Protokoll der Sitzung vom 10.09.2015

CDU und FDP haben konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, die dazu beitragen können, die Situation zu entschärfen und den Menschen zu helfen. Das sollten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, einmal wahrnehmen. Und auch Sie sollten deutlich machen, dass wir hier Handlungsbedarf haben. Wir sollten gemeinsam handeln und nicht nur diskutieren und glauben, dass sich alles in Wohlgefallen auflöst.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir haben konkrete Fragen zu klären, z. B. die Frage der Unterbringung der Flüchtlinge im kommenden Winter. Schon heute kann man angesichts der kühlen Nächte sagen, dass die unbeheizten Zelte, in denen Flüchtlinge übernachten, keine menschenwürdigen Unterkünfte sind.

Es stellt sich auch die Frage nach der Verteilung der Flüchtlinge: Wie können die Kommunen dies auch weiterhin gut organisieren?

Ferner stellt sich die Frage nach den kommunalen Kosten. Hier geht es nicht nur um eine einmalige Entlastung mithilfe von Sondereffekten. Vielmehr sage ich für die FDP-Fraktion ganz klar: Wir erwarten, dass das Aufnahmegesetz geändert wird, damit sich die Kommunen darauf verlassen können, dass diese Entlastung nicht nur einmalig stattfindet, sondern dass den Kommunen diese 10 000 Euro pro Flüchtling auch in den Folgejahren erstattet werden. Das ist der Weg, der jetzt gegangen werden muss.

(Zuruf von Filiz Polat [GRÜNE])

- Dann legen Sie den Gesetzentwurf doch jetzt vor, Frau Polat, und sagen Sie nicht immer nur: Es wird doch alles, das wollen wir doch machen! Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor, damit wir diesen Weg gehen können!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine weitere Frage ist die Verfahrensdauer. Darauf werde ich gleich noch eingehen.

Wir müssen uns auch um die Sprachvermittlung kümmern. Sprache ist der Schlüssel zur Integration, aber hier fehlen immer noch die erforderlichen Ressourcen. Es wird dauern, bis die Ressourcen so weit aufgebaut sind, dass wir allen die Sprachkurse anbieten können, die sie benötigen.

Und es geht um die Frage, wie die Menschen, die dauerhaft hier sein werden, erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Das, Frau Kollegin Polat, ist aus meiner Sicht eine der zentralen Fragen. Wir müssen denen, die zu uns kommen, deutlich machen: Wir wollen, dass ihr bei uns arbeiten könnt. Wir wollen, dass ihr euch durch Arbeit und dadurch, dass ihr die Sprache erlernt und bei uns heimisch werdet, in unsere Gesellschaft einfügt. - Dafür, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Arbeit ein ganz, ganz wichtiger Schlüssel.

(Zustimmung bei der FDP)

Wir als FDP-Fraktion haben den anderen Fraktionen vorgestern die Hand gereicht und vorgeschlagen, dass wir uns zusammensetzen und über die Frage diskutieren, welche Punkte wir in diesem Plenum nicht nur beraten, sondern welche wir auch beschließen können. Uns geht es darum, deutlich zu machen, dass der Landtag Gräben überwinden kann, dass er nicht nur palavert, son

dern dass er auch konkrete Handlungsempfehlungen an die Landesregierung beschließt. Dazu waren die anderen Fraktionen aber offensichtlich nicht bereit - was wir bedauern.

(Ulrich Watermann [SPD]: Bei der Wahrheit bleiben! - Gerd Ludwig Will [SPD]: Keine Märchen! - Gegenruf von Christian Dürr [FDP]: Will Rot- Grün oder nicht?)

- Dazu komme ich gleich auch noch mal.

