Protokoll der Sitzung vom 20.01.2015

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zur Vorratsdatenspeicherung, einem auch in diesem Haus sehr umstrittenen Thema. Es gibt gute Gründe für und gegen eine solche vorsorgliche Speicherung von Telekommunikationsdaten und darauf aufbauende Fahndungsmaßnahmen. Vor allem aber haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof hohe Anforderungen an eine Einführung gestellt, und es gibt einstweilen noch kein Konzept, wie diese Vorgaben denn erfüllt werden könnten. Obendrein haben leider auch diese Möglichkeiten den Terror in Paris nicht verhindern können. Deswegen rate ich davon ab, den Eindruck zu vermitteln, mit dieser Maßnahme stehe oder falle entweder die Sicherheit oder der Rechtsstaat in unserem Land. Warten wir besser miteinander ab, bis ein belastbarer und diskussionsfähiger Vorschlag auf den Tisch liegt!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Es geht im Übrigen nicht nur um Fahndung und Ahndung, es muss uns insbesondere auch um Vorbeugung gehen. Gerade die Entwicklung der letzten Wochen hat dies noch einmal in Erinnerung gerufen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr gut, dass es Sozialministerin Cornelia Rundt gemeinsam mit den islamischen Verbänden gelungen ist, eine Präventionsstelle gegen Neo-Salafismus und islamistische Radikalisierung einzurichten und die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

An dieser Stelle wird eindrucksvoll deutlich, dass die muslimischen Glaubensgemeinschaften in Niedersachsen die Arbeit gegen den Islamismus zu ihrer eigenen Aufgabe gemacht haben, und das

ist gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unnachgiebigkeit gegenüber Hass und Gewalt ist die eine, Unnachgiebigkeit gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus ist die andere Leitplanke zur Verteidigung einer toleranten und weltoffenen Gesellschaft bei uns in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der FDP)

Wer zu den Grundwerten unserer Verfassung steht, der muss deutlich widersprechen, wo immer sich Fremdenfeindlichkeit und Rassismus rühren. Ich bin sehr froh darüber, dass diese Haltung auf den großen Demonstrationen der vergangenen Tage in so eindrucksvoller Weise zum Ausdruck gekommen ist. Wir haben uns bei diesen Bürgerinnen und Bürgern dafür zu bedanken, mit welcher Entschiedenheit sie für ihren Staat auf die Straße gehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Christian Dürr [FDP])

Gestatten Sie mir, dass ich noch eine Gruppe ganz besonders hervorhebe. Überall in Niedersachen begegnen mir Menschen, die ganz selbstverständlich und ohne ein Aufheben davon zu machen, Flüchtlingen bei ihren ersten Schritten in unserem Land helfen. Nach meiner festen Überzeugung helfen sie damit nicht nur den betroffenen Menschen, sondern auch unserer Demokratie. Sie setzen ein Zeichen, sie sind die besten Botschafterinnen und Botschafter unseres Landes, und sie machen durch ihr Engagement automatisch den Raum enger für Ausländerfeindlichkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung Björn Thümler [CDU] und von Christian Dürr [FDP])

Ich bedanke mich für dieses Engagement sehr herzlich. Die Landesregierung wird in den nächsten Monaten in geeigneter Weise überall im Land auch diesen Dank zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es sind wirklich viele Tausend Menschen, die so handeln - viel mehr übrigens, als in Niedersachsen zu den Demonstrationen von Hagida, Bragida oder

wem auch immer gehen. Manchmal würde ich mir auch wünschen, dass dies in der Berichterstattung stärker zum Ausdruck käme.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Mindestens in Niedersachsen haben die Ableger von Pegida keine sonderliche Resonanz gefunden, und ich füge hinzu: Wer damit auch nur liebäugelt, muss wissen, welche Personen und Organisationen in vielen Fällen dahinterstecken. Es gibt eine Reihe von Beispielen, in denen ein Bezug zum rechtsextremen Spektrum nachweisbar ist, etwa zu der vor einigen Wochen in Hannover durchgeführten Veranstaltung „Hooligans gegen Salafismus“. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss jeder wissen, der sich über eine Teilnahme an diesen Veranstaltungen Gedanken macht.

