Protokoll der Sitzung vom 16.08.2017

Dafür brauchen Schulen Unterstützung, und sie brauchen einen gesicherten Rahmen, einen geschützten Raum. Sie brauchen aber keine Skandalisierung von Einzelfällen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ja, wir sind davon ausgegangen, dass die bisherige Regelung des § 58 ausreicht. Wo ist das Problem, meine Damen und Herren? - Daraufhin haben wir ein Gutachten beantragt, und das Gutachten hat mich persönlich klüger gemacht. Wo ist das Problem, meine Damen und Herren, wenn einen ein Gutachten klüger macht?

(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Na- cke [CDU]: Wenn Sie nur hier im Hause zuhören würden!)

Ich nehme nicht an, dass alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause das Gutachten gelesen haben. Wenn sie es getan hätten, würden sie wissen, dass der Gutachter von einem sehr liberalen Verständnis ausgeht und dass er sehr intensiv zwischen zwei hohen Rechtsgütern abwägt, nämlich auf der einen Seite dem staatlichen Bildungsauftrag und auf der anderen Seite der Freiheit der Religionsausübung. Das ist ein Abwägungspro

zess, der notwendig ist, und der ist in diesem Gutachten hervorragend gelungen.

Noch ein Punkt zu der Frage, was das Kultusministerium in der Anhörung, die wir durchgeführt haben, eigentlich hätte vorlegen müssen. Ich möchte mich ganz ausdrücklich beim Kultusministerium dafür bedanken, dass es der Legislative den Vorrang gegeben hat. Vielen Dank dafür!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Gerd Ludwig Will [SPD])

Vielen Dank, Herr Kollege Scholing. - Jetzt hat Frau Kultusministerin Heiligenstadt das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass es jetzt mit diesem gemeinsamen Änderungsvorschlag zum Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Pflichten von Schülerinnen und Schülern im Schulgesetz gelungen ist, eine von allen im Niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen getragene und auch sehr gute Gesetzesfassung vorzulegen. Die Landesregierung hat mit der Einholung eines externen wissenschaftlichen Gutachtens zu diesem Regelungskomplex gerne eine wichtige Grundlage für den Änderungsvorschlag geschaffen.

Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs übernimmt der Gesetzgeber für einen gesellschaftlich umstrittenen Regelungskomplex die Verantwortung und schafft eine klarere und damit auch praxisgerechtere Rechtsgrundlage zum Umgang mit der Gesichtsverschleierung von Schülerinnen in der Schule. Wir schaffen damit die notwendige Bestimmtheit, wir schaffen damit auch die notwendige Vorhersehbarkeit in Bezug auf ganz konkrete Mitwirkungsrechte, aber auch Mitwirkungspflichten der Schülerinnen und Schüler.

Damit es hier nicht zu einer Legendenbildung kommt, möchte ich aus meinem Wortbeitrag im Plenum vom 22. November 2016 zitieren, in dem ich ausdrücklich gesagt habe:

„Viertens und abschließend. Damit es keine weiteren Fälle gibt, werden wir natürlich auch gesetzliche Änderungen prüfen müssen, damit es zu keinen Unklarheiten kommen kann.“

Es ist also eindeutig nachzulesen, Herr Hillmer, dass auch ich bereits frühzeitig auf diese Thematik hingewiesen habe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gut, dass mit der Gesetzesänderung jetzt ein allgemeines Mitwirkungsrecht für alle Schülerinnen und Schüler in der Schule normiert wird - ein Recht, aber eben auch die Pflicht. Die Mitwirkungspflicht wird dahin gehend festgelegt, dass die Schülerinnen und Schüler an der Erfüllung des Bildungsauftrages mitzuwirken haben. Damit wird der im Niedersächsischen Schulgesetz niedergelegte Bildungsauftrag der zentrale Maßstab für das Verhalten der Schülerinnen und Schüler.

Die neue Vorschrift konkretisiert in § 58 des Schulgesetzes den Pflichtenkanon der Schülerinnen und Schüler und macht deutlich, dass die offene Kommunikation eine grundlegende Gelingensbedingung von Schule darstellt. Der Gesetzeswortlaut umfasst dabei durch die Aufnahme des Merkmals der Kleidung auch die aus religiösen Gründen getragene Vollverschleierung von Schülerinnen. Ohne sich jedoch auf diesen Einzelfall zu beschränken oder gar diskriminierend zu wirken, wird damit deutlich, dass das Tragen von Burka oder Nikab in einer Schule untersagt ist. Die Vorschrift markiert damit eine eindeutige Grenzlinie für religiös motivierte Kleidung in der Schule.

