Protokoll der Sitzung vom 20.01.2015

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen nicht darum herum reden: Insbesondere die riesigen Fluchtbewegungen auf der Welt und auch ihre Auswirkungen bei uns in Niedersachsen sind der ganz reale Hintergrund vieler aktueller Sorgen. Am Ende des vergangenen Jahres waren es wohl 20 000 Menschen, die in Niedersachsen Asyl beantragt haben. Ich möchte den niedersächsischen Kommunen an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Anstrengungen danken, diese Zuwanderinnen und Zuwanderer menschenwürdig unterzubringen. Ich bin mir der Herausforderung, die damit verbunden ist, sehr bewusst. Umso mehr gilt unser Dank den niedersächsischen Kommunen.

(Beifall)

Für das neue Jahr gibt es in dieser Hinsicht Erleichterungen, die auch dringend notwendig gewesen sind. Nicht nur hat das Land seine finanzielle Unterstützung auf etwa 6 200 Euro pro Flüchtling erhöht. Dies ist eine Unterstützung, die jährlich erfolgt und mit der wir uns im Ländervergleich unter den besonders kommunalfreundlichen Bundesländern befinden. Zumindest für die Jahre 2015 und 2016 ist es auf gemeinsamen Druck aller Länder auch gelungen, den Bund erstmals in die Finanzierung der Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten einzubeziehen. Etwa 1 300 Euro je Asylbewerber sind damit für niedersächsische Kommunen noch einmal zusätzlich verbunden.

Ich begrüße ausdrücklich dieses Zugeständnis des Bundes, das meines Erachtens aber nur ein Einstieg sein kann. Flucht und Asyl zu bewältigen, ist nicht nur Aufgabe von Ländern und Kommunen; es handelt sich um eine gesamtstaatliche Herausforderung. Ich bin sicher, ebenso wie Niedersachsen werden auch die anderen Länder an dieser Stelle eine große Beharrlichkeit entwickeln.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In praktischer Hinsicht ist es wichtig, dass sich der Bund dazu entschieden hat, seine Liegenschaften mietfrei für die Unterbringung von Flüchtlingen zur

Verfügung zu stellen, wo dies geeignet ist. Auch dies wird in vielen Fällen den Druck lindern.

Sicher ist allerdings auch: Wir müssen noch mehr tun. Insbesondere halte ich es für notwendig, die Dauer der Asylverfahren zu beschleunigen. Es führt nun einmal kein Weg um die Feststellung herum, dass schon die Herkunftsstaaten in vielen Fällen Aufschluss über die Erfolgsaussichten der Asylverfahren geben. Es gibt Staaten mit einer Anerkennungsquote von 99 % - Syrien und Irak zum Beispiel. Diesen Menschen muss schneller Sicherheit gegeben werden, dass sie in unserem Land Schutz und Zukunft haben. Es gibt aber auch Staaten mit einer Ablehnungsquote von 99 %, derzeit vor allem aus den Balkanstaaten. Auch in diesen Fällen muss den Betroffenen schneller klar sein, dass sie nicht bleiben können. In Niedersachsen haben wir mit dem Rückführungserlass bundesweit sicherlich einen besonderen Akzent gesetzt, wie dies respektvoll, schonend, aber eben auch konsequent erfolgen wird.

Als ein Flaschenhals bei der Durchführung von Asylverfahren erweisen sich vor allem Personalengpässe beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Deswegen haben alle 16 Länder gemeinsamen den Vorschlag unterbreitet, der Bund möge die Kosten entsprechender Verfahren übernehmen, sofern sie länger als drei Monate dauern. Darauf ist der Bund nicht eingegangen. Immerhin ist zugesagt worden, die notwendige Personalausstattung sicherzustellen. Wir werden miteinander sehr genau zu beobachten haben, ob wir in dieser Hinsicht Fortschritte erzielen können.

Unabhängig davon ist es eine Lehre aus der großen Zuwanderung in der ersten Hälfte der 90erJahre, dass Maßnahmen zur Integration beschleunigt werden müssen. Das ist nicht nur im Interesse der betroffenen Menschen, sondern auch der Wirtschaft. In vielen Fällen gibt es derzeit eine ausgeprägte Bereitschaft des Arbeitsmarktes zur Aufnahme von Flüchtlingen, die wiederum im Durchschnitt über eine bemerkenswerte Qualifikation verfügen.

