Protokoll der Sitzung vom 17.04.2013

(Beifall)

Auch begrüße ich die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Staatsgerichtshofs sowie die bereits gewählten, aber noch nicht im Amt befindlichen Nachfolgerinnen und Nachfolger, die zahlreich auf der Tribüne Platz genommen haben. Begrüßen möchte ich insbesondere Frau Dr. Menk, die dem Staatsgerichtshof sieben Jahre lang als Mitglied angehört hat und zum 31. März 2013 ausgeschieden ist.

Sehr geehrter Herr Professor Ipsen, Sie sind seit dem 5. Mai 2006 Mitglied des Staatsgerichtshofs, waren zuvor gut dreieinhalb Jahre stellvertretendes Mitglied und haben zum 1. Februar 2007 das hohe Amt des Staatsgerichtshofpräsidenten übernommen. Für die verantwortungsvolle Tätigkeit im Staatsgerichtshof haben Sie als Professor für Öffentliches Recht an der Universität Osnabrück die allerbesten fachlichen Voraussetzungen mitgebracht, und Sie haben sich der bei Ihrem Amtsantritt als Präsident für Sie - wenn mal so will - als Exponent der Wissenschaft neuen Aufgabe als Richter mit großer Hingabe gewidmet.

Mit Ihrem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt werden Sie auf eine sechsjährige Tätigkeit als Repräsentant eines unserer obersten Verfassungsorgane zurückblicken können. In dieser Zeit haben Sie an vielen wichtigen Entscheidungen des Gerichts mitgewirkt.

Wir sind nun gespannt, zu hören, was Sie uns am Ende Ihrer Amtszeit als Präsident des Staatsgerichtshof aus dem sicherlich reichen Erfahrungsschatz, den Sie im Rahmen dieser Tätigkeit gewonnen haben, mit auf den Weg geben werden. Verehrter Herr Professor Ipsen, ich bitte Sie, nun zu uns zu sprechen. Sie haben das Wort. Bitte sehr!

(Beifall)

Professor Dr. Jörn Ipsen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Januar 2007 habe ich meine Antrittsrede als Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs gehalten. Wie seinerzeit darf ich auch heute sagen, dass es für mich eine große Ehre ist, sechs Jahre später wiederum vor dem Parlament des Landes zu sprechen, dem ich mich durch Geburt,

berufliche und zuletzt auch richterliche Tätigkeit so eng verbunden fühle.

Eine Abschiedsrede könnte dazu veranlassen, die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs während der letzten sechs Jahre Revue passieren zu lassen, um damit die Weisheit und Umsicht des Gerichts unter Beweis zu stellen. Ich möchte dieser Versuchung widerstehen, weil Richter durch ihre Urteile, nicht über ihre Urteile sprechen sollten.

Stattdessen will ich mich in aller Kürze Grundfragen widmen, die sich stets im Verhältnis von Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit stellen. Politik und Recht sind unterschiedliche Pole der Sozialgestaltung. Der Politik ist eigen, dass sie Gemeinwohlentwürfe verfolgt, die aus den Bedürfnissen der Bevölkerung heraus entwickelt werden, rechtlich aber nicht vorgegeben sind. Selbst so wichtige Staatszielbestimmungen wie der Umweltschutz oder das Sozialstaatsprinzip zeigen nur eine grobe Richtung an und bedürfen der Umsetzung durch das Parlamentsgesetz.

Politik ist der Kampf um Macht und Machterhalt. Es wäre naiv, zu meinen, dass die politischen Parteien nur hehre Gemeinwohlziele verfolgen und ihnen gewissermaßen zufällig die Instrumente hierfür gegeben werden, diese auch zu erreichen. Es ist deshalb völlig legitim, dass im Wettbewerb der Parteien auch mit härteren Bandagen gekämpft wird. Allerdings sei an dieser Stelle sogleich vermerkt, dass der zurückliegende Wahlkampf in Niedersachsen von einer bemerkenswerten Fairness gekennzeichnet war.

Die Bühne des politischen Wettbewerbs, um hier den Begriff des Kampfes zu vermeiden, ist in einer parlamentarischen Demokratie naturgemäß das Parlament. Ich habe bei zahlreichen Besuchen des Hohen Hauses stets die Disziplin und das Niveau der Plenardebatten beobachten können.

