Protokoll der Sitzung vom 15.07.2015

Mit diesem Gesetz werden Sie über 100 000 Arbeitsplätze - fast 200 000 - in Niedersachsen gefährden. Das passiert, wenn man Herrn Heere folgt, und das darf nicht passieren, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP - Der Redner be- gibt sich zu seinem Platz - Gerald Heere [GRÜNE]: Dann sind sie alle befreit! - Helge Limburg [GRÜNE]: Sie wollen den Staat aushöhlen! Sie wol- len nicht mehr Lehrer!)

Herr Bode, einen Moment! Lassen Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Henning zu?

(Jörg Bode [FDP]: Nein!)

- Sie haben noch elf Sekunden Redezeit.

(Jörg Bode [FDP]: In nur elf Sekunden kann ich nicht richtig antworten!)

- Das läge auch an der Frage. - Das war’s.

Meine Damen und Herren, als nächster Redner kommt von der Fraktion der CDU Herr Kollege Hilbers. Bitte sehr, auf geht’s!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Frage der Erbschaftsteuer hier schon mehrfach diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht zwingt uns dazu, eine Neuregelung vorzunehmen und eine Veränderung dieser Steuer ins Feld zu führen.

Aber - das will ich zunächst einmal feststellen - das Gericht hat eindeutig gesagt: Jawohl, ihr dürft dann Verschonungsregelungen anwenden, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu sichern. - Nur um diesen Effekt geht es. Die Verschonung ist nur dann gerechtfertigt und sinnvoll, wenn es um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht. Aber dann ist die Verschonung eben auch angebracht, weil die Erbschaftsteuerzahlung nicht davon abhalten soll, dass ein Unternehmen weitergeführt wird, oder - wenn ein Unternehmen dieses Kapital nicht aufbringen kann - nicht dazu führen soll, dass es an Heuschrecken oder andere veräußert werden muss.

Wir haben eine andere Struktur als in den Staaten um uns herum in Europa, weil bei uns auch große Unternehmen im Familienbesitz sind. Das ist aber gut, und das hat uns in den letzten Jahrzehnten gestärkt. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen und verlieren, Herr Heere. Deswegen ist es wichtig, dass es Ausnahmetatbestände gibt. Sie haben nur die Kasse im Blick und führen Neiddiskussionen. Das ist hierbei aber unangebracht! Sie müssen darüber reden, wie wir die Arbeitsplätze sichern!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im rot-grünen Koalitionsvertrag zur 17. Wahlperiode steht eine Reihe von Steuererhöhungen. Das hat Ihnen schon der Kollege Thümler gestern vorgehalten. Da werden die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer genannt. Allein daraus wollen Sie 1 Milliarde Euro für Niedersachsen ziehen, haben Sie gesagt. Dafür müsste der Bund 10 Milliarden Euro einnehmen.

Sie wollen den Abbau des Dienstwagenprivilegs. Sie wollen die Einschränkung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes. Sie wollen die Erhöhung der Besteuerung von Kapitalerträgen. Sie wollen den Spitzensteuersatz anpassen. Sie wollen den Abbau des Ehegattensplittings. Sie wollen die Umgestaltung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer unter Einbeziehung gewinnunabhängiger Elemente. Sie wollen Gebührenanpassungen etc. Sie wollten die Anpassung der Wasserentnahmegebühr für plus 20 Millionen Euro; das haben Sie bereits mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2015 vollzogen.

Wohin man schaut: Steuererhöhungen, die Sie machen wollen, weil Sie, wie Herr Heere sagt, für die wichtigen Aufgaben des Staaten mehr Geld brauchen.

(Gerald Heere [GRÜNE]: Investieren in die Zukunft! - Jörg Bode [FDP]: Das ist Abzockerei!)

Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken.

Der Ministerpräsident und der Finanzminister kehren sich schon von dem ab, was Sie hier machen. Das müssen Sie doch deutlich erkennen! Herr Schneider hat gesagt, Schäubles Vorschlag sei eine gute Grundlage. Ministerpräsident Weil rückt nun von sämtlichen Steuererhöhungen ab, die im rot-grünen Koalitionsvertrag stehen. Herr Ministerpräsident, Ihr Koalitionsvertrag ist offensichtlich nur noch Makulatur. Ich zitiere aus der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 6. Juli 2015: Ministerpräsident

Weil hat seine Partei vor einer neuen internen Debatte über Steuererhöhungen gewarnt. „Die SPD hat damit 2013 schlechte Erfahrungen gemacht, und es ist nicht klug, ein zweites Mal gegen die gleiche Wand zu laufen“. - Weiter hieß es dort: Weil stellt sich damit an die Seite von Parteichef Sigmar Gabriel und gegen Bundesvize Ralf Stegner. - Ich könnte das jetzt weiter zitieren. Mit all dem stellen Sie sich gegen die Bundesspitze Ihrer Partei und rücken Sie von Ihrem Koalitionsvertrag ab.

