Protokoll der Sitzung vom 17.05.2017

Meine Damen und Herren, die freie Entscheidung für die Form der Geburt ist auch nicht zuletzt eine Frage der Gleichberechtigung. Wenn ein Bereich, der nur Frauen betrifft, Stück für Stück immer technischer und ökonomischer wird, dann ist das eine Benachteiligung für Frauen, gegen die wir uns wehren sollten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt hier nicht die eine Lösung. Wichtig ist, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation der Hebammen dauerhaft zu verbessern. Das heißt, diese Gesellschaft muss sich das Problem zu Eigen machen; denn nur wenn die Krankenversicherungen daraus Konsequenzen ableiten, wird das Problem gelöst sein. Genau aus diesem Grunde sprechen wir es heute und auch sonst immer wieder an.

Wir fordern, dass die Bundesregierung verbindlich gestaltet, wie viel Geld die Hebammen bekommen. Wenn sich die Krankenkassen nicht bewegen, müssen Gespräche geführt und Vorgaben gemacht werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir brauchen eine Lösung für die Problematik der Haftpflichtversicherung. Möglich wäre ein Modell, das sich an der Unfallversicherung orientiert und solidarisch von allen Gesundheitsberufen mitgetragen wird. Schließlich müssen Daten erhoben werden, nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit, damit wir wissen, wie die Versorgung in den Regionen eigentlich ist.

Wir haben alle diese Maßnahmen bereits 2014 gefordert und damit die Bundesratsinitiative aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein unterstützt - passiert ist nichts. Darum kann ich Ihnen schon an dieser Stelle für den Herbst ankündigen: Sobald eine neue Bundesregierung und ein neuer Gesundheitsminister im Amt ist, werden wir weitere Anläufe starten, um die Rahmenbedingungen für die Hebammen zu verbessern.

Die Grünen im Bund arbeiten dazu. Die Grünen im Land arbeiten dazu. Die niedersächsische Sozialministerin arbeitet dazu. Arbeiten Sie mit!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Piel. - Es folgt jetzt für die SPDFraktion Dr. Thela Wernstedt. Frau Dr. Wernstedt, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns in dieser Legislaturperiode schon mehrfach mit Fragen der geburtshilflichen Versorgung in Niedersachsen und Fragen rund um den Beruf der Hebamme beschäftigt.

Während Fragen der Berufshaftpflichtversicherung und der Beschäftigungsart für angestellte Hebammen kein Problem sind oder dabei nur sehr definierte Probleme bestehen, sieht es für freiberufliche Hebammen schwieriger aus. Wie bereits von Kollegin Piel ausgeführt, steht in zwei Tagen der Schiedsspruch an, der über eine wichtige Vergütungsfrage entscheiden wird, die auch die Arbeitsorganisation der freiberuflichen Hebammen empfindlich trifft, die in Krankenhäusern Belegbetten betreuen.

Etwa 20 % der Geburten in Deutschland werden von freiberuflichen Hebammen im Krankenhaus begleitet, die sich in Schichtsystemen organisiert haben, um eine umfassende Versorgung 24 Stunden am Tag auch bei langen Geburten sicherzustellen. Das System funktioniert gut, wird jedoch nicht ausreichend honoriert. Daher hat der Hebammenverband eine Erhöhung der Vergütung gefordert. Seit dem Sommer 2016 verhandeln die Hebammen mit dem GKV-Spitzenverband über diese Erhöhungen.

Der GKV-Spitzenverband hat eine solche Erhöhung auch angeboten, jedoch gibt es dabei mehrere Pferdefüße. Der Hebammenverband befürchtet weitergehende Folgen auf die Arbeitsorganisation der Beleghebammen und glaubt, dass das Berufsfeld der Beleghebammen im Krankenhaus regelrecht kaputt gemacht wird.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Das wäre schlimm!)

Wenn ich das einmal mit meiner Berufsgruppe vergleiche: Niemand würde auf die ernsthafte Idee kommen, durch einen Vertrag, der ärztliche Honorare betrifft, gleich die gesamte niedergelassene Ärzteschaft abzuschaffen. Wollte man das politisch tatsächlich durchsetzen, würde es lange dauern und einen ganz anderen politischen Prozess erfordern. Und: Es würde erdbebengleich die gesamte Republik erschüttern, weil die Interessenverbände sofort lautstark auf der Matte stehen würden. Hier wehren sich die Hebammenverbände ebenfalls bundes- und landesweit, aber, wie das bei Frauenberufen oft so ist, nicht so laut, wie es nötig wäre.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Fachfrauen des Hebammenverbandes sehen durch die neuen Vergütungsvorschläge, die in den Verhandlungen gemacht worden sind, die gute 1:1-Betreuung der Schwangeren in Gefahr. Es muss uns ein Anliegen sein, dass Schwangere eine Wahlfreiheit haben, wie und wo sie ihr Kind zur Welt bringen wollen, und dass die Betreuung möglichst individuell durchgeführt wird.