Gedanken machen müssen wir uns auch über Fragen, die sich Bürgerinnen und Bürger stellen: Entwickelt sich unsere Gesellschaft in die richtige Richtung? Wie gelingt uns die Integration von Zuwanderern aus vielen Teilen der Welt? Werden wir auch eine kulturelle Identität bewahren können, die für viele Menschen in unserer Gesellschaft Teil ihres ganz persönlichen Selbstverständnisses ist?

Das sind ernsthafte Fragen, auf die ernsthafte Antworten gegeben werden müssen. Meine Antwort lautet: Von Anfang an war die Geschichte Niedersachsens immer auch eine Geschichte der Zuwanderung, und wir sind damit in den letzten mehr als 65 Jahren - über alles gesehen - gut gefahren. Erst kamen die Flüchtlinge und die Vertriebenen, dann die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Ministerpräsident Ernst Albrecht holte eine große Anzahl von vietnamesischen Boat-People nach Niedersachsen. Unser Land ist Tausenden von Aussiedlerinnen und Aussiedlern aus der früheren Sowjetunion zur neuen Heimat geworden. Und seit mehr als zwei Jahrzehnten kommen Flüchtlinge auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Verfolgung oder auch völliger Perspektivlosigkeit zu uns.

Das alles ist auch Teil unserer Landesgeschichte, und viele von uns haben aus ihrer persönlichen Familiengeschichte konkrete Beispiele dafür. Die Integration dieser unterschiedlichen Form von Zuwanderung ist niemals einfach gewesen, sie ist aber - über alles gesehen - gelungen. Niedersachsen ist über die Jahrzehnte nicht schwächer, sondern stärker geworden, nicht ärmer, sondern wohlhabender.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU] und Christian Dürr [FDP])

Wir haben viele, sehr viele gute Beispiele für eine Integration, die unserer Gesellschaft insgesamt nutzt.

Wahr ist aber auch, dass sich damit unsere Gesellschaft verändert hat. Niedersachsen ist heute bunt und vielfältig. Bei uns leben heute rund 1,4 Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Von ihnen haben etwa ein Drittel einen ausländischen Pass, aber zwei Drittel den deutschen Pass. Wir reden über etwa 18 % unserer Bevölkerung, wir reden aber auch über fast ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren. In unseren Kindertagesstätten und in unseren Schulen wird jeden Tag deutlich, dass die Zukunft unseres Landes Niedersachsen von einer Generation mit sehr unterschiedlichen Wurzeln geprägt werden wird.

Ich bin in der vergangenen Woche auf einer Reihe von Neujahrsbegegnungen von Industrie- und Handelskammern gewesen. Dort bestand in einem immer große, große Einigkeit: Wollte sich unser Land ernsthaft von der Welt abschotten, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir würden uns in erster Linie selbst schaden!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Denn was sind die größten Herausforderungen für Niedersachsen? - Ganz sicher der deutliche Rückgang der Bevölkerung, den uns Prognosen vorhersagen. Vor diesem Hintergrund habe ich mich wirklich sehr über die Meldung zum Jahresende gefreut, dass Niedersachsen zum zweiten Mal hintereinander gewachsen ist. Die Zahl der Menschen, die in Niedersachsen leben, hat zugenommen, und natürlich ist dies auch eine Folge von Zuwanderung. Die größte Gruppe stammt übrigens - dies sei nur am Rande erwähnt - aus Polen. Selbstverständlich sind mit dieser Zuwanderung vielfältige Herausforderungen an die Integration verbunden. Gemessen an den Themen einer stark schrumpfenden Gesellschaft, handelt es sich dabei aber nach meiner Überzeugung um eine Herausforderung mit wesentlich besseren Perspektiven.