Herr Ministerpräsident, ich frage Sie: Warnen Sie jetzt Ihre eigene Partei vor dem, was Sie im Koalitionsvertrag aufgeschrieben haben? - Es ist doch grotesk, was Sie dort machen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Henning und Herr Heere reden davon, dass mehr Geld über die Erbschaftsteuer reinkommen muss. Sie sagten am 11. Juli in der NordwestZeitung, Herr Ministerpräsident:

„Schäuble geht in die richtige Richtung. Familienunternehmen darf nicht das notwendige Betriebskapital entzogen werden.“

Es ist eindeutig, was Sie dort machen wollen.

(Gerald Heere [GRÜNE]: Das ist jetzt aber Seehofer und nicht Schäuble!)

- Seehofer hat recht, Herr Heere, weil er darauf achtet, dass Familienunternehmen weiterhin als solche vererbt werden können. Sie haben eben unrecht damit, wenn Sie sagen, dass ab 26 Millionen Euro überhaupt keine Erbschaftsteuer mehr bezahlt werden muss. Das zeigt Ihre Unkenntnis der Materie! Das ist nämlich die Schwelle, ab der die Abschmelzungsregelung eingesetzt werden kann. Wenn die Arbeitsplätze über mehrere Jahre erhalten werden und die Lohnsumme garantiert wird, dann braucht ein Erbe weiterhin keine Erbschaftsteuer zu zahlen. Dass Sie das im Blick haben, ist wichtig. Es geht um die Frage, ab wann eine Bedürftigkeitsprüfung angewandt wird.

Dass das Gericht die Erbschaftsteuerproblematik verkompliziert hat, steht außer Frage. Wenn man die Ausnahmen, die wir wollen, weiter ausgestalten muss, wird es ein bisschen komplizierter werden. Aber ich sage noch einmal: so viele Änderungen wie nötig, aber so wenige Änderungen wie nötig! Denn wir wollen weiterhin Unternehmen im Familienbesitz halten. Das muss das Petitum sein, mit dem wir an diese Operation herangehen - und nicht mit dem Ziel, wie Sie das wollen, Kasse zu

machen! Dann legen Sie die Axt an die Familienunternehmen und verlieren damit vollständig die erfolgreiche Struktur, die wir derzeit in unserer Wirtschaft haben.

Lesen Sie die Stellungnahmen, die wir auch dazu im Haushaltsausschuss erhalten haben: Die Sicherung der Arbeitsplätze muss bei der Ausgestaltung der Erbschaftsteuer an erster Stelle stehen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Lesen Sie die Rechtsprechung des Bundesver- fassungsgerichts! Es wäre ganz nett, wenn Sie sich an die Verfassung hal- ten würden!)

Vielen Dank, Herr Kollege Hilbers. - Jetzt hat sich für die Landesregierung Herr Minister Schneider gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie schon dargelegt, hat das Bundesverfassungsgericht einige Regelungen zur Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens für verfassungswidrig erklärt. Insbesondere kann nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts eine Verschonung für große Vermögen nur nach einer Bedürfnisprüfung gewährt werden.

Der Grund - das bitte ich zu bedenken -: Die Regelungen, die wir dort haben, privilegieren Erben von Unternehmen im Vergleich zu jenen, die z. B. Immobilien oder Geldvermögen erben. Diese Privilegierung rechtfertigt sich aus dem Bemühen, Rückwirkungen auf das ererbte Unternehmen zu vermeiden, also Arbeitsplätze zu erhalten. Das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt, aber es hat der Privilegierung Grenzen gesetzt.

Auch nach Auffassung der Niedersächsischen Landesregierung - das wissen Sie; das habe ich bei anderen Gelegenheiten schon ausgeführt - ist der Schutz der Unternehmen, insbesondere der familiengeführten Unternehmen, richtig. Dieser Schutz muss sich jedoch - das müsste eigentlich allen klar sein, Herr Bode - in den Rechtsrahmen einbetten, den das Grundgesetz vorgibt.