Jetzt noch ein Wort zum Kollegen Lynack, der zur Frage der langen Verfahrensdauer wieder einmal gesagt hat: Das liegt alles am BAMF, dort muss die Situation verbessert werden, dort muss mehr Personal eingestellt werden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch der Ministerpräsident hat hier vorhin gesagt, dass es sieben bis acht Wochen dauert, bis ein Asylantrag gestellt werden kann. Das aber ist heute nicht mehr die Realität in den Aufnahmeeinrichtungen, sehr geehrter Herr Minister Pistorius. In Bramsche dauert es sieben bis acht Wochen, bis ein Flüchtling überhaupt registriert und Bewohner dieser Einrichtung ist. Irgendwann wird er dann auf die Kommune verteilt, und von der Kommune muss er wieder zu einer BAMF-Stelle zurückfahren, um seinen Asylantrag zu stellen. Es dauert heute also sechs Monate, bis jemand, der in Deutschland angekommen ist, überhaupt einen Asylantrag gestellt hat. Und dann dauert es noch einmal mehr als sechs Monate, bis dieser Asylantrag überhaupt bearbeitet worden ist.

Das ist doch ein echtes Problem, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Was sagen Sie denn einem syrischen Vater, der seine Familie in Syrien im Kriegsgebiet zurückgelassen und sich auf den Weg gemacht hat, um für sich und seine Familie eine neue Zukunft, eine neue Heimat zu finden? Der hofft darauf, seine Familie zu sich holen zu können, der hofft auf Familienzusammenführung - aber dafür braucht es dann ein Jahr! Ein Jahr lang bleibt seine Familie allein; erst dann kann er seine Familie nachholen. Das ist doch ein humanitäres Problem! Es ist ein Skandal, dass wir für diese Verfahren so lange brauchen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich sage noch einmal ganz klar: Wir wollen, dass in diesem Plenum nicht nur geredet, sondern auch gehandelt wird und dass konkrete Arbeitsaufträge an die Landesregierung beschlossen werden. Wir reichen Ihnen die Hand, damit dies im Rahmen der

heutigen Beratung der Entschließungsanträge gelingen kann.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Oetjen. - Jetzt hat sich gemeldet der Abgeordnete Onay, Bündnis 90/Die Grünen. Herr Onay, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Nacke, weil Sie der rot-grünen Mehrheit in diesem Haus Tatenlosigkeit in dieser Frage vorgeworfen haben, möchte ich darauf hinweisen, dass wir gerade 20 Entschließungsanträge und Initiativen im Verfahren haben. Sie sind herzlich eingeladen, sich im Innenausschuss einmal ein Bild über die Arbeit zu machen.

(Jörg Hillmer [CDU]: Das sind doch unsere Anträge!)

Diese Anträge wurden zum Teil sogar interfraktionell beschlossen. - Das nur einmal vorausgeschickt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Thema, das Sie gesetzt haben, heißt ja: „Für Realismus und Pragmatismus in der Flüchtlingspolitik.“ Genau dazu aber haben Sie sich gar nicht geäußert. Ich kann dieser Überschrift eigentlich zustimmen, befürchte aber, dass wir im Ergebnis zu anderen Schlüssen kommen.

(Jörg Hillmer [CDU]: Das befürchte ich auch! - Jens Nacke [CDU]: Das ist Demokratie! Das müssen Sie auch einmal akzeptieren!)

- Das ist richtig. Das akzeptiere ich auch.

(Jens Nacke [CDU]: Nein, Frau Mod- der akzeptiert das nicht!)

Ich war vor einigen Wochen - Herr Professor Nebel war es auch - auf den griechischen Inseln, um mir selbst ein Bild von dort zu machen. Ich war auf Kos. Glauben Sie mir: Die Bilder, die man in der Tagesschau oder in anderen Nachrichtensendungen sieht, können nicht beschreiben, welches Elend dort herrscht, können nicht beschreiben, welches Unvermögen der europäischen Flücht

lingspolitik sich dort auftut, das die Flüchtlinge am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Dort sind viele junge Menschen, viele junge Familien. Sie waren gezwungen, nicht sichere Reisewege über das Mittelmeer auf sich zu nehmen. Die gesamte Küste, der gesamte Strand ist gesäumt von benutzten Schwimmwesten, von geplatzten Rettungsbooten und von Luftmatratzen. Das ist das Bild, das sich dort an der europäischen Küste auftut, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die Menschen sind gezwungen, diese lebensgefährlichen Wege auf sich zu nehmen - für sehr, sehr viel Geld, das sie den Schleppern in den Rachen werfen müssen -, weil die Europäische Union keine legalen und sicheren Einreisemöglichkeiten bietet

