Protokoll der Sitzung vom 01.03.2017

(Christian Dürr [FDP]: Das Problem ist, dass das Land nicht richtig funkti- oniert!)

Wir haben an dieser Stelle unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, wie dieser Staat zu funktionieren hat.

(Christian Dürr [FDP]: Niedersachsen fällt im Bundesvergleich immer weiter zurück!)

Das ist hilfreich, weil es durchaus dazu beitragen kann,

(Christian Dürr [FDP]: Sie können im Bundesvergleich doch nicht mit Platz 15 zufrieden sein! Platz 15 von 16!)

dass Politik wieder verstanden wird.

(Christian Dürr [FDP]: Das ist zu we- nig!)

- Nein, das ist nicht zu wenig, sondern wir zeigen an dieser Stelle, dass wir den Vollzug als hoheitliche Aufgabenstellung ansehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will zum Antrag sprechen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, „Morgen sind sie wieder unsere Nachbarn“ ist ein Leitspruch, der im Vollzug sicherlich oftmals bemüht wird und der sich - die Gesetzgebungskompetenz ist nach der Föderalismusreform im Jahr 2006 auf die Länder übergegangen - natürlich auch im Anspruch an ein Vollzugsgesetz widerspiegeln muss. Wir haben das beim Arrestvollzugsgesetz in dieser Legislaturperiode bereits gemacht.

Diesen politischen Anspruch machen wir jetzt auch im Vollzugsgesetz deutlich. Wir wollen Strafe, Opferschutz und Resozialisierung in Einklang bringen. Wir wollen Qualitätsstandards definieren. An vielen

Stellen wollen wir gesellschaftliche Entwicklungen nachvollziehen und den Vollzug mit einem modernen Gesetz darauf ausrichten, auf sie zu reagieren.

Wie der Kollege Limburg will auch ich schon an dieser Stelle der Landesregierung ganz herzlich für einen Entwurf danken, der an vielen Punkten Akzente setzt und deutlich macht, wo Korrekturbedarf besteht. Ich will einiges exemplarisch erwähnen:

Die Rechte der Opfer von Verbrechen werden gestärkt. Informationen über den Haftverlauf, aber auch über Lockerungen werden eingeführt, um Opfern die Chance zu geben, sich auf diese Situation einzustellen. Auch dass das Ziel der Wiedergutmachung im Gesetz verankert wird, liegt im Interesse der Opfer.

Die Austarierung von Arbeit und Therapie ist uns besonders wichtig gewesen. Die Entschließung, die dieses Haus auf Initiative von SPD und Grünen einstimmig verabschiedet hat, war auch dadurch geprägt, dass wir durch den Vergleich mit anderen Ländern Europas gesehen haben, dass es in Deutschland eine Diskrepanz gibt: Ein Inhaftierter muss sich entscheiden, ob er arbeitet und Geld verdient oder ob er Therapie vornanstellt und erst einmal kein Arbeitsentgelt bekommt. Wir halten es für mehr als angemessen, dass Therapie der Arbeit gleichgestellt wird. Diesem Ansatz soll der Vollzug im Rahmen der Resozialisierung folgen.

Die Angleichung der Besuchszeiten - die Mindestbesuchszeit wird von einer Stunde auf vier Stunden erhöht; Gleiches gilt für die Langzeitbesuche - vollzieht nach, was in den Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen häufig schon gängige Praxis ist. Aber die gesetzliche Regelung stärkt die Rechte von Inhaftierten. In der von der Landesregierung durchgeführten Anhörung wurde dieser familiengerechte und kindgerechte Ansatz gelobt. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass Bindungen nach draußen bestehen können. Besuche verstärken diese und haben eine positive Wirkung.

