Protokoll der Sitzung vom 15.12.2014

Obwohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes einen Landesjugendhilfeausschuss vorsieht, beschloss Niedersachsen unter der damaligen Landesregierung im Zuge der Föderalismusreform dessen Abschaffung - als einziges Bundesland überhaupt. An seine Stelle wurde ein Beirat gesetzt. Die Bildung des Beirates, die Berufung der Mitglieder sowie die Kompetenzen und Aufgaben wurden bewusst nicht gesetzlich geregelt.

Die damaligen Befürchtungen der Expertinnen und Experten zu den Folgen sind übrigens eingetreten: die Zerschlagung der einheitlichen Kinder- und Jugendhilfestrukturen, die Abschaffung der demokratischen Mitbestimmung von Betroffenen und Trägern sowie die Zersplitterung der Verantwortlichkeiten.

Welch ein jugendpolitischer Irrweg! Zum Glück beseitigen wir ihn heute.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir holen die Fachlichkeit der Jugendverbände in die Kinder-, Jugend- und Familienpolitik des Landes zurück.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich schnell ändernden Herausforderungen in der Kinder- und Jugendpolitik verlangen eine enge Anbindung an erfahrene Expertinnen und Experten. Eine abgestimmte Jugendhilfeplanung des Landes sowie ein regelmäßiger Fachaustausch zwischen den zuständigen Ministern, Ministerien, Politik und Verbänden sind wichtig und nötig.

Durch den Landesjugendhilfeausschuss werden besonders die Problemlagen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen, aber auch die grundlegende Jugendhilfeplanung und die Förderung der freien Kinder- und Jugendhilfe auf Landesebene in den Fokus der Sozialpolitik gerückt.

Wie bereits erwähnt, stützt sich der vorliegende Gesetzentwurf auf eine ausführliche und breite Verbandsanhörung und auf zahlreiche Stellungnahmen von Vereinen, Verbänden und Kirchen.

In unseren anschließenden Beratungen im Sozialausschuss wurden besonders die Organisationsstruktur und die Zusammensetzung ausführlich diskutiert. Bei der Frage, wer zukünftig im Landesjugendhilfeausschuss stimmberechtigt sein soll, haben wir uns für die Träger, deren Arbeit originär im Bereich der Jugendhilfe liegt, entschieden. Dazu gehören auch Religionsgemeinschaften, die aufgrund ihrer breiten Kinder- und Jugendarbeit mit berücksichtigt werden müssen - - -

(Unruhe)

Frau Kollegin, einen Moment, bitte! - Meine Damen und Herren, ich darf doch um etwas mehr Ruhe bitten. Es herrscht eine etwas zu hohe Geräuschkulisse. Wer sich unterhalten möchte, kann gerne die Nebenräume aufsuchen. - Danke schön! - Weiter geht’s!

Dazu gehören auch Religionsgemeinschaften, die aufgrund ihrer breiten Kinder- und Jugendarbeit mit berücksichtigt werden müssen, wie die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen

und das Katholische Büro Niedersachsen. Eine Erweiterung des Kreises der Stimmberechtigten auf andere Religionsgemeinschaften, sobald eine entsprechende Trägerfunktion gegeben ist - ich denke hier insbesondere an muslimische Gemeinschaften -, ist ausdrücklich erwünscht.

Des Weiteren werden Experten, die über Erfahrungen in der Jungen- und Mädchenarbeit, in der Inklusion und in der Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund verfügen, zukünftig mit Stimme Berücksichtigung finden. Gerade dort tut sich einiges. Das konnte ich bei meinem Besuch bei der Türkischen Jugend Niedersachsen feststellen. Sie wollen ernst genommen werden. Auch sie werden zukünftig von einem Landesjugendhilfeausschuss profitieren.

Ich möchte betonen: Die Einbindung und die neue Zusammensetzung sind in sich schlüssig. Die Pluralität in der Zusammensetzung spiegelt die bunte Kinder- und Jugendarbeit wider. Durch die besondere Rechtsprechung ist eine unmittelbare Anbindung an die Verwaltung und somit an die politischen Entscheidungsgremien gegeben.

Wir betrachten die Interessen der jungen Menschen endlich wieder in Gänze und auf der Höhe der Zeit. Im Landesjugendhilfeausschuss werden die öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Niedersachsen gemeinsam an der Koordination und Fortentwicklung einer bedarfsgerechten Kinder- und Jugendhilfe arbeiten können. Ich freue mich, dass die Angelegenheit der Kinder- und Jugendpolitik und die Problemlagen dort besprochen und auch beschlossen werden, wo sich praktische Expertise trifft.

Vor Kurzem wurde ich von der Evangelischen Akademie zu Loccum zur Tagung „Jugendarbeit im Aufwind“ eingeladen. Die Teilnehmenden in der Jugendarbeit haben mir versichert, dass sie die Wiedereinführung des Jugendhilfeausschusses

uneingeschränkt befürworten würden und sie bereits Themenvorschläge für den Unterausschuss gemacht hätten. Diese Dynamik ist doch großartig! Liebe Kolleginnen und Kollegen, so etwas nennt man Politik mitten im Leben! Das ergibt sich nicht einfach, sondern das braucht Bewegung und die Fähigkeit, neue Entwicklungen in der Gesellschaft zu erkennen und die richtigen Schlüsse für die Politik daraus zu ziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ich lade Sie ein: Springen Sie auf den fahrenden Zug! Sie haben jetzt noch die Gelegenheit dazu.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Ich darf noch einmal bitten, etwas mehr Ruhe einkehren zu lassen. - Danke schön.

