Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

Danke. - Ich freue mich, dass Sie Interesse an dieser Debatte haben und dem Austausch der Argumente hier folgen.

Meine Damen und Herren, in der Tat: Die Belastung der Polizei lässt sich gegenwärtig schon als nennenswert bezeichnen. Darum ist es auch ausdrücklich richtig, dass wir hier heute über die Belastungen, deren Ursachen und Wirkungen und auch über die Frage diskutieren, wie man damit zukünftig umgehen kann.

Nach den Erhebungen der Landesregierung tragen unsere Polizeibeamtinnen und -beamten gegenwärtig einen Berg von 1,5 Millionen Überstunden vor sich her. Aber natürlich sind diese Überstunden nicht gleichmäßig verteilt. Sie liegen im Schwerpunkt bei den Einsatzkräften. Dort ist von Überstundenbelastungen die Rede, die zum Teil bei über 200 Stunden liegen. Dass so etwas nicht ohne Auswirkungen auf Freizeitgestaltung, soziale Beziehungen und Familie bleibt, meine Damen und Herren, ist uns allen wohl klar. Ich kann für die SPD-Fraktion sagen: Wir nehmen das sehr ernst.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und wir sagen deutlich: Das kann kein Dauerzustand sein.

Meine Damen und Herren, gegenwärtig ist die Situation aber so, wie sie ist, und das, obwohl wir heute mehr Polizistinnen und Polizisten in Niedersachsen haben als jemals zuvor. Wir haben in Niedersachsen die Zahl der Polizisten im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern und dem Bund auch nicht verringert, sondern sie auf diesem hohen Stand gehalten.

(Jörg Bode [FDP]: Eigentlich haben wir sie sogar erhöht!)

Erfreulicherweise - das muss man an dieser Stelle auch bemerken - korrigiert der Bund gerade seine

Entscheidung zur Reduzierung der Bundespolizei und hat eine Anhebung um 3 000 Stellen bei der Bundespolizei angekündigt. Das wird wohl auch nicht ohne Auswirkungen auf die Belastung der Polizeien der Länder bleiben.

Meine Damen und Herren, die Ursachen für die Überstunden bei der Polizei lassen sich benennen, und sie gehen bis auf das vergangene Jahr zurück. Ende 2014 begann diese polizeiliche Belastungsphase mit den HoGeSa-Provokationen in Köln und dem erfreulicherweise grandios missglückten Ableger hier in Hannover am 15. November. Anschließend entwickelten sich die regionalen Pegida-Ableger, die die Polizei bis heute beschäftigen. Begleitend kommt die anhaltend hohe Belastung durch die Bekämpfung des islamischen Terrorismus dazu.

Im Frühjahr, am 18. März 2015, waren große Teile der niedersächsischen Polizei in Frankfurt bei der Kundgebung anlässlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank gebunden. Am 7. und 8. Juni folgte der G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Parallel zu alldem hat die Polizei den Schutz von Sportveranstaltungen zu leisten, konkret von Fußballspielen der ersten bis zur fünften Liga.

Die Erwartung, dann wie üblich in der Sommerpause Luft holen und die Überstunden abbauen zu können, hat sich in diesem Jahr nicht erfüllt. Dafür war die von Herrn Minister Pistorius eben völlig zu Recht vorgetragene Flüchtlingssituation verantwortlich. Auch die Aktivierung der rechtsradikalen Szene trägt natürlich zur Belastung der Sicherheitskräfte bei, auch wenn der Tag der Patrioten in Bremen und in Hamburg erfreulicherweise verboten worden ist.

Die Situation, meine Damen und Herren, sieht auch nicht so aus, dass in den nächsten Wochen eine deutliche Entlastung eintreten könnte. Am 23. September findet das Risikofußballspiel Preußen Münster gegen Osnabrück statt. Die spielen übrigens in der dritten Liga.

(Heiterkeit bei der SPD)

- Nur um einmal deutlich zu machen, wie sich das Phänomen Gewalt im Fußball mittlerweile auswirkt. Da muss man auch einmal die Frage stellen, wer eigentlich vorrangig die Verantwortung dafür trägt, dass es im Stadion sicher zugeht.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

- Ich glaube, das ist die richtige Stelle, um unsere Erwartungen an die Verantwortlichen in den Fußballvereinen auszudrücken. Die führen schließlich Wirtschaftsunternehmen und müssen in ihren Unternehmen, d. h. konkret im Stadion, auch für die Sicherheit sorgen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von den GRÜNEN)

Am 3. Oktober unterstützt die niedersächsische Polizei die hessischen Kolleginnen und Kollegen beim Tag der Deutschen Einheit in Frankfurt, und wir müssen davon ausgehen, dass die gesamtstaatlichen Aufgaben zur Bewältigung der Flüchtlingssituation in Zukunft auch nicht weniger werden.

