Protokoll der Sitzung vom 02.03.2017

Aus der Antwort auf die Fragen geht auch hervor, dass in Deutschland mehrere sogenannte Reichsregierungen gegründet wurden. So soll auch im Raum Hildesheim eine „Reichsregierung“ gegründet worden sein. Diese besteht seit ca. 2004. Zu dieser Organisation gehören etwa 25 Mitglieder. Bereits seit 2005 werden die Aktivitäten durch den Verfassungsschutz beobachtet.

Sehr schwer ist es, eine Definition für die Gruppen der „Reichsbürger“ abzugeben, so die Landesregierung. Immer wieder ist aber festzustellen, dass Phantasiedokumente erstellt werden, dass Phan

tasieämter erfunden werden, dass hoheitliche Befugnisse vorgetäuscht werden und dass man selbst zur Vielschreiberei neigt.

Zu besonderen Konflikten mit dem Staat kommt es durch die Ablehnung von Steuerzahlungen und Abgaben. Die Nichtakzeptanz von hoheitlichen Maßnahmen führt zu Widerstandshandlungen gegen die Staatsbediensteten. Gerade hier ist die Schnittstelle für die Eskalation im Umgang zu erkennen. Gezieltes und erfolgsorientiertes Handeln des Staates ist hier angesagt.

In Niedersachsen selbst geht man von ca. 500 „Reichsbürgern“ aus. Das ist, bezogen auf die gesamte Bundesrepublik, eine nicht zu vernachlässigende Zahl innerhalb dieser Szene. Interessant ist auch die Beurteilung, ob es Berührungspunkte zwischen „Reichsbürgern“ und der rechtsextremen Szene gibt. Die scheinbar irren Argumentationen der „Reichsbürger“ sind für Teile der rechtsextremistischen Szene aufnehmbar und interessant. Sie bedienen sich sicherlich dieser Argumentationslinien. Bislang ist es aber wohl noch ein Einzelphänomen, dass Rechtsextremisten starke ideologische Bezüge zur „Reichsbürger“-Bewegung haben.

Meine Damen und Herren, interessant dürfte es auch sein, eventuellen Verbindungen zwischen „Reichsbürgern“ und der AfD nachzugehen. Bislang gibt es nur vier Fälle, in denen Bezugspunkte nachgewiesen werden können. Ich selbst kann die Landesregierung nur darum bitten, hier besonders aufzupassen.

(Editha Lorberg [CDU]: Genau!)

Die Polizei in Niedersachsen hatte bis Ende November vergangenen Jahres 17 Vorfälle. Dazu zählen auch nicht strafbare Handlungen, die aber aktenkundig geworden sind. Bei den Finanzbehörden sind 29 Belästigungen oder Bedrohungen aktenkundig.

Für den weiteren Umgang mit den „Reichsbürgern“ empfehle ich, nach Erfassungsmöglichkeiten für die einzelnen Behörden zu suchen, um aufgrund einer Berichtspflicht einen umfassenden Überblick zu erhalten. Beispielsweise werden von der niedersächsischen Justiz Vorfälle nicht statistisch erfasst. Es ist sicherlich auch schwer, Belästigungen und Nachstellungen, die nicht immer unbedingt strafbar sein müssen, zu differenzieren und zu erfassen. Wichtig ist aber gerade der Schutz der Bediensteten des Staates. Hierauf haben die Ministerien und Behörden zu reagieren. Substanz

lose Strafanzeigen gegen Landesbedienstete sind für die Betroffenen unangenehm. Hier muss eine schnelle Bearbeitung erfolgen, damit es zu einer Entlastung kommen kann. Es ist hier an die besondere Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Beamten und Mitarbeitern zu erinnern.

Ein Gefährdungspotenzial besteht auch dadurch, dass 44 bekannte „Reichsbürger“ 189 Waffen in ihrem Besitz haben. Weitere 29 „Reichsbürger“ besitzen einen Kleinen Waffenschein. Die Information über den Waffenbesitz reicht jedoch nicht aus. Es sollte eine umfassende Überprüfung der Geeignetheit und Zuverlässigkeit der Waffenbesitzer stattfinden. Waffen in der Hand von Spinnern sind gefährlich. Auch gilt: Geltendes Recht ist durchzusetzen. Spätestens nach Roth darf es keine Nachsicht mehr geben. Also, Handeln und ständige Überprüfung sind auch hier angesagt.

