Protokoll der Sitzung vom 20.01.2015

Wer beim Friedensgottesdienst und der anschließenden Demonstration dabei war, kann bestätigen: Es war eine beeindruckende Veranstaltung, und es war ein deutliches Zeichen für eine freie und offene Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine zusätzliche tragische Entwicklung ist durch die furchtbaren Anschläge in Paris entstanden; entsetzliche und abscheuliche Verbrechen; das gilt im Übrigen für alle Terroranschläge in dieser Welt. Die Ermordung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, von Polizisten und der Journalisten der Zeitschrift

Charlie Hebdo waren und bleiben ein Anschlag auf die Grundwerte Europas.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Unser Mitgefühl und unsere Trauer gelten den Opfern und ihren Angehörigen.

„Je suis Charlie“ war und ist eine beeindruckende Antwort hierauf: Wir lassen uns eben nicht spalten, wir verteidigen unsere Grundwerte, wir verteidigen unsere offene und tolerante Gesellschaft. Das gilt auch bei der Debatte um die Konsequenzen aus den Anschlägen und den reflexhaft einsetzenden Forderungen nach stärkerer Terrorismusbekämpfung. Das gleiche gilt - das will ich hier an dieser Stelle ganz deutlich sagen - für die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Schutz der Freiheitsrechte sind ein sehr hohes Gut. Allerdings muss der Staat auf Augenhöhe sein, wenn es um die Strafverfolgung bei schweren Delikten geht, bei denen moderne Kommunikationsmittel eine Rolle spielen. Ein reflexhaftes Aufspringen, wenn es um die Nutzung solcher Instrumente geht, ist allerdings nicht hilfreich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist unsere Aufgabe, verantwortungsvoll und differenziert hiermit umzugehen. Gerade das Instrument der Vorratsdatenspeicherung eignet sich nicht für politische Schnellschüsse.

Wir haben keinen Zweifel und lassen keinen Zweifel daran, dass die Muslime in Deutschland in ihrer übergroßen Mehrheit unsere Grundwerte teilen. Die Bertelsmann Stiftung hat vor wenigen Tagen hierzu eine Untersuchung vorgelegt. 90 % der tiefreligiösen deutschen Muslime stehen zu unserer Demokratie und halten Demokratie für eine gute Regierungsform. Für hier lebende Muslime ist Deutschland Heimat geworden. Ja, der Islam gehört zu Deutschland, und der Islam gehört zu Niedersachsen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir - damit meine ich uns alle -, aber auch viele andere Entscheidungsträger in der Gesellschaft dürfen nicht zulassen, dass die Taten einer radikalen Minderheit dazu führt, dass Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Mühsam errichtete Brücken in unserer Gesellschaft dürfen nicht ge

fährdet werden. Allerdings darf es aus diesem Grund auch kein falsches Wegsehen geben. Natürlich gibt es Sorgen und Ängste, zum einen aufgrund von Anschlägen und durch das Bekunden von Sympathien und die Unterstützung islamistischer Kräfte, zum anderen aus der Sorge um die Errungenschaft unserer säkularen Gesellschaft und einem Rückschritt in dieser Frage. Auch diesen Aspekt darf man nicht aus den Augen verlieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Herausforderungen und die Verantwortung liegen auf beiden Seiten. Diese Landesregierung, meine Fraktion und unser Koalitionspartner stehen für eine Willkommenskultur in unserem Land

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

für Flüchtlinge, aber auch im Hinblick auf die Menschen, die bewusst aus einem anderen Land nach Deutschland, nach Niedersachsen kommen, um hier ihre Heimat zu finden.

Wir haben in den zurückliegenden zwei Jahren wichtige Schritte unternommen. Wir haben 2014 die Migrantenselbstorganisationen in die strukturelle Förderung durch das Land Niedersachsen aufgenommen. Auch der Flüchtlingsrat Niedersachsen wird wieder gefördert.

Das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen bekam 2014 eine Anschubfinanzierung für den Aufbau eines Trauma- und Kriseninterventionszentrums. In den Flüchtlingserstaufnahmeeinrichtungen konnten zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter eingestellt werden.

Mit dem Landeshaushalt für das Jahr 2015, den wir im Dezember auf den Weg gebracht haben, setzen wir diesen Weg fort. Wir haben als Initiative das Modellprojekt zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen ohne definierten Aufenthaltsstatus auf den Weg gebracht. Die Mittel für das Krisen- und Traumazentrum, in dem traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer behandelt und betreut werden, wurden erhöht. Auch die Übernahme von Krankenkosten für syrische Flüchtlinge wurde geregelt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will weitere Punkte hervorheben:

Ich begrüße es ausdrücklich, dass es im Februar eine Flüchtlingskonferenz geben wird. Es ist aus meiner Sicht vernünftig, alle Beteiligten hierzu an einen Tisch zu holen. Ich bin der Landesregierung an dieser Stelle sehr dankbar, dass sie meinen Vorschlag dazu aufgegriffen hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zwischen der Landesregierung und den muslimischen Religionsgemeinschaften wird derzeit über einen Staatsvertrag verhandelt. Meine Fraktion und auch unser Koalitionspartner stehen zu diesem Staatsvertrag. Wir unterstützen dieses Vorhaben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für meine Fraktion nenne ich außerdem das Projekt eines Partizipations- und Teilhabegesetzes. Wir haben ein solches Gesetz angekündigt und versprochen. Ich halte es für politisch wichtig, und wir werden einen entsprechenden Entwurf vorlegen, auch weil wir bewusst mit „Teilhabe und Partizipation“ über den bisherigen Begriff der Integration hinausgehen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Schließlich die Betreuung und die Integration von Flüchtlingen: Es ist für die Kommunen eine intensive und wichtige Aufgabe und eine immense Herausforderung. Da besteht überhaupt kein Zweifel. Ich freue mich, dass auf Bundesebene eine Einigung möglich war. In den kommenden zwei Jahren stehen Niedersachsen jährlich 45 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung. 40 Millionen davon gehen jährlich an die Kommunen; der Ministerpräsident hat bereits darauf hingewiesen. Hiermit wird die Kostenabgeltungspauschale für die Kommunen zusätzlich erhöht. 5 Millionen Euro verbleiben beim Land Niedersachsen für die Errichtung eines vierten Standortes der Landesaufnahmebehörde. Die Errichtung einer fünften Einrichtung ist im Gespräch.

