Protokoll der Sitzung vom 16.05.2014

Frage 2: Steht die Landesregierung hinter den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bereitschaftspolizei in Göttingen?

Die Frage kommt aus dem Bereich der Fraktion der CDU. Wer möchte vortragen? - Herr Kollege Adasch. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe)

Herr Kollege, einen Moment. Wir stellen erst Ruhe her.

Am 10. April 2014 unterstützte die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Bereitschaftspolizei in Göttingen das Ausländeramt der Stadt Göttingen bei der Abschiebung eines 30-jährigen Flüchtlings aus Somalia nach Italien. Die Abschiebung war dem Flüchtling nach Aussage des zuständigen Ordnungsdezernenten der Stadt Göttingen und Oberbürgermeisterkandidaten der Grünen, Siegfried Lieske, im Göttinger Tageblatt vom 12. April 2014 zuvor angekündigt worden. Laut Göttinger Tageblatt sieht Lieske den Fall des somalischen Flüchtlings als eine Rückführung in einen „sicheren Rechtsstaat, nämlich nach Italien.“

Die Abschiebung sei von ca. 50 Aktivistinnen und Aktivisten der linken Szene trotz der Unterstützung durch die BFE verhindert worden, wie das Göttinger Tageblatt am 11. April 2014 berichtete. Bei der Abschiebung soll es demnach zu zahlreichen Verletzungen von Polizisten und Mitgliedern der linken Szene gekommen sein. Die Grüne Jugend Göttingen schildert den Einsatz in einer Pressemitteilung vom 10. April 2014 als brutal, verängstigend und vollkommen skrupellos. Die Polizei wies diese Vorwürfe zurück.

Die Grüne Jugend veröffentlichte auf ihrer Internetseite ein Dossier zur BFE Göttingen und fordert

in einem offenen Brief die Abschaffung der BFE in Göttingen. Unterstützt wird diese Forderung mit Stand vom 29. April 2014 u. a. von der Grünen Jugend Niedersachsen, den Stadt- und Kreistagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken, der Juso-Hochschulgruppe und den Jusos Göttingen.

Die tageszeitung (taz) vom 29. April 2014 berichtete über diesen offenen Brief („Misstrauensvotum gegen Polizei“). Das Innenministerium hat laut diesem Bericht Presseanfragen hierzu an die Zentrale Polizeidirektion in Hannover verwiesen, welche Überlegungen zur Abschaffung der BFE in Göttingen verneinte.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Steht die Landesregierung hinter den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der BFE in Göttingen?

2. Warum weist der Innenminister die Vorwürfe gegen die BFE in Göttingen, die von Mitgliedern der Parteien, die die Landesregierung tragen, erhoben werden, nicht zurück?

3. Wie bewertet die Landesregierung die Notwendigkeit einer BFE am Standort Göttingen, und plant die Landesregierung, diese abzuschaffen?

Herzlichen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Adasch. - Für die Landesregierung antwortet Innenminister Pistorius. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, sollten am 10. April 2014 in einem sogenannten Dublin-Verfahren zwei Asylbewerber nach Italien zurückgeführt werden, die in Göttingen lebten. Dabei handelte es sich um einen Ivorer und einen Somalier. Beide wurden vorab durch die Ausländerbehörde der Stadt Göttingen über die bevorstehende Rücküberstellung informiert.

Der Ivorer wurde in seiner Göttinger Wohnung angetroffen. Er zeigte sich kooperativ, erklärte sich mit den Maßnahmen zur Rückführung einverstanden. Alles verlief ohne besondere Vorkommnisse.

Anders gestaltete sich der Fall des Somaliers. Es kam hier zu Geschehnissen, die in der vorliegenden Anfrage erwähnt sind und die auch in der öf

fentlichen Diskussion umfänglich thematisiert wurden. Die Maßnahme wurde letztlich abgebrochen.

Danach wurde die Landesregierung von Ihnen darum gebeten, im Ausschuss für Inneres und Sport über diese Geschehnisse zu berichten. Entsprechende Anträge stellten die CDU-Fraktion am 11. April und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 12. Mai 2014. Der Ausschuss hat in seiner Sitzung vom 29. April 2014 eine mündliche Unterrichtung beantragt. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport wird den Innenausschuss deshalb in seiner kommenden Sitzung am 22. Mai umfassend über den chronologischen Ablauf des polizeilichen Einsatzes sowie über die Zuständigkeiten im Rahmen eines solchen Rückführungsprozesses unterrichten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach dem 10. April ist ein offener Brief verfasst worden, auf den sich auch die Fragesteller beziehen und in dem die Abschaffung der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, kurz BFE, gefordert wird. Darin sind einige Punkte dargestellt, die nicht der tatsächlichen Organisation der BFE entsprechen. Ich möchte Ihnen deshalb zunächst darlegen, wie die niedersächsischen Einheiten strukturiert und aufgebaut sind.