(Jörg Bode [FDP]: Sonst wäre es ver- fassungswidrig!)

Da gibt es die Gleichbehandlung, die hier die Gleichmäßigkeit der Besteuerung berührt, und da gibt es die Sozialpflichtigkeit.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzminister im Februar erste Eckwerte vorgelegt, die auch aus meiner Sicht - das ist richtig zitiert worden - eine gute Grundlage geliefert haben. In der nachfolgenden Diskussion bestand jedenfalls Übereinstimmung zwischen dem Bundesfinanzminister und den Ländern über das Ziel, eine erneute Verfassungswidrigkeit der Reform unbedingt zu vermeiden.

Einigkeit bestand angesichts des Koalitionsvertrages in Berlin und des engen Zeitrahmens für die Reform auch darüber, die bisherige Gesetzessystematik grundsätzlich beizubehalten und nur die vom Gericht gerügten Aspekte zu ändern.

Die Niedersächsische Landesregierung - ich sagte das schon - hat die Eckwerte begrüßt, als Grundlage bezeichnet, aber muss nun feststellen, dass überraschenderweise maßgebliche Strukturelemente des Eckpunktepapiers vom Februar durch den Anfang Juli vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf aufgegeben und auch einvernehmliche Änderungswünsche der Länder - 16 : 0 - nicht berücksichtigt worden sind. Das dämpft die Hoffnung auf eine Verständigung.

Wesentliche Neuerungen beinhaltet der Gesetzesentwurf beim Verschonungskonzept und bei der Bedürfnisprüfung, die jetzt „Verschonungsbedarfsprüfung“ heißt. Hier wird die Privilegierung, die ich schon angesprochen habe, für den Übergang von Betriebsvermögen im Vergleich zu anderen Vermögensarten noch einmal erheblich ausgeweitet. Der Gesetzentwurf hebt die erwerbsbezogene Prüfschwelle - bis dahin wird Bedürfnis unterstellt; danach ist zu prüfen - von 20 Millionen Euro auf 26 Millionen Euro an. Das ist sicherlich nicht so dramatisch.

Bei Vorliegen bestimmter, für Familienunternehmen typischer qualitativer Merkmale erhöht es sich auf das Doppelte, nämlich auf 52 Millionen Euro. - Es ist rechtlich schon sehr schwierig, qualitative Merkmale gerichtsfest zu formulieren. Wir werden noch sehen, was da kommt.

Bei Erwerben über 26 Millionen Euro bzw. 52 Millionen Euro, die ich eben erwähnt habe, hat der Steuerpflichtige nach dem Gesetzentwurf nun ein Wahlrecht zwischen der Verschonungsbedarfsprüfung - das ist das, was ja schon in dem Eckpunk

tepapier stand - und einem - das ist neu - abschmelzenden Verschonungsabschlag.

(Jörg Bode [FDP]: Tolles Wort!)

Bei Erwerben bis zu großzügigen 116 Millionen bzw. 142 Millionen Euro verringert sich dieser Verschonungsabschlag kontinuierlich. Man muss also nicht mehr das Bedürfnis nachweisen, wenn man dieses Wahlrecht ausübt.

Dann bleibt jedem Erwerber - je nach Ausgestaltung der Regel- oder Optionsverschonung - eine Mindestverschonung von 20 % oder gar von 35 % ohne Bedürfnisprüfung. - Ohne Bedürfnisprüfung!

Dies steht im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das bei großen Erwerben den Nachweis eines Bedürfnisses für eine Privilegierung fordert. Hier soll die Vorgabe des Gerichts - jedenfalls nach unserer Beurteilung - unterlaufen werden.

Wir werden uns das Ganze also unter dem Aspekt verfassungsfester Neuformulierung noch einmal ansehen müssen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren werden wir, wie schon bisher, darauf achten, dass Unternehmensfortführungen gerade auch im Interesse der Arbeitnehmer nicht durch zu eine hohe Erbschaftsteuerlast gefährdet werden. Die Vorgaben aus Karlsruhe sind jedoch zu beachten; sonst finden wir uns vor dem Bundesverfassungsgericht wieder. Je großzügiger die Privilegierung, je weniger Erwerbe am Ende überhaupt zu einer Steuer führen, umso größer das verfassungsrechtliche Risiko.

(Jörg Bode [FDP]: Nein!)

- Das beurteilen alle so, außer Herrn Bode.