Dass nicht in jedem Dorf eine geburtshilfliche Abteilung und auch nicht eine freiberufliche Hebamme vorhanden sein können, sehen auch werdende Mütter und Väter ein. Dass wir allerdings in manchen Gegenden, z. B. auf der nordfriesischen Insel Sylt, keine geburtshilfliche Versorgung mehr haben, muss uns alarmieren.

Es steht zu befürchten, dass durch die neue Vergütungsregelung eher weitere geburtshilfliche Abteilungen schließen, weil die Krankenhäuser das finanzielle Risiko von angestellten Hebammen scheuen. Wir fordern daher beide Verhandlungsseiten, insbesondere den GKV-Spitzenverband, auf, keine Systemänderung über Honorarverhandlungen herbeiführen zu wollen.

Eine Wahlfreiheit der geburtshilflichen Begleitung durch eine freiberufliche oder angestellte Hebam

me sollte für schwangere Frauen in unserem Land gewährleistet werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt. - Ich rufe jetzt für die Fraktion der FDP die Kollegin Sylvia Bruns auf. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich für die Aktuelle Stunde bedanken, weil wir gerade auf den Schiedsspruch warten. Deswegen ist es gut, das Thema noch einmal zu diskutieren und auch noch ein bisschen lauter zu werden.

(Zustimmung bei der FDP und bei den GRÜNEN)

In Deutschland muss jede Geburt von einer Hebamme begleitet werden. Circa 60 % aller in Deutschland tätigen Hebammen arbeiten freiberuflich. Immer mehr von ihnen müssen ihren Beruf aufgeben, weil sie nicht mehr davon leben können. Neben einer aufreibenden Tätigkeit, die permanente Flexibilität und vollen Körpereinsatz fordert, machen die in Relation zur Einkommenslage hohen Haftpflichtbeiträge den Einsatz zunehmend finanziell nicht auskömmlich.

Die Gesetzeslage sieht vor - darüber haben meine Vorredner schon gesprochen -, dass Hebammen ohne Berufshaftpflichtversicherung, die die Risiken möglicher Schäden bei der Geburt absichert, nicht arbeiten dürfen. Eine weitere Steigerung - auch das ist schon angesprochen worden - erhöht die Kosten auf fast 8 000 Euro pro Jahr und Hebamme. Ein durchschnittliches Einkommen von 1 800 Euro für freiberufliche Hebammen macht es schwer, damit auskömmlich zu arbeiten.

Das Problem wurde weiter verschärft - wir haben bereits im Jahr 2014 darüber gesprochen -, weil ein Haftpflichtversicherer aus dem System ausgestiegen ist. Wenn zukünftig natürliche Geburten nur noch von angestellten Hebammen in Krankenhäusern durchgeführt werden können, würde damit für viele werdende Mütter und deren Familien die wichtige Wahlfreiheit, ihr Kind im Wunschumfeld - sei es zu Hause oder in Geburtshäusern - auf die Welt zu bringen, entfallen. Das finde ich unerträglich.

(Zustimmung bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Es ist aber ein gutes und wichtiges Recht von Müttern und Vätern, über das Geburtsumfeld selbst entscheiden zu können. Diese Wahlfreiheit ist aus Sicht der Freien Demokraten nicht disponibel. Hebammen begleiten werdende Mütter, deren Partner, Familien und Freunde durch die Schwangerschaft bis zur Geburt und weit darüber hinaus. Sie stehen rund um die Uhr als Vertrauensperson und Ansprechpartner zur Verfügung. Diese Hingabe verdient Anerkennung und den politischen Willen, nachhaltige Lösungen für die Probleme zu erarbeiten. Es darf jetzt keine weitere Zeit verloren gehen.