Meine Damen und Herren, ich möchte den sehen, der angesichts dieser aktuellen Belastung nicht den Hut vor der Einsatzbereitschaft und der qualitativ hochwertigen Aufgabenerfüllung der niedersächsischen Polizei zieht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Jörg Bo- de [FDP])

Im Namen der SPD-Fraktion bedanke ich mich bei allen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Lande für ihr großes Engagement und dafür, dass sie mit ihrer Arbeit Niedersachsen zu einem der sichersten Bundesländer machen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Zusammentreffen von Zugleichaufgaben keine neue Erscheinung darstellt. Im polizeilichen Alltag kommt es immer wieder zu einer Häufung von Aufgaben, in deren Folge Freizeitausgleiche nur eingeschränkt möglich sind. Das war auch zu Regierungszeiten von FDP und CDU hier in Niedersachsen nicht anders, Herr Adasch; Herr Minister Pistorius hat das gerade auch ausgeführt.

Neben den aus dem Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsauftrag der Polizei resultierenden Belastungen können wir jetzt aber immerhin feststellen, dass die polizeilichen Rahmenbedingungen besser geworden sind. Die niedersächsische Polizei ist besser motiviert - insofern, Herr Adasch, widerspreche ich Ihnen ganz deutlich -, und zwar ganz konkret deswegen, weil wir den Karriere- und Motivationskiller A11-Erlass beseitigt und mit 1 500 Stellenhebungen dafür gesorgt haben, dass alle

niedersächsischen Polizeibeamtinnen und -beamten wieder eine vernünftige Berufsperspektive haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von den GRÜNEN)

Mit der Strategie 2020 beziehen wir die Kompetenzen aus der Sachbearbeitung und die Kenntnisse der Dienststellenebene über regionale Besonderheiten in ihren Zuständigkeitsbereichen in die strategische Ausrichtung der niedersächsischen Polizei ein, sodass die Polizeidienststellen jetzt wieder selbstbestimmt auf ihre örtliche Lageentwicklung reagieren können.

Meine Damen und Herren, das ist alles andere als banal. Die Abkehr von aufoktroyierten Kennzahlvorgaben fördert das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der ganz praktischen polizeilichen Arbeit, und das hat positive Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit - und Arbeitszufriedenheit führt bekanntlich zu guten Arbeitsergebnissen.

Die Arbeitsergebnisse der niedersächsischen Polizei sind gut, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität als auch auf die Aufklärungsquote. Da steht Niedersachsen im Ländervergleich sehr gut da, und wir werden das uns Mögliche dazu beitragen, dass das auch so bleibt.

Meine Damen und Herren, was kann, was muss jetzt getan werden, um die Belastungen sukzessive auf die Zukunft bezogen zurückzuführen? - Der Vorschlag, die Unterstützung für andere Bundesländer zurückzufahren, ist ein zweischneidiges Schwert. Ich will das an dieser Stelle kurz machen; Herr Minister Pistorius hat dazu ausgeführt. Aber zu Recht muss daran erinnert werden, dass wir in Niedersachsen davon profitiert haben, von anderen Bundesländern unterstützt worden zu sein, als unsere Polizei die Castortransporte bewältigen musste.

Wenn man die Unterstützungsleistungen der vergangenen Jahre gegeneinander aufrechnen wollte, könnte man sagen, wir hätten jetzt noch eine Bringschuld abzutragen. Aber ich glaube, niemand will eine solche Erbsenzählerei wirklich durchführen, und ich glaube, sie geht auch an den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vollkommen vorbei. Die erwarten, dass in einem föderalen System die Polizeien der Länder in der Lage sind, ihre Sicherheitsaufgaben gemeinsam wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass es in diesem Land sicher zugeht. Und wenn wir das

nicht hinkriegen, Herr Adasch, dann machen wir nicht weniger, als die Axt an die Wurzeln des föderalen Aufbaus unseres Staates zu legen - um das einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ich habe es bereits erwähnt: Wir haben in Niedersachsen so viele Polizeibeamtinnen und -beamte wie nie zuvor. Trotzdem stellen wir fest, dass die Belastung der Einsatzkräfte in den geschlossenen Einheiten steigt und die Belastungen auf den Einsatz- und Streifendienst und die Ermittlungsdienste durchschlagen. Darum muss man auch die Frage stellen, welche Aufgaben die Polizei mit welcher Intensität wahrnimmt und welche sie zukünftig wahrnehmen soll.

