Protokoll der Sitzung vom 27.06.2014

Die Aufnahmecamps platzen aus allen Nähten. Das wissen wir. Davor können und wollen wir die Augen nicht verschließen.

Niemand macht sich die Entscheidung über die Ausgestaltung der zu treffenden Maßnahmen leicht. Denn jede Regelung auf diesem Gebiet bedeutet auch die Übernahme von Pflichten, vielleicht auch Ausgrenzung, und auch Verpflichtungen durch die Angehörigen.

Wir befürworten die Absicht der Landesregierung, die syrischen Familien dahin gehend zu unterstützen, die Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Behinderung und Pflege von einer Verpflichtungserklärung auszunehmen. So kann das finanzielle Risiko für die Familien erheblich begrenzt werden.

Ich freue mich, dass wir zügig über den Antrag abstimmen; denn Zeit ist ein wichtiger Faktor, und wir hoffen auf schnelle Umsetzung.

Die FDP trägt diesen Antrag gerne mit. Wir werten ihn als Signal für gelebte Humanität.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Pistorius. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Vorbemerkungen machen.

Die erste ist die Erleichterung und große Freude darüber, zu sehen, was sich in unserem Land - damit meine ich Deutschland insgesamt - im Vergleich zu der Zeit vor 20 Jahren verändert hat, was den Umgang mit Flüchtlingen, mit Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, angeht. In den 90erJahren hatten wir bei höheren Zahlen und über einen längeren Zeitraum hinweg eine Entwicklung, bei der nicht kleine Teile der Bevölkerung skep

tisch und ängstlich bis offen feindselig den Menschen gegenübergetreten sind. Das ging bis hin zu diversen Anschlägen, die das Bild Deutschlands in der Welt nachhaltig verändert haben.

Heute erleben wir ein Deutschland und ein Niedersachsen, in dem die meisten Menschen mit großer Empathie, mit großem Verständnis, mit großer Solidarität und Hilfsbereitschaft den Menschen gegenüber auftreten, die zu uns nach Europa, nach Deutschland und nach Niedersachsen kommen, weil sie Hilfe brauchen, weil sie Sicherheit suchen, weil sie existenzielle Ängste haben. Das ist, glaube ich, zunächst einmal eine Erkenntnis, die uns auch heute hier zusammenführt und die uns alle außerordentlich zufrieden und auch ein Stück glücklich und stolz sein lassen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die zweite Vorbemerkung bezieht sich auf das Verfahren, damit keine Legenden zurückbleiben. Auch wir hatten bereits im alten Jahr den Startschuss gegeben. Ich freue mich sehr über den einmütigen Beschluss heute. Aber wie wir alle wissen, ging es darum, den Haushaltsgesetzgeber und den Landesrechungshof mitzunehmen. Diese Dinge haben sich etwas länger hingezogen, als es eigentlich gewollt war. Nichtsdestotrotz gehören wir immer noch zu den ersten Bundesländern, die eine solche Regelung auf den Weg bringen. Sich darüber zu freuen, besteht allemal Anlass.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich darf daran erinnern, dass beim ersten Bundesaufnahmeprogramm, das im Mai letzten Jahres in Kraft getreten ist, um 5 000 Syrerinnen und Syrer aufzunehmen, der Wunsch, der schon damals von den Ländern artikuliert worden war, nämlich dabei insbesondere Familienangehörige von hier lebenden Menschen zu berücksichtigen, leider nicht erhört wurde. Wir haben schon damals gesagt: Das erleichtert für diejenigen, die hierher kommen, die Integration und gewissermaßen das Ankommen vom ersten Tag an, weil es Anlaufpunkte gibt, weil es Familie gibt und dergleichen mehr.

Weil es damals im ersten Aufnahmeprogramm nicht umsetzbar war, haben wir dann - die meisten Bundesländer jedenfalls - ein Landesaufnahmeprogramm erlassen. Bis auf Bayern haben das übrigens alle Bundesländer gemacht. 15 Bundesländer haben also ein solches Programm mit un

terschiedlichen Kriterien, mit unterschiedlichen Hürden auf den Weg gebracht; zum Teil waren die Hürden sehr hoch, weil die Grenzen für das Einkommen, das nachzuweisen war, beachtlich hoch sind.

Wir in Niedersachsen haben eine Lösung gefunden, mit der - zumindest am Anfang schien es so - die Hürden deutlich einfacher zu überwinden und zu erfüllen waren durch niedrige Nachweisgrenzen beim Einkommen. Aber auch hier hat sich schnell herausgestellt, dass die größte Hürde die Finanzierung der Krankenversicherung bzw. die Übernahme der Krankheitskosten war. Die Menschen, die da kommen, können eben nicht einfach zur AOK oder zur DAK gehen und sich für ein paar Euro im Monat versichern lassen. Das geht nicht. Deswegen war das für viele Familien eine sehr schwer zu überwindende Hürde, nämlich den Nachweis zu erbringen, auch dafür aufkommen zu können.

