Protokoll der Sitzung vom 17.09.2015

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zahlen und Daten zeigen aber auch, dass es hier nichts zu beschönigen gibt. Die Polizei arbeitet am Limit, sie arbeitet am Grenzbereich, sie geht, um es umgangssprachlich zu sagen, auf dem Zahnfleisch. Wir müssen den Polizeibeamtinnen und -beamten helfen, mit dieser Situation vernünftig umgehen zu können und Auswege und Lösungen zu finden.

Schauen wir uns einmal an, was uns die Polizeigewerkschaften in diesen Tagen mitgeteilt haben und was auch in den Zeitungen zu lesen war: Man warnt vor Notstand. Es wird eindeutig gesagt, dass wir in der nahen Zukunft mit einem polizeilichen Notstand rechnen müssen, weil es die Polizei mit den bestehenden Kräften nicht mehr schafft, Demonstrationen, Sportereignisse und andere Veranstaltungen zu schützen. Dazu kann ich als Demokrat nur sagen: Es ist ein unhaltbarer Zustand, sehenden Auges den polizeilichen Notstand einzukalkulieren und dadurch das Demonstrationsrecht, egal für wen, zu verwirken. Ich weiß auch, dass es für die Polizei ein unhaltbarer Zustand ist, so etwas überhaupt erklären zu müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun ist es nicht so, dass die eine oder andere Seite Schuld daran hat, dass die Belastung der Polizei so enorm gestiegen ist. Nein, das liegt an externen Einflüssen: Die Zahl der Veranstaltungen hat zugenommen, und bei einigen Gruppen der Gesellschaft ist die Gewaltbereitschaft gestiegen. Dadurch kommt es zu mehr Einsätzen.

Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen, und wir müssen natürlich auch sicherstellen, dass die Polizei noch den Raum hat, ihr eigentliches Geschäft - beispielsweise Einbruchdiebstähle zu verhindern bzw. aufzuklären und die Täter dingfest zu machen - wahrzunehmen.

Und dabei, Herr Minister, ist es dann vielleicht auch einmal ganz sinnvoll, auf die Frauen und Männer an der Front zu hören - und nicht nur auf das, was im Ministerium gesagt wird. Bei den Gewerkschaften heißt es dazu: Wir haben zu wenig

Personal, wir brauchen mindestens 25 % mehr Neueinstellungen.

In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage ist aber genau das Gegenteil dieser Einschätzung zu lesen, Herr Minister. Sie sagen, es gebe keine flächendeckenden Arbeitsüberlastungen. - Nun gut, es ist schon klar, dass man das nicht flächendeckend hat. Irgendwo wird es immer eine Polizeidienststelle geben, wo es noch einigermaßen geht. Mit „flächendeckend“ haben Sie das Problem sprachlich eliminiert - aber nicht in der Sache.

Und Ihre Schlussfolgerung lautet dann:

„Die derzeitige Personalstärke wird als angemessen betrachtet, den polizeilichen Aufgaben zukunftsorientiert, zielgerichtet und erfolgreich zu begegnen.“

Aber genau das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist falsch! Die Personalstärke ist aufgrund der neuen Anforderungen durch die größeren Ereignisse nicht ausreichend, um diesen Anspruch zu erfüllen.

Was wir jetzt brauchen, ist eine konzertierte Aktion, gerne auch über die Parteigrenzen hinweg - wir wollen gerne mitarbeiten und bieten an, dass wir mithelfen -, um an allen Stellen Lösungen zu finden. Zum Beispiel - was ich sehr begrüße - über eine Aufgabenkritik: Wo kann man Bürokratie bei der Polizei entfernen, um mehr Freiraum zu schaffen? - Sicherlich bei der Begleitung von Schwertransporten. Bei den Alkoholkontrollen bin ich eher skeptisch. Es gibt einige Bereiche, die auf jeden Fall hoheitlich bleiben müssen.

Wir müssen uns aber auch das Thema Überstunden ansehen, und da nützt es nichts, Herr Pistorius, sich die Welt schönzurechnen.

