Meine Damen und Herren, verschiedene Studien haben gezeigt: Studiengebühren sind der Bildungschancenkiller,
Die Hauptkritik aller Studien zur deutschen Bildungspolitik bezieht sich auf den sogenannten Bildungstrichter. Sie alle kennen die Zahlen: 83 % der Akademikerkinder studieren, aber nur 23 % der Kinder aus nicht akademischen Elternhäusern. Hochschulbildung wird in Deutschland geradezu sozial vererbt.
Studierende Arbeiterkinder sind trotz der Bildungsexpansion und des gewachsenen Anteils von Abiturienten weiterhin eine Seltenheit. Warum? - Familien ohne akademische Erfahrung sind von den Erfolgsaussichten eines Studiums wenig überzeugt. Das gilt sowohl hinsichtlich der Dauer als auch in Bezug auf die Renditeerwartung für das spätere Berufsleben. Dass vor diesem Hintergrund das Kostenrisiko eines Studiums gescheut wird, ist doch eigentlich nur logisch.
Um das feststellen zu können, meine Damen und Herren, braucht man eigentlich nicht in Studien zu schauen, sondern muss sich nur mit den Studierenden unterhalten. Da hören Sie so einiges.
Angesichts der demografischen Veränderungen und des sich immer weiter abzeichnenden Fachkräftemangels brauchen wir jede Begabung in Niedersachsen. Das ist der Schlüssel für wirtschaftliche Stärke und zugleich für die Zukunftsfähigkeit unseres Bundeslandes. Eine Gesellschaft profitiert von vielen gut ausgebildeten Menschen. Studiengebühren widersprechen einem zukunftsorientierten Bildungsbegriff, der Bildung als Menschenrecht begreift und niemanden - gleich, welcher Herkunft - ausschließt.
Das ist eine ganze Reihe guter Argumente dafür, Studiengebühren abzuschaffen, meine Damen und Herren. Wesentliches Anliegen des vorliegenden
Gesetzentwurfs ist es, mehr jungen Menschen als bislang und vor allen Dingen unabhängig von dem Bildungsniveau ihrer Eltern und unabhängig vom Geldbeutel der Eltern die Möglichkeiten für ein Hochschulstudium zu eröffnen.
Zunächst die Kompensation der wegfallenden Studienbeiträge. Einige Abgeordnete aus diesem Hause versuchten in den vergangenen Monaten und natürlich gerade auch in den Zeiten der Landtagswahl immer wieder, Ängste zu schüren und Hochschulen und Studierenden einzureden, es würde zum Bankrott der Hochschulen führen, wenn man Studiengebühren abschaffen würde. Es wurde geradezu ein Teufel an die Wand gemalt. Doch das ist nicht zutreffend, denn die rot-grüne Landesregierung sorgt dafür, dass die ausfallenden Mittel zuverlässig und dynamisch zweckgebunden zur Verbesserung von Lehre und Studienbedingungen kompensiert werden.
Für diese großartige und herausragende gemeinschaftliche Leistung dieser Landesregierung gab es während der öffentlichen Anhörung sehr viel Lob. Alle Ressorts haben hierfür solidarisch Mittel erbracht, weil alle diesen Schritt für notwendig erachteten.
Denn es ist auch klar, dass die Studierenden weiterhin längere Öffnungszeiten der Bibliotheken sowie zusätzliche Tutorien und Lehrkräfte brauchen.
Ein weiterer Aspekt dieses Gesetzentwurfs: Die Langzeitstudiengebühren werden sozialverträglich ausgestaltet, die Ausnahmetatbestände erweitert, und der Zeitraum, von dem an Langzeitstudiengebühren zu zahlen sind, wird um zwei Semester erweitert.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Für uns ist die Demokratisierung der Hochschulen keine Floskel. Das Gesetz ermöglicht mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten für Studierende bei der Verwendung der Studienqualitätsmittel. Die Studienqualitätskommission wird hälftig mit Studierenden besetzt. Das ist zugegebenermaßen ein mutiger Schritt. Hier gilt nämlich für uns der Leitspruch Willy Brandts: Mehr Demokratie wagen.
Befürchtungen, in der paritätisch besetzten Kommission könne es zu Blockaden bei der Entscheidung über die Verwendung der Mittel kommen, teilen wir nicht. Die bisherigen Erfahrungen zeigen nämlich, dass sie unbegründet sind. Die Konsequenz einer Blockade, also die Verweigerung weiterer Mittel, ist ausreichendes Druckmittel für eine Kompromisslösung und wird auch geeignet sein, zwischen den Beteiligten eine zeitnahe Mittelverwendung sicherzustellen.
