Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

Ich persönlich bin im Übrigen der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht ein sehr nachvollziehbares Urteil getroffen hat - dazu lohnt ein Blick in die tieferen Urteilsgründe -, nämlich dass es verfassungswidrig ist, wenn die Übertragung von Unternehmensvermögen auch dann vollständig steuerfrei bleibt,

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen, also nicht für die Betriebsfortführung notwendigen Vermögensteilen besteht. Das ist in der Tat unverhältnismäßig. Denn der Gesetzgeber schont hier dem Grunde nach nicht begünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen in einer Größenordnung, die nicht nachvollziehbar ist.

Darüber hinaus stellt sich in der Tat die Frage, warum der Erbe eines Betriebs unabhängig von der Größe des übertragenen Unternehmens eine Steuerbefreiung zwischen 85 % und unter bestimmten Voraussetzungen sogar 100 %, also eine vollständige Steuerfreistellung, erhalten soll, ohne dass überhaupt geprüft worden ist, ob der Erbe dieser Steuerverschonung überhaupt bedarf. Dies hat das Bundesverfassungsgericht deutlich und zu Recht kritisiert.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Privilegierung betrieblichen Vermögens unverhältnismäßig ist, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürfnisprüfung hinausgreift. Das heißt: Das Urteil macht sich in der Tat Gedanken über größere Unternehmensvermögen und große Beteiligungen an Kapitalgesellschaften.

Auch die Höhe der Steuervergünstigung für Betriebsvermögen ist unter Steuergerechtigkeitsaspekten gegenüber anderen Steuerzahlern nur bedingt nachvollziehbar. Wieso sollte der Erbe eines Unternehmens, das einen Wert im dreistelligen Millionenbereich hat, zu 100 % steuerfrei gestellt werden, nur weil er den Betrieb sieben Jahre fortführt und das Verwaltungsvermögen kleiner als 10 % ist?

Nur zur Klarstellung, Herr Bode: An dieser Stelle geht es eben nicht um die heute schon viel zitierten KMUs, die kleinen und mittleren Unternehmen, sondern hier werden auch große Betriebsvermögen aus international tätigen Kapitalgesellschaften

im dreistelligen Millionenbereich von der Erbschaftsteuer im Zweifel verschont. Das kann in dieser Form so nicht richtig sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht kritisiert. Wir werden ganz nüchtern abwarten, wie sich die Bund-LänderArbeitsgemeinschaft in dieser Frage weiter positionieren wird.

(Jörg Bode [FDP]: Ach, keine eigene Position?)

Damit, Herr Bode, bin ich beim FDP-Antrag. Uns eint in der Tat - das habe ich heute schon mehrfach erwähnt - Ihre Sorge um die KMUs. Da sind wir natürlich ganz bei Ihnen. Natürlich müssen kleine und mittlere Unternehmen im Interesse der Unternehmensfortführung und im Interesse der Arbeitsplätze in den Unternehmen weitgehende Steuerverschonungen auch in Zukunft erhalten.

Interessanter allerdings finde ich Ihre generelle Sichtweise zur Erbschaftsteuer. Sie schreiben unter Nr. 1 Ihres Antrags - ich zitiere -:

„Die Erbschaftsteuer darf nicht zum Spielball der Politik oder von ideologischen Verteilungskämpfen werden.“

(Beifall bei der FDP)

Unter Nr. 2 vertreten Sie die Auffassung - auch hier wörtliches Zitat -, dass sich Niedersachsen „gegen eine ideologiegetriebene Umverteilung“ aussprechen solle.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, danke für Ihren Beifall. Sie sollten sich an dieser Stelle aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einmal etwas genauer ansehen; denn auch das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass es bei der Erbschaftsteuerreform auch um eine Verteilungs- und Steuergerechtigkeitsdebatte geht. Die Verfassungsrichter Gaier, Masing und Baer haben eine abweichende Meinung zur Urteilsbegründung veröffentlicht, die ich wie folgt wörtlich zitieren möchte:

„Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 … sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar...

Die Erbschaftsteuer dient … nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um

zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch im Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung.

Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum“

- zur Vermögensteuer -

„für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten … lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %...

Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. …

Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen … dazu bei, dass Verschonungsregelungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.“

Das waren keine Sozialdemokraten, die das ausgeführt haben, sondern Richter am Bundesverfassungsgericht. Meine Damen und Herren, im Grunde ist dieser Feststellung des Bundesverfassungsgerichts nichts hinzuzufügen; denn die Bundesrichter haben steuerpolitisch deutlich mehr Weitsicht walten lassen als die FDP-Landtagsfraktion hier im Hause.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Henning, lassen Sie eine Frage des Kollegen Hilbers zu?

Nein, ich komme zum Schluss.

Bitte!

