Protokoll der Sitzung vom 14.05.2014

Ich glaube, das war eine wichtige Positionsbestimmung.

Ich möchte zu Beginn eines ganz deutlich klarstellen, Herr Nacke: Wenn das, was Sie hier heute ausgeführt haben, die Position der CDU zum Thema „Reform des Verfassungsschutzes“ ist, dann gibt es keine Distanz zur SPD, dann liegen wir mehr als meilenweit auseinander.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Bei dem, was Sie hier heute dargestellt haben, stehen Sie vermeintlich auf der Seite aller - nur nicht auf der Seite derer, die sich für die Bürgerrechte in diesem Land engagieren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer - auch das sei eingangs gesagt - das, was wir in den letzten Wochen und Monaten beim niedersächsischen Verfassungsschutz erleben durften, und das, was uns gestern präsentiert wurde, unter dem Deckmantel notwendiger staatlicher Fürsorge rechtfertigt, der hat, glaube ich, nicht verstanden, worüber hier wir reden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die abstrusen Vorwürfe und Angriffe, die hier eben gegen die Landesregierung und die Hausspitze des Verfassungsschutzes gerichtet wurden, will ich gar nicht weiter kommentieren. Wir haben an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass bei uns volles Vertrauen besteht und dass wir den eingeschlagenen Weg mehr als richtig finden. Wer hier sagt, dass der Demokratie schwerer Schaden zugefügt werde, der schaue sich bitte das an, was er in den Regierungsjahren 2003 bis 2013 verantwortet hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Verfassungsschutz ist ein Instrument im Bereich der inneren Sicherheit, zum Schutz der Demokratie. Das ist ein Bereich, der - das will ich zu Beginn grundsätzlich sagen - für uns Sozialdemokraten mit unseren bitteren Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus einen sehr hohen Wert darstellt. Deswegen führen wir immer wieder eine Diskussion über die Grenzen der Freiheit und die

Frage: Wo darf der Staat wie eingreifen? Was sind die richtigen Lehren aus Zeiten der Diktatur in Deutschland?

Ich bin bei meinen Recherchen auf die Festschrift zu 60 Jahren Bundesamt für Verfassungsschutz gestoßen, auf die Rede, die Joachim Gauck gehalten hat. Joachim Gauck sprach als Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie e. V.“. Er hat sich in der Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR und im Engagement und im Kampf für Demokratie besonders verdient gemacht. Er hat anlässlich dieses Festaktes aus der Rede von Carlo Schmid vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates im September 1948 zitiert:

„Soll diese Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und absolut sein, soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? … Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Spannungsbogen bewegen wir uns. Deswegen, glaube ich, ist es richtig, dass wir anhand des Berichts der Arbeitsgruppe aus dem Innenministerium auch grundsätzlich darüber diskutieren können, welches Staatsverständnis wir in uns tragen, ob wir für einen demokratischen Rechtsstaat stehen, der Bürgerrechte schützt, der sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzt, der kritische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben will und der gleichzeitig innere Sicherheit gewährleistet.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Sehr gutes Thema für eine Enquetekommission!)

- Ich sage nachher etwas zur Enquetekommission, Herr Dr. Birkner.

Wir haben nach den bitteren Erfahrungen des Terrors des NSU in diesem Land vieles infrage gestellt - ich glaube, zu Recht -, was die Architektur der inneren Sicherheit anbelangt. Es hat auch in Niedersachsen immer wieder Vorfälle gegeben, die es gerechtfertigt haben, kritisch zu hinterfragen.

Ich will hier an Hans-Dieter Lepzien erinnern, der als V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes Bombenanschläge mit vorbereitet hat, an

das Celler Loch - das sind Dinge, die für meine Generation schon weit weg sind.

(Jens Nacke [CDU] lacht)

- Für meine Generation.

(Jens Nacke [CDU]: Da waren Sie noch gar nicht auf der Welt, Herr Kol- lege!)

- Doch, doch, da war ich schon auf der Welt.

Aber ich will auch an das erinnern, was wir hier in den letzten zehn Jahren diskutiert haben. Wir haben über die Islamistencheckliste diskutiert. Wir haben über die Rolle des Verfassungsschutzes bei Einbürgerungsverfahren diskutieren; ich will an den Fall Jannine Menger-Hamilton erinnern. Wir haben über verdachtsunabhängige Moscheekontrollen gesprochen. Wir haben darüber gesprochen, wie das Speicherverhalten der Behörde Rechtsanwälte, Journalisten, Mitarbeiter von Fraktionen und viele, die sich als politisch Aktive in bürgerlichen Protesten wiederfanden, mit umschlungen hat. Wir hatten uns - auch das hat uns beschäftigt - damit auseinanderzusetzen, wie in einem, glaube ich, einzigartigen Vorfall die Konrad-Adenauer-Stiftung zur politischen Bildung und Mitarbeiterschulung im Verfassungsschutz Niedersachsen genutzt wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man das alles zusammenaddiert, dann wird klar, warum beim Regierungswechsel im Jahr 2013 von beiden Partnern angekündigt wurde: Eine Reform des Verfassungsschutzes in Niedersachsen ist dringend notwendig und zwingend geboten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will an erster Stelle den Bericht der Arbeitsgruppe des Innenministeriums hervorheben, der sehr deutlich gemacht hat, in welchen Bereichen der Reformbedarf besteht. Die Arbeitsgruppe hat uns sehr detaillierte Handlungsempfehlungen vorgelegt. Ich will mich ganz herzlich bei den fünf Mitgliedern bedanken, die hier eine sehr wichtige Arbeit geleistet haben; für das Innenministerium, aber auch für das Parlament. Ich will mich auch beim Innenminister bedanken, der diese Arbeitsgruppe mit einem sehr klar definierten Arbeitsauftrag eingerichtet hat. Ihre Arbeit bietet die Grundlage für eine Revision der Aufgaben und Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes, für eine Bewertung der Aufgaben und auch für einen rechtlichen Rahmen, der - da sind wir uns einig - in Teilen korrigiert gehört.