Die Landesregierung hat dankenswerterweise im November 2016 reagiert. Ein entsprechender Erlass wurde gefertigt. Hierdurch war es nun möglich, dass mitgeteilt wird, ob mittlerweile „Reichsbürgern“ der Waffenschein entzogen wurde. Staatliches Handeln unterliegt immer wieder der Überprüfung, und das muss besonders bei den „Reichsbürgern“ gelten.

Große Aufmerksamkeit ist auch dem illegalen Waffenbesitz zu widmen. Der Bereich Steuern, Gebühren und Bußgelder umfasst mittlerweile eine nicht mehr zu vernachlässigende Größe. Eine genaue Einschätzung ist nicht möglich. Aber nachweisbar ist, dass ein Fehlbetrag von ca. 4 Millionen Euro für den Staat aufgelaufen ist. Das Mahn- und Vollstreckungswesen versucht, den Außenständen beizukommen. Bislang ist es Gott sei Dank noch so, dass bei der Vorlage eines Haftbefehls die Bereitschaft vorhanden ist, die ausstehenden Beträge zu begleichen. Das kann aber nur weiterbestehen, wenn auch hier der Staat immer entschlossen vorgeht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, nach der Antwort der Landesregierung zum Phänomen „Reichsbürger“ werden ständig entsprechende Lagebilder erstellt. Durch das Landeskriminalamt Niedersachsen wurde auch eine Richtlinie mit Handlungsvorgaben für die Polizei gefertigt. Weitere Handlungsanweisungen für die niedersächsischen Behörden sind vorhanden. Hierbei vertraut man zu Recht auf die vorhandene Kompetenz der verschiedenen Behörden. Angeregt wird auch, verstärkt die Kommunen

einzubeziehen, entsprechend zu informieren und fortzubilden. Es gibt auch Hinweise, dass im öffentlichen Dienst einzelne Anhänger der „Reichsbürger“ bekannt sind. Entsprechende dienstrechtliche Maßnahmen wurden eingeleitet bzw. müssen eingeleitet werden.

Mit dieser Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion konnte erreicht werden, dass sich die Landesregierung auch in der Außenwirkung umfassend mit diesem Thema befasst hat. Aus den ausführlichen und teilweise auch erschöpfenden Antworten ist jedoch zu erkennen, dass weiterhin erheblicher Koordinierungsbedarf besteht. Gerade die Überlappungen zum Rechtsextremismus bedürfen einer umfassenden Beobachtung. Die oftmals kruden, scheinbar geschichtsbezogenen Einlassungen in vielfältiger Form haben durchaus das Potenzial, entsprechende Fantasien anzuregen. Hier sehen wir ein großes Gefährdungspotenzial. Gerade durch die Vernetzungsmöglichkeiten kann es sehr schnell zu Vervielfältigungen kommen.

Meine Damen und Herren, im Landespräventionsprogramm zum Rechtsextremismus muss man sich auch noch einmal ausdrücklich mit dieser besonderen „Reichsbürger“-Thematik befassen. Erforderlich scheint auch, den Beamten eine Hilfestellung zu geben, die von Anzeigen überhäuft werden. Eine gute Nachrichtenlage und entsprechende Koordinierung seien speziell noch einmal angemahnt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aufgrund der Antworten durch die Landesregierung auf die umfassende Fragestellung wird man das Gefühl nicht los, dass man sich erst jetzt umfassend mit diesem Thema zu beschäftigen scheint. Die Landesregierung wurde sensibilisiert und letztendlich aufgrund des Fragerechts durch das Parlament angehalten, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich hoffe, man hat den nötigen Erkenntnisgewinn daraus gezogen.