Mir schwant, dass bei diesem Schiedsspruch nicht das herauskommt, was wir uns alle wünschen werden. Die Freien Demokraten setzen sich für vernünftige Rahmenbedingungen ein, in denen ein wirtschaftliches Arbeiten möglich ist. Sie sollten, statt Existenzsorgen zu haben, ihrer eigentlichen Tätigkeit nachgehen können, Frauen in Schwangerschaft und Geburt mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Die Deckelung der Haftpflichtobergrenzen scheint für uns auf der einen Seite ein Weg zu sein, den wir gehen können. Zeitgleich soll auf der anderen Seite aber auch über die Gründung eines öffentlichen Fonds nachgedacht werden, der in den Fällen einspringt, bei denen die Haftungsobergrenze erreicht wird, damit die Ansprüche ausreichend abgesichert werden. Die andere Forderung ist hier auch schon formuliert worden: Wir möchten keine Systemänderung bei den Hebammen. Thela Wernstedt hat das schon ausgeführt. Somit ist alles zu dem Thema gesagt. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam das Thema immer wieder ansprechen und den politischen Druck erhöhen, sodass sich irgendetwas ändert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Bruns. - Schließlich spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Petra Joumaah. Bitte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass - und das

kommt gar nicht so oft bei Beratungsgegenständen vor - wirklich die überwiegende Mehrheit der hier anwesenden Männer und Frauen ganz, ganz persönliche Erfahrungen mit einer Hebamme gemacht hat als Mütter, die ein oder mehrere Kinder geboren haben, oder als Väter, die - glücklicherweise ist das heute die Regel, früher war das noch nicht so - bei der Geburt ihrer Kinder oder ihres Kindes anwesend waren.

Deshalb können wir sehr, sehr gut beurteilen, wie wichtig die Arbeit unserer Hebammen ist, die uns in sicherlich einem der wichtigsten Momente unseres Lebens, nämlich bei der Geburt unseres Kindes, begleiten und

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

darüber hinaus - und auch das ist sehr wichtig - vorher schon in der Schwangerschaft und auch nach der Entbindung im Wochenbett. Sie betreuen uns sehr individuell bei Schwangerschaft und Geburt. Da ist ganz vieles nicht planbar, nicht vorhersehbar. Körper und Seele einer jeden Frau reagieren anders und brauchen Hebammen, die sie unterstützen, die Zeit für sie haben, die sie kontinuierlich begleiten können. Aber wir Frauen brauchen nicht nur Hebammen, sondern natürlich auch ein wohnortnahes, ein ausreichendes Angebot von Geburtskliniken.

Nun hören wir, beides ist gefährdet. Es droht die Schließung vieler Kreißsäle und somit die ausreichende Versorgung durch Hebammen. Was ist passiert? - Nachdem der Hebammenverband eine Erhöhung der Vergütung gefordert hat - ich zitiere - „…auf ein Niveau, das dem Aufwand und der Verantwortung der Tätigkeit der Hebammen entspricht“, nimmt der GKV-Spitzenverband diese Forderung zum Anlass, Neuregelungen im Vertrag zu verankern - eine Einschränkung der Leistungsmenge, nicht praktikable Anforderungen im Bereich der Arbeitsorganisation -, die zur Folge hätten, dass für viele freiberufliche Hebammen die Einnahmen stark sinken würden, Neuregelungen, die zur Folge hätten, dass wir zukünftig massive Ausfälle in der klinischen Geburtshilfe zu erwarten hätten. Der Hebammenverband rechnet mit der Schließung von bis zu 20 % der Kreißsäle. Bereits heute - Frau Wernstedt hat dies am Beispiel von Sylt erwähnt - haben wir an ganz vielen Orten keine flächendeckende, keine wohnortnahe Hebammenhilfe mehr zur Verfügung.

Das bewährte System der freiberuflichen Beleghebammen muss also unbedingt erhalten bleiben,

optimalerweise sogar ausgebaut werden, um keine Mangelversorgung entstehen zu lassen, sondern um die geburtshilfliche Versorgung zu sichern.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Anja Piel [GRÜNE])

Wir reden von ungefähr 2 000 Hebammen, die als Beleghebammen arbeiten und etwa 140 000 Geburten pro Jahr begleiten.

Wenn der GKV-Spitzenverband anregt, die betroffenen Hebammen könnten sich ja von den Kliniken anstellen lassen, ist das zynisch; denn wir alle wissen, dass das für die kleinen Kliniken in der Fläche nicht möglich ist. Da wird schon heute am Personal gespart. Man wird keine Hebammen fest einstellen, sondern man wird eher die Geburtshilfe schließen, und das muss verhindert werden.

Wir brauchen die wohnortnahe Geburtshilfe mit Hebammen, die ausreichend bezahlt werden und gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Geburtshilfe darf nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten geplant werden. Deshalb sind vertragliche Einschränkungen bei der Leistungsmenge durch die Krankenkassen abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)