaltung eine klare Absage erteilen.

Ich beantrage die sofortige Abstimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Jan-Christoph Oetjen, FDP-Fraktion. Bitte, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einen Verdacht.

(Zurufe von der FDP und von der SPD: Oh! - Dr. Christos Pantazis [SPD]: Herr Bäumer!)

Ich habe den Verdacht, dass Rot und Grün diesen Antrag nur deshalb in das Plenum eingebracht haben, weil sie so gerne meine Reden zur doppelten Staatsbürgerschaft hören.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Ertappt! - Helge Limburg [GRÜNE]: Sherlock Oetjen! - Ulrich Watermann [SPD]: Sie haben uns durchschaut!)