(Zustimmung von Jens Nacke [CDU])

Oft ist es so, dass einschneidende Ereignisse zu einer umfassenden Lageerkundung führen. Es darf aber in Niedersachsen nicht zu einer Katastrophe wie in Roth kommen. Dafür dürften jetzt alle Institutionen des Landes genügend sensibilisiert sein.

Glaubt man den Antworten der Landesregierung - und das tue ich natürlich -, hat man die entsprechenden Vorleistungen, um so etwas zu verhindern, getroffen.

Meine Damen und Herren, auch ich verhehle nicht, dass ich bei Auftauchen des Phänomens der „Reichsbürger“ vor mehr als zehn Jahren zu den Kreisen gehörte, die mehr von einer Querulanten- und Spinnerszene ausgegangen sind. Aber dieses Bild hat sich bei vielen und auch bei mir in den letzten Jahren geändert. Es gilt, den alten und bewährten Grundsatz der Mütter und Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu beherzigen: Wehret den Anfängen! Eine Unterschätzung der „Reichsbürger“-Szene ist nicht mehr begründbar. Genügend Handlungsfelder haben sich ergeben.

Meine Damen und Herren, Rechtsextremismus, Linksextremismus und auch der Islamismus müssen entschieden bekämpft werden. Das Phänomen der „Reichsbürger“ könnte bei nicht entschlossener Bekämpfung durchaus das Potenzial haben, mit dem Rechtsextremismus zu einer zusätzlichen Gefahr zu werden.

Ich bin nun gespannt, zu welcher politischen Beurteilung die Landesregierung bei ihrer Stellungnahme kommt. Genügend Material durch unsere Große Anfrage wurde gesammelt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Ich habe übrigens genau auf die Sekunde 15 Minuten gesprochen.

Vielen Dank, Herr Götz. - Herr Minister Pistorius, bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Großen Anfrage der CDU-Fraktion geht es um das Phänomen der sogenannten „Reichsbürger“ in Niedersachsen, um ihre Strukturen und das Gefährdungspotenzial, das von ihnen ausgeht.

Um eines vorwegzunehmen: Ich finde es wichtig, dass wir auch auf der parlamentarischen Ebene diese Gruppe genauer in den Blick nehmen und über sie sprechen;

(Zustimmung von Susanne Menge [GRÜNE])

denn wir können und dürfen „Reichsbürger“ nicht einfach mehr als weltfremde Spinner mit einer völlig verqueren Weltanschauung abtun. Sie stel

len eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar und speziell auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in staatlichen Institutionen. Das haben jüngste Gewalttaten und dabei besonders der furchtbare Angriff auf bayerische Polizistinnen und Polizisten im Oktober vergangenen Jahres gezeigt, bei dem ein Beamter getötet wurde.

„Reichsbürger“ und diejenigen, die sich als „Selbstverwalter“ sehen, lehnen die Bundesrepublik Deutschland, deren Repräsentanten, das Grundgesetz und damit unsere freiheitliche demokratische Grundordnung rigoros und fundamental ab. Die Bundesrepublik wird als ein Besatzungskonstrukt verunglimpft. Ihre Gesetze und Rechtsordnung werden für nicht verbindlich erklärt und nicht anerkannt. Allgemein stellen die „Reichsbürger“ dabei allerdings keine einheitliche Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus unabhängig voneinander agierenden Einzelpersonen sowie Gruppierungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil sogar deutlich unterscheiden.

Allen Erscheinungsformen ist jedoch eines gemein: Sie negieren die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und propagieren den Fortbestand des Deutschen Reichs, dessen Vertretungsrecht sie für sich selbst reklamieren. Mit Blick auf einen eigenen Regierungsanspruch werden dann oftmals eigene Funktionsbezeichnungen wie „Reichskanzler“ oder „Reichsaußenminister“ kreiert.