Auch hierzu haben die Gespräche der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundesregierung im Dezember Fortschritte erbracht, die wir hoffentlich im Laufe dieses Jahres auch praktisch umsetzen werden. So ist beispielsweise das Arbeitsverbot merklich verkürzt und damit einer Forderung aus Niedersachsen entsprochen worden. Die Vermittlung auf den Arbeitsmarkt sollte in geeigneten Fällen schon sehr schnell in den Einrichtungen

beginnen, so ein kluger Vorschlag von Wirtschaftsminister Olaf Lies.

(Zuruf von der CDU: Aber Sprache ist nicht nötig!)

Interessant und unterstützenswert ist auch der Vorschlag, Jugendlichen, die in einer Ausbildung stehen, mindestens bis zum Ende dieser Ausbildung gesicherte Perspektiven in Deutschland zu geben. Dieser Vorschlag der FDP kann auf die Unterstützung der Landesregierung zählen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, schließlich werden wir uns auf die Bildungsintegration zu konzentrieren haben. Wir stimmen sicherlich alle darin überein, dass für die Integration von Flüchtlingen und ihren Kindern die Sprachqualifikation eine überragende Bedeutung hat. Deswegen konzentrieren wir uns darauf, Kinder und Jugendliche sehr schnell in die Lage zu versetzen, dem Unterricht in der deutschen Sprache zu folgen. Niedersachsen setzt sich für ein Teilnahmerecht von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern an Sprachkursen ein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Ohne Geld?)

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von besonderen Sprachlernklassen an allen Schulformen in allen Teilen unseres Landes.

(Jens Nacke [CDU]: Namentlich abge- lehnt, auch von Ihnen!)

Von dem Jahr 2013 bis heute sind sie von 61 auf rund 240 Klassen gesteigert worden. Das ist eine Vervierfachung und zeigt den hohen Stellenwert, den wir der Sprachförderung bei Flüchtlingen beimessen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich danke Kultusministerin Heiligenstadt sehr für dieses Engagement. Es ist kein Zweifel: Wir werden unsere Anstrengungen an dieser Stelle fortsetzen müssen. Aber die erzielten Fortschritte sind ermutigend, meine sehr verehrten Dame und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir wissen miteinander nicht, ob sich die Entwicklung der Asylbewerber

zahlen aus den letzten Jahren im Jahr 2015 fortsetzen wird; auszuschließen ist es jedenfalls nicht. Deswegen werden wir weiter intensiv an der damit für alle Beteiligten verbundenen Herausforderung arbeiten müssen. Aus diesem Grunde wird die Landesregierung auf Initiative von Innenminister Boris Pistorius in einer Flüchtlingskonferenz mit den Vertretern der Kommunen, der Freien Wohlfahrtspflege und vielen anderen Akteuren darüber sprechen, welche weiteren Schritte notwendig und auch leistbar sind, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Für mich ist das ein wichtiger grundsätzlicher Punkt. Wenn unser Staat beweist, dass er auch unter schwierigen Bedingungen zu angemessenen Lösungen imstande ist, wenn sich dabei alle Beteiligten gemeinsam engagieren und wir auch gemeinsam Fortschritte erzielen, dann stärken wir damit - da bin ich absolut sicher - auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Rechtsstaats.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben etwas zu verteidigen in Deutschland und in Niedersachsen: eine Gesellschaft, die auf Vielfalt und Toleranz setzt. Wir haben etwas zu verteidigen gegen Hass und Gewalt, gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Wir haben einen Staat zu verteidigen, der wie wenige andere auf der Welt eine freie und offene Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Erfolg zu verbinden versteht. Wir haben viel zu verteidigen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Dabei können wir uns stützen auf eine breite Gemeinsamkeit in unserer Gesellschaft, die nach meiner Überzeugung nicht nur so in Sonntagsreden dahergesagt ist, sondern auch tatsächlich in der Substanz besteht Das gilt hier im Landtag, das gilt aber auch tief in unsere Gesellschaft hinein.

Ich halte eine solche Gemeinsamkeit für einen großen Vorzug eines Landes. Wir sollten sie auch zeigen und demonstrieren. Das Einvernehmen im Grundsatz zu betonen, scheint mir derzeit wichtiger zu sein als manche Differenzen im Detail. Lassen Sie uns diese Gemeinsamkeit in den nächsten Wochen und Monaten pflegen!