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

und wodurch sie Schleppern eine Geschäftsgrundlage schafft.

Und diese Menschen, die vor religiösen Fanatikern, vor Religionskriegen, vor Gewalttätern, vor Terroristen und vor Mördern geflüchtet sind, die sich durch Stacheldraht und Grenzen gekämpft haben, die an der ungarischen Polizei mit ihren Knüppeln und der von ihnen ausgeübten Gewalt vorbeigekommen und dann endlich in Europa angekommen sind, müssen sich nun von einigen europäischen Regierungschefs anhören, dass sie nicht erwünscht sind, weil sie keine Christen sind!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was sich in Griechenland, in Ungarn, in der Slowakei und in anderen Ländern der Europäischen Union auftut, ist für den Friedensnobelpreisträger Europäische Union wahrlich unwürdig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Johanne Modder [SPD]: So ist es!)

Die Menschen, die es geschafft haben, bis in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen, wurden hier an vielen Bahnhöfen bundesweit erfreulicherweise mit einem Lächeln, mit Applaus, mit Begeisterung und mit viel Willkommenskultur sowie viel Liebe empfangen. Ich persönlich werte dieses Zeichen der Bevölkerung als klares Signal gegen all die Hetzer, Rassisten und Gewalttäter, ob in Salzhemmendorf, in Heidenau oder sonst wo in unserer Republik.

Doch während die Bevölkerung ein solch klares Signal aussendet, kommt von der Bundesebene,

von der Großen Koalition, ein gewisses Eingeständnis gegenüber diesen Bewegungen, den rassistischen Protesten. Es werden nämlich Verschärfungen des Asylrechts vorgenommen - wie schon damals in den 90er-Jahren. Auch damals gab es steigende Flüchtlingszahlen. Rassistische Demonstrationen führten seinerzeit zu einer Asylrechtsverschärfung. Jetzt diskutieren wir schon wieder über sichere Herkunftsstaaten; es geht um Albanien, den Kosovo und Montenegro.

Herr Nacke, Sie haben die Frage aufgeworfen, und deshalb möchte ich Sie Ihnen gern beantworten. Ich möchte Ihnen gern einmal vorlesen, was Pro Asyl zur Situation in Serbien und insbesondere zur Situation der Roma geschrieben hat:

„Roma bekommen oft keine Wohnungen, sie leben in Slums, meist ohne Strom und Heizung. Sie können ihre Kinder nicht zur Schule schicken, kriegen keine Arbeit und sind auch nicht über das Gesundheitssystem abgesichert. Sie leben in existenzieller Not, viele leiden sogar Hunger.“

Ähnlich ist es im Kosovo. Oder können Sie mir erzählen, warum das Kosovo sicher sein soll, wenn die Bundeswehr dort noch tätig ist? Was macht dann die Bundeswehr in einem „sicheren Herkunftsgebiet“ wie dem Kosovo?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher sagen beispielsweise auch Finnland und die Schweiz, dass mindestens 40 % der Anträge angenommen werden müssen. Es geht auch anders! Deutschland sagt „100 % nein“; Finnland, die Schweiz, Großbritannien und andere Länder ebenso sagen, dass dort im Grunde berechtigte Fluchtgründe vorliegen.

Jetzt frage ich Sie, Herr Nacke: Wer ist näher an der Realität: Finnland, Deutschland oder vielleicht die Menschen dort, die flüchten müssen?