Protokoll der Sitzung vom 26.02.2014

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 4: Abschließende Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Wohnmissständen und zur Wahrung der Einheitlichkeit von Mindestanforderungen in Niedersachsen - Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drs. 17/448 - b) Höhere Sicherheitsanforderungen an Beherbergungsstätten in Niedersachsen umsetzen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/449 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration - Drs. 17/1202 - Schriftlicher Bericht - Drs. 17/1240

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf und den Antrag abzulehnen.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass Sie Besprechungen machen müssen. Aber verlegen Sie sie bitte nach draußen! Dann können wir hier geordnet fortfahren. - Vielen Dank.

Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung.

Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Dr. Max Matthiesen, CDU-Fraktion. Herr Dr. Matthiesen, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen Jahr haben uns ausbeuterische und menschenunwürdige Wohnbedingungen von Zugewanderten und vor allem ausländischen Arbeitnehmern erneut wachgerüttelt. Allein der Landkreis Cloppenburg hat im letzten Sommer 281

Wohnanschriften mit über 3 000 Wohnungen überprüft. In 80 Fällen war dort ein Einschreiten wegen gravierender Mängel oder gar die Räumung von Wohnungen und Unterkünften erforderlich.

Auch in der Landeshauptstadt Hannover hat es nach gesicherten Schätzungen mehr als 1 000 Zugewanderte gegeben, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen gelebt haben. So wurde von Einzimmerapartments berichtet, in denen zehn Menschen wohnten.

Unter dem 18. August 2013 hat deshalb die CDULandtagsfraktion ihren Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Wohnmissständen und ihren Entschließungsantrag für höhere Sicherheitsanforderungen an Beherbergungsstätten in den Landtag eingebracht. Seitdem hat die Landesregierung aber nur einen Notnagel eingeschlagen: den Erlass des MS vom 17. Dezember 2013 zur bauordnungsrechtlichen und melderechtlichen Behandlung von Unterkünften für Beschäftigte.

Damit ist aber das Problem noch nicht gelöst. Auch nach den Einlassungen der Landesregierung in den Ausschussberatungen ist es unverständlich, dass die rot-grünen Mehrheitsfraktionen die Initiative der CDU bisher ablehnen. So regelt der Erlass selbst keine Mindestnutzflächen für Bewohner einer Unterkunft, sondern verweist hierzu nur pauschal auf die Technischen Regeln für Arbeitsstätten - Unterkünfte - mit Anforderungen an bauliche Anlagen. Das sind aber bloß Richtlinien, die keine Regelungen für Wohnungen und Wohnräume enthalten. Sie beziehen sich auch nur auf Beschäftigte in Unterkünften und nicht auf menschenwürdige Wohnstandards für alle Menschen, einschließlich etwa Asylbewerbern.

Eines der Kernprobleme neben Brandschutz und Hygiene ist aber allgemein die Überbelegung von privaten Wohnungen und Wohnräumen ebenso wie von Unterkünften. Der Erlass greift hier eindeutig zu kurz.

Der inzwischen pensionierte Leiter der Bauabteilung des MS, Herr Busch, hat bereits in der Sozialausschusssitzung am 5. September letzten Jahres eingeräumt, dass die Niedersächsische Bauordnung in Anlehnung an die Musterbauordnung der Länder zwar bauliche Anforderungen regelt, aber keine Belegungsanforderungen stellt. Dagegen hätten vier Bundesländer aber eine Belegungsregelung etwa in einem Wohnungsaufsichtsgesetz.

Genau in diese Richtung zielt der Gesetzentwurf der CDU-Landtagsfraktion mit drei Eckpunkten:

Erstens wollen wir die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für menschenwürdige Wohnverhältnisse. Die gesetzliche Grundlage ist aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich. Die Erlassregelung des MS mit dem Verweis auf die Belegungsvorgaben der Technischen Regeln für Arbeitsstätten greift erheblich in die grundgesetzliche geschützte Eigentumsfreiheit ein und könnte mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig und unwirksam sein. Es besteht damit ein hohes rechtliches Risiko. So ist auch die Einschätzung beispielsweise des Landkreises Leer.