Wie Sie alle wissen, hat der Parlamentarismus in Deutschland, anders als etwa in Großbritannien, keine ruhmvolle Geschichte. Nach Gründung der Bundesrepublik mussten erst - mit einem Wort von Michael Stolleis - „Lehrjahre der Demokratie“ erfolgen. Hierzu gehört die Einsicht, dass die Plenardebatte nicht zuallererst der Meinungsbildung, sondern der Meinungsäußerung dient. Zu den bekannten Stereotypen der Parlamentarismuskritik etwa von Carl Schmitt gehört die Behauptung, der Parlamentarismus habe die ihm früher eigenen Merkmale der Diskussion und Öffentlichkeit eingebüßt. Dies ist unzutreffend, weil die Parlamentsdebatten in der jüngeren Geschichte regelmäßig der

Darstellung unterschiedlicher Positionen dienten und nicht etwa das Ziel verfolgten, überhaupt erst eine Mehrheitsmeinung herzustellen. Was die Öffentlichkeit angeht, gibt es in unserem Medien- und Informationszeitalter ganz ungeahnte Möglichkeiten der Verbreitung, die auch einem Landesparlament offenstehen.

Der politische Prozess bedarf allerdings der Regeln, die innerhalb des Landtags - wie ich vielfach beobachten konnte - strikt eingehalten werden. In den Plenarsitzungen wacht der Sitzungsvorstand über die Einhaltung der Geschäftsordnung und trägt damit die Verantwortung dafür, dass sich die Fraktionen trotz ihrer politischen Gegensätze und der nicht selten leidenschaftlich geführten Debatten auf einer gemeinsamen Basis wiederfinden. Die Geschäftsordnung des Landtags stellt bekanntlich nur Innenrecht dar, gilt also nicht außerhalb des Parlaments und insbesondere nicht für die Beziehungen der Staatsorgane untereinander. Die Grundlagen des staatlichen Lebens, die Konstituierung der Staatsorgane und die Abgrenzung ihrer Kompetenzen finden sich in der Verfassung.

Das Land Niedersachsen hat mit der Verfassung vom 13. Mai 1993 nach mehr als 40-jähriger Geltung der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung eine Vollverfassung erhalten. Verfassungsbestimmungen bedürfen nicht selten der Auslegung. Es entspricht aller Erfahrung, dass es hierbei unterschiedliche Auffassungen geben kann. Die Verfassung vermag ihre Aufgabe als Regelwerk des politischen Prozesses indes nur zu erfüllen, wenn eine Instanz besteht, die im Streitfalle die Verfassung mit Bindungswirkung für alle Staatsorgane auslegt.

An dieser Stelle ist der Bogen zur Verfassungsgerichtsbarkeit und damit zum Staatsgerichtshof zu schlagen. Nicht nur der Bund hat ein Bundesverfassungsgericht, auch alle Bundesländer verfügen über eigene Landesverfassungsgerichte. Die Verfassungsgerichte stehen unausweichlich im Schnittpunkt von Recht und Politik. Ihre Entscheidungen sind stets von weittragender politischer Bedeutung, gleichgültig, wie sie ausfallen. Nicht selten werden deshalb an Entscheidungen und an die an den Entscheidungen beteiligten Personen bestimmte Erwartungen gestellt. Solche Erwartungen gehen von einem unzutreffenden Verständnis des verfassungsgerichtlichen Entscheidungsprozesses aus.

In den Beratungen kommt es stets auf Argumente an, nicht auf politische oder gar parteipolitische

Positionen. Der Entscheidungsprozess in Verfassungsgerichten unterscheidet sich deshalb grundlegend von dem in anderen Kollegialorganen, etwa Parlamentsausschüssen, in denen das abschließende Abstimmungsergebnis nicht selten nur begründet, aber nicht gebildet wird.

Als Bilanz meiner über sechsjährigen Tätigkeit als Präsident des Staatsgerichtshofs darf ich nicht ohne Stolz vermelden, dass die Entscheidungen stets einvernehmlich getroffen worden sind, wofür als äußeres Zeichen gelten mag, dass es zu keinem Minderheitsvotum gekommen ist.

Die Entscheidungsbefugnisse des Staatsgerichtshofs sind, wie die aller anderen Verfassungsgerichte, einzeln aufgezählt und damit begrenzt. Erinnert sei daran, dass bis zum Inkrafttreten der Niedersächsischen Verfassung am 1. Juni 1993 nur das Normenkontrollverfahren und die Organstreitigkeit praktische Bedeutung erlangten, was dazu führte, dass der Staatsgerichtshof in den bekannten jahrelangen Dornröschenschlaf verfiel, weil keine Verfahren anhängig waren.