Wir wollen eine Polizei, die sich um die konkreten Sicherheitsbelange kümmert und die die Bevölkerung vor Gefahren schützt und Straftaten aufklärt. Wir brauchen eben keine Polizei, um Straßentransporte mit Überlänge und -breite zu begleiten. Das ist eine Aufgabe - da bin ich völlig bei Herrn Minister Pistorius -, die ohne Weiteres privatwirtschaftlichen Dienstleistern übertragen werden kann.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE])

Wir in Niedersachsen, meine Damen und Herren, können das sagen, weil wir seit zehn Jahren eine ganze Reihe von konkreten Erprobungen durchgeführt haben, die belegen, dass das geht. Jetzt muss der Bundeswirtschaftsminister in die Strümpfe kommen und die rechtlichen Verordnungsvorgaben entsprechend verändern.

(Zuruf von Jens Nacke [CDU])

- Stimmt, genau da ist der Bund zuständig. Das haben Sie völlig richtig erkannt.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, sind die Atemalkoholkontrollen. Zwei Dritteln aller Alkoholfahrten liegen Alkoholkonzentrationen im Straftatenbereich zugrunde. Aber nur das eine im Bereich der ordnungswidrigen Verstöße liegende Drittel kann mit Alkoholmessungen bearbeitet werden. Für den deutlich überwiegenden Teil der Fälle müssen sich die Polizeibeamtinnen und -beamte auf eine insbesondere im ländlichen Raum erforderliche langwierige Suche nach einem Arzt und einer anordnenden Stelle machen.

Meine Damen und Herren, diese Liste lässt sich fortsetzen. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, dass die Polizei ein Netzwerk „Aufgabenkritik“ implementiert hat, in dem jede Angehörige und jeder Angehörige der niedersächsischen Polizei Vorschläge zur Entlastung einbringen kann.

Wir müssen aber auch mit der Personalsituation der Polizei umgehen, und zwar auch an der Stelle, wo sich die Frage stellt, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wir in der Zukunft brauchen. Sie wissen, dass auch aufgrund der demografischen Entwicklung und der einstellungsstarken Jahrgänge in den 70er- und 80er-Jahren mittlerweile eine Delle auf uns zukommt, die wir ausgleichen müssen. Obwohl wir gegenwärtig am Beginn der Haushaltsberatungen stehen und es in dem Zusammenhang natürlich auch Verhandlungen geben wird, will ich hier trotzdem deutlich sagen, dass die Fraktion der SPD in den Haushaltsverhandlungen eine deutliche Entlastung der Polizei durch ein Vorziehen von Einstellungen anstreben wird.

Mit diesen Vorratseinstellungen können wir die Einstellungssituation von der demografiebedingt rückläufigen Zahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber entkoppeln und bereits heute ein wichtiges Signal für die Personalkontinuität in der niedersächsischen Polizei geben.

Denn eines wollen wir vermeiden: einen personellen Qualitätsverlust bei der niedersächsischen Polizei. Das sind wir unseren Polizistinnen und Polizisten in Niedersachsen schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Becker. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet der Abgeordnete Bode von der FDPFraktion. Herr Bode, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei der CDU-Fraktion bedanken, dass sie diese Große Anfrage gestellt hat, um offenkundig zu machen, wie die Situation bei der Polizei wirklich ist. Ich möchte mich aber auch beim Ministerium bedanken, dass die Zahlen tatsächlich in der schonungslosen Offenheit geliefert worden sind. Aber vor allem möchte ich mich bei den Polizeibeamtinnen und -beamten bedanken,

dass sie ihren Dienst selbst unter schwersten Bedingungen engagiert und aufopferungsvoll ableisten und damit dafür sorgen, dass Niedersachsen ein sehr sicheres Bundesland ist. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)