Die niedersächsische Bereitschaftspolizei ist in die Abteilung 2 der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen integriert. Sie verfügt über sieben Bereitschaftspolizeihundertschaften, davon zwei am Standort Hannover und jeweils eine in Braunschweig, Lüneburg, Göttingen, Oldenburg und Osnabrück. In Hannover, Braunschweig, Göttingen und Oldenburg ist jeweils eine BFE integraler Bestandteil der Bereitschaftspolizeihundertschaften.

Die Bereitschaftspolizei Niedersachsen umfasst gegenwärtig 1 133 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte. Die Personalstärke der BFEen richtet sich nach der Verwaltungsvereinbarung über die Bereitschaftspolizei zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen in Verbindung mit den Vorschriften über die Organisation, Gliederung, Ausstattung und rechtlichen Grundlagen für die Bereitschaftspolizeien der Länder und Einsatzeinheiten der Bundespolizei und umfasst jeweils 40 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte.

In dem Offenen Brief wird dagegen angenommen, die Personalstärke der Göttinger BFE liege bei etwa 130 Beamtinnen und Beamten. Diese Darstellung ist nicht korrekt. Bei den BFEen handelt es sich im Übrigen nicht um Spezialeinheiten, son

dern um Einheiten der Bereitschaftspolizei mit spezialisierten Aufgaben; das ist ein Unterschied. Sie sind darauf spezialisiert, Gewalt- bzw. Straftäter aus gewalttätigen oder gewaltbereiten Menschenmengen heraus oder gewalttätige Einzeltäter beweissicher festzunehmen.

Polizeibehörden können die BFEen für bestimmte Einsatzlagen anfordern. Die Einsätze erfolgen unter Berücksichtigung der erforderlichen spezialisierten Aufgabenwahrnehmung und der grundsätzlichen Verfügbarkeit von Einsatzkräften.

Ich möchte kurz auf die Ausstattung zu sprechen kommen, weil auch sie eine Rolle spielt.

Alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Einsatzeinheiten der niedersächsischen Polizei sind mit Einsatzanzug, Einsatzhelm und Einsatzstiefeln ausgestattet. Sie verfügen zudem standardmäßig über eine leichte Körperschutzausstattung. Schutzschilde für alle Einsatzkräfte sind vorhanden; sie werden aber nur anlassbezogen mitgeführt. Sämtliche Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamten des Landes Niedersachsen sind außerdem mit einer persönlichen ballistischen Unterziehschutzweste der sogenannten Schutzklasse I ausgestattet.

In dem angesprochenen Offenen Brief wird behauptet, die BFEen würden über „Pepperballgewehre“ verfügen. Tatsächlich, meine Damen und Herren, gehören diese allerdings nicht zur Ausstattung der niedersächsischen Polizei. Sie werden dementsprechend natürlich auch nicht angewendet.

Den BFEen und anderen funktionsbezogenen Einsatzeinheiten sind zusätzlich schwere Schlag- und Stichschutzanzüge mit hoher Schutzwirkung - sogenannte schwere Körperschutzausstattung - zugewiesen, ebenso einteilige Einsatzanzüge für Spezialeinheiten, genannt „Einsatzkombi“.

Die schweren Körperschutzausstattungen bestehen aus einer Weste mit integrierten Front- und Rückenprotektoren, Schulter- und Halsschutz sowie Pistolenholster, Ober- und Unterarmprotektoren mit Ellenbogenschutz, Oberschenkelschlagschutz mit Suspensorium sowie Schutzhandschuhen und Beinprotektoren für Schienbein und Knie mit Spannschutz. Die Beinprotektoren und die Oberschenkelschlagschutzhose werden unter der Einsatzkombination getragen, über der Weste der zusätzlich vorhandene Einsatzblouson.

Die Einsatzanzüge der BFEen unterscheiden sich auch farblich von denen der übrigen taktischen

Einsatzeinheiten. Die BFEen tragen anthrazitfarbene Einsatzanzüge, taktische Einsatzeinheiten hingegen dunkelblaue Kleidung. Die Angehörigen der BFEen sind auch deshalb für Außenstehende als solche erkennbar, weil sie durch die schwere Körperschutzausstattung eine beträchtlich größere Statur haben.

Alle Einsatzeinheiten der Bereitschaftspolizei Niedersachsen sind außerdem mit einer taktischen Rückenkennzeichnung ausgestattet. Diese ist funktionsgebunden. Die Kräfte können damit eindeutig und schnell ihrer operativen Einheit zugeordnet werden.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern, dass in der BFE sehr erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind. Das gilt insbesondere für die Führungskräfte. Sie blicken auf umfassende Einsatzerfahrungen zurück.

