Protokoll der Sitzung vom 15.06.2017

(Zustimmung bei der SPD)

Eine Angleichung von Sozialstandards nach unten wird es mit uns nicht geben.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Wir stehen für bessere Lebens- und Arbeitsverhältnisse in ganz Europa und für alle Menschen. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und die Anregungen z. B. von Ihnen, Frau Pieper.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Emmerich-Kopatsch. - Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Gudrun Pieper das Wort.

Danke schön. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Den Ball greife ich gerne auf, Frau Emmerich-Kopatsch. Vielleicht kann ich noch ein paar Anregungen geben. Denn in Ihrem Antrag sind viele Elemente enthalten, die wir durchaus teilen können.

Ich will den Fokus aber noch auf etwas anderes legen. Als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 9. September 2015 die Einrichtung einer Europäischen Säule sozialer Rechte - kurz:

ESSR - ankündigte und einen entsprechenden Arbeitsauftrag in die Kommission gab, knüpfte er dort an, wo bereits am 16. Juni 1953 die Fraktion der Christlichen Demokraten in ihrer Sitzung im Europahaus in Straßburg im legendären Saal 54 den Grundstein legte.

Hintergrund war, dass eine Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und sozialen Partnern, zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik getroffen werden sollte. Zu den wichtigsten Zielen der Christdemokraten im Sozialbereich gehörten die Angleichung der Löhne, die Beschränkung der Arbeitszeit, insbesondere für junge Arbeiter und Schwerstarbeiter im Kohle- und Stahlkocherbereich, sowie die Verlängerung des Urlaubs. Der damalige Fraktionsvorsitzende Emmanuel Sassen betonte nachdrücklich während der gemeinsamen Versammlung, „dass der Hohen Behörde ein umfangreicheres Arbeitsfeld und größere Verantwortung auf dem Gebiet der Sozialpolitik zugewiesen werden sollte, als im Rahmen des Vertrages gerechtfertigt erscheint, … und dass Artikel 3 der Hohen Behörde eine fördernde Rolle zuweist.“ - Meine sehr geehrten Damen und Herren, recht hatte er damals!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Damit begann eine Reihe von weiteren Initiativen auf der europäischen Ebene. Ich nenne als Stichwörter das Wohnungsbauprogramm für Tausende von Arbeitnehmern - bis zum Jahr 1979 wurden 150 000 Arbeiterwohnungen gefördert - und das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft, verknüpft mit der sozialen Solidarität. Entgegen dem Vertrag von Rom aus dem Jahre 1957 wurden die Weichen für Freizügigkeit, für die Harmonisierung des Gemeinsamem Marktes, den EU-Sozialfonds, den Ausgleich der Sozialgesetzgebung und für vieles mehr gestellt.

Und heute? - Heute muss das, was damals erfolgreich eingerichtet wurde, in einer veränderten EUKulisse - so will ich es mal nennen, weil mehr Staaten dabei sind -, auch gemessen an den heutigen Bedingungen, weitergeführt und u. a. auf die Zukunft ausgerichtet werden.

Mit ihren jetzt vorgelegten 20 Grundsätzen zur Unterstützung fairer und gut funktionierender Arbeitsmärkte und Wohlfahrtssysteme knüpft die ESSR dort an, wo bereits Grundlagen für Chancengleichheit, Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen sowie angemessenen und nachhaltigen Sozialschutz gelegt wurden, jedoch im veränderten EU-Raum in der Vergangenheit in Verges

senheit geraten zu sein schienen und eine soziale Ungleichheit zugenommen hat.

Wir haben das Problem erkannt, und insofern geht der Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der einen Seite in die richtige Richtung. Zum Beispiel sollen der Bereich der Arbeitsstrukturen im Zusammenhang mit Arbeit 4.0 gestärkt, Arbeitszeitmodelle im Rahmen der Work-life-balance gewährleistet, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Arbeitsschutz und noch einiges mehr verbessert werden. Aber das alles sind Anforderungen an den Bund. Kollegin Emmerich-Kopatsch sagte eben: Zum 1. Juli geht der Vorsitz der Europaministerkonferenz an Niedersachsen. Doch ich frage mich: Wo in dem Antrag sind eigentlich die Initiativen von Niedersachsen? - Gerade im Zusammenspiel zwischen Bund und Land sollte Niedersachsen doch eine entscheidende Rolle spielen. So verstehen wir Europa!