Meine Damen und Herren, Kommunikation ist mehr als die bloße Wahrnehmbarkeit des gesprochenen Wortes. Kommunikation setzt auch das Erfassen der Körpersprache, insbesondere der Gesichtsmimik voraus.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich wird mein Haus die gesetzliche Regelung durch begleitende untergesetzliche Maßnahmen zielführend in der Anwendung und Umsetzung durch die Schulen vermitteln. Hierzu sind bereits umfangreiche Vorarbeiten getroffen worden. So ist in der vergangenen Woche der zuständige Fachbereich der Niedersächsischen Landesschulbehörde im Rahmen einer Dienstbesprechung im Vorgriff auf die sich abzeichnende Verabschiedung des Gesetzentwurfs unmittelbar und umfassend über die rechtlichen Auswirkungen informiert worden. Auch ist beabsichtigt, nach der Verabschiedung des Gesetzes durch dieses Plenum umfangreiche Begleitmaterialien an die Schulen zu verschicken. Neben erläuternden Hinweisen an die Schulen wird dies auch eine Meldekette im Falle des Besuchs einer vollverschleierten Schülerin an den Schulen beinhalten. Zudem wird den Schulen ein weiterfüh

render Aufsatz zum besseren Verständnis der Rechtslage zur Verfügung gestellt. Diese Informationen sollen in der Oktober-Ausgabe des Schulverwaltungsblattes für die Schulen verfügbar sein.

Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend betonen, dass wir bei der schulrechtlichen und pädagogischen Behandlung von Fällen vollverschleierter Schülerinnen nicht am Anfang stehen. Die Niedersächsische Landesschulbehörde hat bereits in der Vergangenheit in diesen Fällen den Schulen sehr gut unterstützend und beratend zur Seite gestanden und wird dies natürlich auch in Zukunft tun.

Die Rechtslage wird durch die Neufassung des § 58 des Schulgesetzes im Sinne der Normenklarheit und einer Erhöhung der Anwenderfreundlichkeit präzisiert. Das ist ein wichtiger Schritt für unsere Schulen, und das begrüße ich ausdrücklich.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen in der Aussprache im Rahmen der abschließenden Beratung zu diesem Gesetzentwurf nicht vor.

Wir treten daher in die Einzelberatung ein. Wer daran mitwirken möchte, der nehme seinen Platz ein. - Das haben zwischenzeitlich alle getan.

Ich rufe in der Einzelberatung auf:

Artikel 1. - Hierzu liegt Ihnen die Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer dieser folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Gibt es nicht. Enthaltungen? - Ebenfalls nicht.

Artikel 2. - Hierzu liegt ebenfalls eine Änderungsempfehlung des Ausschusses vor. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Gibt es auch nicht.

Gesetzesüberschrift. - Unverändert.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer den Gesetzentwurf in der Schlussabstimmung annehmen möchte, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich frage formal nach Gegenstimmen. - Die gibt es nicht. Enthaltungen? - Gibt es auch nicht. Damit haben Sie dieses Gesetz einstimmig beschlossen.

(Christian Dürr [FDP]: Wer war noch mal der Einbringer des Gesetzent- wurfs?)

- Herr Dürr, ich habe es nicht verstanden. Wiederholen Sie es bitte in der Pause; ich möchte mitlachen.

Meine Damen und Herren, in Abstimmung mit dem Präsidenten, da auch eine Präsidiumssitzung stattfindet, setzen wir die Sitzung um 15.15 Uhr fort. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Mittagspause.

(Unterbrechung der Sitzung von 13.54 Uhr bis 15.16 Uhr)

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die für die Mittagspause unterbrochene Sitzung.

Wir kommen zu dem

Tagesordnungspunkt 5: Einsetzung einer Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/2172 - Beschlussempfehlung des Ältestenrates - Drs. 17/2903 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP - Drs. 17/2921 - Unterrichtung - Drs. 17/2963 - Bericht der Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ - Drs. 17/8530

Der Landtag hat in der 57. Sitzung am 18. Februar 2016 der Kommission ihren Auftrag erteilt.

Die Enquetekommission hat ihren schriftlichen Bericht vorgelegt. Berichterstatterin ist die Abgeordnete Frau Dr. Silke Lesemann. Sie spricht aber auch für die SPD-Fraktion. Frau Dr. Lesemann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Vor wenigen Tagen jährte sich der Bau der Berliner Mauer zum 56. Mal. Der 13. August 1963 ist in die deutsche Geschichte als Datum des Unrechts eingegangen. Mit dem Mauerbau fanden die deutsche Teilung und staatliche Repressionen eine äußere Form. Sie riss Familien und Freunde brutal auseinander und forderte mehrere Hundert Opfer an der Grenze. Die Teilung, der mit ihr verbundene Schmerz und das Leid vieler Menschen

sind Teil unserer Geschichte, der niemals in Vergessenheit geraten darf.