Ein hoher, professioneller Qualitätsstandard wird über viele Wege sichergestellt. Dazu gibt es kontinuierliche und themenorientierte Fach- und Praxisfortbildung. Diese Bildungsmaßnahmen decken auch Stressbewältigung und taktische Kommunikation ab, also genau die Dinge, die im Einsatz sehr entscheidend sein können. Außerdem werden spezielle Einsatzlagen regelmäßig geübt.

Die Aufnahme von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die BFE erfolgt nach einem sehr sorgfältigen Auswahlverfahren. Die anschließende Teilnahme an einer vierwöchigen Basisausbildung ist verpflichtend. Mit dieser umfassenden Aus- und Fortbildung wird sichergestellt, dass die BFEen bei besonderen Einsatzlagen anlassbezogen und ausschließlich im Rahmen der rechtlichen Grundlagen agieren. Sie orientieren sich dabei gleichzeitig am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die Einheiten der Bereitschaftspolizei und damit auch die BFEen treten in ihren Einsätzen grundsätzlich in geordneter Formation auf, also etwa in Zügen oder Gruppen. Die Einsatzkräfte orientieren sich dabei an den einschlägigen Polizeidienstvorschriften. Die BFEen werden grundsätzlich im Rahmen einer Bereitschaftspolizeihundertschaft eingesetzt. Sie können aber auch selbstständig eingesetzt werden.

In Göttingen, meine Damen und Herren, gibt es eine spezielle Ausgangslage. Das wissen wir aus Erfahrung. Bei einigen zurückliegenden Rückführungen kam es zu Solidarisierungsaktionen von Gegnern dieses Verfahrens. Seit 2010 wurden

Rückführungsmaßnahmen mehrfach gestört mit dem Ziel, sie zu verhindern. Der Göttinger Arbeitskreis zur Unterstützung von Asylsuchenden e. V. hatte auch im Vorfeld des eingangs erwähnten Verfahrens angekündigt, nicht tatenlos zuzusehen. Diese Gruppe kann erfahrungsgemäß kurzfristig bis zu 50 Personen mobilisieren. Deshalb konnten versammlungsrechtliche Aktionen im Zusammenhang mit den avisierten Rückführungsmaßnahmen an den relevanten Einsatzorten nicht ausgeschlossen werden.

Die zuständige Polizeidienststelle in Göttingen forderte für den 10. April, also den Tag der Rückführung, einen Einsatzzug der ZPD Niedersachsen an. Dieser sollte der taktischen Bewältigung der polizeilichen Einsatzlage sowie dem Schutz anlassbezogener Versammlungen dienen. Daraufhin wurde der Polizeidirektion Göttingen von der ZPD ein Einsatzzug der Bereitschaftspolizeihundertschaft Göttingen zugewiesen. Aufgrund interner Organisationsstrukturen verfügte die Göttinger Bereitschaftspolizei, die BFE am 10. April als taktischen Einsatzzug einzusetzen. Alle übrigen Kräfte dieser Bereitschaftspolizei standen nämlich nicht zur Verfügung.

Eine BFE kann auch als taktischer Einsatzzug eingesetzt werden, wenn andere Kräfte nicht zur Verfügung stehen. Soweit sie in dieser Verwendung taktische polizeiliche Maßnahmen wahrnimmt - beispielsweise Absperrungen, Kontrolltätigkeiten oder Aufgaben des Versammlungsschutzes -, kann dies wegen der spezifischen Ausstattung und Kennzeichnung dieser Einheit von Außenstehenden nicht immer differenziert werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte nochmals betonen, dass die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten der niedersächsischen Bereitschaftspolizei über einen hohen polizeilichen Einsatzwert verfügen. Das wird durch die zahlreichen Maßnahmen gewährleistet, die ich Ihnen genannt habe.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Ja. Das Land Niedersachsen hält an den Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten als integralem Bestandteil der Bereitschaftspolizeihundertschaften fest.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Zu 2: Die gute und zuverlässige Arbeit der Beamtinnen und Beamten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Göttingen und generell der Polizei in Niedersachsen habe ich bereits öffentlich in der Pressemitteilung vom 7. Mai 2014 betont.

Darüber hinaus habe ich am 12. Mai 2014 die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Göttingen besucht und über eine Stunde mit den Beamtinnen und Beamten gesprochen. Dabei habe ich sehr deutlich gemacht, dass es keinen Anlass gibt, die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Göttingen aufzulösen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Sollte es bei einzelnen Einsätzen zu Fehlern gekommen sein, wird dies in aller Ruhe und Sachlichkeit aufgearbeitet, wie es im Übrigen für alle Bereiche der Landesverwaltung gilt.