(Beifall bei der CDU)

Wenn man nämlich im Antrag schreibt:

„Neben der Fortführung aktueller europapolitischer Themen wird Niedersachsen während seines einjährigen Vorsitzes einen Schwerpunkt im Bereich ,Zukunft soziales Europaʼ setzen.“,

dann sollte man auch die Schwerpunkte benennen. Ich kann Ihnen dazu Beispiele wie den Tarifvertrag Soziales oder die Wohnraumförderung nennen. Ich denke, daraus kann man einiges ableiten. Dort sind sowohl der Bund als auch das Land gefordert. So verstehen wir Europa!

Ja, wir werden ausgiebig im Ausschuss darüber beraten. Ich denke, wir müssen dementsprechend Europa und auch die Maßnahmen definieren. Ich glaube, wir werden gute Beratungen haben. Denn vieles, das in dem Antrag enthalten ist, entspricht auch unserer Position. Ich habe es aus der Historie heraus dargestellt. Insofern freue ich mich auf die Ausschussberatungen, mache aber schon darauf aufmerksam, dass wir auch Mitberatungen in den Ausschüssen für Wirtschaft und für Soziales vorsehen sollten, weil das Thema sehr, sehr komplex ist. Aber wenn, dann soll es ein guter Antrag werden, sodass wir auch gute gemeinsame Ergebnisse erzielen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. - Jetzt hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Regina Asendorf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu unserem Glück vereint sind, empfinden durchaus nicht alle Bürger in Europa so.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das stimmt! Frauke Petry sieht das ein wenig anders!)

Während der gemeinsame Binnenmarkt stetig vorangebracht wurde, sind die sozialen Fragen in den Hintergrund getreten. Die Basis der Europäischen Union stellte am Anfang die Wirtschaftsgemeinschaft dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg war wahrscheinlich das schon ein unglaublicher Erfolg.

Robert Schumann, der Vater Europas, sprach vor 60 Jahren von einem demokratischen Modell der Herrschaftsausübung, das durch Versöhnung eine Gemeinschaft der Völker in Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden entstehen lässt.

1973 wurde in dem Dokument über die europäische Identität festgehalten, dass eine Gesellschaftsordnung angestrebt wird, die den Menschen dient. Als Grundelemente der europäischen Identität wurden die repräsentative Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die soziale Gerechtigkeit als das Ziel des wirtschaftlichen Fortschritts sowie der Achtung der Menschenrechte festgehalten. Der wichtigste Punkt der sozialen Gerechtigkeit wurde viel zu lange vernachlässigt.

Dem Vertrag von Maastricht - 1992 - wurden ein sogenanntes Sozialprotokoll und Sozialabkommen angehängt, übrigens ohne Großbritannien, das sich auch in der Folge weiterhin gegen eine Einbindung der Sozialpolitik gestellt hat. Im Sozialprotokoll sind u. a. Hinweise zur Setzung arbeitsrechtliche Mindestnormen und Weiterentwicklung des sogenannten Sozialen Dialogs enthalten.

Erst mit dem Vertrag von Amsterdam gaben die Briten ihren Widerstand auf, und das Sozialprotokoll wurde 1999 in den Vertrag übernommen. Leider ist daraus nur wenig politische Aktivität entstanden.

Der Vertrag von Lissabon - 2009 - stärkt die soziale Dimension Europas. Zugleich wird eine Übertragung neuer Kompetenzen an die Europäische Union im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik aber vermieden. Aktivitäten im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik können weiterhin nur im Rahmen ihrer begrenzten Kompetenzen stattfinden.

2010 wurde die Strategie Europa 2020 mit der Priorität eines integrativen Wachstums beschlossen. Um eine gerechtere Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen, hat die Kommission im März 2016 einen vorläufigen Entwurf für eine europäische Säule sozialer Rechte vorgelegt. Sie besteht aus drei Strängen: Chancengleichheit und gleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt, gerechte Arbeitsbedingungen und Zugang zu angemessener und nachhaltiger sozialer Absicherung.