Demokratische Mitbestimmung und zeitnahe Verwendung sind zwei wesentliche Aspekte; denn vielfach richteten sich in der Vergangenheit das Misstrauen und die Kritik der Studierenden gegen die Tatsache, dass einige Hochschulen sich größere Teile der Gebühren auf das Konto packten und Transparenz leider nicht allen im ausreichenden Maße gegeben war.
Meine Damen, meine Herren, wir stehen für eine Politik, die soziale Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg ermöglichen. Bildungspolitik ist ein ganz zentraler Schwerpunkt dieser Landesregierung. Bildung und Wissenschaft haben für unsere Fraktionen einen zentralen Stellenwert. Das ist nämlich unser Ziel.
Deshalb schaffen wir Bildungshürden ab, die Chancengleichheit blockieren. Deshalb schaffen wir natürlich auch die Studiengebühren ab.
Überall dort, wo Sozialdemokraten und Grüne in den vergangenen Jahren die Regierungsverantwortung übernommen haben, wurden die von Schwarz-Gelb eingeführten Studiengebühren wieder beseitigt. Ab heute wird die letzte Studiengebühreninsel Niedersachsen ebenfalls Geschichte sein.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lesemann. - Zu Wort gemeldet hat sich jetzt der Kollege Ottmar von Holtz, Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort, Herr von Holtz.
Heute blicken 170 000 junge Menschen in Niedersachsen auf diesen Landtag; denn sie sind unmittelbar von dem betroffen, worüber wir beschließen werden.
Bildungsgerechtigkeit zu sichern ist ein zentrales Vorhaben der Niedersächsischen Landesregierung. Rot und Grün sind mit dem Versprechen angetreten, mehr Chancengleichheit im Bildungssystem zu schaffen. Die Abschaffung der Studienbeiträge ist hierbei ein wichtiger Baustein.
Meine Damen und Herren, heute lösen wir dieses Wahlversprechen ein. Versprochen haben wir, die Studienbeiträge spätestens zum Wintersemester 2014/2015 abzuschaffen. Genau das tut die Landesregierung mit diesem Gesetzentwurf. Genau das tun wir mit diesem Gesetz, das wir heute beschließen werden. Wahlversprechen gehalten!
Versprochen haben wir auch, dass wir den Hochschulen den Wegfall der Studiengebühren kompensieren werden. Auch das machen wir mit diesem Gesetz. Es ist ein Gesetz nicht nur zur Abschaffung, sondern auch zur Kompensation der Studienbeiträge. Die Hochschulen freuen sich darüber. Sie wissen, dass dies ein Kraftakt der gesamten Landesregierung war, und schätzen das. Wahlversprechen gehalten, meine Damen und Herren!
Am 9. Dezember 2005, also fast auf den Tag genau vor acht Jahren, haben CDU und FDP mal so ganz nebenbei im Haushaltsbegleitgesetz die Einführung der Studiengebühren beschlossen. Es gab noch nicht einmal eine vernünftige Anhörung dazu. Keine Beratung in den Ausschüssen! Still und heimlich sollte das Ganze über die Bühne gehen.
Damit ist jetzt Schluss, meine Damen und Herren. Rot-Grün beendet diesen Zustand. Wir machen es möglich. Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist in einem breiten Beteiligungsprozess transparent beraten worden.
Chancengleichheit in der Bildung heißt, dass ein erfolgreicher Bildungsweg nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf.
Auch wenn Deutschland in der neuesten PISAStudie anders dasteht als beim großen PISASchock 2001 - in Sachen Chancengerechtigkeit im Bildungssystem stehen wir noch ganz hinten im Ranking. Mit der Abschaffung der Studienbeiträge leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung dieser Chancengleichheit.
500 Euro pro Semester, 1 000 Euro im Jahr - das sind finanzielle Hürden, die für Familien mit geringem Einkommen abschreckend wirken.
Ich brauche keine Gutachten, um zu wissen, dass für viele junge Leute aus vielen Familien in unserem Land ein Studium von vornherein ausgeschlossen ist. Studieren ist etwas für die, die es sich leisten können - so die landläufige Meinung. Die Abschaffung der Studienbeiträge leistet einen Beitrag dazu, diesem Bild entgegenzuwirken.
Meine Damen und Herren, Studieren heißt nicht, die Schulzeit um ein paar Jahre zu verlängern. Studieren heißt auch, selbstständiges Denken zu entwickeln, individuell und frei. Die jungen Leute an den Universitäten brauchen Zeit und Raum, Wissen zu vertiefen und zu forschen. Sie brauchen auch - um diesen Aspekt geht es mir - Zeit und Raum, nebenbei zu jobben, mal dies und mal das auszuprobieren.