Insbesondere für die Wirtschaft bei uns in Niedersachsen ist Zuwanderung eine große Hilfe bei der dringend notwendigen Fachkräftesicherung - meines Erachtens das größte Zukunftsrisiko unserer

niedersächsischen Wirtschaft. Qualifizierte junge Menschen helfen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen - einerlei, woher sie kommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU] und bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Teil dieser vielfältigen Gesellschaft bei uns in Niedersachsen sind seit vielen Jahren und Jahrzehnten auch gläubige Muslime. „Der Islam gehört zu Deutschland“, hat der frühere Bundespräsident Christian Wulff bekanntlich festgestellt, und Bundeskanzlerin Dr. Merkel hat ihm darin vor wenigen Tagen ausdrücklich beigepflichtet. Es wird Sie nicht wundern, dass ich dies ebenso sehe - aus grundsätzlichen Erwägungen ebenso wie auf der Grundlage unzähliger sehr konkreter persönlicher Erfahrungen in den vergangenen zehn Jahren. Gläubige Muslime der unterschiedlichsten Generationen leisten an vielen Stellen unserer Gesellschaft wichtige Beiträge: in den Unternehmen und in der Kultur, in den Sportvereinen, den Gewerkschaften, in der sozialen Arbeit und wo auch immer.

Mein Respekt, unser Respekt gilt all den vielen Tausend Muslimen in Niedersachsen, die sich auf diese Weise in unsere Gesellschaft einbringen und sie bereichern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Er gilt auch den großen muslimischen Glaubensgemeinschaften, die sich in vielen Jahren als verlässliche gesellschaftliche Partner für unser Land erwiesen haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und von Christian Dürr [FDP])

Dies kommt übrigens nicht zuletzt in diesen Tagen zum Ausdruck, wo die großen Weltreligionen in unserem Land - vertreten durch die christlichen Kirchen, durch die jüdischen Gemeinden, aber eben auch durch die muslimischen Glaubensgemeinschaften - gemeinsam gegen Hass und Gewalt, gemeinsam für Vielfalt und Toleranz stehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis, dass sich bis heute viele Muslime fragen, wie denn unser Staat zu ihnen und zu ihrem Glauben steht. Nach dieser langen Zeit ist es meines Erachtens an der Zeit, sehr klar zum Ausdruck zu bringen, dass Niedersachsen den Islam und die muslimischen Glaubensgemeinschaften als Teil unserer Gesellschaft anerkennt, respektiert und sie als Partner bei der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft ansieht. Das geschieht auf der Grundlage unserer Verfassung, die religiös neutral, aber wertgebunden ist. Wer die Werte des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung teilt, der hat dieses Land zum Partner, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU)

Deswegen streben wir einen Vertrag mit den großen muslimischen Glaubensgemeinschaften an, in dem diese Grundsätze niedergelegt sind. Die Bedeutung dieses Vorhabens ist sicherlich im Lichte der aktuellen Entwicklung noch einmal größer geworden. Es wäre deswegen gut, wenn sich ein möglichst großes Einvernehmen hier im Landtag herstellen ließe.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Die Landesregierung strebt einen solchen Konsens an und wird in dieser Hinsicht auf die Fraktionen des Niedersächsischen Landtages zukommen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und noch etwas ist im Lichte unserer aktuellen Diskussion wichtig: Der Islam gehört zu Deutschland und zu Niedersachsen, der Islamismus hingegen ganz und gar nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Fanatismus und Extremismus müssen auf entschlossenen Widerstand in unserem Land stoßen, gerade auch bei der großen Mehrheit der Muslime. Das ist für die allermeisten nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Deswegen waren die deutlichen Aussagen der letzten Tage alles andere als eine Überraschung. So muss es weitergehen! Ebenso wenig wie die Auseinandersetzung mit der

Ausländerfeindlichkeit nur den Migrantinnen und Migranten überlassen werden kann, kann die Auseinandersetzung mit dem Islamismus nicht nur jenseits des Islams stattfinden. Im Gegenteil, gerade innerhalb der Moscheegemeinden wird, so hoffe ich, an dieser Stelle offensiv die Auseinandersetzung gesucht werden. Ich jedenfalls halte das für zwingend notwendig.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen nicht darum herum reden: Insbesondere die riesigen Fluchtbewegungen auf der Welt und auch ihre Auswirkungen bei uns in Niedersachsen sind der ganz reale Hintergrund vieler aktueller Sorgen. Am Ende des vergangenen Jahres waren es wohl 20 000 Menschen, die in Niedersachsen Asyl beantragt haben. Ich möchte den niedersächsischen Kommunen an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Anstrengungen danken, diese Zuwanderinnen und Zuwanderer menschenwürdig unterzubringen. Ich bin mir der Herausforderung, die damit verbunden ist, sehr bewusst. Umso mehr gilt unser Dank den niedersächsischen Kommunen.