Bei Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir feststellen müssen, dass in den Gremien der Pflegeselbstverwaltung Stillstand herrschte. Die Positionen der Einrichtungsträger einerseits und der Kostenträger andererseits waren festgefahren und standen sich unvereinbar gegenüber - zum Nachteil der Pflegebedürftigen, zum Nachteil der pflegenden Angehörigen und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegediensten.
Ich möchte Ihnen ein ganz konkretes Beispiel nennen: Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 ein Wahlrecht für Pflegebedürftige eingeführt. Wer zu Hause von einem Pflegedienst versorgt wurde, konnte bisher lediglich die sogenannten Leistungskomplexe beziehen, z. B. den Leistungskomplex „Kleine Pflege“ zur Unterstützung bei Tagesbeginn. Wie
lange der Pflegedienst für diesen Leistungskomplex braucht, ist nicht festgelegt. Das ist genau der Grund dafür, dass Pflegebedürftige häufig über eine Pflege im Minutentakt klagen.
Das neue Wahlrecht sieht vor, dass Pflegebedürftige alternativ auch den Anspruch auf Zeitkontingente geltend machen können, z. B. morgens eine Stunde Pflege und Betreuung. Voraussetzung hierfür war jedoch, dass zwischen den ambulanten Diensten und den Pflegekassen eine Vergütungsvereinbarung besteht. Obwohl bereits seit Herbst 2012 feststand, dass eine solche Vereinbarung abgeschlossen werden musste, tat sich nichts. Verhandlungen über die Preisfindung wurden einfach und reaktionslos für gescheitert erklärt. Das gesetzliche Wahlrecht stand nur auf dem Papier. Die Pflegebedürftigen konnten es in der Praxis nicht ausüben. Das war nicht hinnehmbar.
Wir haben gehandelt. Das heißt, ich habe darauf bestanden, dass die Vereinbarungspartner einen weiteren Einigungsversuch unternehmen, den das Land moderiert hat. Am Ende gelang es, eine Einigung mit Wirkung ab 1. September 2013 herzustellen. Niedersachsen war damit das erste Bundesland und auch Flächenland, in dem es eine einvernehmliche Vereinbarung gab.
Darüber hinaus - auch dies ist mir wichtig - wurden die Zeitkontingente mit Entgeltsätzen vereinbart, die eine tarifgerechte Bezahlung der Beschäftigten in den ambulanten Diensten ermöglichten.
Anhand zweier weiterer Beispiele möchte ich die Verhandlungspraxis in Niedersachsen beleuchten. Die Vergütungssätze für Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V, also in der Kostenträgerschaft der Krankenkassen, wurden mit Wirkung ab 1. Oktober 2013 um weit überdurchschnittliche 6,25 % angehoben. Dieser Abschluss gilt bis zum 31. Dezember 2014. Mit dieser Vereinbarung war verbunden, dass die Verbände der Einrichtungsträger die noch für die Jahre 2009 bis 2012 anhängigen Klagen gegenüber den Vergütungsfestsetzungen durch die Schiedsstelle zurückgenommen haben.
Die Pflegesatzentwicklung im stationären Bereich wird von der AOK Niedersachsen statistisch erfasst und aufbereitet. Für das Jahr 2013 wird das Ergebnis nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen wie folgt aussehen: Die Zahl der Einrichtungsträger, die zu Pflegesatzverhandlungen aufgefordert haben, hat sich im Vergleich zu
den Vorjahren deutlich erhöht und liegt bei einem Höchststand von über 60 %. Exakte Zahlen zur durchschnittlichen Höhe der Steigerung liegen noch nicht vor. Dem Vernehmen nach dürfte die Zahl jedoch knapp unter 3 % liegen. Auch dies ist ein hoher Wert, wenn man die Vorjahreswerte vergleicht. Wir haben in diesen Fällen unser Ziel erreicht, festgefahrene Verhandlungen, teils Rechtsstreitigkeiten allen förmlichen Unzuständigkeiten zum Trotz moderierend voranzubringen. Lösungen dieser Teilprobleme sind gut. Aber es muss mehr grundsätzliche Lösungen geben. In der Fachkommission Pflege geht es genau darum.
