Protokoll der Sitzung vom 20.01.2015

Demokratie und die damit verbundene destruktive Energie zu verhindern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht weiter von unserer Demokratie abwenden, sondern Sinn darin sehen, an Wahlen teilzunehmen und an Demokratie teilzuhaben. Es kann und es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn sich ein größerer Teil von demokratischen Entscheidungsprozessen immer mehr entfernt.

Die Antwort ist alles andere als einfach. Aber: Bildung und Arbeit, das sind die Leitplanken für eine solidarische Gesellschaft. Sie ermöglichen Perspektiven, sie ermöglichen ein gutes Leben, und sie stellen gesellschaftliche Teilhabe sichern. Arbeiten wir als gemeinsam an diesen Leitplanken, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Setzen wir heute als Demokratinnen und Demokraten ein deutliches Signal, auch aus dieser Debatte im Plenum des Niedersächsischen Landtages und bei den weiteren Debatten, die im Zusammenhang mit dieser Aussprache stehen; wir werden nachher noch einige Tagesordnungspunkte dazu haben.

Dieser Landtag und seine Fraktionen stehen für eine tolerante und weltoffene Gesellschaft in Niedersachsen. Kehren wir also das nach außen, was uns als Demokraten verbindet, und nicht das Trennende! Die Resolution, die wir heute hier gemeinsam verabschieden werden, macht das, glaube ich, noch einmal ganz deutlich. Dafür bin ich dankbar.

Vielen herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Modder. - Es folgt jetzt für die Fraktion der FDP Herr Kollege Christian Dürr. Bitte sehr! Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Anschläge von Paris waren menschenverachtende Attentate, die jeden von uns tief getroffen haben. Wir fühlen uns verbunden mit den Opfern, den Hinterbliebenen, den Menschen in Paris und in Frankreich.

Und: Diese Anschläge waren auch ein direkter Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit, meine Damen und Herren. Sie waren ein Angriff auf uns alle.

Die öffentlichen Kundgebungen der Solidarität der letzten zwei Wochen haben es deshalb deutlich gemacht: Wer Menschen wegen ihrer Meinungsäußerung, wie die Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo, zum Ziel von barbarischen Anschlägen macht, der greift damit die gesamte freie Gesellschaft an. Und wer das tut, der trifft auf den entschiedenen Widerstand der gesamten Gesellschaft, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich bin deshalb dankbar - Frau Kollegin Modder und Herr Thümler haben das vorhin schon gesagt -, dass wir heute eine gemeinsame Entschließung aller Fraktionen fassen werden, in der wir genau das unterstreichen: „Wer die demokratischen Grundrechte, wie die Meinungsfreiheit, bekämpft oder auch nur infrage stellt, der stellt sich auch gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung“, so heißt es dort. Der macht sich auch uns hier im Landtag zum Gegner, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Und ich will das deutlich sagen: Die Meinungsfreiheit ist vor allem auch die Meinungsfreiheit des Andersdenkenden. Charlie Hebdo ist schonungslos und satirisch mit Religion und Staat umgegangen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Das hat und wird auch in Zukunft nie allen, selten sogar einer Mehrheit gefallen. Das muss es auch nicht, meine Damen und Herren. Nicht nur muss eine pluralistische Gesellschaft, müssen Staat und Religionen ein Satiremagazin wie Charlie Hebdo aushalten. Nein, eine Demokratie braucht einen solchen kritischen, auch konfrontativen Diskurs. Unsere Demokratie lebt von unterschiedlichen Ansichten und Meinungen. Und vor allem: Sie lebt davon, dass man diese frei äußern kann, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will an dieser Stelle eines betonen: Wer eine Religion als Vorwand nimmt, um den Rechtsstaat beiseitezuschieben, der muss den wehrhaften Rechtsstaat deutlich zu spüren bekommen. Der islamistische Terror ist nicht nur durch nichts zu rechtfertigen. Man muss ihm, meine ich, auch mit allen Mitteln des Rechtsstaates entgegentreten.

In diesem Zusammenhang halte ich es für geboten, genauestens zu prüfen, wie mit sogenannten Dschihad-Rückkehrern umgegangen wird. Wer dem Rechtsstaat bewusst den Rücken kehrt - politisch und gleichzeitig geografisch -, der muss meines Erachtens nicht darauf hoffen können, dass dieser ihn auch wieder aufnimmt. Das Staatsbürgerschaftsgesetz räumt im anderen Zusammenhang hierfür Möglichkeiten ein. Wir sollten gemeinsam sehen, ob das, was für den Anschluss an ausländische Armeen gilt, auch in diesem Zusammenhang zum Tragen kommen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auch die Demonstrationen von Pegida und seiner Ableger angesprochen. Wir hier im Landtag sind uns in unserer Ablehnung der Parolen, die dort skandiert werden, absolut einig, glaube ich. Man muss es deutlich sagen: Pegida und Co. stehen nicht für ein weltoffenes und tolerantes Land, so wie wir es uns vorstellen. Sie stehen meiner Überzeugung nach dagegen, meine Damen und Herren.

Und es hat mich - das will ich deutlich sagen, auch als Protestant - geschüttelt, als ich gesehen habe, wie zu Weihnachten auf der Pegida-Demonstration in Dresden das christliche Kreuz als Symbol in die Luft gehalten wurde.

Auch wenn ich diese Demonstrationen und ihre Botschaften in jeder Hinsicht ablehne, kann ich aber nicht akzeptieren, dass sie wegen einer Bedrohungslage nicht stattfinden können. Auch das, meine Damen und Herren, ist eine Frage der Meinungsfreiheit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dresden, Herr Ministerpräsident Weil, ist vorhin schon angesprochen worden. Man machte sich dort Sorgen um die Sicherheitslage. Daher hat die Polizei so entschieden.