Lieber Herr Bode, liebe FDP-Fraktion, lassen Sie mich schließen mit der Feststellung, dass die SPD immer schon eine leistungsorientierte Partei war und dass Erben keine persönliche Leistung des

Einzelnen ist, sondern eher eine Frage des Glücks, ob ich gerade im richtigen Bett geboren wurde. Deshalb gilt für uns als SPD-Fraktion auch im Bereich der Erbschaftsteuer, dass die nicht durch persönliche Leistung, sondern durch Erbanfall erzielte höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufseiten der Erben nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu beurteilen ist, aber nicht nach Ihren Maßstäben.

Herr Henning, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Bevor Sie zum Schluss kommen, frage ich Sie, ob Sie eine Frage des Kollegen Grascha zulassen.

Das können wir im Haushaltsausschuss, an den wir diesen Antrag ja überweisen werden, klären.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Herr Hilbers, jetzt haben Sie das Wort für die CDU-Fraktion. Bitte!

(Thomas Schremmer [GRÜNE]: Mal sehen, ob er jetzt den Schäuble macht!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Henning, als ich heute Mittag im Haushaltsausschuss den Vortrag gehört habe, habe ich gedacht, dass dieses Thema bei Ihnen relativ sachorientiert abgearbeitet wird. Als ich aber eben den Beitrag gehört habe, den Sie hier gerade zum Besten gegeben haben, bin ich sehr nachdenklich geworden und habe mich gefragt, ob das Thema bei Ihnen wirklich in guten Händen ist.

(Jörg Bode [FDP]: Ist es nicht!)

Die Erbschaftsteuer ist durch den Gerichtsentscheid nicht abgeschafft worden. Ich plädiere auch klar dafür, dass sie beibehalten wird und dass die Änderungen, die verlangt werden, um die einzelnen verfassungswidrigen Tatbestände zu beseitigen, schnell aufgegriffen werden, damit für die Unternehmen - insbesondere für mittelständische

und familienorientierte Unternehmen - relativ zeitnah gute Lösungen gefunden werden.

Die Novellierung muss verfassungskonform und verfassungsfest sein, damit das Regelwerk, das verabschiedet wird, dann auch Bestand hat. Es muss mittelstandsfreundlich sein. Es muss auch wirtschaftsfreundlich sein. Vor allem muss es - das hat das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich bestätigt - darauf abheben, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen privilegiert sein kann. Sie muss bei unseren Überlegungen im Vordergrund stehen.

Bei unseren Überlegungen muss auch im Vordergrund stehen, wie unsere Wirtschaft strukturiert ist. Wir sind im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Staaten so strukturiert, dass wir nicht nur eine hohe Anzahl an Familienunternehmen haben, sondern auch eine hohe Anzahl von großen Familienunternehmen haben. Über ein solches Unternehmen haben wir schon heute Morgen im Zusammenhang mit dem Masterplan Ems diskutiert, nämlich über die Meyer Werft. Das ist ein Familienunternehmen mit 3 000 Arbeitnehmern. Auch solche Unternehmen werden vererbt. Wir müssen von daher im Blick haben, dass wir bei uns auch große Familienunternehmen haben, die so übertragen werden müssen, dass sie nicht wegen der zu zahlenden Erbschaftsteuer aufgegeben oder in andere Hände gegeben werden müssen.

Deshalb hat Finanzminister Schäuble völlig recht, wenn er den Begriff des minimalinvasiven Eingriffs wählt. Das heißt: An diesem Erbschaftsteuergesetz muss so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich geändert werden. Auf keinen Fall darf eine Änderung dazu genutzt werden, durch die Hintertür Kasse zu machen und ein falsches Signal auszusenden. Wir wollen Unternehmen in Familienhand. Wir wollen mittelständische Wirtschaft. Wir wollen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit und der erfolgreichen Struktur in unserem Land. Davon sind gerade wir Niedersachsen betroffen. Deswegen wollen wir das machen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Einen Moment bitte, Herr Hilbers. - Ich darf noch einmal um etwas Ruhe bitten und vielleicht auch die Konferenz der FDP auflösen.

(Dr. Gero Hocker [FDP]: Herr Genthe hat Geburtstag! Der hat Sonderrech- te!)

Vielen Dank. Bitte!

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die erbschaftsteuerrechtliche Privilegierung von Unternehmensübertragungen grundsätzlich als in Ordnung eingestuft worden. Es gibt aber einige Kriterien, die nachgebessert werden müssen. Zum Beispiel ist auch in Ordnung, dass kleine und mittlere Unternehmen privilegiert sein können. Die Privilegierung von großen Unternehmensvermögen ohne Durchführung einer Bedürftigkeitsprüfung ist allerdings verfassungswidrig. An dieser Stelle ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, gezielte Kriterien dafür zu finden, wie diese Unternehmen bestimmt und abgegrenzt werden können.