Der Tag des Mauerbaus ist aber auch ein Anlass, sich an alle anderen zu erinnern, die unter der SED-Herrschaft gelitten haben. Eine zentrale Rolle spielte dabei die DDR-Geheimpolizei. Das Ministerium für Staatssicherheit kümmerte sich im Auftrag der SED um alle neuralgischen Punkte. Es sicherte den Bau der Mauer ab, spürte Mauerkritiker und Fluchtwillige auf.

Meine Damen und Herren, nahe an diesem so wichtigen Symboltag für die deutsch-deutsche Teilung beendet die Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“ ihre parlamentarische Arbeit.

Im Februar 2015 entschieden sich alle Fraktionen im Niedersächsischen Landtag für die Einsetzung einer 17-köpfigen Enquetekommission zur Aufarbeitung der Stasiaktivitäten in Niedersachsen, nachdem ein Ursprungsantrag der CDU vorgelegen hatte.

Im Mittelpunkt steht ein brisantes und noch immer nicht umfassend aufgearbeitetes Thema unserer jüngsten Geschichte: die Arbeit des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Niedersachsen. - Faktengesättigte akribische Recherchen der beiden NDR-Redakteure Angelika Henkel und Stefan Schölermann zeigten, dass der lange Arm der Stasi auch unser Bundesland berührte.

Durch die Aktivitäten des MfS sind auch in Niedersachsen zahlreiche Menschen bespitzelt oder anderweitig geschädigt worden. Wie viele es genau waren, wissen wir nicht. Es gibt aber viele Indizien, dass die Staatssicherheit der DDR zwischen Harz und Nordsee über ein dichtes Netz von sogenannten Inoffiziellen Mitarbeitern verfügte, die auch in niedersächsischen Landeseinrichtungen und Unternehmen spionierten. Die Bespitzelung studentischer Milieus, aber auch politischer Parteien war bis Ende der 80er-Jahre Usus. In dem vor den Toren gelegenen Garbsen unterhielt die Stasi mit der Residentur Mitte ein besonders dichtes Spitzelnetzwerk, das geheimste Militärunterlagen in die DDR schleuste.

In Niedersachsen gab es sowohl Opfer als auch Täter der Staatssicherheit. Zur Aufarbeitung des damit verbundenen Unrechts sollte nicht nur auf den Ursprung des MfS in den östlichen Bundesländern geschaut werden, sondern eine historische Auseinandersetzung sollte auch in Niedersachsen

erfolgen, solange es noch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt. Das war die grundsätzliche Idee für die Enquetekommission.

Inhaltlich - so ist es im Aufstellungsbeschluss festgehalten - sollten neun Themenfelder bearbeitet werden. Dies alles sind Forschungsthemen, die bei gründlicher Aufarbeitung mehrere wissenschaftliche Kolloquien füllen könnten. Nun ist es aber nicht die Aufgabe von Landtagsabgeordneten, selbst wenn sie dazu fachlich in der Lage wären, tiefer in eine historische Erkundung dieser Bereiche vorzudringen und eigene wissenschaftliche Ausarbeitungen zu verfassen. Dazu fehlen uns Kenntnis und auch Zeit.

Es konnte auch nicht allein um die wissenschaftliche Aufarbeitung gehen. Angesichts der Bedeutung der deutschen Teilung für unsere Geschichte ergaben sich hieraus auch Fragestellungen, unter denen unterschiedliche juristische, ökonomische, soziale und ethische Aspekte abgewogen werden. Die Einsetzung einer Enquetekommission und nicht nur die Erteilung eines Forschungsauftrages - so hätte man es ja auch machen können - waren daher folgerichtig.

Meine Damen, meine Herren, seit Bestehen des Niedersächsischen Landtags ist dies erst die vierte Enquetekommission. Es handelt sich dabei um eine parlamentarische Besonderheit. Eine Enquetekommission ist weder ein Landtagsausschuss noch ein Untersuchungsausschuss im Sinne der Niedersächsischen Verfassung. Üblicherweise dient die Arbeit der Landtagsausschüsse der Kontrolle der Regierungsarbeit. Die Stoßrichtung einer Enquetekommission ist aber ganz anders gelagert; denn im Fokus stehen hier die eigenständige Aufarbeitung und Bewertung von komplexen Sachverhalten sowie die Unterbreitung von Vorschlägen, die für eine weitere Beschlussfassung des Landtages von Bedeutung sein können.