Protokoll der Sitzung vom 02.02.2017

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen sage ich klar für meine Fraktion: Wir unterstützen den Antrag der CDU-Landtagsfraktion. Ich wünsche mir und erwarte von dieser Landesregierung, dass sie im Bundesrat der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten zustimmt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Belit Onay das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Diskussion und zu dem vorliegenden Antrag - das hatte Frau Jahns schon gesagt - gibt es einen offenen Brief des Flüchtlingsrats, aus dem ich gerne einige Zeilen zitieren möchte. In diesem Schreiben wird der Antrag, der als populistisch bewertet wird, wie folgt analysiert. Es heißt:

„Er“

- also der Antrag -

„zielt darauf, die gesamte Gruppe der Maghreb-Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Der Duktus des Antrags ist völlig verfehlt, ja teilweise gefährlich. Wenn die CDU die Gruppe der Maghreb-Flüchtlinge pauschal unter Kriminalitätsverdacht setzt, in vagem Konjunktiv einen Zusammenhang zu den Kölner Silvesterübergriffen auf Frauen herstellt und nicht vergisst zu erwähnen, dass auch der Berliner Attentäter Amri aus einem Maghreb-Staat stammt, wird man ihr den Vorwurf nicht ersparen können, dass sie versucht, durch die pauschale Diffamierung einer Bevölkerungsgruppe politisches Kapital zu schlagen.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das kann man, glaube ich, so stehen lassen.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist falsch! Das ist Unsinn!)

Man muss sich noch einmal klarmachen: Damit sind wir im Grunde genommen wieder bei der Debatte, bei der wir heute Morgen waren, nämlich dass Sie die Unschuldsvermutung ausdrücklich unter den Teppich kehren und außer Acht lassen. Denn der Großteil dieser Menschen ist eben nicht straffällig, sondern ist schutzsuchend.

Außerdem geht es bei der Festlegung zur Frage sicherer Herkunftsstaaten auch nicht um die Frage von Kriminalitätsraten, sondern um die Verfolgungssituation, um die politische Situation in diesen Herkunftsländern, und da lohnt es sich, sich die Maghreb-Staaten einmal genauer anzuschauen; denn „die“ Maghreb-Staaten - auch das ist hier erwähnt worden - gibt es so pauschal nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es geht um das Königreich Marokko, um Algerien, das mehr oder weniger in Form einer greisen Militärdiktatur geführt wird, und um Tunesien, wo es das Bemühen gibt, demokratische Standards für

möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. Aber spannend ist - da teile ich ausdrücklich Ihre Meinung, Frau Jahns -: Es gibt unterschiedliche Bewertungen diverser unterschiedlicher Organisationen. Selbst in der Bundesregierung, im Bundesinnenministerium, gibt es unterschiedliche Bewertungen. Das BAMF bewertet die Situation in diesen drei Ländern völlig anders als das Innenministerium, das den Antrag, um den es ging, verfasst hat

(Angelika Jahns [CDU] meldet sich zu Wort)

- ich lasse die Frage gleich zu - und damit die Einschätzung des BAMF unterdrückt. Das BAMF spricht nämlich davon, dass ganze Bevölkerungsgruppen verfolgt werden, nämlich Oppositionelle, Minderheiten wie zum Beispiel im Fall von Marokko in Westsahara, Frauen und auch Homosexuelle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, politische Verfolgung und auch Folter sind in diesen Ländern ausweislich der BAMF-Einschätzung an der Tagesordnung und auch anzutreffen. Insofern kann hier meines Erachtens nicht von sicheren Herkunftsstaaten die Rede sein.

Frau Kollegin Jahns, Herr Kollege Onay lässt die Frage zu. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Onay, ich hätte gerne von Ihnen gewusst, wie Sie denn die Einschätzung des badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann bewerten, der ja nun bekanntlich von den Grünen stammt, wenn Sie unsere Aufforderung, dieser Einstufung zuzustimmen, ablehnen. Es ist nicht nur unsere eigene Meinung, sondern auch die Zahlen belegen es, wie die Asylanträge insgesamt geprüft und bewertet werden. Das können Sie nicht einfach von der Hand weisen.

Es ist keine Rede, Frau Kollegin.

Okay, alles klar. - Meine Frage lautet also: Wie bewerten Sie die Einstellung des badenwürttembergischen Ministerpräsidenten?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Onay, bitte schön!

Sehr geehrte Frau Kollegin Jahns, die CDUFraktion weiß ja selbst, wie es mit süddeutschen Schwesterparteien und deren Meinung manchmal ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Das ist keine Schwesterpartei! Das ist Ihre eigene Partei!)

Aber ich komme noch einmal ausdrücklich darauf zurück, dass wir hier eine eigene Bewertung haben und ausdrücklich die Bewertung des BAMF in dieser Frage teilen. Ich würde auch dem Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg nahelegen - er hat über Angela Merkel sicherlich einen guten Draht, um an BAMF-Unterlagen zu kommen -, sich diese Einschätzung noch einmal zur Gemüte zu führen.

(Björn Thümler [CDU]: Die kennt er!)

- Das würde es noch viel schlimmer machen, Herr Thümler.

Eine solche Einstufung würde aber eben auch zu Folgen hier in Deutschland führen, dass nämlich die Integrationsmöglichkeiten, die Integrationsoptionen dieser Menschen, die hier sind, verschlossen werden: Arbeitsverbote und kein Zugang zu Integrationskursen. Im Ergebnis hätte es auch nicht den Effekt, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Sie sich erhoffen; denn die Rückführung dieses Personenkreises scheitert nicht an der Einstufung der Länder, sondern scheitert häufig daran, dass eben keine oder nur eine geringe Aufnahmebereitschaft besteht oder dass EU-Passierscheine nicht anerkannt werden.