(Zustimmung von Thomas Adasch [CDU])

Sie vergleichen die heutige Situation mit der der Vergangenheit. Aber damals hatten wir immer wieder Castoreinsätze. Wenn Sie die Überstundenbelastung durch die damaligen Castoreinsätze herausrechnen, hatten wir damals dramatisch weniger Überstunden - und Castoreinsätze haben wir seit Jahren nicht mehr.

Das heißt, es gibt ein strukturelles Problem durch Überstunden bei der Polizei. Dem muss man sich ernsthaft nähern. Aber Sie tun das nicht in ausreichendem Maße.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich bin ja froh, meine Damen und Herren, dass Sie den ersten Schritt gemacht haben. Anders als noch in der schriftlichen Antwort haben Sie heute gesagt, dass Sie Überstunden auf freiwilliger Basis teilweise auch finanziell abgelten wollen. Hier muss aber noch mehr erfolgen.

Aber der Kernpunkt ist und bleibt, dass wir genügend Polizeibeamtinnen und -beamte haben müssen, um die Einsatzfähigkeit zu gewährleisten. Und das wiederum heißt: Wir brauchen mehr Einstellungen bei der Polizei.

Aus Sicht der FDP-Fraktion - und das werden wir in den Haushaltsberatungen einfordern - brauchen wir ein neues Tausenderprogramm. Wir müssen die Einstellungen jetzt realisieren, und zwar dauerhaft und sie nicht nur, wie es gerade gesagt worden ist, aus der Zukunft vorziehen. In den nächsten drei Jahren müssen 1 000 neue Polizeistellen dauerhaft geschaffen werden. Die Bewerberlage ist momentan so gut, dass man schon Absagen erteilen muss. Das heißt, die Einstellungen sind heute nicht nur von der Zahl, sondern auch von der Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber her gut möglich. Das muss unser Anspruch sein.

Es reicht nicht, Frau Modder, nur auf mehr Bewerberstellen zu verweisen, wie Sie es gestern bei der Haushaltseinbringung getan haben; denn die Bewerberstellen, die Sie mehr vorsehen, werden von den Abgängen wieder aufgefressen. Die Mittel, die im Haushalt zur Verfügung stehen, gehen nach Ihrem Entwurf sogar zurück.

Aber wir brauchen jetzt ein Mehr! Wir müssen an die Überstunden ran, wir müssen an die Aufgabenkritik ran, wir müssen aber auch ein neues Tausenderprogramm für die Polizei schaffen. Und da sollten Sie sich ein bisschen mehr bewegen, als Sie es bisher getan haben, Herr Pistorius!

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Bode. - Jetzt hat sich gemeldet Meta Janssen-Kucz, Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal vielen Dank an das Innenministerium für die umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage, aber auch für die Ausführungen von Innenminister Boris Pistorius und vom Kollegen Karsten Becker.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich glaube, diese Ausführungen haben mehr als deutlich gemacht, welche Anstrengungen Rot-Grün seit der Regierungsübernahme 2013 unternommen hat. Wir haben damit mehr Zufriedenheit und mehr Motivation innerhalb der Polizei geschaffen. Wir reparieren Ihre Hinterlassenschaften!

Herr Bode, ich finde es schon interessant, dass Sie hier von einem strukturellen Problem sprechen. Ich erinnere nur an das strukturelle Problem mit den Überstunden aus den Castortransporteinsätzen. Das haben wir mit unserem ersten Haushalt - für das Jahr 2014 - glattgezogen. Da hätten Sie schon etwas früher aufstehen müssen!

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

In den letzten Wochen und Monaten wurde sehr deutlich, vor welchen gesellschaftlichen Herausforderungen und damit Anforderungen unsere Polizei steht und wie dies die Polizeiarbeit verändert.

Ich will mich dem Dank an die Polizeibeamtinnen und -beamten, aber auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innenministerium anschließen, dass sie sich diesen Herausforderungen stellen. Sie setzen sich aktiv für eine bürgernahe und freundliche Polizei, für den Schutz unserer Demokratie und gegen Rassismus und Rechtspopulismus ein. Dafür ein dickes Dankeschön!