Mit dem Inkrafttreten der Niedersächsischen Verfassung änderte sich diese Situation schlagartig, weil die kommunale Verfassungsbeschwerde eingeführt wurde und kommunale Gebietskörperschaften gegen Einschränkungen ihrer Selbstverwaltungsgarantie durch Landesgesetze nicht mehr das Bundesverfassungsgericht anrufen mussten.

Die kommunale Verfassungsbeschwerde stellt mittlerweile zahlenmäßig die stärkste Verfahrensart dar. Auch gegenwärtig sind elf Verfassungsbeschwerden anhängig, über die der Staatsgerichtshof am 29. April, wenige Tage vor Ende meiner Amtszeit, entscheiden wird. Nicht statthaft ist dagegen die Individualverfassungsbeschwerde. Mit anderen Worten: Der Bürger kann sich nicht mit der Behauptung, er sei in seinen Grundrechten verletzt, direkt an den Staatsgerichtshof wenden.

Ich habe in meiner Antrittsrede am 27. Januar 2007 zugesagt, mich öffentlicher Äußerungen zur Problematik der Verfassungsbeschwerde zu enthalten. Im Staatsgerichtshof selbst bestanden unterschiedliche Meinungen über die Sinnhaftigkeit einer Landesverfassungsbeschwerde, und ich habe vermeiden wollen, dass öffentliche Äußerungen von mir als Auffassung des Staatsgerichtshofs insgesamt gewertet würden. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich kurz vor Ende meiner Amtszeit diese Zurückhaltung aufgebe und meine Abschiedsrede zu einem Plädoyer für die Einfüh

rung einer Landesverfassungsbeschwerde benutze.

Vorweg sei bemerkt, dass es hierzu nur eines einfachen Gesetzes, nämlich der Ergänzung des Gesetzes über den Staatsgerichtshof, bedarf. Nach Artikel 54 Nr. 6 der Niedersächsischen Verfassung entscheidet der Staatsgerichtshof auch - ich zitiere - „in den übrigen ihm durch diese Verfassung oder durch Gesetz zugewiesenen Fällen.“ Es bedarf also keiner Verfassungsänderung, um die Bürgerverfassungsbeschwerde einzuführen. 10 der 16 Landesverfassungen kennen die Verfassungsbeschwerde und verfügen hierbei - so etwa Bayern und Hessen - über eine jahrzehntelange Tradition. In Baden-Württemberg ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Verfassungsbeschwerde eingeleitet worden. Die Hamburger Verfassung enthält keine Grundrechte, sodass eine Verfassungsbeschwerde hier nicht in Betracht kommt. Übrig bleiben als Länder ohne Verfassungsbeschwerde deshalb nur Bremen, NordrheinWestfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Bremen und Schleswig-Holstein sehen erwartungsvoll auf Niedersachsen, was mir vielfach bestätigt worden ist. Nur Nordrhein-Westfalen verstand sich bislang als eine Art Bollwerk gegen die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde.

Ich kann an dieser Stelle nicht alle Argumente für und wider ihre Einführung vortragen, gehe indessen von der Prämisse aus, dass einer Verfassung, die Grundrechte gewährleistet - sei es auch im Wege der Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes -, ein Rechtsbehelf entspricht, mit dem die Verletzung dieser Grundrechte geltend gemacht werden kann.

Nicht überzeugend ist das vielfach gehörte Argument, die Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde würde die Ehrenamtlichkeit in der Verfassungsgerichtsbarkeit infrage stellen. Sämtliche Landesverfassungsgerichte folgen dem Prinzip der Ehrenamtlichkeit, und es ist bislang nicht bekannt geworden, dass sie dem Geschäftsanfall an Verfassungsbeschwerden nicht gerecht geworden wären.

Untauglich ist letztlich auch das Kostenargument; denn schon jetzt kann der Staatsgerichtshof zur Unterstützung seiner Arbeit Richter im Landesdienst anfordern. Dieses Modell würde sich auch für die Bearbeitung von Verfassungsbeschwerden eignen.