Es geht erstens darum, neue Ansätze zur Lösung der Probleme in der Pflege zu finden. Ich möchte, dass die aus den bestehenden Gremien bekannten und häufig konträren Positionen der verschiedenen Akteurinnen und Akteure aufgebrochen werden.
Die bestehenden Gremien sind außerdem in ihrer Bestimmung bzw. Kompetenz vielfach auf einzelne Themenfelder fokussiert. Sie können und wollen keine Gesamtbetrachtung vornehmen. So geht es beispielsweise in den Vergütungs- und Pflegesatzkommissionen nach dem SGB V für die häusliche Krankenpflege und dem SGB XI für die stationäre und häusliche Altenpflege im Schwerpunkt um rein finanzielle Fragestellungen. Weniger im Fokus stehen Gesamtbetrachtungen. Bislang gibt es keinen gemeinsamen Blick auf die Folgen von Entscheidungen, die dort getroffen werden. Konflikte und Nichteinigung stehen leider viel zu häufig auf der Tagesordnung. Deswegen brauchen wir die Fachkommission, die nicht nur den Handlungsbedarf im oft etwas holprigen Tagesgeschäft aufzeigt, sondern darüber hinaus eine strategische Gesamtsicht auf die Pflege und die Herausforderungen nimmt, vor denen wir hier alle gemeinsam stehen.
Wenn die Kommission Handlungsbedarf auch im Entgeltbereich feststellt, wird sie diesen den Verhandlungsgremien kommunizieren. Dort sind dann die entsprechenden Verhandlungen zu führen, um diesen Handlungsbedarf in rechtsverbindliche Vereinbarungen umzusetzen.
Es geht zweitens darum, das Know-how und die Ideen von Fachleuten aus den pflegerischen Praxisbereichen in die Beratungen einzubringen. Deshalb sind fünf solche Expertinnen und Experten Mitglieder der Fachkommission. Sie gehören bewusst nicht den Verbänden oder Institutionen der Pflegeselbstverwaltung an.
Drittens geht es darum, Empfehlungen für die Pflegepolitik im Land zu entwickeln. Die Fachkommission ist kein Beschlussgremium, sondern ein Beratungsgremium für die Landesregierung. Die Umsetzung der Empfehlungen soll natürlich weiterhin dort geschehen, wo dies rechtlich vorgesehen ist.
Zu Frage 1: Nach ihrer konstituierenden Sitzung am 23. Mai 2013 hat die Fachkommission Pflege bisher insgesamt dreimal getagt, zuletzt am 3. März 2014. In diesen ersten Sitzungen waren zunächst Fragen zum Verfahren, zur Geschäftsordnung sowie zur künftigen Arbeitsweise der Kommission zu klären sowie eine Themenanalyse vorzunehmen.
Ich möchte hier klar sagen, dass seitens der Mitglieder der Fachkommission durchaus unterschiedliche Vorstellungen über die Arbeitsweise und die Zielsetzung herrschten. In der letzten Sitzung jetzt im März ist es gelungen, dieses im Konsens zu erörtern und einvernehmlich festzulegen.
Die Landesregierung sieht als zentrales Thema der Fachkommission Pflege im Jahr 2014 die Sicherung und Stärkung der ambulanten pflegerischen Versorgung im ländlichen Raum. Die Rahmenbedingungen für ambulante Alten- und Krankenpflege im ländlichen Raum werden wir uns sehr genau ansehen müssen. Sie sind von Landkreis zu Landkreis sehr verschieden.
Bei der häuslichen Versorgung müssen wir sehr starke Unterschiede feststellen. In einigen Regionen ist die Quote der ambulanten Versorgung sehr hoch. In anderen Regionen ist sie vergleichsweise niedrig mit der Folge, dass dort viele Pflegebedürftige in stationären Pflegeheimen leben müssen, obwohl sie vielleicht lieber zu Hause versorgt würden. Wir werden analysieren, woran das liegt und welche Maßnahmen erforderlich sind, um überdurchschnittliche Heimquoten zu reduzieren. Denn es liegt weder im Interesse der pflegebedürftigen Menschen noch im Interesse der Kostenträger, die deutlich teurere stationäre Unterbringung zu bezahlen, wenn dies nicht nötig ist.
Außerdem müssen wir verhindern, dass es zu Versorgungslücken auf dem Land kommt. Für viele ambulante Dienste ist es mit den geltenden undifferenzierten Vergütungen wirtschaftlich kaum noch darstellbar, weite Wegstrecken zwischen den Pflegeeinsätzen zurücklegen zu müssen.
