Protokoll der Sitzung vom 14.06.2017

Wenn wir uns auf der einen Seite in der Zielstellung einig sind - das hat uns auch in der vorigen Wahlperiode verbunden, als wir das Schulgesetz geändert haben -, geht es auf der anderen Seite um die Umsetzung: Wie gestalten wir den Weg zur

Inklusion? - Genau da liegen die großen Unterschiede in den politischen Debatten, genau da gibt es unterschiedliche Ansichten. Auch wenn wir uns im Ziel einig sind, wird die Umsetzung der Inklusion traurigerweise immer mehr zu einem Streitthema.

Dabei war es 2012, zu Zeiten unserer Regierungsverantwortung, auch unser Ziel, die Umsetzung der schulischen Inklusion in Niedersachsen mit breiter politischer Mehrheit auf den Weg zu bringen. Wir streiten uns im schulpolitischen Bereich so viel. Aber gerade die Inklusion hat es verdient, von einer breiten Mehrheit getragen zu werden. Die Betroffenen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Deshalb war es uns von Anfang an wichtig, immer wieder für eine breite politische Mehrheit bei der Umsetzung der Inklusion zu werben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

2012 haben wir es hinbekommen, gemeinsam mit der SPD dieses Gesetz zu beschließen, indem wir aufeinander zugegangen sind. Nur die Grünen konnten sich damals dieser Position nicht anpassen.

Von dieser Einigkeit, die wir damals angestrebt haben und die es damals in Teilen gegeben hat, sind wir - das ist eine traurige Feststellung - jetzt, im Jahr 2017, weiter entfernt denn je.

Nach der umfassenden Beratung, die wir in den letzten Jahren hatten, haben wir in der Sitzung des Kultusausschusses in der letzten Woche viele sehr umfassende Anträge zur Inklusion zur Abstimmung gebracht. Allein der CDU-Antrag zur Umsetzung der Inklusion umfasst 19 einzelne Punkte, die einen ganzen Strauß von Maßnahmen benennen: Worauf kommt es jetzt an, um Inklusion zum Erfolg zu bringen?

Die Anträge der CDU und die Anträge der FDP sind in der letzten Woche von den regierungstragenden Fraktionen abgelehnt worden. Mit dem Gesetzentwurf, den wir jetzt in den Landtag einbringen, wollen wir den regierungstragenden Fraktionen - das betone ich - noch einmal eine Brücke bauen, um bei dem wichtigen Thema Inklusion zu mehr Einigkeit in diesem Parlament zu kommen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Wir schlagen Ihnen mit unserem Gesetzentwurf einen ersten, sehr leicht umsetzbaren Schritt zur Wahlfreiheit der Eltern und zur Förderung der Kinder vor. Gerade für sie hat er eine große Bedeu

tung. Es geht nur um einen einzigen Satz, der im Schulgesetz geändert werden muss. Der Satz in unserem Gesetzesvorschlag lautet:

„Bestehende Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen können im Sekundarbereich I weitergeführt werden.“

Das ist eine kleine Ergänzung des § 183 c Abs. 5 - ein kleiner Satz, der aber ganz viel für die betroffenen Kinder und ihre Eltern bewegen kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich noch einmal unterstreichen: Es ist ein Märchen - gerade die Abgeordneten von SPD und Grünen und auch die Regierung versuchen, das der Öffentlichkeit zu verkaufen -, dass wir als CDU ein Menschenrecht aussetzen wollen, dass wir als CDU die Rolle rückwärts bei der Inklusion wollen. Das wollen wir nicht.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Was ist es denn anderes? Genau das ist es doch!)

- Wenn Sie genau zuhören würden, wenn Sie die Debatten in der Vergangenheit genau verfolgt hätten, dann wüssten Sie, dass es uns eben nicht darum geht, Inklusion abzuwickeln. Uns geht es vielmehr darum, Inklusion zum Erfolg zu bringen, dass Inklusion in Niedersachsen gelingt.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Meine Damen und Herren, ich kriege Gänsehaut, wenn ich an die verschiedenen Situationen denke.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Wir haben sie schon, wenn wir Sie so reden hö- ren!)

Das Kind muss im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen, aber das tut es in Niedersachsen - verdammt noch mal! - nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Gerd Ludwig Will [SPD]: Hey, hey!)

Wir haben 2012, als wir das Gesetz geändert haben, den Grundsatz gefasst, dass wir nicht wollen, dass Eltern vor ein Gericht ziehen und klagen müssen, wenn sie möchten, dass ihr Kind einen Platz an einer allgemeinbildenden Schule bekommt. Wir haben gesagt: Das wollen wir nicht mehr. Eltern sollen nicht vor Gericht ziehen müssen, sondern sollen die Wahlfreiheit haben: Wo ist

der beste Lern- und Förderort für mein Kind? - Das ist der Grundsatz, der uns damals getragen hat.

Wenn wir das aber als Grundsatz sehen, dann kann es doch auch nicht richtig sein, dass heute Eltern vor Gericht ziehen, weil sie für ihr Kind einen Platz auf einer Förderschule bekommen wollen und nicht mehr die Wahlfreiheit haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wem ist denn geholfen, wenn wir feststellen, dass Kinder dauerhaft in der Regelschule überfordert sind, wenn wir feststellen, dass man dem Kind dort nicht gerecht werden kann, weil Lehrkräfte - berechtigterweise - überfordert sind, wenn Lehrkräfte sagen: „Wir wissen eigentlich gar nicht, um wen wir uns heute kümmern sollten: um die Kinder mit Förderbedarfen oder die Kinder ohne Förderbedarfe“, wenn wir vor Riesenhürden stehen, was die personelle Ausstattung angeht?