Ein entscheidendes Argument für die Landesverfassungsbeschwerde besteht darin, dass Landes

gesetze und ihr Vollzug vielfach einen so stark regionalen oder auch örtlichen Bezug haben, dass für die entsprechenden Rechtsstreitigkeiten und für ihre Entscheidung die Landesverfassungsgerichte schlechthin geeigneter sind als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Sie mögen mir als Prognose gestatten, dass durch die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde auch die Eigenstaatlichkeit des Landes gestärkt würde. Denn Bundesländer sind Gliedstaaten der Bundesrepublik und nicht lediglich Verwaltungsuntergliederungen. Insofern weist die Individualverfassungsbeschwerde in den Bundesländern auch auf ein größeres Landesbewusstsein hin.

Ich habe allerdings feststellen müssen, dass die Verfassungsbeschwerde nicht auf der Agenda der neuen Landesregierung steht. Nun stehe ich nicht an, der Regierung in dieser Stunde Ratschläge zu erteilen. Denn über die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde zu entscheiden und darüber zu debattieren, ist allein Aufgabe des Landtags, dem ich für seine ungeteilte Aufmerksamkeit meinen Dank sage.

(Starker Beifall)

Sehr geehrter Herr Professor Ipsen, der Landtag dankt Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen für Ihre dem Land Niedersachsen und seinen Bürgerinnen und Bürgern geleistete Arbeit im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu danken. Für Ihren weiteren persönlichen und wissenschaftlichen Lebensweg wünschen wir Ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit und Zufriedenheit.

(Beifall)

Sehr geehrter Herr Dr. van Nieuwland, der Landtag hat Sie in seiner Sitzung am 13. März 2013 in ein hohes Amt gewählt. Sie gehören dem Staatsgerichtshof bereits seit Juni 2000 als stellvertretendes Mitglied und seit dem 23. Februar 2005 als Mitglied an. Seit dem 7. Dezember 2006 sind Sie zudem Vizepräsident des Gerichtes. Als Präsident des Oberverwaltungsgerichtes sind Sie erfahren in der Entscheidung juristischer Konflikte. Die Verfassungsrechtsprechung steht vor der immer wieder zu bewältigenden Herausforderung, trotz der oft großen politischen Bedeutung die verfassungsrechtlich richtige Entscheidung zu treffen. Ihre Erfahrungen und die der anderen Mitglieder des

Staatsgerichtshofes werden, so denke ich, dabei von großem Nutzen sein.

Wir freuen uns auf das, was Sie uns sagen wollen, und sind gespannt, ob und wie Sie den von Ihrem Vorgänger geworfenen Ball aufnehmen. Sie haben das Wort.

(Beifall)

Dr. Herwig van Nieuwland:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für mich eine besondere Ehre, aus Anlass meiner Wahl zum Präsidenten des Staatsgerichtshofs heute vor Ihnen, den Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages, sprechen zu dürfen. Dass Sie mir dazu Gelegenheit geben und mich vor genau fünf Wochen mit so großer Mehrheit in dieses hohe Richteramt gewählt haben, dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal allen herzlich Dank sagen. Ich freue mich auf meine neue Aufgabe und werde mich nach Kräften bemühen, meinen Teil dazu beizutragen, der Landesverfassung als der Grundordnung niedersächsischer Staatlichkeit die ihr zukommende Geltung zu verschaffen.

Bei der letzten Wahl sind allerdings nicht nur der Präsident und die Vizepräsidentin des Staatsgerichtshofs neu gewählt worden, sondern es haben auch sieben weitere Wahlen von Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern stattgefunden. Allein bei den Mitgliedern hat es vier Neuwahlen gegeben. Damit ist fast die Hälfte der Mitglieder neu in das Richteramt berufen worden. Man kann daher mit Fug und Recht von einer Phase des Umbruchs und eines gewissen Neuanfangs sprechen. Dabei ist besonders erfreulich, dass der Staatsgerichtshof nun aus vier Frauen und fünf Männern besteht. Zum ersten Mal in der Geschichte des Staatsgerichtshofs wurde damit die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht, soweit dies bei der ungeraden Zahl neun möglich ist. Die letzten Richterwahlen sind insoweit Ausdruck einer neuen Entwicklung, die ich außerordentlich begrüße.

