Ich kann ja verstehen, dass Sie angesichts des Profilverlusts im Bereich der Agrarpolitik, den Sie laut Umfragen haben, nervös sind. Die HAZ hat geschrieben, Sie haben eine Agrarwendekommission eingerichtet. Das teilen Sie absolut nicht. Herr Thümler und andere haben diesen Begriff in der Landvolkpresse dann sofort dementiert.
Man kann sicherlich über Begriffe streiten. Ich möchte daran erinnern, dass Sie in den Antragsberatungen, als wir über die Problemlösung gesprochen haben, nicht gesagt haben, dass wir eine Überdüngung haben, sondern Sie haben allen Ernstes vorgeschlagen, zu sagen, wir hätten in einigen Landkreisen einen „positiven Phosphorsaldo“. Das ist Ihre Wortwahl dafür, dass zu viel Dün
ger und zu wenig Fläche vorhanden ist. Wenn man das so weiterdenkt, dann könnte man auch die übertriebene Datensammelwut beim Verfassungsschutz einen „positiven Verdächtigensaldo“ nennen.
Ich würde mir wünschen, dass wir in Aktuellen Stunden nicht über Begriffe reden, sondern uns wirklich um die Sache kümmern: um die Arbeit, um den Schutz unseres Grundwassers.
Herr Minister, ich darf Sie ganz kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dammann-Tamke?
Mein letzter Satz: Ich danke für den Konsens, den wir in der Sache haben. Wir haben jetzt wirksame Instrumente zur Kontrolle. Unser Grundwasser - das wissen wir - hat ein langes Gedächtnis und sollte es uns allen wert sein, dass wir es gemeinsam und vor allem wirksam schützen.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt sehe ich nicht. - Herr DammannTamke, das war eine Meldung zu einer Zwischenfrage?
Ich möchte den Türkischen Generalkonsul in der Loge hinter der SPD-Fraktion ganz herzlich willkommen heißen.
Meine Damen und Herren, die Abgeordnete Frau Doris Schröder-Köpf hat sich zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort, Frau Doris Schröder-Köpf.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema dieser Aktuellen Stunde lautet, wie eben gehört: „Niedersachsens Beziehungen zur Türkei ausbauen“.
Ich finde, am heutigen Tag kann man nicht darüber sprechen, ohne der türkischen Bevölkerung unser Mitgefühl auszusprechen. Mehr als 200 Todesopfer hat das schwere Grubenunglück in einer Zeche bei Soma bisher gefordert. Es steht zu befürchten, dass noch weit mehr Todesopfer zu beklagen sind. Ich hoffe, ich darf für alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses unsere Anteilnahme ausdrücken, und bitte Sie, Herr Generalkonsul Günay, diese zu überbringen.
Sehr geehrte Damen und Herren, vor mehr als 50 Jahren begann die Bundesrepublik mit der gezielten Anwerbung türkischer Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Viele Menschen, die als Gastarbeiter kamen, schlugen hier Wurzeln. In Niedersachsen leben etwa 200 000 Menschen mit türkischem Hintergrund. Davon besitzen etwa 100 000 die deutsche Staatsbürgerschaft. Hunderttausende Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben Erinnerungen an unser Bundesland mitgenommen.
Diese Zahlen machen deutlich: Niedersachsen und die Türkei sind schon durch die Menschen in beiden Ländern in untrennbarer und einzigartiger Weise miteinander verbunden.
Auf der Delegationsreise mit Ministerpräsident Stephan Weil in die Türkei habe ich die tiefe freundschaftliche Verbundenheit erneut erfahren dürfen. Wir Niedersachsen sind in der Türkei gern gesehene Gäste. Die Offenheit und das Interesse an unserem Land haben nicht nur mich nachhaltig beeindruckt.
Sehr geehrte Damen und Herren, Stephan Weil ist der erste Niedersächsische Ministerpräsident, der in die Türkei gereist ist, um die Zusammenarbeit zwischen den Ländern in dieser Weise zu intensi
vieren. Eine besondere Geste und Ehre war darüber hinaus, dass Herr Landtagspräsident Busemann den Ankara-Teil der Reise wahrgenommen hat. Vielen Dank dafür!
Der zweiten Station, Konya, kam bei der Reise eine besondere Bedeutung zu. Die flächenmäßig größte Provinz der Türkei, gelegen in Zentralanatolien, soll Partnerregion unseres Landes werden. Zwischen Niedersachsen und Konya gibt es bereits zahlreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Kontakte. Diesen Austausch gilt es weiter auszubauen und zu stärken. Dazu unterzeichneten der Gouverneur Muammer Erol und der Ministerpräsident im feierlichen Rahmen eine entsprechende Absichtserklärung.
