(Jens Nacke [CDU]: Was heißt denn „von anderen Gerichtsbarkeiten“? - Gegenruf von Petra Tiemann [SPD]: Herr Nacke! Die Fragen werden doch beantwortet!)
- Meine Damen und Herren, noch einmal der Hinweis: Herr Präsident Busemann hat schon bei der ersten Dringlichen Anfrage darauf hingewiesen, dass das Instrument der Dringlichen Anfragen aus Fragen der Fragesteller und Antworten der Landesregierung und nicht aus Kommentaren aus dem Plenum besteht. Herr Kollege Nacke, Ihr Name ist in diesem Zusammenhang mehrfach erwähnt worden. Sie wissen, dass in unserer Geschäftsordnung steht, dass Zwischenrufe zwar zulässig sind - ich habe sie auch einmal als die Würze des Parlaments bezeichnet -, aber dauernde Zwischenrufe können zu einem Ordnungsruf führen. Darauf möchte ich Sie ausdrücklich hinweisen.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Landesregierung Anstrengungen unternimmt, um Asylbewerber aus dem Kosovo und anderen Ländern, bei denen die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass ihre Asylanträge schnell abgelehnt werden, nicht auf die Kommunen zu verteilen, frage ich die Landesregierung, ob sie ähnliche Anstrengungen in Bezug auf Asylbewerber unternehmen will, die im Dublin-Verfahren sind - die also nicht in Deutschland bleiben, sondern deren Asylverfahren in einem anderen Land beendet wird -, wie es die kommunalen Spitzenverbände von der Landespolitik fordern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oetjen! Damit sprechen Sie einen aus verschiedenen Gründen sehr sensiblen Punkt an. Deswegen ist die Antwort etwas länger.
Ich verstehe das Ansinnen sowohl der Kommunen als auch der Flüchtlingsorganisationen und vieler anderer, die sich zu dieser Frage äußern. Es scheint wenig zielführend, Menschen, die keine wirkliche Aussicht darauf haben, in Deutschland bleiben zu können, auf die Kommunen zu verteilen. Das verursacht Kosten, es weckt falsche Hoffnungen, und es frustriert viele ehrenamtliche Unterstützer, wenn sie erleben, dass am Ende doch eine Abschiebung, eine Ausweisung steht. Das ist alles wenig erfreulich. Das ist die eine Seite der Medaille.
Um dem abzuhelfen, müssten wir die Kapazitäten der Landesaufnahmeeinrichtungen in den nächsten zwölf Monaten nicht, wie jetzt geplant, auf ca. 5 000 Plätze erhöhen, sondern weitaus stärker. Wahrscheinlich würden nicht einmal 10 000 oder 15 000 Plätze - das sind jetzt gegriffene Werte - reichen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Dass wir an diesem Vorhaben scheitern würden, dürfte Ihnen völlig klar sein. Es liegt auf der Hand, dass das weder organisatorisch und ablauftechnisch noch finanziell zu bewältigen ist.
Das Hauptproblem aber ist, wie wir alle wissen, dass durch die lange Dauer der Verfahren eine Bugwelle entsteht. Die Zahl der offenen Asylanträge wird immer größer. Entsprechend würde die Zahl derer, die deutlich über die im Asylverfahrensgesetz genannte Dreimonatsfrist hinaus in den Aufnahmeeinrichtungen bleiben müssten, exponentiell steigen. Das heißt, die Kapazitäten würden hinten und vorne nicht reichen. Gleichzeitig hätten wir Zustände, die quasi auf eine Kasernierung über mehrere Monate - bei der Bugwelle der Anträge am Ende sogar über ein Jahr oder länger - hinauslaufen würden. Das können wir schon aus diesem Grund nicht wollen.