In diesem Sinne, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss man einfach festhalten, dass dieser Antrag nichts bringen wird und dass er die Realitäten verkennt. Deshalb werden wir ihn ablehnen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Onay. - Das Wort hat jetzt Herr Innenminister Pistorius.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten ist eine Entscheidung, die wir uns nicht allzu leicht machen dürfen. Eine solche Bezeichnung sollte kein leichtfertig vergebenes politisches Label dafür sein, dass Menschen ohne Asylanspruch dann einfach weg sind; denn das wird ganz sicher nicht passieren. Wir sollten uns dem Wortsinn entsprechend schon weitestgehend sicher sein, dass die Länder für diese Menschen sicher sind.

Liebe Frau Jahns, in Ihrer gestrigen Pressemittelung beziehen Sie sich mit keinem Wort darauf, ob die sogenannten Maghreb-Staaten diese Sicherheit gewährleisten können. Es spielt offenbar keine Rolle, was mit diesen Menschen passiert. Dafür stellen Sie fest - ich zitiere wörtlich -, dass „die Kriminalitätsrate bei Asylbewerbern aus diesen Ländern im Durchschnitt deutlich höher als bei Migranten aus anderen Staaten ist“. Aha!

Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Kriminalität ist ein sachfremdes Kriterium für die Frage der Einstufung als sicheres Herkunftsland. Kriminalität ist bestenfalls ein Kriterium, um den gemeinsamen Wunsch zu teilen, zu artikulieren und umzusetzen, diese Menschen nach einem erfolglosen Asylverfahren so schnell wie möglich wieder loszuwerden, definitiv aber nicht für die Frage der Einstufung als sicheres Herkunftsland.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDUFraktion, Sie machen es sich in dieser Frage leider wieder einmal zu leicht.

(Björn Thümler [CDU]: Ja, sicher!)

Das Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“ greift bei solch schwerwiegenden Entscheidungen wie der Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsstaaten nicht.

Ich möchte klarstellen, welche Folgen mit der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten verknüpft sind. Eine Einstufung dient in erster Linie der Beschleunigung des Asylverfahrens, da sowohl die Frist für eine freiwillige Ausreise als auch die Rechtsmittelfrist verkürzt werden. Darüber hinaus gelten für Staatangehörige aus sicheren Herkunftsstaaten besondere Einschränkungen. Sie unterliegen als Asylsuchende und abgelehnte Asylsuchende einem Beschäftigungsverbot. Zudem sind sie verpflichtet, für die Dauer des Asylverfahrens und im Falle der Ablehnung des Asylantrags bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der

Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der Erstaufnahmerichtung zu wohnen.

Meine Damen und Herren, um es ganz deutlich zu sagen: Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat bietet hingegen keine Gewähr für eine schnellere Rückführung. Insoweit stellen sich insbesondere die Herausforderungen der Identitätsklärung und Passersatzpapierbeschaffung in gleicher Weise wie bei abgelehnten Asylsuchenden aus nicht als sicher eingestuften Herkunftsstaaten.

Ihre wenig von humanitärem Geist geprägte Forderung ist vielmehr wieder einmal der Rückgriff auf abgegriffene Law-and-order-Rhetorik, der Sie u. a. zu verdanken haben, meine Damen und Herren, dass Sie in der Opposition sitzen.

Die Realität ist doch eine ganz andere; denn auch bei einer viel größeren Zahl von Menschen, die wir rückführen müssten, bräuchten wir vor allem Herkunftsländer, die die Menschen aufnehmen. Beschleunigte Asylverfahren ergeben nur dann Sinn, wenn abgelehnte Asylbewerber auch tatsächlich in die Herkunftsländer zurückgeführt werden können. Das ist derzeit nur bedingt der Fall. Hierzu die aktuellen Zahlen des BAMF: Von 2 932 abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern beispielsweise aus Algerien wurden zwischen Januar und November 2016 lediglich 140 Menschen abgeschoben. Für die weiteren Maghreb-Staaten sind die Zahlen nicht wirklich viel höher. Dies zeigt: Es mangelt an der Aufnahmewilligkeit der Herkunftsstaaten. Daher hilft auch keine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten; nichts hilft das!

Die von Ihnen prognostizierten schnelleren Rückführungen sind nicht mehr und nicht weniger als eine politische Fata Morgana: Es sieht toll aus, ist aber nichts anderes als heiße Luft.

Der Aufnahmewille der Herkunftsstaaten ist der Dreh- und Angelpunkt eines reibungslosen Rückführungsverfahrens. Darauf haben wir in Niedersachsen immer wieder hingewiesen.

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir können natürlich darüber spekulieren, was denn hilft, um die Aufnahmefähigkeit zu erhöhen. Wir können über Kürzungen von Entwicklungshilfe und der Zusammenarbeit sprechen. Aber was bringt uns ein destabilisierter nordafrikanischer Raum, der wirtschaftlich weiter nach unten geht und der mehr Menschen dazu zwingt, ihre Zukunft woanders zu suchen? - Eine solche Entwicklung wäre extrem kontraproduktiv und gefährlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Susanne Menge [GRÜNE])

Über den Bundesrat haben wir dennoch die Bundesregierung aufgefordert, weiter auf eine erhöhte Akzeptanz von EU-Laissez-passer-Dokumenten oder die beschleunigte Ausstellung von Passersatzpapieren hinzuwirken. Auch wenn es in der Kooperation mit den Maghreb-Staaten gegenwärtig erste Fortschritte gibt, sind wir erst am Anfang des Weges.