Niedersachsen und Konya werden also Hochschulkooperationen ausbauen, Schulpartnerschaften anregen, den Austausch von Studierenden und Auszubildenden fördern, Begegnungen auf sportlicher Ebene - etwa im Fußball - unterstützen. Ein Partnerschaftsvertrag ist das richtige Instrument, um die bestehenden und außergewöhnlich zahlreichen menschlichen Verbindungen in eine politische Form zu gießen und ihnen damit größere Beständigkeit zu verleihen.
Liebe Bürgerinnen und Bürger aus der Provinz Konya, die Sie das vielleicht mitbekommen: Wir freuen uns auf Sie, auf euch!
Sehr geehrte Damen und Herren, die Gastfreundschaft in Konya und das Interesse an unserem Bundesland - das konnten wir erfahren - sind überwältigend. Der Deutsche Botschafter in der Türkei, Eberhard Pohl, nennt übrigens die Provinzhauptstadt Konya das „anatolische Hannover“ - ein Vergleich, dem man als Hannoveranerin nicht widersprechen mag, wenn man die gepflegte grüne Stadt mit den vielen Radwegen sieht. Die Provinz Konya verfügt über eine bedeutende Automobilindustrie, ist Zentrum der Lebensmittelproduktion und wird „Kornkammer der Türkei“ genannt. Auch hier gibt es Parallelen.
Sehr geehrte Damen und Herren, offene Worte in bewährter niedersächsischer Klarheit können aber ebenfalls Beziehungen stärken. Ministerpräsident Stephan Weil hat die sechstägige Reise genutzt, um die bekannten politischen Felder anzusprechen, auf denen sich viele Menschen in Deutsch
land, in der Türkei und in Europa Verbesserungen wünschen. In seiner beeindruckenden und viel gelobten Rede vor Studentinnen und Studenten der Istanbuler Kültür-Universität
sprach der Ministerpräsident und amtierende Bundesratspräsident über Demokratie und Rechtsstaat, die zentralen Werte unseres Grundgesetzes, über Gewaltentrennung und das Prinzip des Föderalismus. Er hat die besondere Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit sowie einer unabhängigen Justiz herausgestellt. Europa ist eben nicht nur ein Wirtschaftsraum, sondern auch eine Wertegemeinschaft.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Delegationsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren sich einig, dass der Ministerpräsident durch seine verbindliche und vermittelnde Art viele Türen geöffnet hat, und zwar nicht nur für die Wirtschaft. Als amtierender Bundesratspräsident gehört er damit zum Kreis derjenigen Niedersachsen, die ihre herausgehobenen politischen Ämter nutzen, um die freundschaftlichen Beziehungen zur Türkei zu fördern und zu vertiefen. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dafür sind Ihnen sicherlich nicht nur die Niedersachsen mit türkischen Pässen und Wurzeln dankbar.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Reise des Ministerpräsidenten hat die niedersächsischtürkischen Beziehungen eindeutig gestärkt. Interesse und Erwartungen von beiden Seiten sind groß. Staatspräsident Gül hat sich im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten zuversichtlich gezeigt, dass sich die Türkei auch in Fragen von Demokratie und Rechtsstaat weiterentwickeln wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, meine Rede möchte ich mit einem Zitat des berühmten Mystikers Rumi aus Konya beschließen: Nicht diejenigen, welche die gleiche Sprache sprechen, verste
hen einander, sondern diejenigen, die das gleiche Gefühl teilen. - Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Verbundenheit mit den Menschen aus der neuen Partnerregion Konya einstellen wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein richtiges Ansinnen, die Beziehungen zwischen Niedersachsen und der Türkei zu vertiefen, und zwar nicht nur deshalb, weil unsere Gedanken in diesen Minuten in der Tat bei den Opfern der Bergwerkskatastrophe in Soma sind, sondern auch deshalb, weil türkischstämmige Mitbürgerinnen und Mitbürger über Jahrzehnte zum Aufbau unseres Landes und unseres Wohlstandes beigetragen haben.
Der Wunsch nach Freundschaft und Harmonie darf aber nicht über eines hinwegtäuschen: Die weitere Annäherung wird durch das aktuelle Agieren des Türkischen Ministerpräsidenten - ich will es vorsichtig formulieren - nicht unbedingt erleichtert.