Deshalb ist das Signal jetzt ein sehr richtiges und ein sehr gutes. Ich bin sehr froh darüber, meine Damen und Herren, dass der Landtag die Absicht der Landesregierung nicht nur unterstützt, sondern maßgeblich mit gestalten hilft, weil es ein ganz starkes, humanitäres, Menschlichkeit aussendendes Signal in die Welt, nach Europa ist zu sagen: Ja, wir helfen. Ja, wir nehmen Hürden weg. Wir nehmen den Menschen die größten Sorgen, die sie daneben haben, dass sie ihre Angehörigen in Sicherheit bringen müssen und wollen.

Darüber freue ich mich ganz besonders, weil ich mich dieses Themas, wie Sie wissen, von Anfang an sehr intensiv angenommen habe. Ich bin Ihnen persönlich wirklich sehr dankbar dafür, weil das den Menschen buchstäblich hilft.

(Jens Nacke [CDU]: Ist ja gut!)

- Ja, ich weiß, Herr Nacke: Ist ja gut. - Das sind die Zwischenrufe, die man in solch einer Debatte braucht. Aber egal.

Ich will hier noch ein Wort zu den Zahlen der Flüchtlinge sagen, weil das immer leicht durcheinander gerät.

Wir haben in Deutschland seit Ausbruch des Bürgerkrieges 38 000 Menschen aus Syrien aufgenommen, davon knapp 30 000 über das Asylverfahren und etwa 8 000 über die ersten Bundes- und Landesaufnahmeprogramme.

Ich will nur darauf hinweisen: Auf den Listen jener 15 Länder - alle außer Bayern - stehen weitere rund 60 000 Menschen, die über die Landesauf

nahmeprogramme Aufnahme finden sollen. 60 000 Menschen sind jetzt also in der Prüfung.

Wenn das alles zu einem guten Abschluss kommt, reden wir also - nicht alle werden bei der Verpflichtungserklärung die Voraussetzungen erfüllen können - bis zum Ende des Jahres sehr schnell über 80 000 bis 100 000 Menschen, die hier Zuflucht finden.

Setzt man diese Zahlen in ein bloßes Verhältnis zu dem, was in Syrien und Umgebung geschieht, scheint das in der Tat wenig zu sein. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass die meisten Menschen, die in einer solchen Region aus ihren Heimatländern fliehen, das in der Absicht tun, in der Region zu bleiben - in der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Konfliktes und darauf, schnell nach Hause zurückkehren zu können, sowie in der Erwartung, in einer kulturell gewohnten Umgebung sicherer zu sein.

Daher werden wir nie vor der Herausforderung stehen, 2 Millionen Menschen in Deutschland und in Europa aufnehmen zu müssen.

Beschämend ist aber - das muss man heute auch noch einmal deutlich sagen -, was andere europäische Nationen in dieser Frage tun. Wenn einzelne Länder 500, 250, 60 oder 300 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, ist das deutlich zu wenig, um wenigstens den Schutzbedürftigsten in Syrien und Umgebung Hilfe zu leisten.

(Lebhafter Beifall)

Meine Damen und Herren, deswegen ist ein kleines Signal - das immerhin 8 Millionen Euro pro Jahr kostet -, wie Sie es heute hier aussenden, auch wichtig, um nach Europa zu signalisieren: Man kann mehr tun. Man muss mehr tun.

Es gibt noch viele Menschen in Syrien und Umgebung, die Zuflucht brauchen. Wir alle können uns ausmalen, was in dieser Region los sein wird, wenn die Entwicklung im Irak so weitergeht, wie sie begonnen hat.

Ich danke für dieses Signal. Vielen Dank dafür! Ich denke, wir werden über dieses Thema in den nächsten Monaten und Jahren noch das eine oder andere Mal zu reden haben.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich schließe die Beratungen.

Alle Fraktionen haben sich auf sofortige Abstimmung verständigt. Gleichwohl frage ich der guten Ordnung halber, ob eine Ausschussüberweisung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.

Daher kommen wir jetzt zur Abstimmung.

Wer den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Hauses in der Drucksache 17/1615 annehmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann haben Sie einstimmig so beschlossen.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Ich rufe jetzt auf den

Tagesordnungspunkt 39: Unser Grundwasser in Niedersachsen schützen - Gespräche mit den Niederlanden beginnen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/1616

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, diesen Antrag ohne Aussprache direkt an den Ausschuss zu überweisen.

Federführend soll der Ausschuss für Umwelt, Energie und Klimaschutz sein. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Dann haben Sie so beschlossen.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 41: Nettoneuverschuldung jetzt senken - Rot-grüne Landesregierung muss Nachtragshaushalt 2014 vorlegen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/1622

Auch hierzu ist eine Direktüberweisung beantragt worden.

Federführend soll der Ausschuss für Haushalt und Finanzen sein.