Ein weiterer Punkt wird die Analyse sein, ob und welche ländlichen Regionen besonders stark vom Fachkräftemangel in der Pflege betroffen sind, da sich ein solcher Mangel dort stärker auswirkt als in Ballungszentren. Aus meiner Sicht besteht also dringender Handlungsbedarf, um einen Pflegemangel auf dem Lande zu verhindern.
Die nächste Sitzung der Fachkommission wird am 19. Juni stattfinden. Es ist vereinbart, dass uns die Mitglieder der Fachkommission über das Thema „Pflege im ländlichen Raum“ hinaus weitere konkrete Problemstellungen und Schwerpunkte im Bereich der Pflege benennen. Jedes Mitglied ist aufgefordert, bis zu zehn Punkte zu benennen und aus seiner Sicht zu priorisieren. Diese Abfrage läuft im Moment noch. Das Ergebnis wird von uns kurzfristig an alle Mitglieder der Fachkommission zurückgespiegelt. Im Juni werden wir uns auf das weitere Vorgehen zu den einzelnen Themenfeldern verständigen.
Zu Frage 2: Nach wie vor liegen die Pflegesätze in niedersächsischen stationären Einrichtungen im Vergleich der westdeutschen Flächenländer am untersten Ende. Neu ist, dass in den Pflegesatzverhandlungen die Anerkennung der Gehälter tarifgebundener stationärer Einrichtungen kein nennenswertes Konfliktfeld mehr ist. Die Landesregierung sieht nach wie vor die dringende Notwendigkeit, die finanziellen Rahmenbedingungen in der stationären und noch mehr in der ambulanten Alten- und Krankenpflege zu verbessern und an das westdeutsche Niveau anzupassen, nicht zuletzt um den Pflegeberuf in Niedersachsen auch materiell attraktiver zu machen.
Zu Frage 3: Die Landesregierung hat die Fachkommission als Gremium zur Feststellung von Handlungsbedarf und als Beratungsgremium errichtet. Die Kompetenzen anderer, bereits bestehender Gremien werden dadurch nicht berührt. Empfehlungen der Fachkommission beispielsweise zu Vergütungsfragen sind in den dafür gesetzlich vorgesehenen Gremien zu beraten. Dort sind Vereinbarungen abzuschließen und gegebenenfalls umzusetzen.
Vielen Dank, Frau Ministerin Rundt. - Zu einer ersten Zusatzfrage hat sich für die SPD-Fraktion Kollegin Immacolata Glosemeyer gemeldet. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Welche Situation hat die Landesregierung nach der Regierungsübernahme in der Pflege vorgefunden?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine Situation vorgefunden, in der das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz mit seiner Vorgabe zur Pflege nach Minuten und zu den entsprechenden Entgeltvereinbarungen nicht umgesetzt worden war, obwohl der Bundesgesetzgeber dies vorgesehen hatte. Es ist uns gelungen, den Abschluss der Vereinbarung zu den Zeiteinheiten zu moderieren. Jetzt ist eine tarifgerechte Bezahlung im Bereich der ambulanten Pflege möglich.
Wir haben eine Landschaft vorgefunden, in der die meisten Pflegeanbieter entweder nie durch Tarifverträge gebunden waren oder aber Tarifflucht begangen hatten, weil eine Refinanzierung der Personalkosten auf tariflicher Basis nicht möglich war. Inzwischen hat sich die Diakonie mit ver.di darauf verständigt, einen Tarifvertrag Soziales abschließen zu wollen. Wir bemühen uns, darauf hinzusteuern, dass wir in Niedersachsen einen Tarifvertrag Soziales bekommen, der für alle Verbände gilt. Wichtig ist, dass sich wirklich alle beteiligen, weil dann die Möglichkeit besteht, diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären und Lohndumping, wie es in der Vergangenheit in Einrichtungen der Pflege vorgekommen ist, zu unterbinden. Bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung werden sich alle - auch privatgewerbliche - Anbieter an den Tarifvertrag halten müssen.