In seiner Entschließung vom Februar 2016 zu dem Thema „Europäisches Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ hat das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert, tätig zu werden, um eine aufwärts gerichtete soziale Konvergenz in der Union zu fördern. Die Schaffung einer europäischen Säule sozialer Rechte ist ein Schritt in diese Richtung.

An diesem Punkt stehen wir nun. Die soziale Spaltung Europas ist in 60 Jahren nicht überwunden worden und wird zunehmend zur Überlebensfrage Europas.

Ich habe diesen kleinen Exkurs in die Geschichte gemacht, um zu zeigen, dass bislang viele Absichtserklärungen abgegeben wurden, aber wenig konkrete Politik gemacht wurde - auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Die Bürger nehmen wahr, dass den Banken geholfen wurde, aber gegen die Jugendarbeitslosigkeit nicht genügend getan wurde.

Vor 60 Jahren wurde den Bürgern Europas ein Versprechen gegeben. Es wird höchste Zeit, dass das Versprechen eingelöst wird; denn ansonsten werden sie sich noch weiter von Europa entfernen. Ohne einen sozialen Zusammenhalt in Europa hat Europa keine Zukunft.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich füge am Schluss ein Zitat an:

„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.“

Das sagte 1954 Konrad Adenauer. Ich glaube, das stimmt noch heute.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- stimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Asendorf. - Das Wort hat jetzt für die FDP-Fraktion der Kollege Horst Kortlang.

Verehrtes Präsidium! Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Die europäische Säule sozialer Rechte - „ESSR“ genannt - sieht 20 Grundsätze zur Unterstützung fairer und gut funktionierender Arbeitsmärkte und Wohlfahrtssysteme vor. Sie wurde als Bezugsrahmen für die Beurteilung der Leistung der teilnehmenden Mitgliedstaaten in den Bereichen Beschäftigung und Soziales konzipiert, um Reformen auf nationaler Ebene voranzubringen. Vor allem beim Prozess der Konvergenz in Richtung auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen in Europa soll sie als Orientierungsmarke dienen, und zwar in erster Linie für den Euroraum, aber auch für alle anderen EU-Mitgliedstaaten, die sich anschließen möchten.

Die 20 Grundsätze und Rechte werden unter drei Kategorien formuliert: erstens Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, zweitens faire Arbeitsbedingungen und drittens angemessener und nachhaltiger Sozialschutz.

Sie, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, beginnen mit Ihrem Entschließungsantrag, um dann klarzustellen, was die Kommission bisher versäumt habe und was nun unter dem niedersächsischen Vorsitz bei der Konferenz der Europaminister dringend eingearbeitet werden müsse und erfüllt werden sollte.

Nüchtern müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass es schon viel Kritik an diesem ESSR-Entwurf gegeben hat und gibt. Kurz zusammengefasst: Viele Länder sehen das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Staatshaushalte werden belastet. Die Gewerkschaften wollen natürlich mehr, Arbeitnehmer

verbände - wie das so ist - sehen die Wettbewerbsfähigkeit der EU geschmälert.

Aber zu allen Punkten, meine Damen und Herren, ist im Grunde zu sagen, dass eigentlich schon alles, was im Papier steht, angepackt ist und abgearbeitet wird. Sie, meine Damen und Herren von der regierenden Seite, lassen dabei nur die Kritik der Gewerkschaften gelten und verstoßen mit Ihren Forderungen in eigentlich unverantwortlicher Weise gegen das Subsidiaritätsprinzip. Sie wollen noch massiver in die Haushaltshoheit eingreifen. Dies wird in Ihrer vorletzten Forderung besonders deutlich; denn die Sozialversicherungen haben unterschiedliche Traditionen und können daher nicht einfach nur durch die deutsche oder parteipolitische Brille von uns betrachtet werden.

Eine Frage: Soll es überall in Deutschland besser werden? Daran sollten wir alle arbeiten, meine Damen und Herren! Glauben Sie mir, schiere Gleichmacherei ist dafür aber nicht die Lösung. Das würde auch den einzelnen Lebensleistungen und den individuellen Lebensentwürfen nicht gerecht werden. Ich könnte dies mit einigen Zahlen belegen. Das können wir aber später im Ausschuss machen.