Wir haben etwas zu verteidigen. Ich bin überzeugt: Wir werden den freien und offenen, aber auch solidarischen Charakter unserer Gesellschaft verteidigen und weiterentwickeln. Das können alle

von uns sehr persönlich tun. Das sollten wir auch gemeinsam als die demokratischen Kräfte in diesem Land tun.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Weil. - Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass die Regierungserklärung nahezu 30 Minuten gedauert hat. Nach unseren Gepflogenheiten erhalten für die nun folgende Aussprache die beiden großen Fraktionen die gleiche Zeit und die beiden kleinen Fraktionen die Hälfte dieser Zeit. Es ergeben sich also folgende Redezeiten: für die Fraktionen der CDU und der SPD jeweils 30 Minuten, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der FDP jeweils 15 Minuten.

Für die Fraktion der CDU hat sich Herr Fraktionsvorsitzender Thümler gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vorletzten Woche wurde Frankreich von mehreren brutalen terroristischen Anschlägen erschüttert. Insgesamt fielen diesem terroristischen Angriff 17 Menschen zum Opfer, darunter 4 Männer und Frauen jüdischen Glaubens. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten der gesamten französischen Bevölkerung.

In der Bewertung und Verurteilung dieser menschenverachtenden Tat sind wir fraktionsübergreifend einig: Es war ein feiger, hinterhältiger Angriff auf die Freiheit des Wortes und des Bildes, für den es keinerlei Rechtfertigung geben kann.

(Starker Beifall)

In den Tagen danach, meine Damen und Herren, gab es kraftvolle Signale der Solidarität und des Zusammenhalts. Menschen überall auf der Welt haben bei zahllosen Friedensgebeten, Mahnwachen, Großdemonstrationen eine ebenso entscheidende wie unmissverständliche Antwort auf diesen feigen Terrorakt islamistischer Gruppen gegeben. Das ist gut, das ist richtig, und es war wichtig, der Trauer und Empörung mit Worten Ausdruck zu verleihen. Aber auf Dauer wird das nicht ausreichen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Organisationen wie Boko Haram - übersetzt „Westliche Bildung ist Sünde“ -, Islamischer Staat, al-Qaida - übersetzt „Fundament des Dschihad“ - sind bestens vernetzte islamistische Terrornetzwerke mit einem klaren Feindbild, nämlich der aus ihrer Sicht dekadenten, korrupten, moralisch und geistig verlotterten westlichen Gesellschaft, die es aus ihrer Sicht zu bekämpfen gilt.

Es ist jedoch wichtig, klar zwischen Islam und Islamisten, zwischen Muslimen und muslimischen Terroristen zu unterscheiden. Deshalb, meine Damen und Herren, gebe ich Bundeskanzlerin Angela Merkel recht, wenn sie erklärt, dass die Muslime zu Deutschland gehören. Ja, ausdrücklich: Die Muslime gehören zu Deutschland!

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Aber Angela Merkel hat auch recht, wenn sie am Donnerstag im Deutschen Bundestag genauso unmissverständlich deutlich macht: Deutschland muss die islamistische Gewalt in aller Konsequenz mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP und von Helge Limburg [GRÜNE])

Deshalb ist es gut und notwendig, dass zukünftig islamistischen Kämpfern aus Deutschland der Pass zur Ausreise entzogen werden kann. Es ist gut und notwendig, dass sich Deutschland weiter an der Bekämpfung der Terrormiliz IS und anderer Terrorgruppen weltweit beteiligt.

Vor allem ist es gut und notwendig, dass unsere deutschen Nachrichtendienste ihre Arbeit machen können. Ich persönlich, meine Damen und Herren, halte den Informationsaustausch der Dienste auch länderübergreifend für unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe Wolfgang Schäuble recht, der letzte Woche gesagt hat:

„Wenn wir Polizei, Verfassungsschutz und Nachrichtendienste zu den letzten Trotteln machen, vor denen wir immer nur Angst haben müssen, dass sie unsere Rechte untergraben, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sie uns im Zweifel nicht so schützen können, wie sie uns schützen müssen, damit unsere Freiheit wirklich gewährleistet ist.“