Wem ist denn geholfen, wenn Kinder unter Mobbing in der Schule leiden? Wem ist denn geholfen, wenn Kinder selber merken: „Ich bin hier nicht einer unter Gleichen; ich profitiere nicht von den anderen; ich möchte die Schule gemeinsam mit Schülern meiner Leistungsstärke und meiner Qualifikation erleben und nicht immer nur als das Anhängsel hinten dabei sein“?

Wem ist denn geholfen, wenn Kinder unter solchen Situationen leiden und keine Wahlmöglichkeit haben, wenn Kinder nachts zu Hause liegen und sich einnässen und Eltern nicht mehr wissen, was sie in solchen Situationen tun sollen?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Genau deshalb wollen wir den Druck aus der Umsetzung herausnehmen, wie sie derzeit in Niedersachsen stattfindet. Wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern. Genau deshalb brauchen wir heute ein Moratorium für ein Jahr, um bei Inklusion wirklich alles wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Herr Kollege Seefried, ich darf Sie kurz unterbrechen. Herr Kollege Santjer bittet darum, eine Frage stellen zu dürfen.

Bitte, Herr Kollege Santjer!

Herr Kollege Seefried, vielen herzlichen Dank, dass ich die Frage stellen darf. Bei Ihrer Schilderung lassen Sie aus meiner Sicht völlig außer Acht, dass mehr als die Hälfte der 46 000 niedersächsischen Schüler, die eine besondere Hilfe benötigen, im Bereich der Integration/Inklusion sind. Unterstellen Sie, dass das nicht gelingt und dass die Lehrkräfte dort nicht vernünftig arbeiten können und arbeiten?

(Lachen bei der CDU - Unruhe)

Bitte, Herr Kollege! - Ich bitte um Ruhe, damit der Kollege Seefried antworten kann. - Bitte!

Herr Kollege Santjer, zu den Zahlen, die Sie gerade genannt haben, komme ich noch. Aber auch Ihre Ausführung macht deutlich, wie weit weg von der Realität in unseren Schulen Sie sind.

(Beifall bei der CDU - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Einfach mal auf die Frage antworten!)

Natürlich gibt es Kinder - zum Glück viele Kinder -, für die der Weg in der allgemeinbildenden Schule genau der richtige ist. Da funktioniert das gut. Die großartige Arbeit, die unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten, stellen wir bei jeder Gelegenheit - auch hier im Parlament - heraus. Die Lehrer sind der Schlüssel zum Erfolg, für gute Bildung, auch für die Umsetzung der Inklusion. Wir können ihnen allen unendlich dankbar sein für das, was sie dort leisten. Sie haben eine Riesenanerkennung und Wertschätzung auch durch dieses Haus verdient.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Aber, Kollege Santjer, es gibt eben auch andere Kinder. Vor denen verschließen Sie anscheinend die Augen. Es gibt andere Kinder, es gibt andere Schicksale. Es gibt Familien, die nicht mehr wissen, wie sie ihrem Kind helfen sollen. Dann bleiben Kinder über Monate zu Hause, weil sie nicht mehr wissen, wie sie in diesem Schulsystem zurechtkommen sollen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Deswegen, Kolleginnen und Kollegen, sage ich noch einmal deutlich: Ein Moratorium, wie wir es fordern, bedeutet eben nicht Stillstand. Einen Stillstand bedeutet es überhaupt nicht. Ein Moratorium bedeutet auch nicht Rückabwicklung der Inklusion; auch darum geht es nicht. Uns geht es - auch mit dem Gesetzentwurf, den wir hier vorlegen - darum, dass jetzt Schluss damit ist, gute Netzwerke, die in den Regionen vorhanden sind, zu zerstören, dass jetzt Schluss damit ist, dass die Förderschulen Lernen nach den Sommerferien in den fünften Jahrgängen keine Kinder mehr aufnehmen dürfen, dass wir jetzt damit aufhören, Eltern zu verbieten, ihr Kind auf die Schule zu schicken, die sie für richtig halten, damit das Kind die entsprechende Förderung bekommt.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Wir wollen nicht - da soll dieser Gesetzentwurf eine Brücke bauen -, dass jetzt weitere Fakten geschaffen werden, dass es jetzt so weitergeht, wie RotGrün den Weg in Niedersachsen eingeschlagen hat: hin zu einer Inklusion ohne Wahlfreiheit, hin zu einer Inklusion ohne Alternative. - Genau dieser Weg muss gebremst werden, bevor die Fakten in Niedersachsen unumkehrbar sind.

Wir wollen nicht, dass Eltern etwas verboten und ihnen gesagt wird, wie die richtige Schule für ihr Kind aussieht, sondern wir wollen, dass den Eltern etwas ermöglicht wird. Noch ist es nicht zu spät, den jetzigen Weg in Niedersachsen zu verändern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Medien haben viel über die Diskussion in den vergangenen Wochen berichtet. Ich möchte hier jemanden zitieren, der, glaube ich, unsere gemeinsame Wertschätzung trägt und der auch in den vergangenen Jahren, gerade was die Einigkeit angeht, immer eine wichtige Rolle gehabt hat, gerade für die Bildungspolitiker, nämlich Herrn Fricke vom Verband für Sonderpädagogik, der immer wieder dafür geworben hat: Findet einen Weg der Einigkeit in diesem Parlament! Dieses Thema ist zu wichtig! - Herr Fricke wird in der HAZ am 11. Mai wie folgt zitiert: Ich wünsche mir mehr Flexibilität für die einzelnen Standorte und weniger starre Ideologie. Das wäre schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Genau das fordern wir ein.