Da passt es eben nicht, Herr Thümler, dass Sie dem Land vorwerfen, wir hätten nicht genug gemacht und nicht genug Geld zur Verfügung gestellt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will in meiner Rede durchaus das Verbindende und nicht das Trennende in den Vordergrund stellen. Heute ist zu lesen, dass Herr Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, vorgeschlagen hat, dass der Bund die gesamten Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen übernimmt. Ich fordere Sie hiermit auf, dass auch die CDU in Niedersachsen ein deutliches Signal setzt und mithilft, dass der Bund hier in seine Verantwortung tritt. Das würde auch den Kommunen vieles erleichtern, und wir könnten vieles machen, was so dringend erforderlich ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Aber es wäre auch sinnvoll, dass die Lan- despolitik einmal Verantwortung über- nimmt, Frau Modder! Die Landespoli- tik darf Verantwortung übernehmen! - Ulf Thiele [CDU]: Hat der Herr Op- permann dazu einen Haushaltsantrag eingebracht? Das ist mir nicht be- kannt! Nach Beschluss des Haushal- tes stellt er solche Forderungen!)

Herr Thümler, noch eine Anmerkung zu den Sprachlernklassen - da kamen Sie vorhin ein bisschen in Aufregung -: Ich würde noch einmal überlegen und noch einmal nachrechnen wollen, ob die 4 Millionen Euro, die Sie beantragt und mit einer völlig unseriösen Finanzierung hinterlegt haben,

(Reinhold Hilbers [CDU]: Was?)

wirklich mehr sind als das, was die Frau Ministerin jetzt vorgelegt hat, mit 240 Sprachlernklassen. Ich würde Ihnen da noch einmal die einfache Mathematik nahelegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Wie kleingeistig ist das denn?)

Meine Damen und Herren, wir werden genau beobachten, wie sich die Pegida-Demonstrationen in den kommenden Wochen weiterentwickeln werden. Das ist völlig klar. Aber wir müssen die Auseinandersetzung eben auch ohne diese Demonstrationen führen.

Ich will an dieser Stelle auch deutlich sagen: Über Nationalismus, Chauvinismus, Rassismus und gesellschaftliche Ausgrenzung anderer gibt es keine Debatte. Sie sind eine menschenverachtende Ideologie, die mit den Werten unserer Demokratie und unserer Gesellschaft nichts zu tun hat und auf unseren entschiedenen Widerspruch treffen wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wer die Pegida-Demonstrationen beobachtet,

sieht, dass sich diese Ideologie dort ausbreitet, dass Rechtsextremisten diese Veranstaltungen für sich nutzen, dass Hass formuliert und skandiert wird. Jeder und jede, der oder die dorthin geht, muss wissen, in welche politische Richtung ein solcher Demonstrationszug marschiert.

Damit kein Missverständnis entsteht: Meine Fraktion und ich sind weit davon entfernt, jeden Teilnehmer, jede Teilnehmerin in die rechtsextremistische Ecke zu stellen. Viele Menschen artikulieren auf diesem Weg ihre Sorgen und Nöte, Unmut über die politische Institutionen, Parteien, Politiker und politischen Prozesse. Die Probleme und Sorgen, für die sie aus ihrer Sicht kein Sprachrohr haben oder vielleicht kein Sprachrohr mehr haben, müssen wir ernst nehmen und sie wirklich als Warnsignale verstehen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Warnsignale haben wir auch an anderer Stelle bereits bekommen. Ich will hier das Problem der Wahlbeteiligung nennen. 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind nicht zur Bundestagswahl 2013 gegangen. 70 % davon, also ca. 11 Millionen Bürgerinnen und Bürger, hatten sich bereits bei der Bundestagswahl 2009 vom Wahlgang verabschiedet. Die Bertelsmann Stiftung, auf die ich mich hier beziehe, bestätigt: „Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto weniger Menschen gehen wählen“ - ein alarmierendes Zeichen, wie ich finde.

Heribert Prantl hat bereits 2006 im Zusammenhang mit der Entwicklung von Armut in Deutschland und der Diskussion um die Entwicklung der gesellschaftlichen Milieus in einem Kommentar auf das Problem hingewiesen:

„Die einzige Partei, welche die neuen Armen heutzutage bilden, ist die Partei der Nichtwähler; sie wird immer größer, hat aber keine politische Kraft.

Es ist zu befürchten, dass sie exakt deswegen destruktive Energie entwickelt - weil nämlich Demokratie nicht mehr … funktionieren kann, wenn ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht mehr dabei mitmacht. Eine Zwei-Drittel-Demokratie ist eine Gefahr für den inneren Frieden.“

Es ist unsere Aufgabe, diese Zwei-Drittel

Demokratie und die damit verbundene destruktive Energie zu verhindern, meine Damen und Herren.