Wir haben es mit einer deutlich veränderten Sicherheitslage zu tun. Die Bedrohungslage hat sich verändert. Wir diskutieren auch - ich glaube, das muss man einbeziehen, vor allem im zweiten Teil, wenn es um die Speicherungen geht - über die Auswirkungen des NSA-Skandals. Die Menschen haben - ich finde, zu Recht - wenig Verständnis, wenn sie das Gefühl haben müssen, dass ihre Daten mit dem Staubsauger eingesammelt werden, wenn blind gesammelt wird, ohne dass man nachvollziehen kann, warum das passiert und was mit den Daten geschehen soll, ohne dass man die Abgrenzung, wer in den Fokus gerät und wer nicht, nachvollziehen kann.

Ich glaube, dass an dieser Stelle ein erster großer Unterschied besteht zwischen dem, was die Landesregierung vorgelegt hat, und dem, was im Bericht der CDU zu finden ist. Der Bericht der CDU gesteht keine Fehler ein und geht davon aus, dass in den letzten zehn Jahren alles gut gelaufen ist: Es gebe an der einen oder anderen Stelle ein wenig Bedarf, an den Stellschrauben zu drehen, aber dabei gehe es nicht um Grundlegendes. - Hier unterscheiden wir uns ein zweites Mal mehr als deutlich.

Ich will ein paar Bereiche in den Fokus rücken, die für uns in Bezug auf die anstehende Reform entscheidend sind, und zu Beginn darauf hinweisen, dass Niedersachsen nicht alleine ist. Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben sich auf den Weg gemacht, neue Verfassungsschutzgesetze verabschiedet und einen mehr als deutlichen Hinweis auf das gegeben, was auch in Niedersachsen passieren soll.

All die Themen, die der Innenminister angesprochen hat, bewegen natürlich auch uns. Wie bekommen wir es hin, dass wir verbindliche und verlässliche Aussagen zur Führung von V-Personen im Gesetz definiert bekommen, dass zwischen Nähe und Distanz unterschieden werden kann, dass Straftäter nicht als V-Person infrage kommen und dass gleichzeitig Ausstiegsmöglichkeiten für V-Personen immer wieder genutzt werden? Wie bekommen wir es hin, dass die Observation, die mit starkem Personaleinsatz verbunden ist, die in dem Bericht als sehr wirkungsvolles Instrument dargestellt wird, bei der Auswahl der Objekte greift? Wie bekommen wir Verhältnismäßigkeit und Grundsätzlichkeiten bei Eingriffsbefugnissen definiert? Wie kann der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem in der Gesellschaft funktionieren, Beobachtungsobjekte und Extremisten auf dem

Schirm haben und gleichzeitig Bürgerrechte garantieren?

Wir sehen deutlichen Handlungsbedarf in der Personalführung, bei Qualifizierung und Rotation. Die Innenrevision ist eingeführt worden.

Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie in Zukunft die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses aussieht. Aber die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses kann nur dann funktionieren - da bin ich mir sicher -, wenn wir einen Malus aus schwarz-gelber Zeit endlich beheben, wenn wir, wie auch immer geartet, wieder eine Landeszentrale für politische Bildung bekommen, die genau an der Stelle in Niedersachsen fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Zu dem In-camera-Verfahren hat der Minister umfassend ausgeführt.

Ich möchte kurz einen Blick auf die parlamentarische Kontrolle werfen. Ich finde, dass es sehr vieles von dem, was in dem Bericht der Arbeitsgruppe steht, umzusetzen gilt: öffentliche Sitzungen - wir werden das heute Nachmittag diskutieren -, eine stärkere Rolle der G-10-Kommission, auch in Bezug auf die Auswahl von V-Personen.

Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wie kriegen wir mehr Transparenz hin? Wie kriegen wir es hin, dass die Menschen Vertrauen in das System Verfassungsschutz und die staatlichen Sicherheitsorgane entwickeln, dass sie das Gefühl haben: Da geschieht etwas nicht ausschließlich im Verdeckten, sondern das ist etwas, was sich an klaren Regeln orientiert. Deswegen legen wir großen Wert auf einen klaren Regelungscharakter des Verfassungsschutzgesetzes. Es soll weniger mit vertraulichen Dienstanweisungen gearbeitet werden; vielmehr sollen klare Definitionen in das Gesetz aufgenommen werden.

Im Zusammenhang mit klaren Definitionen geht es auch darum, dass wir nicht nur im Bereich Personalführung, sondern auch bei der Auswahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlegen müssen, wie wir es hinbekommen, dass die drei Disziplinen, die fachlichen Qualifikationen, im Haus jeweils ausreichend vorhanden sind, damit der wissenschaftliche Anspruch gewährleistet ist. Außerdem muss man als Behörde - und das zieht sich wie ein roter Faden durch - das Organisationslernen für sich umsetzen.

Die Kritik, die Schura, DITIP und die türkische Gemeinde geäußert haben, haben wir vernommen. Der Minister hat hierzu Richtiges gesagt. Wir werden uns als Parlament und als Ausschuss sehr intensiv in den nächsten Monaten mit den Handlungsbedarfen auseinandersetzen und überlegen, wie man das, was hier kritisch aufgegriffen wurde, mit aufnehmen kann. Ich glaube aber, da ist schon einiges passiert. So weit, so gut.

Dann ging es gestern um den zweiten Bericht. Bereits im Jahr 2013 hatten wir eine sehr emotionale Debatte über Speicherungen - Andrea Röpke, Julia Amthor und andere seien hier genannt - mit empörten Reaktionen von Journalistenverbänden und der Öffentlichkeit über nicht gegebene Auskunft oder falsche Auskunft bei Auskunftsbegehren, weil vorher Daten gelöscht wurden. Es zeigt sich, wie wichtig es war, dass umgehend Sofortmaßnahmen im Haus eingeleitet wurden, aber auch dass mit der Taskforce ein bundesweit einmaliger Vorgang eingeleitet wurde.

Die gesamte Amtsdatei eines Nachrichtendienstes ist überprüft worden. 9 400 personenbezogene Datensätze sind über Monate hinweg einem komplexen Prüfverfahren unterzogen worden. Das, was hier zutage gefördert wurde, sollte uns nachdenklich machen. Es ist nicht damit getan, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Aber in der ersten Bewertung kann man durchaus feststellen, dass es mehrere große Linien gibt, die, wie wir meinen, nicht hätten überschritten werden dürfen.

Die Verhältnismäßigkeit und die Grundrechtskonformität ist im Bericht ausreichend angesprochen worden. Ich empfehle ihn wirklich jedem zur Lektüre. Bei der Vorstellung der Ergebnisse mussten wir feststellen, dass 21,51 % der gespeicherten Datensätze zu beanstanden und zu löschen waren. 17,3 % der Speicherungen sind zeitnah zu löschen, weil sie für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Es verbleiben also rund 60%.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe wenig Verständnis, wenn ich mir die Pressemitteilung der CDU dazu ansehe, die gestern veröffentlicht wurde. Dort heißt es: Es wäre doch besser gewesen, wir hätten die Datensätze behalten, wer weiß, wofür man sie noch einmal brauchen kann.

(Lachen und Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Nacke, was ist das eigentlich für ein Verständnis von den rechtlichen Grundlagen der Arbeit dieser Behörde?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Was ist das eigentlich für ein Verständnis? Sehen wir uns die Einzelfälle an, die geschildert wurden - der Minister hat das eben ausgeführt -: Skandalisierung, Protest bei Castortransporten, bürgerlichen Protesten bei Naziaufmärschen in Bad Nenndorf und anderen Städten und Muslime, die regelmäßig das Freitagsgebet in extremistisch beeinflussten Moscheen besuchen, und zwar ohne dass es Erkenntnisse über die einzelnen Besucher gibt, die eine Speicherung rechtfertigen.

Zum Thema NSU-Komplex. Wenn Sie den Bericht im Detail lesen, dann werden Sie feststellen, dass es ein Moratorium gab, das die Löschungen vorerst ausgesetzt hat, um in Ruhe auswerten zu können. Deswegen ist einiges aufgelaufen, was jetzt nachgeholt wird.

Die Aussagen, die gestern getroffen wurden, haben uns betroffen gemacht: Wir wollen alle kennen, Quantität geht vor Qualität. Wir reden von ein paar Hundert Jugendlichen, die in die Fänge der Datenbank geraten sind, ohne dass es einen konkret-individuellen, zurechenbaren Gewaltbezug gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren - damit wir von gleichen Voraussetzungen ausgehen -: Natürlich ist es wichtig, dass ein Nachrichtendienst Verdachtsfälle speichern können muss. Er muss in die Lage versetzt werden, sich im Zuge einer genauen Prüfung Personen ansehen zu können, um festzustellen, ob sich Verdachtsmomente erfüllen. Aber wenn man dann feststellt, dass dem nicht so ist, dann gehören die Daten dieser Personen wieder gelöscht.