Zweitens wollen wir gesetzliche Standards und deren Kontrollen für alle Personengruppen gesetzlich festlegen, und zwar nicht nur für Beschäftigte, sondern etwa auch für Asylbewerber und Zuwanderer.

Drittens. Der zentrale Punkt ist der gesetzliche Schutz vor Überbelegung von Wohnungen und Wohnräumen und natürlich auch von Unterkünften gemäß § 44 a NBauO nach dem Entwurf der CDULandtagsfraktion. Danach dürfen Wohnungen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 9 m² vorhanden ist. Zum Vergleich: Der Erlass des MS verlangt je Bewohner nur mindestens 8 m² Nutzfläche anteilig bezogen auf alle Bereiche der Unterkunft wie Wohnen und Sanitär. Das bedeutet, dass der Standard des MS-Erlasses deutlich schlechter ist als der Standard des CDU-Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der CDU)

Der Blick in das benachbarte Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die CDU-Landtagsfraktion mit ihrer Auffassung nicht alleine ist. Der nordrhein-westfälische Gesetzentwurf eines Wohnungsaufsichtsgesetzes vom 15. November letzten Jahres regelt in § 9 die Verhinderung von Überbelegung von Wohnungen und Wohnräumen. Danach darf Wohnraum nur überlassen und benutzt werden, wenn für jeden Bewohner Wohnfläche von mindestens 9 m² vorhanden ist. Die Gemeinde kann die Räumung überbelegter Wohnräume verlangen, bis der Zustand ordnungsgemäßer Belegung erreicht ist.

Warum dann im Niedersächsischen Landtag der rot-grüne Entschließungsantrag unter Nr. 4 immer noch bei einem bloßen Prüfauftrag stehen bleibt, die Instrumente der Wohnungsaufsicht zu prüfen und auch die Erarbeitung eines Wohnraumaufsichtsgesetzes zu prüfen, ist unverständlich.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion hängt nicht an der Ergänzung der Niedersächsischen Bauordnung, sondern will zügig eine brauchbare gesetzliche Grundlage für die Durchsetzung menschenwürdiger Wohnverhältnisse für alle Personengruppen.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin sicher, dass das unser gemeinsames Ziel ist. Deshalb bitte ich um Zustimmung zum Gesetzentwurf und zum Entschließungsantrag der CDUFraktion.

Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Es hat sich jetzt Herr Kollege Thomas Schremmer, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Schremmer!

(Ronald Schminke [SPD] - zur CDU -: Ihr habt doch die letzten zehn Jahre nichts gemacht! - Gegenrufe von der CDU: Ach, Herr Schminke! - Gegenruf von Marco Brunotte [SPD]: Damit hat er schon recht!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So, wie der Kollege Schminke das eben gesagt hat, würde ich es nicht sagen. Aber wenn man sein schlechtes Gewissen entdeckt, ist das natürlich schon ein Fortschritt. Das will ich einräumen. Insofern empfinde ich es auch ein bisschen als Genugtuung, dass Sie zu diesem Punkt einen Gesetzentwurf vorlegen.

Wir haben im Ausschuss sehr intensiv darüber gesprochen. Wir hätten mit einem Gesetzesvorhaben mit Sicherheit nicht das erreicht, was wir mittlerweile erreicht haben. Das habe ich dort auch gesagt. Wir haben hier nämlich relativ schnell die katastrophalen Zustände bei der Unterbringung der Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer überwiegend aus Osteuropa skandalisiert.

Wenn Sie in den Zeitungen verfolgen, welche Kontrollen im Augenblick vor Ort stattfinden, werden Sie feststellen, dass der Erlass, den die Landesregierung vorgelegt hat, ein - wenn man es einmal mit dem Begriff aus dem Boxen sagen darf - voller Wirkungstreffer war. Denn aktuell wird zu diesen Fragen vor Ort nicht nur geprüft, sondern auch geschlossen. Zuletzt hat es am 6. Februar 2014 in Papenburg 13 Stilllegungen von Unterkünften ge

geben. Nur insgesamt 7 von 62 Unterkünften waren überhaupt so, dass man sagen konnte, dass man in diesen Unterkünften anständig leben kann.