Anhand dieser Begriffe wird auch deutlich, dass viele „Reichsbürger“ rechtsextreme Positionen vertreten, die von Antisemitismus, Rassismus bis hin zu Revisionismus und der Leugnung des Holocaust geprägt sind. Das muss selbstverständlich strafrechtlich verfolgt werden, und das wird es auch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An die Stelle unserer Gesetze und rechtsstaatlicher Prinzipien setzen die „Reichsbürger“ eigene Gesetze bzw. ein eigenes, selbstbestimmtes Quasi-Naturrecht als verbindliche Rechtsordnung. Dadurch, dass sie die Bundesrepublik Deutschland und alle ihre Institutionen ablehnen, kommt es zwangsläufig, und zwar vermehrt, zu Problemen durch den Kontakt mit „Reichsbürgern“. Sie ignorieren alle Schreiben, die einen amtlichen Charakter haben, wie Bescheide und Verwaltungsakte, Personalausweise und Führerscheine. Gleichzeitig überschwemmen die „Reichsbürger“ die Behörden oder Gerichte mit eigenen kruden E-Mails und Briefen.

Und das, meine Damen und Herren, ist die harmlosere Form ihres Widerstands.

Das von ihnen proklamierte „Naturrecht“ versuchen die „Reichsbürger“ teilweise durch Androhung und, wie schon erwähnt, auch durch Anwendung von Gewalt durchzusetzen. Derzeit gibt es in Niedersachsen kein Netzwerk von „Reichsbürgern“, das auf Gewalt befürwortenden oder gewaltbereiten Strukturen basiert. - Die Betonung liegt auf „derzeit“. - Aber einzelne Angriffe von „Reichsbürgern“ auf Polizeibeamtinnen und -beamte auch in Niedersachsen haben deutlich gemacht, dass Gewalt ein „legitimes“ Mittel gegen Repräsentanten des von ihnen negierten Staates zu sein scheint. Dieses erhebliche Maß an Renitenz und Gewaltbereitschaft gegenüber unseren staatlichen Institutionen und Maßnahmen zeichnet die sogenannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ aus.

Gleichzeitig herrscht in der „Reichsbürger“-Szene eine hohe Affinität zu Waffen, und einige von ihnen sind auch im Besitz verschiedener Waffenarten. Diese Kombination ist höchst beunruhigend und stellt eine potenzielle Gefahr für den Staat und seine Repräsentanten dar. Daher sind wir natürlich als Politik gefordert, diese Menschen und die Allgemeinheit mit entsprechenden Maßnahmen zu schützen.

Wir haben im Innenministerium hierauf reagiert. Selbstverständlich haben wir das. Wir haben mit einem Erlass deutlich gemacht, dass „Reichsbürger“ als waffenrechtlich unzuverlässig gelten und waffenrechtliche Erlaubnisse zu versagen bzw. aufzuheben sind. Wir waren eines der ersten Bundesländer.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dies führt im Ergebnis dazu, dass „Reichsbürger“ nach Maßgabe des Waffenrechts ihre Waffen abgeben müssen. Die Waffenbehörden können dabei auch auf Erkenntnisse der niedersächsischen Polizei und des niedersächsischen Verfassungsschutzes zurückgreifen. Generell befinden sich die Polizei und der Verfassungsschutz zu den „Reichsbürgern“ in einem engen Austausch und stehen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung.

Zudem haben wir als Landesregierung die Aufklärungsarbeit intensiviert und das Informationsangebot zum Thema „Reichsbürger“ ausgeweitet. Das Niedersächsische Justizministerium und der Ver

fassungsschutz beispielsweise führen hierzu seit letzter Woche gemeinsame Informationsveranstaltungen durch, die sich vor allem an Landesbedienstete aus dem Bereich der Justiz richten und große Resonanz erfahren. Hierfür liegen bereits ca. 1 000 Anmeldungen vor.

Meine Damen und Herren, wir nehmen als Landesregierung die sogenannte „Reichsbürger“-Bewegung sehr ernst. Durch die niedersächsischen Sicherheitsbehörden und die beteiligten Ressorts sind bereits die notwendigen Maßnahmen zum Umgang mit dieser sogenannten „Reichsbürger“Bewegung eingeleitet worden. Wir werden auch weiterhin unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten konsequent gegen die „Reichsbürger“ und ihre Bewegung vorgehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)