Aber das muss ein Ausnahmefall in der Demokratie bleiben. Auch in Hannover und in Braunschweig mussten die sogenannten Pegida-Demonstrationen zumindest abgebrochen werden.

Ich will an dieser Stelle insbesondere den Herrn Ministerpräsidenten, den Herrn Innenminister, aber auch, wie ich vorhin auf der Homepage des Umweltministeriums gelesen habe, den Herrn Umweltminister - auch wenn es schwerfällt, wenn man anderer Meinung ist - an das Neutralitätsgebot des Staates erinnern. Das gilt ausdrücklich auch für den Aufruf zu Gegendemonstrationen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich eines deutlich sagen: Unsere Botschaft, Herr Wenzel, Herr Weil, Herr Pistorius, also die Botschaft derer, die für Weltoffenheit und Toleranz eintreten, ist doch viel stärker, wenn wir auch für die Meinungsfreiheit derjenigen eintreten, deren Meinung wir ausdrücklich nicht teilen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Die haben doch nichts getan!)

Deswegen: Nicht so sehr die staatlichen Institutionen, sondern die Menschen in Hannover, die Menschen in Niedersachsen haben die richtige Antwort gegeben. Über 33 000 Menschen sind für eine freie und offene Gesellschaft auf die Straße gegangen. Das ist ein beeindruckendes Zeichen in der Geschichte unseres Landes, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Aufklärung, Toleranz zwischen den Religionen und ein weltanschaulich neutraler Staat mit einer liberalen Verfassung sind die Eckpfeiler unserer Gesellschaft und übrigens auch des Abendlandes. Wer diese Regeln achtet, für den muss in unserem Land die preußische Toleranz gelten, dass nämlich „jeder nach seiner Façon selig“ werden darf. Diesen Kern unserer offenen Gesellschaft gilt es zu verteidigen, sowohl gegen Pegida als auch gegen die „Scharia-Polizei“ und rekrutierende Salafisten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es hat in den letzten Tagen Überlegungen gegeben, als Folge der Attentate den Tatbestand der Blasphemie zu verschärfen. Das wäre aus meiner Sicht gerade das falsche Signal. Denn nach einem Anschlag auf die Meinungsfreiheit sollte man nicht

zuallererst darüber diskutieren, wie man selbige begrenzen kann. Auch das will ich deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei der SPD)

Gleiches gilt meiner Ansicht nach für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung.

Herr Innenminister, ich habe Ihre Äußerungen dazu in der Neuen Presse gelesen. In einem Punkt haben Sie recht: Die Vorratsdatenspeicherung würde die Arbeit der Sicherheitskräfte erleichtern. Das allein kann aber niemals der Grund sein, den Schutz von Grund- und Bürgerrechten zu schwächen. In einer freien und offenen Gesellschaft müssen die Sicherheitskräfte ihre wichtige Arbeit notwendigerweise innerhalb der Schranken des Grundrechtsschutzes leisten.

Und in diesem Punkt muss ich auch den Ausführungen des Ministerpräsidenten widersprechen: Wer nicht sicher sein kann, ob die eigene Kommunikation nicht von Sicherheitsbehörden erfasst wird, der wird das eigene Verhalten ändern. Die Selbstzensur ist die eigentliche Gefahr bei der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Eine solche Reaktion wäre deshalb kein Sieg für die Demokratie. Ich befürchte, sie wäre leider das Gegenteil. Deswegen sage ich deutlich: Diesen stillen Erfolg, dieses Aufgeben von Freiheit für vermeintliche Sicherheit - das die Anschläge von Paris nicht verhindern konnte; denn Frankreich hat bekanntermaßen die Vorratsdatenspeicherung -, diesen stillen Sieg dürfen wir den Feinden der Freiheit nicht gönnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der Ministerpräsident hat von einer spürbaren Verunsicherung in unserer Gesellschaft gesprochen. Ich teile diese Einschätzung. Wir haben in den letzten Wochen ja wieder verstärkt über Fragen der Integration diskutiert.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung auch über das Grundrecht auf Asyl gesprochen. Es ist besonders stark, wenn es denjenigen Schutz bietet, die ihn dringend und am dringendsten brauchen. Ich teile Ihre Einschätzung, dass dazu schnellere Asylverfahren in Deutschland notwendig sind.

Aber ich will auch eines deutlich sagen, gerade in Richtung Ihrer Bundesarbeitsministerin, wenn es

um das Thema Personal geht: Ich hätte mir gewünscht, dass die 1 600 Stellen im Bund, die jetzt beim Zoll sind, um das bürokratische Mindestlohngesetz von Frau Nahles umzusetzen, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angekommen wären, um für schnelle Asylverfahren in Deutschland zu sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Ministerpräsident, liebe Kollegen, Integration - darum ging es ja in den Debatten der letzten Wochen - hat vor allem auch mit Teilhabe zu tun. Wer bei uns Schutz sucht, hat ein Recht, am sozialen Leben teilzuhaben. Viele Flüchtlinge, die derzeit zu uns kommen, haben vor allem ein Ziel: Sie wollen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Der volle Zugang zum Arbeitsmarkt - Sie haben das angesprochen - ist deshalb auch ein aktiver Beitrag zur Integration. Deswegen will ich klar sagen: Das dreimonatige Arbeitsverbot für Asylbewerber und Flüchtlinge gehört daher genauso abgeschafft wie die sich anschließende zwölfmonatige bürokratische Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit, meine Damen und Herren.