Für die Fraktion der CDU folgt jetzt der Abgeordnete Volker Meyer. Herr Meyer, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften des Kinder- und Jugendhilferechts richten Sie wieder ein Landesjugendamt ein und führen zusätzlich wieder den Landesjugendhilfeausschuss ein. Sie begründen dies damit, dass Sie durch diese Einrichtungen die Kinder- und Jugendhilfe stärken und die Mitbestimmungsrechte des Landesjugendhilfeausschusses wiederherstellen wollen.

Schauen wir uns aber einmal an, was diese Gesetzesänderung wirklich zu dieser Stärkung beiträgt:

Bereits im Jahre 2002 hat Ihnen der Landesrechnungshof ins Stammbuch geschrieben, dass es erhebliche Überschneidungen zwischen der Arbeit des Ministeriums und des damaligen Landesjugendamtes gab.

(Zustimmung von Gudrun Pieper [CDU])

Bereits damals forderte der Landesrechnungshof, die Aufgaben auf eine Behördenebene zu konzentrieren, und eine stärkere Steuerung des Landes auf Ministeriumsebene. Genau diese, nachweislich bereits in den 90er-Jahren nicht funktionierenden Strukturen wollen Sie heute wieder einführen, nachdem wir sie erfolgreich abgeschafft haben.

(Beifall bei der CDU)

Aus unserer Sicht ist dies der absolut falsche Weg, weil sich die derzeitigen Strukturen in der Kinder- und Jugendarbeit absolut bewährt haben. Die Referate in den Ministerien leisten in ihrer jetzigen Struktur erfolgreiche Arbeit. Der Landesbeirat hat mit seiner beratenden Funktion die Kinder- und Jugendhilfearbeit erfolgreich begleitet.

(Zustimmung von Dr. Max Matthiesen [CDU])

Die Erfolge zeigen sich u. a. in der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit und der niedrigsten Schulabbrecherquote seit 20 Jahren. Das ist erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik der CDU. Hieran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Sie produzieren neue Doppelstrukturen, indem Sie Referate aus verschiedenen Ministerien zusammenfassen und eine neue Behördenleitung mit 2,5 Stellen installieren und hierfür Personalkosten im sechsstelligen Bereich aufwenden. Durch diese Aufteilung verhindern Sie eine ganzheitliche Sicht auf die Kinder- und Jugendhilfe und damit eine umfassende Jugendhilfeplanung in Niedersachsen.

Gerade die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen macht mit ihrer Stellungnahme deutlich, dass es zur Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe keiner zusätzlichen organisatorischen Maßnahmen auf Landesebene bedarf. Maßgebliche Bedeutung hat die Anwendung der geltenden Regeln in den Kommunen nach ihren eigenen Bedürfnissen. Gerade unsere junge Gruppe der CDU-Landtagsfraktion ist der Meinung, dass gerade diese Position der kommunalen Spitzenverbände zu unterstützen ist und die Steuergelder besser in direkter Unterstützung von Projekten der Jugendarbeit angelegt sind, als Geld für unnütze Bürokratie zu verschwenden.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie dann jedoch mit der Einrichtung des Landesjugendhilfeausschusses leisten - wie Sie es formulieren: zur Stärkung der Mitbestimmungsrechte -, ist äußerst kritisch zu sehen. Sie weiten die Anzahl der Mitglieder auf 23 stimmberechtigte und zusätzlich 10 beratende Mitglieder aus, haben also insgesamt 33 Mitglieder im Landesjugendhilfeausschuss. So stellt sich nicht nur uns, sondern auch einigen Verbänden die Frage, ob es Ihnen mit dieser Gesetzesänderung eigentlich nur um mehr Pluralität geht oder ob der Schwerpunkt wirklich noch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe liegt. Wir glauben dies jedenfalls nicht. Die Arbeitsfähigkeit einer Gruppe dieser Größe ist ohnehin nicht gegeben.

Wenn Sie sich die Stellungnahmen der Fachverbände zu Ihrem Gesetzentwurf anschauen, werden Sie feststellen, dass genau dieses von vielen Verbänden sehr kritisch gesehen wird. Eine Viel

zahl der Stellungnahmen macht aber auch eines deutlich: Die Einrichtung des Jugendhilfeausschusses wird zwar begrüßt, aber dann geht es oftmals nur noch darum, warum der eine vertreten sein muss und andere nicht.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwarz von der SPD-Fraktion zu?

Nein, danke.

Ich meine, gerade diese Diskussion, die nicht nur in den Stellungnahmen, sondern auch im Ausschuss gerade zwischen den Regierungsfraktionen und dem Ministerium geführt worden ist, zeigt, dass es nur darum geht, wie man vielleicht Einfluss gewinnen kann und der andere nicht, aber dass es Ihnen nicht darum geht, wie Sie die Kinder- und Jugendhilfe zum Wohle der Kinder und Jugendlichen in Niedersachsen weiterentwickeln können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend bleibt festzustellen: Die erfolgreiche Kinder- und Jugendpolitik der CDU-geführten Landesregierung wird bewusst zerschlagen.

(Marco Brunotte [SPD] lacht)

Sie schaffen überflüssige Bürokratie, investieren in Personal und vergessen dabei, etwas für die praktische Kinder- und Jugendförderung zu tun. Daher kann man Ihren Gesetzentwurf nur ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Meyer. - Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen

Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr! Sie wissen: 90 Sekunden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Meyer, da ich die Frage eben nicht stellen konnte, will ich es jetzt tun. Sie ist ganz einfach:

Können Sie mir bitte einmal sagen, warum die CDU Niedersachsen und die vorhergehende Landesregierung mit der Abschaffung eines Landesjugendhilfeausschusses bundesweit völlig allein standen und nach wie vor völlig allein stehen? Hat das seinen Grund darin, dass die anderen es nicht begreifen, oder liegt das an der hiesigen CDU?