Gestatten Sie mir, dass ich vorab ein Wort des Dankes an meinen Amtsvorgänger richte! Sie, Herr Professor Ipsen, waren der erste Hochschullehrer im Amt des Präsidenten. Von daher konnte es nicht überraschen, dass Sie diesem Amt eine ganz eigene Prägung gegeben haben. Mit den Besuchen beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat sich den Mitgliedern des

Staatsgerichtshofs die Möglichkeit eröffnet, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und dabei neue Erkenntnisse für die eigene Arbeit zu gewinnen. Darüber hinaus ist es Ihrem Engagement und Ihrer Zielstrebigkeit zu verdanken, dass der Staatsgerichtshof inzwischen über sehr repräsentative Räume verfügt, deren Ausstattung keine Wünsche offenlässt.

Meine Damen und Herren, der Staatsgerichtshof hat bekanntlich eine Doppelfunktion. Er ist Gericht und Verfassungsorgan zugleich. Er ist ein Gericht, weil er als Gericht organisiert ist, nur auf Antrag tätig werden kann und sein Erkenntnisprozess in einem streng justizförmig geregelten Verfahren abläuft. Er ist ein Verfassungsorgan, weil Verfassungs- und Gesetzesrecht ihn dazu bestimmen, seine Aufgaben und Befugnisse sich unmittelbar aus der Landesverfassung ergeben und seine Entscheidungen die beiden anderen Verfassungsorgane - also Parlament und Regierung - binden. Einzelne seiner Entscheidungen haben sogar Gesetzeskraft. Damit ist der Staatsgerichtshof das einzige Verfassungsorgan, das öffentliche Gewalt ausübt, ohne selbst einer Kontrolle zu unterliegen.

In dieser durch die Landesverfassung vorgegebenen Konstruktion mag man - vielleicht nicht ohne Grund - eine gewisse Gefahr erblicken. Denn seine Stellung verleiht dem Staatsgerichtshof vordergründig die Kompetenz, in einem bestimmten Maße selbst darüber entscheiden zu können, was noch zum Bereich zulässiger Verfassungsauslegung gehört und wo der Bereich der Verfassungspolitik beginnt. Der Schlüssel zur Lösung dieses der Verfassungsgerichtsbarkeit immanenten Problems liegt für mich in der strikten Beachtung des Prinzips der richterlichen Selbstbeschränkung. Nur wenn dem Staatsgerichtshof stets bewusst ist, dass er kein politisches Gestaltungsmandat hat, und er deshalb immer nur streng am Maßstab der Verfassung prüft und entscheidet, wird die aus der Befugnis zur autoritativen Verfassungsinterpretation erwachsende Macht des Staatsgerichtshofs aufgewogen. Nur dadurch wird gewährleistet, dass sich die Gewichte zwischen den Verfassungsorganen nicht verschieben und das Prinzip der Gewaltenteilung gewahrt bleibt.

In einer Demokratie entscheidet der Souverän über die Gestaltung von Staat und Gesellschaft. Der Respekt vor dem in Parlamentsentscheidungen oder Plebisziten zum Ausdruck gekommenen Volkswillen gebietet es daher, den Gesetzgebungsakt nur dann für ungültig zu erklären, wenn die Norm hinreichend klar nicht mehr im Einklang

mit den formellen und materiellen Regelungen der Verfassung steht. Für diese sensible Aufgabe im Grenzbereich zwischen Recht und Politik und für die Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist es daher aus meiner Sicht unabdingbar notwendig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass nicht der Staatsgerichtshof über den anderen Verfassungsorganen steht, sondern einzig und allein die Landesverfassung.

Der Staatsgerichtshof genießt aufgrund seiner konsistenten Rechtsprechung landesweit und parteiübergreifend hohes Ansehen. Die Bekanntheit des Staatsgerichtshofs und seine Verankerung im öffentlichen Bewusstsein werden freilich nicht allein durch die Qualität und die Überzeugungskraft seiner Entscheidungen geprägt, sondern gleichermaßen durch den Umfang der dem Gericht zugewiesenen Aufgaben. Dabei möchte ich, um Missverständnissen vorzubeugen, vorausschicken, dass das öffentliche Bewusstsein von der Existenz und der Stellung des Staatsgerichtshofes nun gar nichts mit der Eitelkeit oder dem Sendungsbewusstsein seiner Mitglieder zu tun hat. Beides entspräche nicht dem Gebot richterlicher Zurückhaltung. Mir geht es bei diesem Thema deshalb ausschließlich um die identitätsstiftende Funktion unserer Landesverfassung, um die Kontrolle staatlicher Machtausübung und um die Gewährung effektiven Rechtsschutzes.