Der dritte Grund, warum wir das nicht wirklich wollen können, liegt in den Erfahrungen der 90erJahre. Da hat man geglaubt, man müsse sich nicht weiter um Integration bemühen; denn irgendwann würden die Menschen, die kein Asylrecht bekommen, eh wieder zurückgehen. Leider ist es dann - - - Ich lasse einmal die Bewertung weg. Es ist dann aber tatsächlich dazu gekommen, dass viele Menschen über viele Jahre blieben, ohne einen Status. Wenn wir die dann in den Aufnahmeeinrichtungen behalten würden, würde jede Integration im Grunde genommen viel zu spät ansetzen. Dann hätten wir die Probleme, die wir bei einem Teil der Flüchtlinge, die in den 90er-Jahren gekommen sind, bis heute spüren und haben.
Aus diesen drei Gründen ist das leider zurzeit keine reale Option, weder für Dublin-Flüchtlinge noch für alle Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten. Dreh- und Angelpunkt der Verweildauer im System Asylrecht, Dreh- und Angelpunkt für die Frage, welche Kosten welche Ebene zu schultern hat, ist die Dauer des Asylverfahrens. Solange wir bei der Bearbeitungsdauer keine Änderung erreichen, wird sich nichts an dieser Situation nachhaltig und verträglich ändern.
Danke, Herr Minister. - Eine Zusatzfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt Frau Abgeordnete Polat. Bitte!
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung, wie sich der finanzielle Aufwand für die Landesaufnahmebehörde von 2011 bis 2015 entwickelt hat.
(Ansgar-Bernhard Focke [CDU]: Jetzt machen die Grünen also Flüchtlings- politik am Geldbeutel fest! Das ist ja interessant! - Weitere Zurufe von der CDU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Focke, ich verstehe die Frage von Frau Polat keineswegs so. Gerade Frau Polat ist nun wirklich nicht dafür bekannt, Flüchtlingspolitik am Geld festzumachen.
Trotzdem müssen wir über Geld reden, weil es um deutliche Mehrausgaben in diesem Sektor geht. Ob es uns gefällt oder nicht: Die Zahlen bleiben relevant.
Sehr geehrte Frau Polat, das Ausgabevolumen für die Landesaufnahmeeinrichtungen betrug im Jahre 2011 knapp 25 Millionen Euro. Wir haben für dieses Jahr knapp 49 Millionen Euro veranschlagt. Das ist fast eine Verdoppelung. Im nächsten Jahr werden wir - vorbehaltlich der Beschlussfassung
über den Haushaltsplan - ein Ausgabevolumen von knapp 74 Millionen Euro haben. Das wäre eine Verdreifachung in wenigen Jahren.
Vielen Dank, Herr Minister. - Eine Zusatzfrage des Kollegen Focke, CDU-Fraktion: Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bereits jetzt zwölf zusätzliche Verwaltungsrichterstellen und acht zusätzliche Stellen in der Verwaltung fordert, verstehe ich Ihre Antwort nicht, Frau Niewisch-Lennartz. Sie geht offensichtlich an der Realität vorbei.
Vor dem Hintergrund, dass die Landesregierung in einer Antwort im letzten Plenum lapidar mitgeteilt hat, dass in Niedersachsen jährlich 6 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verschwinden, frage ich die Landesregierung: Was tun Sie eigentlich, um die Situation und die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Niedersachsen zu verbessern und es nicht hinzunehmen, dass 6 000 junge Menschen einfach verschwinden?
Das war dann doch eine konkrete Zusatzfrage. Aber, Herr Kollege Focke, ich glaube, wir sind uns einig, dass der erste Teil Ihrer Wortmeldung eine nicht zulässige Vorbemerkung war.
Ich schaue jetzt einmal in die Runde der Landesregierung. Wer möchte dazu das Wort ergreifen? Ich sehe bisher keine Anstalten dazu. - Der Innenminister kommt. Bitte, Herr Pistorius!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ungeachtet der Tatsache, dass die Frage, soweit ich es beurteilen kann, den inhaltlichen Rahmen der Dringlichen Anfrage überschreitet, bin ich gerne bereit, auf sie zu antworten.
(Filiz Polat [GRÜNE]: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden gar nicht in den Landesaufnahmeeinrich- tungen untergebracht!)
Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge laufen nicht zuerst bei den Landesaufnahmeeinrichtungen auf, sondern bei den Jugendämtern der kreisfreien Städte und den jeweiligen Trägern der
Jugendarbeit. Von daher ist die Frage weitaus komplexer, als sie hier scheint. Wir tun, was möglich ist, in gemeinsamer Arbeit mit den Jugendämtern und werden weiter daran arbeiten, die Betreuung unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge zu verbessern. Das ist ein flächendeckendes Problem, das gerade die Ballungsräume haben. Wir sind uns des Problems bewusst und arbeiten an Lösungen.
(Jens Nacke [CDU]: Das ist die Ant- wort: „Wir tun, was möglich ist“? Das ist eine verfassungswidrige Antwort!)
Danke, Herr Minister. - Herr Kollege Oetjen, Sie sind wieder mit einer Zwischenfrage dran. Bitte, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Pauschalen, die den Kommunen vom Land überwiesen werden, werden nachlaufend abgerechnet, mit einer Verzögerung von zwei Jahren. Das ist einst auf Wunsch der Kommunen so eingerichtet worden. Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass die Kommunen jetzt einen anderen Abrechnungsmodus einfordern, ob im Rahmen der Vorbereitungen für eine Änderung des Aufnahmegesetzes mit den Kommunen auch über eine veränderte Stichtagsregelung für die Auszahlung der Finanzhilfen des Landes verhandelt wird.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum einen wird in den Gesprächen, die die Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden führt, grundsätzlich kein Thema ausgeklammert. Das gilt auch für diese Frage. Auch darüber werden wir reden.
Allerdings gehört zur Wahrheit dazu, dass - wie Sie schon andeuteten - das derzeitige Abrechnungsverfahren, das einen Nachlauf von zwei Jahren vorsieht, einst auf Wunsch der Kommunen eingeführt wurde. Das entspricht meinem Kenntnisstand; jedenfalls meine ich, mich daran zu erinnern. Solange die Kosten rückläufig waren, war dieses
Verfahren den Kommunen sehr recht. Sie konnten nämlich auf dem höheren Niveau von vor zwei Jahren abrechnen und daraus entsprechende Vorteile ziehen. Dass man das jetzt nicht mehr genauso goutiert, kann ich gut nachvollziehen.
Wir werden über alles reden. Aber mit welchem Ergebnis, kann ich beim besten Willen heute noch nicht prophezeien.
Danke, Herr Minister. - Frau Kollegin Jahns, Sie haben zu einer weiteren Zusatzfrage das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Innenminister hat in seinen Ausführungen eben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass es - egal, wie viele Erstaufnahmeeinrichtungsplätze noch geschaffen werden - immer die Situation geben wird, dass nicht genügend Plätze vorhanden sind.
Vor diesem Hintergrund frage ich - man hat gelesen, dass es Angebote seitens der Landesregierung an die Stadtstaaten Hamburg und Bremen gibt, die dort aufzunehmenden Asylbewerber eventuell in Einrichtungen in Niedersachsen unterzubringen - Sie, Herr Minister, bzw. die Landesregierung: Sind diese Gespräche schon mit einem konkreten Angebot abgeschlossen, und, wenn ja, befürchten Sie dadurch nicht weitere Belastungen für die betroffenen Kommunen durch Personalkosten oder durch Integrationsleistungen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Jahns, die Schilderung des Hintergrunds war notwendig, um den Anwesenden, die nicht mit dem Thema befasst sind, deutlich zu machen, worüber wir reden. Ich nehme an, wir reden über den gleichen Sachverhalt.
(Björn Thümler [CDU]: Das war Kritik am Präsidenten! - Jens Nacke [CDU]: Wenn ich das gesagt hätte, hätte ich jetzt einen Ordnungsruf bekommen!)
- Der Unterschied ist: Ich meine so etwas grundsätzlich nicht böse, weil ich einfach ein netter Mensch bin.
Herr Nacke, jetzt ist es aber gut. Das sind Kommentare über das Präsidium, die nicht nötig sind. Ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass das nicht nötig ist.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich weiß, dass dieses Parlament hoch kompetent ist, aber nicht jeder kann so mit jeder Materie vertraut sein, dass er über alle Details Bescheid weiß.