Die Rechtsgrundlage für Videoüberwachung am Tag soll ausgebaut werden. Herr Kollege Genthe hat schon darauf hingewiesen, dass die Landesbeauftragte für den Datenschutz in der Anhörung durch die Landesregierung kritische Anmerkungen gemacht hat. Angesichts der kritischen Diskussion zu den Vorkommnissen in einer sächsischen JVA haben wir besprochen, wie der niedersächsische Vollzug mit Inhaftierten umgeht, die suizidgefährdet sind, bei denen eine Eigengefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. Wir stehen gegen

über diesen Inhaftierten in einer Fürsorgepflicht. Ich glaube, dass an diesem Punkt ein guter Kompromiss zwischen den jeweiligen Interessenlagen Eingang in das Gesetz finden wird.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Die Vergütung in der U-Haft wird derjenigen in der Strafhaft angeglichen. Dass die Sätze bislang unterschiedlich sind, wird von vielen Inhaftierten als Ungerechtigkeit empfunden. Auch die Gewerkschaft der Inhaftierten hat es zum Thema gemacht, dass ein Untersuchungshäftling, wenn er arbeitet, ein anderes Arbeitsentgelt bekommt als ein Inhaftierter in der Strafhaft. Das wird angeglichen.

Es wird auch eine Datenübermittlung an Stellen eingeführt, die mit sozialen Hilfen befasst sind.

Auch das Thema Taschengeld/Gefangenengeld wird im Gesetzentwurf geregelt, einschließlich der Frage, wie oft überwiesen werden darf.

In § 192 wird die Antifolterkommission erwähnt, die viele europäische Gefängnisse besucht. Wir legen sehr viel Wert auf ihre Begleitung, auch wenn sie für deutsche Gefängnisse sicherlich von untergeordneter Bedeutung ist.

Künftig wird in der U-Haft die Möglichkeit bestehen, Kosten für schulische Aus- und Weiterbildung zu tragen.

Unser Bild vom Vollzug ist also an vielen Stellen vom Gedanken der Resozialisierung und der Nachhaltigkeit geprägt. Wir finden, dass die Landesregierung einen guten Entwurf vorgelegt hat. Dass er breite Unterstützung erfährt, wurde schon in der Anhörung durch die Landesregierung deutlich.

Das Justizvollzugsgesetz ist die Basis für die Arbeit in den Anstalten. Die Qualität, die wir in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten vorfinden, wird aber nicht nur durch das Gesetz bedingt, sondern vor allen Dingen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vollzug, im AJSD und in den Anlaufstellen, die es täglich mit Leben erfüllen. Sie leisten gute Arbeit und tragen dazu bei, dass Resozialisierung gelingen kann. Von daher auch an dieser Stelle vielen Dank an alle, die täglich im gesetzlichen Rahmen Verantwortung übernehmen!

(Zustimmung bei der SPD und von Helge Limburg [GRÜNE])

Wir freuen uns auf die Beratungen. Im Fachausschuss werden wir sicherlich eine Anhörung durch

führen. Eine besondere Bedeutung werden wir dem Unterausschuss „Justizvollzug“ zukommen lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Brunotte. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Otto Deppmeyer. Sie haben das Wort, Herr Deppmeyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der Justizvollzug ist das Stiefkind der ohnehin wenig bewegenden Justizministerin.

(Zustimmung bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Selbst wenn es so wäre, Herr Kollege: Diese Ministerin hat alle ihre Kinder gleich lieb!)

Dies belegt der vorliegende Gesetzentwurf mehr als deutlich.

Der Gesetzentwurf schafft zusätzlichen Aufwand für die Justizvollzugsanstalten, ohne dass die Landesregierung das notwendige Personal und die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt.

Die Justizministerin versucht zwar, diesen Gesetzentwurf als wegweisend in Sachen Opferschutz zu verkaufen, verschweigt aber die zahlreichen Erleichterungen für die Insassen. Die grüne Justizministerin ist in erster Linie täterorientiert.

(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie vervierfacht den Rechtsanspruch auf Besuchszeiten von einer Stunde auf vier Stunden im Monat, sie erleichtert Langzeitbesuche und will lediglich 50 % mehr Stellen zur Verfügung stellen; die müssen die Anstalten dann auch noch aus dem eigenen Haushalt erwirtschaften - 50 % für den vierfachen Aufwand!