Insofern fände ich es viel besser - das muss ich auch an dieser Stelle sagen -, wenn Sie heute Nachmittag - wir werden hier ja auch noch einmal auf die umfassende Problematik der Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer zu sprechen kommen - unserem Antrag zustimmen würden, weil er das gesamte Problemfeld berücksichtigt, anstatt, wie Sie das hier tun wollen - ich sage das bewusst auch ein bisschen pointiert -, Flickschusterei in Bezug auf die Umstände zu machen, die es vor Ort insbesondere in der Fleischindustrie gibt.

Ich will auch nicht verhehlen, dass für unsere Fraktion ein Wohnraumaufsichtsgesetz sicherlich auch eine Möglichkeit ist - aber nur dann, wenn wir mit diesen Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, wirklich nicht weiterkommen. Aus meiner Sicht wäre es besser, wir bräuchten gar kein Wohnraumaufsichtsgesetz, sondern es hielten sich alle an Recht und Gesetz und die Dinge, die es jetzt gibt. Dann hätten wir viel mehr gewonnen. Das müsste Politik eigentlich leisten können. Deswegen haben wir an dieser Stelle mit dem Erlass reagiert.

Im Übrigen - ich habe das im Ausschuss auch schon gesagt -: Wenn Kommunen, Gemeinden und Landkreise ihre weitergehenden Regelungen - von denen auch immer die Rede ist - weiterhin anwenden wollen, dann haben wir als Landtag und als Landesregierung mit Sicherheit überhaupt nichts dagegen. Wir werden das in keinem Fall geißeln. Der Landkreis Vechta kann meines Erachtens dafür sorgen, dass es nicht um 8, sondern um 9 oder um 10 m² Nutzfläche pro Bewohner einer Unterkunft geht. Dagegen hätten wir nichts einzuwenden.

Insofern glaube ich, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Es gibt nichts Besseres, als Gutes zu tun und dann auch darüber zu reden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Marco Brunotte, SPD-Fraktion. Herr Brunotte, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Brandkatastrophe vom 13. Juli 2013 in Papenburg hat den Fokus auf ein Thema gelenkt, das für den Niedersächsischen Landtag nicht neu war. Die zwei rumänischen Arbeiter, die in ihrer Unterkunft in Papenburg bei einem Brand gestorben sind, haben aber eine Handlungsnotwendigkeit ausgelöst.

Der Niedersächsische Landtag hat in den letzten Jahren immer wieder über die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen vor allem in der Fleischwirtschaft, aber auch in anderen Bereichen diskutiert. Es hat hier sehr kontroverse Debatten gegeben. Der jetzige Wirtschaftsminister Olaf Lies hat hier als damaliger Vertreter der Opposition deutlich gemacht, dass es Handlungsbedarf und -druck gibt. Daher kann ich den Zwischenruf des Kollegen Schminke nur voll unterstützen: Zehn Jahre hat es die damalige CDU/FDP-Landesregierung versäumt, hier für vernünftige Rahmenbedingungen zu sorgen und das Ganze zu sortieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 9. November 2012 hat der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Jörg Bode vor diesem Haus erklärt, im Bereich Werkverträge sehe die Landesregierung keinen Handlungsbedarf, es gebe nichts zu tun.

Mit der neuen rot-grünen Landesregierung wird klar, dass es einen Politikwechsel gegeben hat, der sich auch im Umgang mit dieser Katastrophe zeigt. Unverzüglich haben sich Sozialministerin Cornelia Rundt und Arbeitsminister Olaf Lies auf den Weg gemacht, um im Zusammenspiel mit den kommunalen Spitzenverbänden auf verschiedenen Handlungsebenen für Abhilfe bezüglich der Problematik zu sorgen. Wir werden heute Nachmittag über den Bereich Arbeitsbedingungen diskutieren. Eine Beratungsstelle für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist eingeführt worden. Auch haben wir uns sehr intensiv im Sozialausschuss mit dem Thema „Wohnen und Unterkunft“ beschäftigt und darüber diskutiert, wie menschenwürdige Unterkünfte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dargestellt werden können.