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber ich will mich auch für die aktive Unterstützung in der jetzigen Flüchtlingssituation bedanken. Es ist nicht selbstverständlich, dass Betten und Matratzen von A nach B transportiert und aufgebaut werden, dass Zelte aufgebaut werden, dass Flüchtlinge zum Gesundheitscheck von Bramsche-Hesepe ins Ammerland gefahren werden.

Es ist ebenso wenig selbstverständlich, dass die Polizei ihre Liegenschaften für die Notaufnahme von Flüchtlingen - 850 Plätze, haben wir eben gehört - zur Verfügung stellt. Dafür ein dickes Dankeschön an unsere Polizeipräsidentin Frau Berg und alle Polizeipräsidenten im Land!

(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Na- cke [CDU]: Zur Verfügung stellt? Das hat der Innenminister in höchster Not angeordnet! Das ist doch kein Zurver- fügungstellen!)

- Herr Nacke, wenn Sie pöbeln wollen, dann gehen Sie einfach raus!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Reinhold Hilbers [CDU]: Das hat er doch gar nicht gemacht! - Wei- tere Zurufe von der CDU und von der FDP)

Frau Kollegin, das steht Ihnen nicht zu. Das machen wir. - Sie nehmen es zurück? - Okay. Sie haben das Wort.

(Jens Nacke [CDU]: Nun werden Sie mal nicht nervös!)

Ich bin nicht nervös.

Jetzt zur Anfrage. Wir stellen nach der Beantwortung der Anfrage erst einmal fest, dass von der niedersächsischen Polizei hervorragende Arbeit geleistet wird und dass das Vertrauen innerhalb der Polizei wieder da ist. Die Misstrauenskultur, die noch aus Ihrer Regierungszeit innerhalb der Polizei herrschte, wird Stück für Stück abgebaut. Das ist gut so. Unter Rot-Grün kann jede und jeder frei denken und sprechen, ohne Repressalien und Dienstaufsichtsbeschwerden befürchten zu müssen.

(Zustimmung bei der SPD - Jens Na- cke [CDU]: Nein! Das ist definitiv falsch!)

Meine Damen und Herren, selbst die taz titelte: „Niedersachsens Polizisten werden mündig“ und berichtete über die Strategie 2020.

Statt unsinniger landesweiter Vorgaben zur Aufklärungsquote, die Sie unter Schwarz-Gelb gemacht haben, wurde unter der Beteiligung von Polizeibeamtinnen und -beamten eine strategische Neuausrichtung eingeleitet. Die Neuausrichtung setzt im Flächenland Niedersachsen auf regionale Schwerpunkte, auf mehr Eigenverantwortung und auf Budgets, die vor Ort verwaltet werden, und somit auch auf mehr Präsenz auf der Straße. Mit regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen kann man wirklich zeitnah reagieren, eine moderne Polizei auf den Weg bringen und begleiten.

(Jens Nacke [CDU]: Zeitnah? Zwei- einhalb Jahre!)

Dies ist für die Polizei in Niedersachsen eine völlig neue Art der Beteiligung und Mitbestimmung, Herr

Nacke, die Sie nicht kennen. Das ist ein Meilenstein in der polizeilichen Organisationsentwicklung und wird von den Polizeibeamtinnen und -beamten gelobt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Geht es ein bisschen kleiner?)

Rot-Grün stellt die Menschen in den Mittelpunkt. Das hilft den Bürgerinnen und Bürgern.

(Christian Grascha [FDP]: Sie stellen vor allem sich selbst in den Mittel- punkt!)

Ein paar Sätze zur Arbeitsbelastung, zu der schon einiges ausgeführt worden ist. Es gibt das Netzwerk „Aufgabenkritik“. Die Beamtinnen und -beamten sind aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten. Aber das ist nur ein Teil der neuen Beteiligungsstruktur. Uns sind die Vorschläge aller Beamtinnen und Beamten wichtig, unabhängig von ihrem Dienstgrad; denn sie bringen neue Ideen, wie wir Arbeitsbelastung und -überlastung reduzieren und vermeiden können.