Die Vergütung der Arbeit der Untersuchungshäftlinge wird auf das Niveau bei den anderen Insassen angehoben. Das kann man machen, kostet aber 400 000 Euro, die Sie den Justizvollzugsanstalten aber auch nicht geben wollen. Auch hier muss das Geld wieder aus dem eigenen Etat kommen. Bedenken der Anstalten und der Gewerkschaften werden beiseitegewischt.

Meine Damen, meine Herren, weiterhin sollen Besucherräume kindgerecht ausgestaltet werden. Das kann man in einzelnen Besuchsräumen sicherlich machen. Es aber für alle Räume vorzuschreiben, ist eigentlich Unsinn.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Warum?)

Wie soll ein kindgerechter Besuchsraum überhaupt aussehen? Soll es da Spielzeug geben? Warum soll das nichts kosten, oder besser gesagt: Warum darf das nichts kosten? Warum wird davon ausgegangen, dass die Vervielfachung der Besuchszeit nicht auch mehr Besuchsräume erfordert? - So große Überkapazitäten gibt es in den Haftanstalten nicht.

Von der Ministerin konnten wir hören, dass der Gesetzentwurf auch dem Opferschutz dienen würde. Auf die zahlreichen Lockerungen für die Insassen gehen Sie nicht ein. Bei Lichte betrachtet, setzen Sie das 3. Opferrechtsreformgesetz des Bundes von Ende 2015 nun im Justizvollzug um. Eigene Ansätze sehe ich kaum. Das ist der Versuch, sich als Partei von Recht und Ordnung zu inszenieren. Gleichzeitig aber wollen Sie die Möglichkeit von Kontaktverboten als disziplinarische Maßnahme streichen. Das lehnen wir ab. In Zeiten, in denen sich auch Justizvollzugsbeamte über mangelnden Respekt und Angriffe beklagen, ist das ein falsches Signal.

(Zustimmung bei der CDU)

Weiterhin wollen Sie ausdrücklich nicht die Verpflichtung zu Ordnungs- und Reinigungsarbeiten in gemeinschaftlich genutzten Bereichen in das Gesetz aufnehmen, wie es Beschäftigtenvertreter und die Justizvollzugsanstalt Hameln fordern.

Meine Damen, meine Herren, wir lehnen die Pflege von Kontakten nicht ab. Das wollen wir ausdrücklich fordern. Dann müssen die Anstalten aber auch räumlich und personell ausreichend ausgestattet sein. Das ist ein Kuschelkurs mit Tätern auf dem Rücken von Beamtinnen und Beamten.

Die Maßnahmen zum Opferschutz oder zum Ausgleich zwischen Täter und Opfer hören sich schön an, aber sie sind mit keinen konkreten Teilnahmeverpflichtungen oder Kursen verbunden. Sie schreiben in Ihrem Entwurf etwas über Kosten, die dadurch entstünden, wenn das ernsthaft praktiziert würde. Was Sie in der Gesetzesbegründung über wiederhergestellte Gerechtigkeit schreiben, ist inhaltsleer.

Meine Damen, meine Herren, die CDU-Fraktion setzt sich selbstverständlich für eine Verbesserung der Resozialisierung ein. Die Vorschläge im Gesetzentwurf reichen aber nicht dafür aus. Wir sehen die vorgesehenen Regeln zum Übergangsmanagement kritisch, weil sie zu unbestimmt sind.

Dies ist der letzte inhaltliche Aufschlag der Justizministerin in ihrer Amtszeit. Er belegt wieder die Orientierung der Grünen am Täter und nicht am Opfer. Er belastet die Mitarbeiter. Der Gesetzentwurf ist der offizielle Grabstein des im Koalitionsvertrag angekündigten Resozialisierungsgesetzes und des Gesetzes zur Untersuchungshaft. Dort waren ganz große Würfe angekündigt.

Meine Damen, meine Herren, dieser Gesetzentwurf ist glanz- und ideenlos, genau wie die gesamte Amtszeit der Ministerin. Es ist Zeit, es besser zu machen.