Die Niedersächsische Landesregierung hat bereits Ende August 2013, als wir die beiden vorliegenden Anträge der CDU diskutiert haben, klargemacht: Sie hat das Problem erfasst. Sie hat auch Lösungen präsentiert. Sie hat deutlich gemacht, dass man in die Handlungsebene geht.

Im Zusammenspiel mit den kommunalen Spitzenverbänden ist dies auch im Wirtschaftsausschuss bei der Anhörung am 1. Oktober 2013 deutlich geworden. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich sehr deutlich für eine landeseinheitliche Regelung über einen Erlass ausgesprochen. Dieser Erlass liegt seit Anfang des Jahres vor. Er ist rechtskräftig geworden und definiert auf der Grundlage der Technischen Regeln für Arbeitsstätten und Unterkünfte - der ASR A4.4 - Mindeststandards für Unterkünfte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er liefert eine rechtssichere Lösung. Dies ist daran deutlich geworden, dass in den letzten Wochen in vielen Landkreisen im Emsland Unterkünfte auf der Grundlage dieses Erlasses geschlossen wurden, der eine rechtssichere Lösung liefert. Ich will es noch einmal betonen: Die Handlungsebenen Sozialministerium, Innenministerium und kommunale Spitzenverbände haben hier zusammen mit dem Arbeitsministerium deutlich gemacht, welcher Handlungsbedarf besteht.

Die baulichen Anforderungen sind klar definiert: Es geht um gesunde Wohnverhältnisse, um ausreichenden Brandschutz, um ein Raumangebot, das vor allem ausreichend Platz zum Schlafen bietet, um Mindestanforderungen im Bereich der Sanitärausstattung, Küchen, Aufenthaltsräume und vieles mehr. Wenn man in die ASR A4.4 blickt, dann sieht man, dass dort vieles geregelt ist, was, wenn es angewendet worden wäre, die Brandkatastrophe in Papenburg am 13. Juli 2013 vielleicht hätte verhindern können.

Wenn wir heute Nachmittag im zweiten Teil dieses Komplexes vor allem über den Arbeitsmarkt diskutieren, dann beinhaltet der Antrag von SPD und Grünen auch die Fragestellung der Wohnaufsicht und der Einführung eines Wohnraumaufsichtsgesetzes. Auch ich will, wie es der Kollege Schremmer gesagt hat, nicht verhehlen, dass es bei uns Diskussionen über dieses Thema gegeben hat und dass auch wir als Sozialdemokraten durchaus aufgeschlossen sind, hier eine gesetzliche Regelung herbeizuführen, wenn es hilft und wenn es notwendig ist. Aber in Anbetracht der Diskussion, die wir auch im Sozialausschuss geführt haben, möchte ich darauf hinweisen, dass das Bundesland, das aktuell als Paradebeispiel für die Definition eines Wohnraumaufsichtsgesetzes genannt wird, Nordrhein-Westfalen, dieses unter einem ganz anderen Eindruck gemacht hat. In NordrheinWestfalen hat man in Bezug auf die Empfehlung der Enquetekommission des Landtags „Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzin

vestoren“ diskutiert und hat hier vor allem unter dem Eindruck der Problemimmobilien, also der Schrottimmobilien in den Städten, die Wohnraumaufsicht gestärkt und diesbezüglich Handlungsmöglichkeiten geschaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, all dies betrachtet, glauben wir, dass die Landesregierung schnell, umfassend und rechtssicher gehandelt hat. Sie hat nicht zehn Jahre gewartet, wie es die Vorgängerregierung gemacht hat. Sie ist ihrer Verantwortung mit dem vorliegenden Erlass gerecht geworden. Wir unterstützen dieses Vorgehen. Folgerichtig werden wir die beiden vorgelegten Anträge der CDU ablehnen.