Wir haben in den einzelnen Bereichen Entgeltsteigerungen vorgefunden, die deutlich unter den typischen Personalkostensteigerungen lagen, was dazu führte, dass man entweder Mitarbeiter dauerhaft deutlich schlechter bezahlen oder aber Leistungen kürzen musste. Wir haben zumindest in
einzelnen Bereichen erreichen können, dass die Entgeltsteigerungen inzwischen über den typischen Personalkostensteigerungen liegen.
Wir haben ein Heimgesetz vorgefunden, das nicht funktionierte. Aus zwei Bereichen haben wir erhebliche Problemanzeigen bekommen. Das eine Problem wurde uns von der Wohnungswirtschaft genannt: Auf einmal sollten angeblich ganze Wohnviertel unter das Heimgesetz fallen, weil das unsauber formuliert war. Das andere Problem war, dass das Heimgesetz von uns allen gewollte selbstbestimmte Wohnformen im Bereich der Pflege verhinderte. Wir sind dabei, dieses Heimgesetz zu novellieren. Es liegt bereits bei den Rechtsvereinfachern und wird demnächst dem Kabinett vorgestellt und dann in den Landtag eingebracht.
Wir haben im Bereich der Schulgeldfreiheit in der Pflege leere Kassen vorgefunden. Im Februar 2013 waren die Kassen im Bereich der Zuschüsse für die Schulentgelte bereits geleert, d. h. wir haben wirklich unglaubliche Schwierigkeiten gehabt, die Schulgeldfreiheit auf der Basis des schwarzgelben Haushaltes 2013 überhaupt sicherzustellen.
Wir haben im Bereich der stationären Pflege Einrichtungen vorgefunden, bei denen die Konkurrenzfähigkeit darunter gelitten hat, dass wir ein völlig falsches Anreizsystem im Bereich der Ausbildung hatten; denn die Einrichtungen, die ausbildeten, wurden finanziell bestraft und waren nicht mehr konkurrenzfähig. Wir sind gerade dabei, dies umzukehren.
Wir sind dabei, eine Altenpflegeumlage einzuführen, und wir stellen gerade ein entsprechendes Rechtsgutachten auf.
Wir haben auf Bundesebene eine Regierung vorgefunden, die zum damaligen Zeitpunkt nicht bereit war, über eine Beitragserhöhung im Bereich der Pflegeversicherung nachzudenken. Auch dies ist dank Schwarz-Rot auf Bundesebene nun Geschichte. Die Beiträge im Bereich der Pflegeversicherung werden sich, wie Sie wissen, um 0,5 Prozentpunkte anheben. Das wird viele Dinge ermöglichen: dass bessere Leistungen - gerade für Pflegebedürftige - auf den Weg gebracht werden können, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff umgesetzt werden kann usw.
Das Hauptproblem, das wir alle gemeinsam haben und bei dem wir keine Lösung vorgefunden haben, ist das Thema des stark drohenden Fachkräftemangels. Hier sind wir inzwischen gemeinsam mit
dem Wirtschaftsministerium auf dem Weg, die Dinge über die entsprechende Fachkräfteinitiative voranzubringen.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Eine weitere Zusatzfrage stellt für die Fraktion der CDU der Kollege Böhlke. Bitte sehr!
Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung: Hat sich aus Sicht der Landesregierung der Wettbewerb unter Pflegeeinrichtungen, der ja Auswirkungen auf die Höhe der Pflegesätze hat, bewährt, oder befürwortet die Landesregierung ein Verfahren zur politischen Festsetzung der Höhe der Pflegesätze?
(Grant Hendrik Tonne [SPD]: Das wa- ren zwei Fragen! - Gegenruf von Nor- bert Böhlke [CDU]: Das war eine Al- ternative!)
Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet die Sozialministerin. Frau Rundt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage, ob sich die Marktöffnung im Bereich der Pflegegesundheit im Allgemeinen bewährt hat, will ich sehr klar mit Nein beantworten.
Das Problem, vor dem wir in Niedersachsen stehen - sei es bei den Krankenhäusern im ländlichen Raum, sei es im Bereich der pflegerischen Versorgung im ländlichen Raum - zeigt genau, dass der Markt nur dort funktioniert, wo die Dinge wirtschaftlich zu erbringen sind. Das ist die Logik des Marktes, und das ist beim derzeitigen Stand der Dinge in den Zentren, in den Städten der Fall, nicht aber im ländlichen Bereich.